Literatur

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Literatur
Sie war’s! Sie war’s!: Die Autorin
Jennifer Jacquet erforscht die
revolutionäre Kraft der Scham.
Frau Jacquet, wann haben Sie sich
das letzte Mal für etwas geschämt?
Ich könnte jetzt sagen: gestern, als
ich verschlafen habe. Umgangssprachlich wäre das
richtig. Aber das ist nicht
die Art von Scham, für die
ich mich beruflich interessiere.
Ich habe große Hoffnungen, dass sie
es könnte. Es ist allerdings nicht so,
als würde ich diese Revolution der
Sie beschäftigen sich als
Assistenzprofessorin für
Umweltwissenschaften mit
Formen der Bloßstellung.
Um welches Schamgefühl
geht es Ihnen?
Das private Schamgefühl
ist mir nicht so wichtig.
Aber Beschämung kann
auch eine politische Wirkung haben. Wenn Regierungen, Unternehmen oder
Branchen gezielt bloßgestellt werden.
men wie JP Morgan zur Verantwortung ziehen und bloßstellen, anstatt
Konsumenten daran zu erinnern,
Energiesparbirnen zu verwenden.
Wo stößt das Instrument Scham an
seine Grenzen?
Beschämung heißt, dass jemand an
den Maßstäben einer Gruppe gemessen wird. Das bedeutet, dass
Beschämung nur funktioniert, wenn
sich eine Gruppe auf die gleichen
Normen einigen kann. Außerdem
haben wir es heute mit vielen Problemen wie Nahrungsmittelknappheit oder
der Überfischung der Meere zu tun, bei denen es uns
schwerfällt, uns auf konkrete Verantwortliche zu
einigen.
Es werden gerade viele
Fälle diskutiert, in denen
Menschen öffentlich bloßgestellt werden. Die PRAngestellte Justine Sacco
hat nach einem rassistischen Tweet ihren Job verloren. Gibt es nicht zu viel
Beschämung?
Mir geht es mehr darum,
wie Institutionen gezielt
bloßgestellt werden können, um einen bestimmten
Missstand zu beheben.
Für Sie ist Scham nicht nur
Wenn Individuen bloßgeein Gefühl, sondern in
stellt werden, ist das eine
erster Linie ein Instrument?
ganz andere AngelegenSeit 2007 veröffentlicht
heit. Ich glaube, dass in
der Bundesstaat Kaliforvielen dieser Fälle das Unnien eine Liste der 500
behagen daher rührt, dass
größten Steuersünder. Wer
die Strafe für den Verstoß
darauf zu landen droht,
unverhältnismäßig hart ist.
bekommt vorher eine WarWissenschaftlerin Jacquet
Viele dieser Fälle werden
nung. Und viele zahlen –
»Beschämung kann auch eine politische Wirkung haben«
sich außerdem in Zukunft
nicht wegen ihres schlechvon selbst erledigen, weil
ten Gewissens, sondern
sich das Internet verändert und es
aus Angst vor der Beschämung. Be- Scham anführen, ich beobachte sie
immer weniger Anonymität gibt.
schämung ist immer dann ein wireher aus meinem metaphorischen
kungsvolles Zwangsmittel, wenn
Sessel heraus. Aber die Art und WeiInterview: Maren Keller
es – aus praktischen, juristischen
se, in der die Frage nach Verantworoder sonstigen Gründen – keine
tung für globale Probleme gerade
Möglichkeit der formellen Bestraneu verhandelt wird, ist für mich die
Jennifer Jaquet: »Scham. Die politische
fung gibt.
aufregendste gesellschaftliche EntKraft eines unterschätzten Gefühls«.
wicklung der Gegenwart. Es ist sehr
Aus dem Amerikanischen von Jürgen NeuKönnte Scham die Welt verbessern? beruhigend, wenn NGOs Unternehbauer. S. Fischer; 224 Seiten; 18,99 Euro.
K ULT UR S PI EG EL