Salzburger Festspiele 2016

Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 2016
Bundesminister Mag. Thomas Drozda
Sehr geehrte Exzellenzen,
sehr geehrte Damen und Herren,
Die Landschaft der Konzerte und der Inszenierungen, die uns in diesem Jahr erwarten, ist
großartig, ausgestattet mit markanten Höhepunkten und lässt sich in wunderbarer Weise kaum
überblicken: Das Panorama reicht vom Mozart/Da Ponte-Zyklus über Charles Gounods Faust,
Puccini bis Friedrich Cerha, es reicht von Shakespeares Sturm über Samuel Beckett bis Thomas
Bernhard, schließlich von Brahms, zu Bruckner zu Richard Strauss.
Und wie zum Glück so oft: zu Gustav Mahler natürlich. Mahler wird auch der berühmte Satz, der
sich jede Kulturpolitik zu widmen hat, zugeschrieben: „Tradition“, bemerkt Mahler, „ist nicht
die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers.“ Dass es um die Weitergabe des
Feuers geht, wenn man Tradition bewahren will, ist ein radikaler Satz, Mahler hat damit
gemeinsam mit anderen Künstlern gegen enorme Widerstände die Türe zur Kunst im 20.
Jahrhundert weit aufgestoßen und unser Verhältnis zum kulturellen Erbe geprägt. Das
Weitergeben des Feuers im Sinne Mahlers ist kein gemütlicher Zustand (man verbrennt leicht
selbst). Dennoch bilden diese Momente für viele von uns so etwas wie Heimat. Diesen Momenten
sind die kommenden Wochen gewidmet – damit wir uns heimatlich im Weitergeben des Feuers
fühlen, und wir erkennen, dass die Bewegung die Substanz der Dinge ist.
So unterschiedlich die kommenden Aufführungen und Inszenierungen auch sein werden, eines
wird ihnen gemeinsam sein: Kunst ist Veränderung, jedes Kunstwerk erzählt von Veränderung,
keine Aufführung ist nur Wiedererweckung, sondern immer auch Neuschöpfung eines Werkes.
Insofern ist Kunst für mich heute aktueller denn je, unsere Gesellschaft beruht mehr denn je –
ob wir das wollen oder nicht – auf Innovation.
Für die Arbeit der Künstler galt das schon immer, das Neue oder die Neufindung ist die
Grundlage aller künstlerischer Arbeit.
Sehr geehrte Damen und Herren!
Wir stehen in Österreich und in Europa in den nächsten Jahren vor den allergrößten
Veränderungen, oder vielmehr: wir sind längst im Zustand der Veränderung:
Europa als Kontinent und die Europäische Union als Institution befinden sich in den letzten
Jahren in einem permanenten Krisenbewältigungsmodus und stehen vor aktuellem Hintergrund
vor großen Herausforderungen. Populisten versuchen daraus politischen Nutzen zu ziehen und
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nützen nadelstichartig reale Schwächen demokratischer Institutionen und gewinnen Anhänger
damit.
Der deutsche Soziologe Heinz Bude hat vor Kurzem die Stimmungslage einer „verbauten
Zukunft“ geortet, die alles dominiert.
Diese Stimmung erzeugt sprachlose Wut, Verachtung und ungezügelten Hass auf politisch
Andersdenkende – das reicht von der Internetkampagne, brennenden Wohnheimen von
Flüchtlingen bis zum tatsächlichen Mord wie im Juni dieses Jahres an der englischen
Abgeordneten Jo Cox. Dieser Stimmungslage muss eine verantwortliche Politik entgegentreten.
Als zentrale Agenda einer gegenwärtigen Politik, die sich mit Fug und Recht gegenwärtig nennt,
erscheint mir, die Lust auf Veränderung bei den Menschen zu wecken, anstatt Angst vor der
Neugier auf Veränderung zu schüren. Und damit hat und hatte die Politik, das muss man ehrlich
ansprechen, die allergrößten Schwierigkeiten.
Der sprachlosen Wut, der Verachtung kann man aber nicht beschwichtigend oder gar
komplizenhaft begegnen und dabei glauben, dass man ihr dadurch entgeht. Man darf diese
Stimmungslage auch nicht ignorieren! Und die Gründe für Angst und Wut sind für mich auch
nicht hauptsächlich irrational, sie liegen auch in der Zunahme der objektiven und subjektiv
empfundenen Ungleichheit in der europäischen Bevölkerung. Nahezu 30 Jahre wurde die sich
selbst regulierende Kraft des Marktes als eines der zentralen Elemente europäischer
Wirtschaftspolitik gepriesen, samt allen Auswüchsen ungeregelter und unkontrollierter
Finanzmärkte.
Doch diese Form von Neoliberalismus hat durch die Wirtschaftskrise nicht nur an
Glaubwürdigkeit verloren, sie hinterlässt enorme wirtschaftliche Schäden und bringt ganze
Staaten an den Rand ihrer Handlungsfähigkeit. Das bewirkt eine noch größere soziale Schieflage
und Unsicherheit bis tief hinein in die Mittelschichten Europas.
Europa wird derzeit als Projekt der ökonomischen und intellektuellen Eliten wahrgenommen.
Das muss sich ändern, wenn das gemeinsame europäische Projekt auch weiter Bestand haben
soll. Der richtige Weg erscheint, Reformen der Gesellschaft offensiv zu gestalten statt zu
beschwichtigen oder ihre Notwendigkeit zu leugnen. Zwei Felder erscheinen mir dabei
wesentlich, sie bilden gleichzeitig die zukünftige Arena politischer Konflikte.
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Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele 2016
Bundesminister Mag. Thomas Drozda
Zum einen Bildung. Die Reichweite der Schritte, die in den letzten Jahren gesetzt werden
konnten, ist gemessen an der Notwendigkeit eines modernen, zukunftsorientierten
Bildungssystems bescheiden. Wir brauchen ein hervorragendes, ein menschliches
Bildungssystem, das auch immunisiert gegen laute und destruktive, antidemokratische und
latent autoritäre Populisten, deren Gestaltung mehr ist als ein Bündel organisatorischer
Maßnahmen.
Das zweite wesentliche Feld ist die Frage nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. Für mich
ist es keineswegs ausgemacht, dass moderne Gesellschaften in Parallelgesellschaften münden,
in der die Menschen nichts mehr miteinander zu tun haben, die quasi naturgesetzlich Unglück
und Einsamkeit für den einzelnen produzieren. Wir stehen vor gewaltigen Änderungen – offensiv
zu diskutieren sind Fragen der sozialen Mindestsicherung, Fragen, bei welchen es um eine
alternde Gesellschaft geht, aber auch Fragen,
welche Rechte und welche Pflichten Mehrheiten gegenüber Minderheiten haben und umgekehrt
Minderheiten gegenüber Mehrheiten. Die Ziele dieser Politik sind, so denke ich, einfach: Es geht
um nicht mehr und nicht weniger als ein Leben der Menschen in gegenseitigem Respekt, in
Würde und Anstand zu ermöglichen.
Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich habe einleitend die Bedeutung der Kunst und ihrer Tradition erwähnt, Kunst steht für das
Neue. Und das was wir von ihr an Intensität für die Zukunft lernen können.
Wo sind die Differenzen von Kunst und Leben? Gibt es sie? Dazu eine kurze Geschichte:
Der große Wilhelm Furtwängler hat um die Jahrhundertwende eine Wanderung mit seinem
Freund und Lehrer Ludwig Curtius unternommen. Am Weg hat Curtius gesagt, dass er Bachs HMoll-Messe höher schätze als Beethovens Missa Solemnis, worauf Furtwängler stehen blieb und
antwortete: „Wenn das so ist, Curtius, dann können wir nicht mehr zusammen wandern!“
Darin besteht, meine sehr geehrten Damen und Herren, der Unterschied. Im Leben, in der
Politik müssen wir, werden wir auch bei unterschiedlicher Ansicht gemeinsam wandern.
Kunst darf ihre eigene Wirklichkeit behaupten – der Klang ist so wirklich wie der Lärm draußen,
die Bühne so wirklich wie die Straße – und sie weiß um ihren Eigensinn. Für dieses Wissen und
für dieses Behaupten ihrer eigenen Wirklichkeit der Kunst vor und in der Welt sind die
kommenden Wochen des Großen Festes da, dafür stehen sie und dafür sind wir Salzburg und
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Bundesminister Mag. Thomas Drozda
seinen Künstlerinnen und Künstlern zu höchstem Dank verpflichtet. Dass aus dieser
Verpflichtung, aus dem Respekt vor der Kunst und ihrer Wirklichkeit auch eine Verantwortung
erwächst, erscheint mir logisch und unmittelbar einleuchtend.
Wir haben Verantwortung für die freie Entwicklung der Kunst. Der Staat ist auch für die
Finanzierung verantwortlich, ansonsten bliebe die Rede von der Freiheit der Kunst nur Gerede.
Schließlich kommt der Kunstvermittlung besondere Bedeutung zu.
Der Zugang zur Kunst muss für möglichst viele mit möglichst niedrigen und geringen Schwellen
möglich sein, für Kinder, für Jugendliche, aber auch für alle interessierten Erwachsenen.
Freiheit der Kunst, die staatliche Verantwortung für ihre Förderung und Kunstvermittlung: Alle
drei Verpflichtungen werde ich als zuständiger Minister sehr ernst nehmen, dafür werde ich in
den nächsten Jahren einstehen und kämpfen!
Es gilt das gesprochene Wort
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