Manuskript Beitrag: Mangel an bezahlbaren Wohnungen – Mieter in Not Sendung vom 26. Juli 2016 von Lan-Na Grosse, Thadeus Parade und Anna Warsberg Anmoderation: In den Städten steigen die Mieten. Und zugleich sinken die Hoffnungen der Bürger, eine Wohnung zu finden, die sie sich leisten können. Der Staat hat sich vielerorts aus dem sozialen Wohnungsbau zurückgezogen - und schaut seither zu, wie private Bauherren die Mieten in die Höhe treiben. Jetzt wollte die Bundesregierung die Trümmer jahrelanger Fehlplanung mit Fördermitteln wegräumen, aber die Koalition legte sich selbst neue Steine in den Weg. Lan-Na Grosse über die Wohnungsnot als politische Großbaustelle und Bürger, die verzweifelt auf das Richtfest warten. Text: Auf dem Weg nach Hause. Jeden Tag fährt Hans-Peter Dreyer an Baustellen vorbei. Baustellen für Luxuswohnungen. Wohnungen, die er sich nicht leisten kann. O-Ton Hans-Peter Dreyer, Mieter: Hier sollten Sozialwohnungen gemacht werden, aber wir sehen nichts von den Sozialwohnungen. Die sind so teuer, dass man die also auch nicht bezahlen kann. Und ich weiß nicht, wo das hinführen soll. Dreyer lebt mit seiner vierköpfigen Familie auf 74 Quadratmetern. Ein halbes Zimmer für den Sohn, die andere Hälfte für die 18jährige Tochter – für mehr reicht es nicht. O-Ton Hans-Peter Dreyer, Mieter: Man sucht sich Plätze eben, wo die Sachen alle rein können. Ich weiß, das sieht unmöglich manchmal aus hier, aber ich hab keine anderen Stellmöglichkeiten, weil ich eben keine Schränke hier aufbauen kann. So ist unser Problem und das ist jetzt schon seit acht oder neun Jahren so und jetzt reicht es auch langsam. Also, wir müssen uns schon verändern oder wollen uns verändern, aber nicht in - wir haben keine Chance. Also, hier in Düsseldorf sehe ich keine Chance im Moment, ne. Seit Jahren schon suchen Dreyers eine größere Wohnung. Aber sie finden keine, die sie sich leisten können. Dreyer verdient als Hausmeister 1.600 Euro netto, seine Frau geht zusätzlich putzen. Das reicht für 780 Euro Miete - mehr geht nicht. Die Suche nach erschwinglichem Wohnraum - für viele Familien ein Problem: In Deutschland fehlen 140.000 Sozial- und bezahlbare Wohnungen pro Jahr. Also Wohnungen, die durchschnittlich nicht mehr als 7,50 Euro pro Quadratmeter kosten. Dazu kommt: Nur 18,6 Prozent aller Neubauten sind Mietwohnungen. Günstig Mietwohnungen bauen sei heute gar nicht mehr möglich, sagt Markus Böll, Bauunternehmer in der Rhein-Neckar-Region. Verantwortung dafür trage die Politik. O-Ton Markus Böll, Bauunternehmer: Wenn wir den Film etwas zurückspulen, dann ist es so, dass man in der Vergangenheit eine Wohnungsbauprämie ausgesetzt hat. Man hat die Grunderwerbssteuer erhöht, man hat die Standards nach oben gebracht, man hat die Energiegeschichte obendrauf gepackt. Man ist also ständig bemüht, dem Bau noch etwas aufzuladen, etwas draufzupacken, als Paket, und wundert sich nun, dass am Ende, sagen wir mal, ein Wohnraumpreis zustande kommt, der eben, wie man so schön sagt, nicht mehr bezahlbar ist. Deshalb stecken private Investoren ihr Geld lieber in hochpreisige Eigentumswohnungen. O-Ton Matthias Günther, Leiter Eduard Pestel Institut für Systemforschung, Hannover: Der Markt liefert natürlich immer ein Ergebnis. Das muss nicht immer sozialverträglich sein, dafür ist ja eigentlich die Politik da, solche Ergebnisse dann gegebenenfalls zu korrigieren, wenn man es politisch will. Jetzt reagiert die Bundesregierung: Das Bauministerium wirbt für eine „Bauoffensive“. Das Ziel: mehr bezahlbare Wohnungen. Die Lösung: staatliche Subventionen für private Investoren. Dort, wo Wohnraum besonders knapp ist, soll es eine steuerliche Förderung geben. Liegen die Baukosten pro Quadratmeter unter 3.000 Euro, können private Investoren davon 2.000 Euro steuerlich geltend machen. Verteilt auf drei Jahre dürfen sie insgesamt 29 Prozent ihrer Kosten abschreiben. Die Hoffnung: rund 350.000 zusätzliche Wohnungen. O-Ton Barbara Hendricks, SPD, Bundesbauministerin, am 27.11.2015: Damit kommen wir an der Stelle einen Riesenschritt voran. Lange hat die Politik das Gegenteil getan, sich auf falsche Prognosen verlassen. Beispiel Dresden: Die sächsische Hauptstadt wächst seit Jahren. Trotzdem sind in den vergangenen 15 Jahren rund 7.900 Wohnungen abgerissen worden – der Staat hat das sogar subventioniert, auch im Stadtteil Tolkewitz-Seidnitz. O-Ton Roland Laube, Mieter: Hier haben überall, wo Sie jetzt sehen können, Wohnungen gestanden. Es war ein wunderbares Gebiet eigentlich. Ich glaube, wir stehen hier im Eingang vom ersten Haus. Die Ecke war dann die Dittersdorfer Straße. Dahinter, wo jetzt die Bäume sind, war ein Spielplatz eingerichtet. Bis vor fünf Jahren gab es hier bezahlbaren Wohnraum für 800 Haushalte. Dann kamen die Bagger. Eine Initiative um Roland Richter und Roland Laube protestierte, konnte so 300 Wohnungen retten. O-Ton Roland Laube, Mieter: Und jetzt kommen Leute, die Wohnungen brauchen, die untergebracht werden müssen. Und das können sie natürlich nicht auf der grünen Wiese, sondern könnten sie wesentlich besser in den Wohnungen, die hier abgerissen worden sind. 2006 verkaufte Dresden außerdem alle städtischen Wohnungen an private Investoren. Auf die Preise am Wohnungsmarkt hat die Stadt deshalb kaum noch Einfluss. Die Fehler der Vergangenheit – seit Jahren versucht die Politik, sie auszubügeln. Die Mittel: Kündigungssperrfrist, Zweckentfremdungsverordnung, Milieuschutzsatzung und zuletzt die Mietpreisbremse. Hilfloses Kurieren am Symptom, meinen Experten. O-Ton Matthias Günther, Leiter Eduard Pestel Institut für Systemforschung, Hannover: Man tut ansonsten auch nichts, um Investoren oder auch Bestandshalter ein Stück weit zu entlasten. Man belastet da eher mehr und denkt dann, dass man möglicherweise über das Mietrecht die Entwicklungen, die dann kommen, einfangen kann. Ich halte das für unwahrscheinlich, dass es gelingen kann. Nun die Kehrtwende: die staatliche Förderung privater Investoren. Doch gegen Hendricks Pläne ausgerechnet Widerstand aus der eigenen Partei: Die Fördergrenze sei mit 3.000 Euro zu hoch. Außerdem brauche es eine Mietobergrenze. Die Ministerin ist dagegen: O-Ton Barbara Hendricks, SPD, Bundesbauministerin, am 9.06.2016: Ich habe auch meiner Fraktion, also den Sozialdemokraten, geraten, auf diese Forderung zu verzichten. Die Appelle an die Genossen vergeblich: O-Ton Carsten Schneider, SPD, MdB, stellvertretender Vorsitzender Bundestagsfraktion: Der Bundestag ist unabhängig und trifft seine Entscheidungen selbst und auch die SPD tut das. Wir sind ja hier kein Abnickverein, sondern tun das, was wir für richtig halten. Außerdem Streit mit dem Koalitionspartner. O-Ton Carsten Schneider, SPD, MdB, stellvertretender Vorsitzender Bundestagsfraktion: Da war mit der Union kein Bock mehr zu machen. Im Gegenteil, die wollten noch weitere Ausweitungen und noch mehr private Investoren fördern. Das ist überhaupt nicht mein Ansinnen und deswegen haben wir auch, in Abstimmung mit den Bundesländern, gesagt, dann wird nicht mehr weiterverfolgt. O-Ton Ralph Brinkhaus, CDU, MdB, stellvertretender Vorsitzender CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Die SPD konzentriert sich auch aufgrund ihrer politischen Ausrichtung natürlich sehr, sehr stark auf die untere Schwelle im Wohnraum. Das heißt also, sie sagt, ich möchte nur ganz unten was machen. Wir als Union haben da einen anderen Ansatz, wir wollen also im Prinzip auch dem Normalverdiener ermöglichen, dass er in irgendeiner Art und Weise Wohnraum hat, der dann vielleicht auch ein bisschen höherwertiger ist. Am Ende fällt das Gesetz im Bundestag durch. Bedauerlich, findet das die Bauministerin. Den Regierungsparteien ist bezahlbares Wohnen offensichtlich nicht wichtig genug. O-Ton Matthias Günther, Leiter Eduard Pestel Institut für Systemforschung, Hannover:: Die Parteien befinden sich ja offensichtlich schon im Vorwahlkampf. Das wird wahrscheinlich nach der Sommerpause nicht besser gehen. Ich weiß nicht, ob diese Koalition noch großartige Entscheidungen zustande bringt vor der nächsten Wahl. Notwendig ist es eigentlich, wenn man tatsächlich etwas an der Situation verbessern will. Weil die Politik versagt, wird sich für Familie Dreyer nichts verbessern. Ihr bleibt nur: Hoffen. O-Ton Hans-Peter Dreyer, Mieter Also, das wäre mein größter Traum, dass wir jetzt langsam hier eine größere Wohnung bekommen. Dass wir uns - die ganzen Bemühungen nicht umsonst waren, die wir bis jetzt gemacht haben. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
© Copyright 2025 ExpyDoc