Pastoralreferentin Patricia Nell, Frankfurt/M. Zuspruch am Morgen, hr 2-kultur, Donnerstag, 28. Juli 2016 Von der ehrbaren Kauffrau Sie macht mich immer noch nachdenklich, die Geschichte. Vor ein paar Wochen hab‘ ich sie in einem kleinen Blumenladen erlebt: Zwischen kugelrunden Hortensien und knallroten Rosen warte ich, bis ich dran bin. Eine ältere Dame steht vor mir. „Ich hätte gerne die Barthnelken da hinten“ sagt sie zu der blonden, stämmigen Frau mit der grünen Schürze. „Die verkaufe ich Ihnen nicht, die sind nämlich nicht mehr ganz frisch“, entgegnet die resolut. „Wie schade, mein Mann mochte gerade Barthnelken so sehr“, sagt die Kundin enttäuscht, „ich wollte sie ihm doch nachher zum Grab mitnehmen.“ Mit beiden Händen befördert die Floristin daraufhin den dicken Strauß aus dem Eimer und hält ihn der überraschten Kundin vor die Nase: “Hier, schenk‘ ich ihnen! Für den Friedhof sind sie noch gut. Warten Sie, ich mach Ihnen noch ein Papier drum!“ Selig verlässt die Beschenkte mit den Barthnelken den Laden. Wo gibt’s denn sowas noch? Eine kleine Geschäftsfrau nimmt lieber einen Verlust in Kauf, als um jeden Preis noch was herauszuholen. Solche Menschen schaffen Vertrauen. Ohne das geht es nirgends, nicht in Beziehungen, nicht in der Politik, nicht zu Hause und nicht beim Geschäftemachen. Im Trend ist aber leider das Misstrauen, also das absolute Gegenteil. Ich hab‘ den Eindruck: Die grenzenlose Gier greift immer weiter um sich. Da manipuliert ein namhafter und profitabler Automobilhersteller Abgaswerte. Und Top-Manager der Finanzbranche lösten vor einigen Jahren eine globale Krise aus, die unzählige kleine Leute um ihr Erspartes brachten. Mieten sind inzwischen so astronomisch hoch, dass kleine Läden kaputtgehen und Geringverdiener kaum noch Aussicht auf eine bezahlbare Wohnung haben. Gier zerstört Vertrauen! Eine Marktwirtschaft, in der die Beteiligten nur von der Sucht nach mehr leben, wird unmenschlich. Der bekannte Publizist Friedrich Schorlemmer schreibt in seinem Buch „Die Gier und das Glück“ Folgendes: „Die Gier will das schnelle Glück. Sie sieht im anderen nur den Konkurrenten. Und sie kennt überhaupt kein Maß. Gier will haben. Glück will sein.“ – Der Autor bringt es auf den Punkt. Leben braucht Sinn. Und der besteht eben auch darin, nicht um alles in der Welt das Letzte herauszuholen, sondern fair zu bleiben. So wie die Blumenhändlerin. Knallhart muss sie kalkulieren, um überleben zu können. Ich habe einen riesen Respekt vor ihr. Sie hat durch ihre Menschlichkeit nicht nur ihre Kundin froh gemacht, sondern ganz bestimmt auch sich selbst.
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