Das Manuskript zum Beitrag

Manuskript
Beitrag: Cyberattacken auf Deutschland –
Hacker-Grüße aus Moskau
Sendung vom 26. Juli 2016
von Joachim Bartz und Ulrich Stoll
Anmoderation:
Die Sicherheit wird mit Sicherheit ein Wahlkampfthema. In den
USA ist sie das längst. Am Wochenende tönte Donald Trump, mit
ihm als Präsidenten werde die Sicherheit wiederhergestellt.
Zugleich kamen dem republikanischen Kandidaten aber
Sicherheitslücken gut zupass. Hacker sollen E-Mails der
demokratischen Parteileitung gestohlen haben, um Trump zu
helfen. Die Spur führt nach Moskau. Sie führt auch bei
Cyberangriffen, die deutsche Computer lahmlegten, immer wieder
nach Moskau. Joachim Bartz und Ulrich Stoll haben die Spur
aufgenommen.
Text:
Die Stadt Ivano-Frankivsk in der Westukraine. Hier wurde die
Energieversorgung durch eine Cyberattacke unterbrochen erstmals weltweit. Ein Blackout per Mausklick. Ein Verdacht
kommt auf: Es war der 23. Dezember 2015, 16.26 Uhr, damals im
Lagezentrum Dienst hatte Igor Korolyschin.
O-Ton Igor Korolyschin, Operator „Prikarpat-Obl-Energo“:
Ich schaute auf meinen Computer und traute meinen Augen
nicht: Die Maus fing an, sich von alleine zu bewegen! Ich sah,
jemand klickte auf die Schalter und machte sie aus. Es wurde
chaotisch. Sofort gab es Anrufe aus anderen Leitstellen,
dass auch dort die Stromverteiler ausgeschaltet wurden,
massenhaft.
O-Ton Volodymyr Fedyk, IT-Chef „Prikarpat-Obl-Energo“:
Lange vor dem Angriff am 23. Dezember hatten einige
unserer Mitarbeiter eine E-Mail geöffnet, Absender war ein
Kiewer Ministerium. Die Mail aber war gefälscht, und mit ihr
kam Schadsoftware in unser System. Die war so raffiniert,
dass sie einen Teil ihrer Spuren nach der Attacke gleich
wieder löschte.
Experten gaben dem Angriff einen Namen: „Operation
Sandworm“. Westliche Nachrichtendienste werteten ihn akribisch
aus. Denn eine Attacke auf die Stromversorgung ist gefährlich für
jede Gesellschaft. Hinter den Angreifern vermuten westliche
Geheimdienste Moskau.
O-Ton Hans-Georg Maaßen, Präsident Bundesamt für
Verfassungsschutz:
Bei der Kampagne Sandworm handelt es sich aus unserer
Sicht um eine mutmaßlich russische Kampagne. Wir gehen
sogar mit höherer Wahrscheinlichkeit von einer russischen
Kampagne aus. Sandworm ist eine Kampagne, die eher auf
Sabotage ausgerichtet ist. Ein hoch ausgearbeiteter Angriff,
der mit Sicherheit etliche Monate Vorlauf gebraucht hatte, um
am 23. Dezember durchgeführt zu werden.
Die „Operation Sandworm“ wird einer Hackergruppe
zugeschrieben, die schon viele Namen bekam. Denn
Virenforscher beobachten die Truppe schon lange, benennen sie
unterschiedlich, meinen aber alle dieselben Akteure und sind sich
einig, diese Gruppe handelt im Auftrag des Kremls.
O-Ton Udo Schneider, Sicherheitsexperte Trend Micro:
Wenn man sich die Schadsoftware anschaut, finden Sie dort
beispielsweise russische Spracheinstellungen oder
russische Resource-Files in diesen Programmen. Es finden
sich Dinge wie Kompilierzeiten. Das heißt: Wann wurde die
Schadsoftware erstellt. Wenn man sich anschaut, ist die
Häufung ganz klar in einer Zeitzone zu sehen, die man
beispielsweise Moskau oder St. Petersburg zuweisen kann.
Das sind Indizien, die auf der Malware basieren. Es gibt aber
genauso gut Indizien, wenn man sich anschaut, wer sind
denn die Opfer.
Die Hacker attackieren ausnahmslos kremlkritische Ziele:
- in Russland unter anderem Pussy Riot
- die NATO – genau während einer NATO-Übung
- die Türkei - nach dem Abschuss eines russischen Militärjets
- die USA – je stärker sie die Ukraine unterstützen
- die Ermittler, die den Abschuss der MH17 aufklärten
Als der ukrainische Premier Jazenjuk Kanzlerin Merkel besuchte,
wurde prompt die Internetseite der Bundeskanzlerin gehackt. Zu
diesem Angriff bekannte sich eine Truppe namens „Cyberberkut“.
O-Ton Hans-Georg Maaßen, Präsident Bundesamt für
Verfassungsschutz:
Cyberberkut ist aus unserer Wahrnehmung eine
prorussische Hackergruppe, die wir im Osten der Ukraine
verorteten. Wir sehen Cyberberkut in einem Zusammenhang
auch mit nachrichtendienstlichen Angriffen aus Russland.
Nach dem Angriff auf das Kanzleramt folgte ein Angriff auf den
Bundestag. Mutmaßlich wieder durch den russischen
Geheimdienst, wie die technische Analyse des
Verfassungsschutzes später ergab.
O-Ton Petra Pau, DIE LINKE, Bundestagsvizepräsidentin:
Es ist gut ein Jahr her, dass die Bundestagsverwaltung, die
dort Verantwortlichen für die Informations- und
Kommunikationstechnik, merkten, dass das System
offensichtlich ziemlich überlastet ist. Etwas Ähnliches
bemerkten wir in der IT zum Beispiel der Linksfraktion und
hat festgestellt, dass es nicht nur einen Angriff gab, sondern
den Versuch, tatsächlich tief ins System einzudringen.
In der Links-Fraktion wird der erste Computer infiziert - durch eine
E-Mail mit einem versteckten Schadprogramm. Jetzt sind die
Angreifer drin im Datennetz des Bundestages, haben ihren
Brückenkopf errichtet und laden in aller Ruhe ihre
Spionagesoftware nach. Nachdem die Vorbereitungen
abgeschlossen sind, beginnt die eigentliche Operation:
Am 5. Mai 2015 verschaffen sich die Täter Zugang zu
Passwörtern. Am 6. Mai können sie bereits auf andere Server
zugreifen. Am 7. Mai beginnen sie, Daten zu stehlen. Ab dem 9.
und 10. Mai bewegen sie sich frei im Netz des Bundestages.
O-Ton Thomas Jarzombek, CDU, Sprecher CDU/CSUBundestagsfraktion für Digitale Agenda:
Das, was wir wissen, ist, dass wahrscheinlich in etwa der
gesamte Vorgang drei Wochen gedauert hat und dass
insgesamt etwa 16 Gigabyte an Daten abgeflossen sind. Aller
Voraussicht nach, oder was wir glauben, dass es halt eben
viele E-Mails gewesen sein mögen von einzelnen Rechnern.
Jetzt ermittelt die Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts der
geheimdienstlichen Agententätigkeit. Und noch etwas fällt den
Nachrichtendiensten auf: Russland legt bei seinen Cyberangriffen
offenbar falsche Fährten. 2015 hackte ein „Cyberkalifat“ Seiten
der US-Streitkräfte. Die Hacker legten auch den französischen
Sender TV5 Monde lahm. Alle dachten, nun habe der IS auch die
Cyberwelt erreicht. Ein Irrtum.
O-Ton Hans-Georg Maaßen, Präsident Bundesamt für
Verfassungsschutz:
Wir haben festgestellt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit
alles dafür spricht, dass auch ein russischer Dienst
dahintersteht, nämlich genau derjenige, der auch
verantwortlich war für den Angriff auf den Deutschen
Bundestag. Dies war aus unserer Sicht ein Zeichen der
Stärke, das gesandt worden ist aus Moskau.
IT-Experte Udo Schneider zeigt, was Antivirenforscher fanden:
diesen Teil eines Quellcodes von Schadsoftware. Der wurde – in
Varianten - beim „Cyberkalifat“, bei „Cyberberkut“ und bei dem
Angriff auf den Bundestag gefunden.
O-Ton Udo Schneider, Sicherheitsexperte Trend Micro:
Die Tatsache, dass dieser Quellcode in vielen verschiedenen
Gruppierungen auftaucht, lässt zumindest den Schluss zu,
dass die Gruppierungen entweder eine dieser Gruppierungen
sind oder zumindest zusammen arbeiten, dass sie
Ressourcen austauschen, dass sie Werkzeuge austauschen.
Jährlich gibt es rund 1,8 Millionen Cyberangriffe auf das deutsche
Regierungsnetz. Der Bundesinnenminister hat reagiert: Schnelle
Eingreiftruppen sollen die Rechner des Bundes besser schützen.
Auch die Bundeswehr wird massiv von Hackern bedroht. 71
Millionen Cyberangriffe waren 2015 gegen das IT-Netz der
Streitkräfte gerichtet, davon 8,5 Millionen Angriffe der
Gefahrenstufe „Hoch“.
Dagegen will die Bundeswehr aufrüsten. In Zukunft sollen 13.700
IT-Experten das Bundeswehrnetz offenbar nicht nur verteidigen,
sondern auch Cyberangriffe starten, fordert die CDU.
O-Ton Thomas Jarzombek, CDU, Sprecher CDU/CSUBundestagsfraktion für Digitale Agenda:
Natürlich wird durch all dieses halt eben klar, dass man auch
Gegenmaßnahmen braucht. Und das bedeutet eben, dass
man auch Truppen braucht, eigene Spezialkräfte braucht, die
im Zweifelsfall in der Lage sind, halt eben genau das Gleiche
auf der anderen Seite auch zu machen.
O-Ton Petra Pau, DIE LINKE, Bundestagsvizepräsidentin:
Ich halte das aber für schlichten Unsinn, selbst jetzt hier
aktiv zu werden. Die Bundeswehr ist nach meinem
Verständnis nach wie vor keine Angriffsarmee und das sollte
man dann bitte unterlassen.
Dabei sollte die Bundeswehr erst einmal eigene Schwachstellen
beseitigen. In einem vertraulichen Papier, das Frontal 21 vorliegt,
kritisiert der Bundesrechnungshof die Bundeswehr:
„So hat sie z.B. die Einhaltung der Vorgaben zur ITSicherheit in zentralen … IT-Systemen … nicht überprüft.“
Und sie kontrolliert die Mitarbeiter nicht ausreichend:
„Dabei weiß sie nicht, welche Beschäftigten … welche
Berechtigungen zum Zugriff und zur Veränderung von Daten
der Bundeswehr haben…“
Fehlende Datensicherheit - massive Cyberangriffe. Deutschland
hat spät begriffen, wie bedrohlich der Krieg im Netz geworden ist.
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