PREIS DEUTSCHLAND 4,90 € 101158_ANZ_10115800005367 [P].indd 1 DIEZEIT 15.01.16 09:12 WOCHENZEITUNG FÜR POLITIK WIRTSCHAFT WISSEN UND KULTUR DIE ZEIT im Taschenformat. Jetzt für Ihr Smartphone! www.zeit.de/apps 21. JULI 2016 No 31 15.01.16 09:11 101159_ANZ_10115900005368 [P].indd 1 Worauf wir uns noch verlassen können Anschläge, Putschversuche, Säuberungsaktionen. Wir erleben ein globales Drama. Was kommt auf uns zu? Und was gibt uns jetzt Halt? POLITIK Der Zauber des späten Glücks »Kommt da noch was?«, fragen sich viele Singles über 50. Aber ja! – Wie Ältere eine neue Liebe finden und sie erleben. Letzter Teil unserer Serie ZEITmagazin TRANSATLANTISCHER HANDELSPAKT ZUKUNFT DER TÜRKEI Abschied tut weh Treue tut weh Warum ein Ende des Handelsabkommens TTIP den weltweiten Rückzug ins Nationale beschleunigen würde VON UWE JEAN HEUSER Warum der Westen die Türkei trotz aller Katastrophen unbedingt in der Nato halten sollte VON MICHAEL THUMANN W enn zwei Nationen frei‑ en Handel miteinander betreiben, profitieren beide davon. Das gilt selbst dann, wenn die eine der anderen in allen Belangen überlegen ist. Denn für beide wird der Markt größer, und die erste Nation stellt mehr von dem her, was ihr besonderen Vorteil bringt. Das lässt der zweiten Nation Raum, um mehr von dem zu produzieren, auf das sie sich vergleichsweise gut versteht. So sagt es die Handelstheorie des briti‑ schen Ökonomen David Ricardo. Gerade für die Deutschen funktioniert die 200 Jahre alte Idee wie aus dem Lehrbuch. Sie stellen Ma‑ schinen und Autos für alle Welt her und kau‑ fen von Kleidung bis zu Computern vieles günstig im Ausland ein, was sie früher selbst produziert haben. Umso bemerkenswerter ist es, dass ausgerechnet der deutsche Wirt‑ schaftsminister die Lust am Freihandel zu verlieren scheint. Titelillustration: Smetek für DIE ZEIT Die Globalisierung wird zurückgedreht Sigmar Gabriel und seine SPD wollen das trans‑ atlantische Handelsabkommen schon begraben, während die EU noch mit den Amerikanern darüber verhandelt. Sie setzen damit ein Zei‑ chen: TTIP ist am Ende. Selbst wenn die Ver‑ handler aus Brüssel und Washington sich nach drei Jahren und 14 Gesprächsrunden über raschend noch auf mehr einigen als den Abbau von ein paar Zöllen: Wer kann sich vorstellen, dass ein in sich gekehrtes Amerika und alle Par‑ lamente im globalisierungskritischen Europa dem ambitioniertesten Freihandelsprojekt der Geschichte zustimmen werden? TTIP war ein Zeichen der Hoffnung in einer Welt, in der die Globalisierung längst zurückgedreht wird. Staaten schränken den Rohstoffhandel ein, wenden sich gegen aus‑ ländische IT-Produkte und sorgen dafür, dass öffentliche Stellen bei heimischen Unterneh‑ men einkaufen. Zwischen Mitte 2014 und Ende 2015 haben allein die großen Länder der Welt rund 200 neue Barrieren errichtet und in derselben Zeit nicht einmal 20 alte Hürden entfernt. Demgegenüber sollte TTIP gut zehn Pro‑ zent der Menschen, die fast die Hälfte des planetaren Wohlstands erzeugen, in einem riesigen Binnenmarkt vereinen – und dabei hohe Standards für Arbeit, Produkte und Umwelt setzen, an denen auch die Chinesen nicht vorbeikämen. Doch gerade dieser Ge‑ danke, dass der Westen die Globalisierung noch einmal nach seiner Fasson voranbringt, ist untergegangen. Fundamentalopposition bestimmt die Debatte. Es geht um Chlor‑ hühnchen, Gen-Essen oder Schiedsgerichte, die angeblich den bösen Konzernen in die Hände spielen. Mit jedem Einwand, den die EU aufgreift, provoziert sie neue Klagen. Es passt zum weltweiten Rückzug ins Na‑ tionale, dass die im globalen Maßstab kleinen Differenzen mit Amerika aufgebauscht wer‑ den. Und es wird für Politiker schwer, sich dem entgegenzustemmen. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass Berlin und Brüssel die Sache denkbar arrogant angegangen sind. Lange tat man so, als sei TTIP nur Routi‑ ne – ein Handelsabkommen wie Hunderte zuvor. Da hatte die Finanzkrise längst die Wut auf die Globalisierung geschürt. Außerdem übersahen die Politiker: Mit dem Abbau von Zöllen an den Außengrenzen kommt man im Westen nicht mehr weit, weil es kaum noch welche gibt. Deshalb soll TTIP Regeln im Herzen der Gesellschaft vereinheitlichen – bei technischen Standards oder im Verbraucher‑ schutz. Was da geschieht und warum, hätten die Verhandler von Anfang an offenlegen und erklären müssen. Vor allem haben sie vergessen, das Klein gedruckte bei Ricardo zu erwähnen. Zwar lässt der Freihandel den Wohlstand einer Nation insgesamt wachsen, aber nicht den aller Bürger. Bauern können ihre Existenz ver‑ lieren, Arbeiter ihren Job, Verbraucher ihr lieb gewonnenes Produkt. Die Politik muss sich das eingestehen und von vornherein ver suchen, den Verlierern zu helfen. Das zaudernde Europa hat gezeigt, wie man es nicht macht. Wer heute noch Globali‑ sierung will, muss schon geschickter vor gehen. Und Tollkühnheit gehört auch dazu. www.zeit.de/audio Das Mysterium der Flugpreise Warum ein Flug den einen Gast 100 Euro, seinen Sitznachbarn aber 800 Euro kostet Wirtschaft PROMINENT IGNORIERT D Und wenn Erdoğan, wie angedroht, die To‑ desstrafe wieder einführt, schlägt er die Tür zur EU selbst zu. Der Türkei und der EU blieben dann noch die Zollunion und bilate‑ rale Abkommen, auch der Flüchtlingspakt. Doch bei der Nato liegt der Fall ganz anders. Da ist man drin oder draußen. Die Todes‑ strafe ist kein Kriterium, die haben die USA auch. Nichts spricht für den Rauswurf der Türkei, viel für das Gegenteil. Erstens können die USA und Europa durch die Nato den stärksten Einfluss auf Erdoğan ausüben. Solidarität ist das stärkste Argument für ein Land, das Syrien, das Ban‑ ditenkalifat und den Irak als Nachbarn hat. In Incirlik stehen nicht umsonst Nato-Soldaten, auch deutsche. Ob die demoralisierte Armee der Türkei allein die Fronten halten könnte, ist fraglich. Das Land ist zerbrechlich, von Identitätsfragen zerrissen. Türken gegen Kur‑ den, Sunniten gegen Aleviten, Gläubige ge‑ gen Säkulare. Da sollte die Nato ihre Klam‑ mer nicht fortnehmen. Ein Syrien reicht. Auch früher hat sich die Allianz nicht zu Die Türkei ist gefährdet. Kurzschlussreaktionen hinreißen lassen. Die Jedes Wort zählt Türkei trat 1952 bei, ihr Militär putschte Die Nato bindet die Türkei fest an den Wes‑ 1960, 1971, 1980 und 1997. Die Armee roll‑ ten. Die Mitgliedschaft in der EU sollte der te über die Demokratie hinweg – aber die zweite Anker sein. Der türkische Staatsgrün‑ Türkei blieb in der Nato. Ihre Mitglieder war‑ der Kemal Atatürk starb, bevor diese Bünd‑ teten, und immer fand Ankara zur Demokra‑ nisse gegründet wurden. Aber sie passten zu tie zurück. Für die Nato ist die Türkei der seinem Traum: die Türkei unwiderruflich im strategische Pfeiler im Südosten. Zu wichtig, Westen zu halten. Atatürk wollte die Repu‑ um ihn Wladimir Putin in Moskau oder Aja‑ blik als säkularen Soldatenstaat. Er sollte mit tollah Chamenei in Teheran zu überlassen. dem Rücken zum Nahen Osten stehen, Vor Kurzem hat sich Erdoğan wieder Russ‑ Osmanenprunk, Kalifat und Dominanz der land angenähert. Nach dem Putsch telefonier‑ Religion begraben. Zur Demokratie wurde te Putin mit ihm, noch vor den westlichen die Türkei erst später. Der Volkstribun Er‑ Führern. Eine bündnislose Türkei wäre für doğan hatte die Chance, Bürger und Staat Moskau ein Geschenk. Im Westen verliert die demokratisch zu versöhnen. Die ist nun dop‑ EU gerade Großbritannien, da sollte die Nato pelt verspielt, von den putschenden Genera‑ nicht im Osten die Türkei ausschließen. Hier zählt jedes Wort. Westliche Politiker len und von Erdoğan selbst. Unerhörtes pas‑ siert: Das Volk lyncht »Mehmet«, den einfa‑ dürfen sich nicht in die Trennung hinein chen Soldaten. Eine Revolution. Es droht das drohen. Wenn sich die Türkei vom Westen Ende der von Atatürk geschaffenen Republik. entfernt, ist das Sache der Türken und die Für die EU bedeutet das: Beitritts Entscheidung ihres erratischen Führers. Doch verhandlungen haben aktuell keinen Sinn. Amerika und Europa sollten Atatürks Traum Man kann mit der Türkei nicht über Rechts‑ nicht selbst begraben. staat und Freiheit verhandeln, wenn unklar ist, wie sie nach ihrer Umwälzung aussieht. www.zeit.de/audio ie Türkei entfernt sich von Europa. Auf den Militär‑ putsch reagiert Präsident Erdoğan mit einem Gegen‑ coup. Nach den Putschisten verbreitet er Angst im Land. Ein Fünftel aller Richter wurde entlassen, Tausende Beamte gefeuert. Soldaten und Be‑ amte werden in Scharen verhaftet, Wehrpflich‑ tige misshandelt. Der Sieg über die Putschisten bringt nicht mehr Demokratie, sondern eine Generalsäuberung. Und was kommt noch? In dieser hochexplosiven Lage warnt USAußenminister John Kerry die türkische Re‑ gierung, dass »zur Nato-Mitgliedschaft demo‑ kratische Pflichten« gehörten. Auch wenn sein Sprecher nachschickte, man denke nicht an Rauswurf, bleibt doch eine Ahnung d avon im Raum. Die Nato sieht sich als ein Verteidi‑ gungsbündnis von Demokratien. Die EU hat Demokratie fest in ihre Grundakte geschrie‑ ben. Darf eine undemokratische Türkei Mit‑ glied in westlichen Bündnissen sein? Bilder vom Essen Ein Drittel aller Deutschen, so eine Umfrage, liebt es, die selbst zuberei‑ tete Mahlzeit abzulichten und ins Netz zu stellen. Aus Notzeiten weiß man, dass sich die Hungernden »Gesottenes und Gebratenes«, wie es in den Märchen heißt, herbei fantasierten, um imaginär satt zu werden. Wo permanent Sattheit herrscht, ist die Abbildung schon fast der ganze Genuss. Sollte es ein‑ mal ernst werden, dann hat man immerhin noch die Fotos. GRN. Kleine Fotos (v.o.): Kapitza/Getty Images; Monaghan/Getty Images; Anja Bäcker/Plainpicture Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, 20079 Hamburg Telefon 040 / 32 80 ‑ 0; E-Mail: [email protected], [email protected] ZEIT ONLINE GmbH: www.zeit.de; ZEIT-Stellenmarkt: www.jobs.zeit.de ABONNENTENSERVICE: Tel. 040 / 42 23 70 70, Fax 040 / 42 23 70 90, E-Mail: [email protected] PREISE IM AUSLAND: DK 49,00/FIN 7,50/N 66,00/E 6,10/ CAN 6,30/F 6,10/NL 5,30/ A 5,00/CH 7.30/I 6,10/GR 6,70/ B 5,30/P 6,30/L 5,30/H 2090,00 o N 31 7 1. J A H RG A N G C 7451 C 31 4 190745 104906
© Copyright 2024 ExpyDoc