Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 2016 Dr. Wilfried

Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 2016
Dr. Wilfried Haslauer
Verehrte Ehrengäste die Sie von Festspielpräsidentin Dr. Helga Rabl-Stadler in einem vollendeten Slalom durch das Protokoll bereits begrüßt wurden;
Liebe Festspielpräsidentin, über deren Entschluss für eine neuerliche Bewerbung für diese
Funktion ich mich sehr gefreut habe!
Lieber Sven-Eric Bechtolf,
geschätztes, verehrtes Mozarteum Orchester, das heuer sein 175. Bestandsjahr feiert und
mit der Musikbanda Franui uns diesen Eröffnungsfestakt verschönert,
liebe Mitwirkende der Salzburger Festspiele vor, auf und hinter der Bühne,
meine sehr geschätzten Damen und Herren!
„Im Auge des Sturms“
I.
Unser kleines Leben liegt im Schlaf
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„Wir sind aus jenem Stoff gemacht, aus dem die Träume sind und unser kleines Leben
liegt im Schlaf“ lässt William Shakespeare Prospero in der Komödie „Der Sturm“, die
am 2. August Premiere haben wird, sagen. Eine Welt voller Phantasie machen einen in
einem Feuerwerk von Sprache wie in einen surrealen Traum versinken.
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„Wir sind aus jenem Stoff gemacht, aus dem die Träume sind und unser kleines Leben
liegt im Schlaf“, wir, die Kinder des Glücks, die genau hier und gerade jetzt leben dürfen, im vermeintlich sicheren Auge des Sturmes, der ringsum wütet, näher rückt und
uns sein Grauen durch unwirkliche Bilder nur erahnen lässt.
II.
200 Jahre Salzburg bei Österreich
Aber: War das nicht immer so, dass die Katastrophen, die einen nicht unmittelbar selbst
betreffen, irgendwie unwirklich, ja geradezu als virtuell empfunden werden, so auch in
diesen 200 Jahren, die Salzburg zu Österreich gehört? Abseits aller Kriege prägten Not und
Elend den Beginn. Stellen Sie sich vor: Die durchschnittliche Lebenserwartung für Männer
betrug damals 32, für Frauen 34 Jahre, 30 % der Neugeborenen überlebten das 1. Lebensjahr nicht. Elektrizität war unbekannt, das Fortbewegungsmittel war das Pferd.
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200 Jahre, nur 200 Jahre! Was ist das schon, das sind drei Lebenskreise von Menschen, die
ca. 70 Jahre alt werden, ein Hauch, ein Wimpernschlag in der Geschichte der Menschheit.
Wie reizvoll wäre es doch – nach einer Zeitreise in die Vergangenheit – mit unserem heutigen Wissen damals ein Gespräch geführt haben zu können:
„Schick mir doch ein Email, du kannst Dir das Video im Internet runterladen, was hältst
Du von Crowd funding, besuchst Du Deine Kinder in Amerika auch übers Wochenende,
sonst skypen wir halt, schick mir einfach eine SMS, – ernährt sich Deine Frau auch vegan,
die transgender-agenda steht erst am Anfang, lass uns mit dem Handy ein Foto machen
und auf Facebook stellen“.
Blankes Unverständnis – wovon spricht dieser Mensch?
Wie reizvoll wäre es auch – nach einer Zeitreise über die selbe Zeitspanne von 200 Jahren
aus der Gegenrichtung, also aus der Zukunft zu uns her – ein solches Gespräch führen zu
können; mit Sicherheit blankes Unverständnis – diesmal auf unserer Seite!
Wir haben keine Ahnung, was in den nächsten 200 Jahren an technologischer Entwicklung
stattfinden wird, aber sie wird stattfinden, und zwar mit exponentieller Beschleunigung.
Helmut Qualtinger hat dies so formuliert: „I weiß zwar nicht, wo ich hinfahr, aber ich bin
schneller dort“.
III.
Veränderung
Unser Thema heißt also: Veränderung! Veränderung nicht nur in technischer, auch in sozialer und politischer Hinsicht. Was haben allein schreckliche Kriege und politische Umwälzungen in diesen 200 Jahren an Veränderungen gebracht, jahrhundertealte Reiche sind von
der Landkarte verschwunden und mit ihnen ihre Eliten, die durch andere ersetzt wurden.
1941, also vor 75 Jahren, schreibt Stefan Zweig: „In diesem halben Jahrhundert hat sich
mehr ereignet an radikaler Verwandlung und Veränderung als sonst in zehn Menschengeschlechtern, und jeder von uns fühlt: Zu viel fast …“
IV.
Verwandelt Veränderung?
Wie sehr verwandelt Veränderung? Sind wir in diesen 200 Jahren bessere Menschen geworden – da könnten bis 1945 Zweifel angebracht sein, aber danach? Wir fühlen uns doch in
Wahrheit moralisch und ethisch hochstehender als die Generationen vor uns: Hand aufs
Herz, wie schnell sind wir nicht mit der Verurteilung da, was früher gewesen ist, wir mit
der Gnade der späten Geburt.
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Ich bezweifle, ob wir selbst wirklich davor gefeit sind, wieder in die Barbarei, die Grobschlächtigkeit, die Kulturlosigkeit zurück zu verfallen, wenn wir aus der Ruhe im Auge des
Sturmes in seine zerstörerische Veränderungsgewalt rücken, wenn auch wir das Schicksal
anderer Zivilisationen erleiden, die im Laufe der Jahrtausende gekommen, aber auch gegangen sind, hochstehend und bewundernswert, letztendlich aber immer kraftlos, dekadent, ohne Selbstwertgefühl und eine leichte Beute für die brutale Stärke des Urtümlichen.
Also doch „Zuerst das Fressen und dann die Moral!“, wie Berthold Brecht es ausdrückt und
immer wieder „homo homini lupus est“?
V.
Die menschliche Konstante
Wenn der Rausch der Veränderung, ihr tosender Sturm, ihre aus der Kontrolle geratene
Eigendynamik, ihre alles verschlingenden Eruptionen uns sowohl mit Angst als auch mit
Neugierde erfüllen, uns in die Sicherheit des Gewohnten verkriechen oder aber ungeschützt voran gehen lassen, uns in Abgründe reißen oder auf ungeahnte Höhen wehen, wie
ein aus einem Tagebuch gerissenes Blatt, das vom Sturme zu Boden gedrückt und wieder
aufgepeitscht wird, bis es sich irgendwo verheddert und ermattet aufgibt, wo ist dann die
Konstante, die über alle Veränderung und Verwandlung unser Menschsein ausmacht und für
die es gilt, sich einzusetzen, zumindest aber daran zu glauben?
Hugo von Hofmannsthal sagt: „Verwandlung ist Leben des Lebens, ist das eigentliche Mysterium der schöpfenden Natur; Beharren ist Erstarren und Tod. Wer leben will, der …
muss sich verwandeln: Er muss vergessen. Und dennoch ist ans Beharren, ans Nichtvergessen, an die Treue alle menschliche Würde geknüpft.“
Also: Gibt es etwas allgemein Gültiges, das alles überdauert? Die Hinwendung zum Glauben
etwa, ein neugeborenes Kind in den Armen zu halten, Liebe zwischen zwei Menschen, Momente, die die Kunst schenkt, [die Musik Mozarts, Wagners Wucht und Verdis Verspieltheit, Hofmannsthals melancholische Leichtigkeit, Shakespeares Sprachgewalt, der zeitgenössischen Aufbruch ins Niemandsland,] die Faszination Natur, Erkenntnis als Erleuchtung,
der berührende Augenblick einer Begegnung, das Halten einer Hand am Ende des Lebens;
also all jene Augenblicke, die man für die Ewigkeit glaubt, die man festhalten möchte und
nicht kann. „Augenblick verweile doch, Du bist so schön“ lässt Goethe Faust alle menschliche Empathie in einem einzigen sehnsuchtsvollen Satz verdichten.
Aber was wäre all dies ohne die Kraft des menschlichen Willens und die Gabe, bewusst
werten und entscheiden zu können,
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zwischen Liebe und Hass,
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zwischen Menschlichkeit und Bestialität,
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zwischen Zuversicht und Angst
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zwischen Aufbruch und Resignation.
Gerade jetzt obliegt uns etwa gemeinsam die bewusste Wahl, die Europäische Union als
Bürokratiemonster, Entmündigungsanstalt unserer kulturellen Vielfalt oder überbordendes
„Klein-Klein-Normungsinstitut“ zu begreifen und zu gestalten oder aber uns ihrer großen
Idee rückzubesinnen, der eines Europas, das aus dem antiken Griechenland die Demokratie, aus dem römischen Reich die Rechtsstaatlichkeit, aus der französischen Revolution
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit in ihre DNA einfräst und sich dem größten Friedensprojekt der Geschichte verschreibt, das die Würde des Einzelnen in den Mittelpunkt allen
staatlichen und gesellschaftlichen Handelns stellt. Diese Wahl sollte uns nicht schwerfallen!
VI.
Kunst ist Bewusstsein
Wenn es Absolutes gibt, einen göttlichen Funken, dann gehört dazu das Bewusstsein und
die Freiheit des menschlichen Willens; also nicht bloß zur Nahrungsaufnahme und zum
Shopping determiniert zu sein. Die Kunst macht dies gegenwärtig: Sie zeichnet die Verwerfungen und überraschende Wendungen, die immer mit getroffenen und unterlassenen Entscheidungen zu tun haben. Die Kunst macht uns bewusst, dass wir nicht eine willenlose
Herde sind, sondern in jeden von uns ein Stück weit Unendlichkeit gesetzt ist. Sie rüttelt
auf, sie regt an, sie macht uns Lachen und Weinen, sie verwandelt uns, wenn auch nur in
Nuancen, und oftmals merken wir es gar nicht. Nicolaus Harnoncourt meinte einmal:
„Wenn sich nach einem Konzert die Welt nicht verändert hat, dann waren wir nicht gut“.
Die Kunst spielt mit unserer Widersprüchlichkeit in den fließenden Grenzen von Tragödie
und Komödie, von Verzweiflung und Hoffnung. Auch sie ist eine Konstante in der Veränderung, solange es Veränderung gibt, wird es Kunst geben und Kunst wird die Veränderung
mitgestalten.
Die Salzburger Festspiele, meine Damen und Herren, sind aus jenem Stoff gemacht, aus
dem die Träume sind, sie machen uns aber auch bewusst, unser kleines Leben liegt im
Schlaf – wenn wir irgendwann erwachen, werden wir uns fragen müssen, wie sehr uns die
Veränderung verwandelt.
Seien Sie alle sehr herzlich zu den Salzburger Festspielen 2016 willkommen!
Es gilt das gesprochene Wort.
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