Biochemiker Schütz im Labor: Ein großer Teil der Nachwuchswissenschaftler ist ins Ausland abgewandert GENE OHNE GRENZEN NACHWUCHSFORSCHER IN DER GENTECHNIK KÖNNEN AUF MILLIONEN VOM STAAT HOFFEN – ABER SIE FÜHLEN SICH VOM GESETZ EINGEENGT. Es herrscht Pionierstimmung in den deutschen Genlabors. Über Jahrzehnte waren Wissenschaftler hier zu Lande oft nur Zuschauer beim weltweiten Forscherwettlauf in der Biomedizin – jetzt wollen sie kräftig aufholen. Beflügelt werden sie von einem Kurswechsel in der Politik. Nach Jahren sparsamer Förderung will Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) in den kommenden fünf Jahren mehr als 1,8 Milliarden Mark in die Biowissenschaften stecken. Einer, der davon wohl profitieren wird, ist der Biochemiker Gunnar Schütz, 28. Am Max-Delbrück-Centrum (MDC) in Berlin-Buch will der Nachwuchswissenschaftler den Krebs besiegen. Für seine Doktorarbeit möchte er herausfinden, wie zwei bestimmte Eiweißstoffe in Körperzellen zusammenwirken. 16 »Wenn man diesen Mechanismus entschlüsselt«, erklärt Schütz, »dann versteht man vielleicht, wie Krebs und andere Krankheiten entstehen.« Das Labor, in dem Schütz seit eineinhalb Jahren täglich seine Zellkulturen durchs Mikroskop betrachtet, zählt zu den auserwählten Forschungseinrichtungen, die nun mit viel Staatshilfe den Ursachen von Krebs, Parkinson und Herz-Kreislauf-Leiden nachspüren wollen. Das MDC, das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg, die Gesellschaft für Biotechnologische Forschung in Braunschweig, das Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit bei München und das in Berlin ansässige Max-Planck-Institut für molekulare Genetik sollen sich zusammentun, um, so Bulmahn, »ein enges Netz über die deutsche Genomforschung zu spannen«. Das lässt auch die Wissenschaftler hoffen. »Der Austausch von Erkenntnissen«, sagt der Biomediziner Norbert Hübner vom MDC, »wird künftig wohl besser klappen.« Es wird auch höchste Zeit. Zu der Mitte vergangenen Jahres geglückten Entschlüsselung des menschlichen Erbguts hatten die hiesigen Forschungsinstitute kaum etwas beigetragen. Als letzte große Industrienation war Deutschland erst 1996 in die Genomforschung eingestiegen. »Das war ein Fehler«, sagt Forschungsstaatssekretär Wolf-Michael Catenhusen (SPD), »der nicht mehr aufzuholen war.« Unter den Folgen leiden die Universitäten und Institute bis heute, weil ein großer Teil der Nachwuchswissenschaftler ins Ausland abwanderte. Nach einer vom Forschungsministerium in Auftrag gegebenen Untersuchung verschlug es jedes siebte Forschertalent in Uni SPIEGEL 2/2001 andere Gesetze. So möchte der Bonner Neuropathologe Oliver Brüstle gern an Stammzellen von menschlichen Embryonen forschen, um Hirnzellen zu reparieren. Nach geltendem deutschem Recht darf er jedoch keine Embryonen für seine Forschung herstellen, die Stammzellen will er aus den USA importieren – auch das ist juristisch heikel. Nun drängen viele Wissenschaftler darauf, die im Vergleich Winnacker, Catenhusen: Grenzen neu festlegen zu Großbritannien und den USA sehr engen rechtlichen Grenzen der die USA, wo allein im vergangenen Jahr Genforschung zügig zu lockern. »Wir eine Milliarde US-Dollar in die Genomkönnen nicht zehn Jahre warten, ehe wir forschung flossen. Zu vielversprechend etwas offensichtlich Notwendiges tun«, war die Aussicht, in den von Staat und fordert Hans Lehrach, Chef des Berliner Privatwirtschaft üppig finanzierten LaMax-Planck-Instituts. »Ethische Disbors in Harvard, Stanford und Berkeley kussionen sind wichtig«, sagt auch DokKarriere zu machen, anstatt auf einer betorandin Scheuermann, »aber wir sollfristeten Assistentenstelle an einer deutten darüber nicht den Anschluss an anschen Hochschule zu versauern. dere Länder verlieren.« Künftig soll der talentierte Nachwuchs Junge Wissenschaftler, die mit Stipenauch im eigenen Land bessere Chancen dien der Deutschen Forschungsgemeinhaben. Zum Beispiel Johanna Scheuerschaft im Ausland arbeiten, machen ihre mann: Am Münchner Genzentrum Rückkehr nach Deutschland denn auch schreibt die Medizinstudentin an ihrer von veränderten Gesetzen abhängig. SteDoktorarbeit über Gentherapie von fan Schlatt, Keimzellenforscher an der Krebserkrankungen – mit gerade 19 JahUniversity of Pennsylvania, sammelt ren. Schon in der Schule, die sie zwei Jahderzeit Unterstützer für einen offenen re früher als andere abschloss, hatte sie Brief an das Forschungsministerium, in sich für Naturwissenschaften interessiert dem eine »Verbesserung der Rahmenbeund am Wettbewerb »Jugend forscht« dingungen« verlangt wird. teilgenommen. Nun überlegt sie, neben Das erhöht den Druck auf Ministerin Medizin auch noch Biochemie zu stuBulmahn, die ethischen Grenzen neu dieren, um später »sowohl klinisch als festzulegen. Von den 350 Millionen auch in der Forschung zu arbeiten«. Mark, die sie aus dem Erlös der VerDafür sind die Bedingungen am Münchsteigerung von UMTS-Lizenzen für ner Genzentrum gut. Das bis 1999 von die Genforschung dazugewinnen konnErnst-Ludwig Winnacker, dem Präsite, sollen fünf Prozent für die Bewerdenten der Deutschen Forschungsgetung bioethischer Fragen ausgegeben meinschaft, geleitete Institut hat guten werden. Bundeskanzler Gerhard SchröKontakt zu vielen Biotech-Unternehder will zudem einen nationalen men im nahen Vorort Martinsried, Ethikrat gründen, dem zu einem großen die häufig von Absolventen des GenTeil der Gentechnik aufgeschlossene zentrums gegründet wurden. Wissenschaftler wie Winnacker anDas Geld allein aber macht die Genforgehören sollen. scher nicht glücklich – sie wollen auch Uni SPIEGEL 2/2001 Bevor aber die »biomedizinische Revolution«, die sich Max-Planck-Forscher Lehrach erhofft, ausbricht, müssen sich die Forscher erst mal untereinander einigen. Kaum hatte Ministerin Bulmahn den Geldsegen für die Genforschung angekündigt, brach auch schon der Streit um die Verteilung der Fördermittel aus. Die zahlreichen Universitäten und UniKliniken müssen damit rechnen, zusammengenommen nur denselben Förderbetrag wie die fünf Großforschungseinrichtungen zu bekommen. Nun stapeln sich auf dem Schreibtisch von Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen fast 70 Förderanträge, die das Forschungsministerium zum großen Teil ablehnen wird. »Hochschulforscher sind im Abstimmungsprozess vernachlässigt worden«, ärgert sich Claus Bartram, Humangenetiker an der Uni Heidelberg. Auch die Großforschungszentren sind mit ihrem Anteil keineswegs zufrieden. »Noch viel mehr Geld« verlangt Max-Planck-Institutsleiter Lehrach. Das beschlossene Programm könne nur der Anfang sein, wolle man die »Intels und Microsofts der Biotechnologie« hervorbringen. Im internationalen Vergleich macht sich das Bulmahn-Programm in der Tat dürftig aus. »Allein für die Sequenzierung des Rattengenoms«, bemerkt MDC-Wissenschaftler Hübner neidisch, »haben die USA gerade 120 Millionen Mark bewilligt.« JUDITH SCHALLENBERG entscheiden FOTOS: KARSTEN THIELKER; M. EBNER/MELDEPRESS; ARIS Lange waren deutsche Wissenschaftler nur Zuschauer beim weltweiten Forscherwettlauf – jetzt holen sie auf 17
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