SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen: Radio Akademie Die teilende Gesellschaft (11) Die Utopie vom Teilen Von Martin Hubert Sendung: Samstag, 16. Juli 2016, 8.30 Uhr Redaktion: Gabor Paal Regie: Günter Maurer Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B. die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. 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Jeremy Rifkin: Good afternoon, everyone, it’s a pleasure to be with you … Rede von Rifkin weiter unterlegen Sprecher 1: Auftritt Jeremy Rifkin auf der Global Conference 2015 der CEBIT in Hannover. Wie ein Magier redet der amerikanische Soziologe und Ökonom auf seine Zuhörer ein, verkündet in freier Rede, was er bereits in einem Bestseller niedergeschrieben hat. O-Ton Jeremy Rifkin: By mid-century, 35 years from now … the collaborative commons. Übersetzer: In der Mitte des 21. Jahrhunderts, also in ca. 35 Jahren, wird der Kapitalismus nicht mehr das vorrangige und alleinige ökonomische Prinzip sein. Unsere Kinder werden einen Teil ihres Leben in der gewöhnlichen Ökonomie des kapitalistischen Marktes verbringen können und den anderen Teil in einer Sharing Economy, die auf kooperativen Gemeingütern beruht. Sprecher 1: Sharing Economy. Eine Ökonomie, die nicht mehr auf Profit und Konkurrenz beruht, sondern auf der Idee des Teilens. Rifkin ist überzeugt, dass sich dieses Prinzip immer weiter ausbreiten wird. O-Ton Jeremy Rifkin: We gonna be able to dramatically ... the profit by the networks. Übersetzer: Wir werden die Produktivität im Wirtschaftsleben dramatisch erhöhen und die Kosten der Produkte dramatisch senken können. So erzeugen wir einen durchrationalisierten Kapitalismus, und das bedeutet: niedrige Grenzkosten, hohe Werte, aber kein Profit; der Profit wird über das Netz gemacht. Sprecher 1: Grenzkosten sind die Kosten, die bei der Herstellung jedes zusätzlichen Produkts entstehen. Rifkin ist sich sicher, dass sie immer stärker gegen Null gehen werden. Sein Paradebeispiel ist die Musikindustrie. Einen fertig produzierten Song zu vervielfältigen und zu verbreiten, verursacht für die Hersteller keine Kosten. Teilen statt profitorientiertes Vermarkten. Für Rifkin lässt sich dieses Prinzip auch auf 2 andere Branchen übertragen. Auch dank des 3-D-Druckers lassen sich künftig immer mehr Produkte mit immer geringer werdenden Grenzkosten herstellen. O-Ton Jeremy Rifkin: It’s already there! Übersetzer: Das gibt es jetzt schon. Sprecher 1: Der Kapitalismus verwandelt sich quasi von selbst in eine teilende Gesellschaft. Ist das mehr als nur ein schöner Traum? Kritiker meinen, dass Rifkin die Beharrungskräfte des kapitalistischen Profit- und Konkurrenzprinzips gewaltig unterschätzt. Aber er verleiht offenbar einer verbreiteten Sehnsucht Ausdruck. Denn ganz unabhängig von Rifkin arbeiten Menschen auch in Deutschland an dieser Utopie einer teilenden Gesellschaft. Vor dem Futurzwei-Haus; Verkehrsgeräusche, dann Treppensteigen Sprecher 1: Ein rotes Backsteinhaus in Berlin-Moabit, im Inneren führt eine Treppe mehrere Stockwerke hinauf. Klingeln, Tür wird geöffnet, Begrüßung Sprecher 1: Oben begrüßt mich Dana Giesecke, die Leiterin der „Futurzwei Stiftung Zukunftsfähigkeit“, wie sie sich nennt. Die Stiftung hat ein großes Projekt: eine neue Gesellschaft. Giesecke führt mich in einen hohen, etwas halligen und weiß gestrichenen Raum, in dem sich nur ein langer Tisch und zwei Schreibtische befinden. An den Wänden und in gläsernen Vitrinen sind Kunstwerke zu sehen, abstrakte Bilder, Objekte und Skulpturen. Ein Atelier mit viel freiem Raum. O-Ton Dana Giesecke: Eigentlich kann man sagen, dass dieser Ort auch mit dem Thema dieser Sendung zu tun hat, weil wir sitzen hier in Räumen, die uns nicht gehören, sondern die wir für eine gewisse Zeit teilen. Aber generell ist dieser Ort ein Ort der Veränderung und der Transformation. Und zwar ist es ein Ort für viele kreative Berufe, aber auch viele Leute, die tatsächlich mit Gestaltung von Umwelt zu tun haben, wie bekannte Architekten, aber auch Künstler. Und wir sitzen hier in einem Künstleratelier der Künstlerin Karin Sander, die derzeit nicht anwesend ist, weil sie ein Stipendium in Rom hat bei der Villa Massimo. Und damit der Raum nicht ungenutzt bleibt in der Zwischenzeit, hat sie uns, die gerade keine eigenen Büroräume besitzen, Obdach gewährt. Sprecher 1: Die Soziologin Dana Giesecke schaut auf einige der Bilder und Objekte von Karin Sander. Sie seien wesensverwandt mit dem, was die Stiftung Futurzwei fördern will, erklärt sie. Es sind sparsame Kunstwerke, die oft mit Alltagsmaterialien arbeiten. 3 O-Ton Dana Giesecke: Also sie fügt nichts hinzu von dem Vielen, was wir schon um uns haben, sondern entweder sie nimmt was weg oder aber sie teilt es mit dem, was schon da ist. Und viele Geschichten, von denen Futurzwei erzählt, zeichnen sich auch dadurch aus, dass Menschen eben nicht noch mehr produzieren oder irgendetwas hinzufügen, sondern versuchen, mit den Gegebenheiten auch auszukommen, klarzukommen, oder mit dem Gegebenen zu arbeiten bzw. es in andere Formen oder in eine andere Praxis umzuwandeln. Sprecher 1: Futurzwei widmet sich der Kunst des zukunftsorientierten Erzählens. Die Stiftung recherchiert Geschichten von Projekten, die sich dem nachhaltigen und kooperativen Umgang mit Menschen und Dingen verschrieben haben. Und verbreitet sie auf ihrer Webseite, auf Veranstaltungen oder in Büchern. Sprecher 2: Akkordarbeit fürs Karma: Eine Futurzwei-Geschichte des Gelingens von Josefa Kny. Sprecherin: Andris wohnt in einem alleinstehenden Haus mit Blick über den Berliner Urbanhafen. Er trägt Zeitungen aus und war bis vor Kurzem wohnungslos. Jetzt wohnt er im Luxus, denn sein Anwesen erfüllt alle Bedürfnisse. Er wohnt auf fünf Quadratmetern, verfügt über ein WohnEsszimmerKüchen-Bad und ein Schlafzimmer mit Fensterfront. Das Unreal Estate House, in dem er schläft, isst und liest, gehört Andris nicht. Den Bau des Hauses haben viele Menschen finanziert. Die fünf Quadratmeter gehören ihnen alle zusammen. Van Bo Le-Mentzel gefällt das: nichts besitzen, alles teilen. Er hat das Unreal Estate House entworfen und die 3.000 Euro Materialkosten via Crowdfunding eingetrieben. Sprecher 1: Menschen nutzen Handlungsspielräume, um Alternativen zu realisieren. Futurzwei möchte diesen Trend vorantreiben, indem sie die Geschichten dieser Projekte in die Öffentlichkeit einspeist. Sie möchte zeigen, wie viel Zukunft schon heute verwirklichbar ist, meint der Mitbegründer und Direktor von Futurzwei, der Sozialpsychologe Harald Welzer: O-Ton Harald Welzer: Ich glaube, dass unsere Gesellschaft extrem wenig Zukunft und Zukunftsvorstellung hat und dass sie extrem gegenwartsbezogen ist. Und Gesellschaften brauchen genauso wie Individuen eigentlich ja die Kategorie Zukunft als etwas, wo sie sich hinbewegen können oder – wenn es negativ ist – wovon sich wegbewegen können. Aber die reine Zentrierung um einen Gegenwartspunkt gibt im Grunde ja gar keine Orientierung. Dann ist sozusagen die einzige Orientierung das Gegebene und es kreist um sich. Und das Futur Zwei ist ja noch eine Stufe weiter als die einfache Zukunft. Das ist die vollendete Zukunft und das ist ja dieses faszinierende menschliche Vermögen, sich in einen Zukunftspunkt so hineinversetzen zu können, als würde er schon existieren. Und dass man von diesem Punkt aus zurückblicken kann auf den Weg, den man zurückgelegt hat, um dorthin zu kommen. Und das ist ja eine unglaubliche Produktivkraft, so denken zu können. 4 Sprecher 1: Nehmt die Gegenwart alternativer Projekte und lasst euch davon anstecken, für eine andere Zukunft zu arbeiten. Nach diesem Prinzip hielt die Stiftung Futurzwei nach ökologisch nachhaltigen Projekten Ausschau, merkte aber schnell, dass diese oft auch soziale Aspekte verkörpern. Projekte des Kleider- oder des Werkzeugtauschs, des Lebensmittel-oder Energieaustauschs – oder der nachhaltigen Kleiderproduktion. O-Ton Harald Welzer: Wenn man beispielsweise mal daran denkt, dass eine Textilfabrikantin wie die Sina Trinkwalder von manomama ja im Grunde genommen ein klassisches Geschäftsmodell hat, indem sie Textilien herstellen lässt, die sie verkauft, dann würde damit von Teilen noch gar keine Rede sein. Wenn sie aber ihre unternehmerische Tätigkeit so definiert, dass es darum geht, wertschätzende Beziehungen herzustellen, und zwar zwischen Kunden und Herstellern und zwischen den Arbeiterinnen und Arbeitern und dem Kunden und ihr als Unternehmerin, dann ist natürlich ein extremes Teilemoment da drin, nämlich dass alle teilhaben an diesem Erzeugnis und der Art und Weise, wie es erzeugt wird. Und in der Weise ist, glaube ich, über dieses schlichte „Ich habe jetzt einen Kuchen und den teilen wir in gleich große Teile“, ist in den Projekten, die versuchen, eine andere Form von Nachhaltigkeitspraxis zu leben, ein sehr tiefer Teilens-Begriff drin. Sprecher 1: Was motiviert diejenigen, die nicht nur teilen wollen, um Geld zu sparen oder Geld zu verdienen, wie beim Carsharing, beim Taxiportal Uber oder dem Zimmervermittlungsportal Airbnb? Sondern die sich dem Gewinntrend prinzipiell verweigern und eine andere Gesellschaft wollen? O-Ton Josefa Kny: Ich bin '87 geboren, d.h. irgendwie schon immer im Überfluss aufgewachsen. Sprecher 1: Josefa Kny, ebenfalls Mitarbeiterin von Futurzwei. Sie trägt ein Kleid, das sie mit einer Freundin getauscht hat und eine Kette ihrer Großmutter. O-Ton Josefa Kny: Bei mir kommt diese Sehnsucht nach Teilen oder auch mit anderen Leuten in Kontakt zu kommen und auch weniger zu haben dadurch, dass ich halt immer in gefüllte Supermarktregale gucken konnte und immer alle Geschenke und alle Spielzeuge, die ich mir zum Geburtstag gewünscht habe, bekommen habe und so denke, irgendwann, mein Zimmer ist vollgestopft, meine Wohnung ist vollgestopft, meine Zeit ist vollgestopft. Soll es das sein oder geht es nicht auch darum, ein bisschen weniger zu haben und sich bewusst zu fragen: Was brauche ich wirklich, was muss ich besitzen und was brauche ich nur einmal im Jahr? Wie diese berühmte Bohrmaschine, die alle haben, die aber jeder 13 Minuten überhaupt in ihrer Lebensdauer nutzt? Da zu sagen, ich brauche weniger Platz, ich brauche keine riesige Wohnung, weil ich gar nicht so viel verstauen muss oder Verbrauchsdinge wie Lebensmittel müssen nicht einfach schlecht werden und man schmeißt sie weg, sondern man kann versuchen, mit jemand anderem zu tauschen oder zu teilen, zu verschenken. 5 Sprecher 2: Akkordarbeit fürs Karma. Fortsetzung. Sprecherin: Van Bo Le-Mentzel ist Architekt und mittlerweile auch Möbeldesigner und engagierter Wirtschaftskritiker. Mit Möbeln fing 2010 alles an. Der junge Mann hatte kaum Geld, aber wollte seiner Freundin ein schönes Regal schenken. Also lernte er in einem Volkshochschulkurs das Tischlern und baute sein erstes Holzmöbel. Das gefiel. Er entwarf weitere Stücke frei nach Bauhausvorbild, darunter den vielseitig einsetzbaren Berliner Hocker zu zehn Euro Materialwert und den gemütlichen 24-Euro-Chair – Möbel, die sich alle leisten können, Hartz-IV-Möbel genannt. Die Baupläne stellte der Designer kostenfrei ins Internet. O-Ton Klaus Dörre: Ich würde das als Gegenreaktion auf Konkurrenz und Marktzwänge deuten, was da gegenwärtig passiert. Sprecher 1: Klaus Dörre ist Professor für Soziologie an der Universität Jena und einer der Leiter des dort angesiedelten Forscherkollegs „Postwachstumsgesellschaften“, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird. O-Ton Klaus Dörre: Dass das in reichen Gesellschaften passieren kann, das liegt auf der Hand, weil Marktzwänge, Leistungsdruck usw. natürlich auch in sozialen Gruppen wirksam werden, die jetzt vom Einkommen her erst mal auf der sicheren Seite sind. Gerade da kann so ein Bedürfnis gerade ja besonders stark entstehen unter Umständen. Weil materiell hat man alles, was man braucht und kann sich dann eher die Frage stellen, ob man sozusagen die Fülle wirklich benötigt und ob es nicht sinnvoller ist, mit anderen zu teilen und zu tauschen. Sprecher 1: Überdruss an der Überfluss-, Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft, das ist für Klaus Dörre ein wichtiges Motiv für die Suche nach einer teilenden Gesellschaft. Aber er sieht noch ein zweites, ganz anders geartetes Motiv, das mit der anhaltenden ökonomische Krise und der damit einhergehenden Not verbunden ist. O-Ton Klaus Dörre: Also ich mach's mal an einem Beispiel. Die griechische Gesellschaft funktioniert überhaupt nur noch deshalb, weil es eine Fülle von quasi-genossenschaftlichen, solidarisch-ökonomischen Veranstaltungen gibt, die quantitativ, also von wirtschaftlichen Output her, noch nicht sehr bedeutsam sind, die aber dazu führen, dass die Gesellschaft überhaupt noch funktioniert. Beispiel: Ärzte machen ihren normalen Arbeitstag und kriegen dafür ihr Gehalt. Und dann gibt es eine Klinik der solidarischen Ökonomie und da machen sie einen zweiten Arbeitstag und versorgen Angehörige der 3 Millionen, die formal überhaupt keine Berechtigung mehr haben, am öffentlichen Gesundheitssystem teilzunehmen. D.h. wir haben quasi genossenschaftliche Formen, aus der Not geboren, die müssen aber auch mit Sinn ausgestattet werden. Also es ist ein doppelter Arbeitstag, und das machen die eben, weil sie der Überzeugung sind, denen muss geholfen werden und das gebietet zum 6 Beispiel mein berufliches Ethos oder einfach Menschlichkeit, menschliche Würde usw. Sprecher 1: Im ökonomisch darniederliegenden Griechenland tauschen und teilen Menschen nicht nur ärztliche Leistungen, sondern auch Wohnplätze oder Lebensmittel. Auch Mangel und Not können die Wurzel utopischen Denkens sein. Dana Giesecke zum Beispiel erzählt im halligen Raum von Futurzwei, dass sie genau solche Erfahrungen geprägt haben: O-Ton Dana Giesecke: Ich bin DDR-sozialisiert, also in einer Mangelwirtschaft aufgewachsen. Für uns war Teilen und Tauschen von Gegenständen, Kleidung, Werkzeugen, aber eben auch Fähigkeiten, das gehörte zum ganz normalen Alltag, um irgendwie einigermaßen über die Runden zu kommen. Wenn man ein Haus baute, musste man sich nicht nur die Steine besorgen, die Mangelware waren, sondern eben auch die Handwerker, die nicht zu Mannschaften zur Verfügung standen. Und das Motto war „Eine Hand wäscht auch die andere“, ohne dass das irgendwie ganz konkret miteinander aufgewogen wird, ob der eine mehr macht oder der andere. Weil man könnte ja in Zukunft vielleicht den noch mal brauchen, oder ganz wichtig: Man kann ja auch Freude damit bereiten. Sprecher 1: Es gibt die unterschiedlichsten Motive, sich für eine wahrhaft teilende Gesellschaft einzusetzen. Aber wie viele Menschen sind in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich von diesem Trend erfasst? Harald Heinrichs, Professor für Nachhaltigkeit und Politik an der Universität Lüneburg, hat dazu mit 1.000 Bundesbürgern eine repräsentative Umfrage durchgeführt. Das erste, ernüchternde Ergebnis der Studie aus dem Jahr 2012: Mehr als die Hälfte der Befragten, nämlich 55 Prozent, hatte kein Interesse am Teilen, weder in gesellschaftskritischer noch in kommerzieller Hinsicht. Aber die andere knappe Hälfte eben doch. Und unter denen unterscheidet Harald Heinrichs zwei Gruppen. Die eine bildet die Hauptzielgruppe der Sharing Economy: O-Ton Harald Heinrichs: Das ist ein knappes Viertel in Deutschland: Die sind jünger, die haben ein höheres Bildungsniveau, sind ganz klar eher in städtischen Regionen zu Hause, haben eine höhere Affinität auch durchaus zu einem abwechslungsreichem Leben, aber verbinden es auch mit einem relativ hohen Nachhaltigkeitsbewusstsein. Und da gibt es eine andere Gruppe, die haben wir damals die „Konsumpragmatiker“ getauft, weil die – das waren 14 Prozent, – machen es nicht aus ideologischen Gründen, das sind nicht Überzeugungstäter, die die Welt retten wollen, mit dem was sie tun. Sie machen es wirklich, um Geld zu sparen, weil man dann vielleicht auch mal Dinge günstiger nutzen kann, und um auf der anderen Seite vielleicht auch Geld damit zu verdienen. Sprecher 1: Die bittere Wahrheit für diejenigen, die an die Utopie einer teilenden Gesellschaft glauben, lautet allerdings nach Harald Heinrichs: Von den 25 Prozent, die nicht aus finanziellen Gründen teilen, ist nur eine Minderheit bereit, sich aktiv und strategisch für eine neue Gesellschaft einzusetzen. 7 O-Ton Harald Heinrichs: Wenn ich diese Daten interpretiere und auch mit anderen in Verbindung bringe, dann würde ich die These wagen, dass der Anteil derjenigen, die ganz stark auf soziale Formen des Sharings adressiert sind, deutlich unter 10 Prozent liegt. Sprecher 2: Akkordarbeit fürs Karma, Teil 3. Sprecherin: Bis heute haben Alt-und Neuheimwerker Van Bo Le-Mentzels Bauanleitungen gut 20.000-mal von seinem Blog heruntergeladen. Ein Viertel von ihnen lebt in prekären Verhältnissen, genau wie er zu Beginn des Möbelprojekts, schätzt der Open-SourceFan. Er beobachtet gern, wie sich die Möbelstücke durch die Ideen anderer wandeln. Die neuesten Kreationen schickt er sofort hinaus in die Crowd. Sprecher 1: Kann eine Minderheit die Gesellschaft verändern? Für Klaus Dörre, den marxistisch geprägten Soziologen aus Jena, könnten eher die Krise und die Not eine solche Entwicklung begünstigen. Er verweist neben Griechenland noch auf andere arme Länder, in denen Menschen Gesundheitsleistungen, Wohnungen oder Nahrungsmittel miteinander teilen: O-Ton Klaus Dörre: Also im Grunde ist das, was man heute „solidarische Ökonomie“ nennt, etwas, was insbesondere in Lateinamerika weit verbreitet ist, nichts anderes als eine moderne Form von Genossenschaftswesen. Sprecher 1: Der uralte Grundgedanke von Genossenschaften: Menschen teilen sich das Eigentum an Produktionsmitteln, an Kapital und an Verantwortung, um als gemeinschaftliche Produzenten auf dem kapitalistischen Markt zu bestehen und soziale Ziele zu verwirklichen. O-Ton Klaus Dörre: Und man kann sagen, dass dieser genossenschaftliche Zweig immer wieder mal untergeht. Also man wird feststellen, Genossenschaften, die lange am Markt sind in einer kapitalistischen Umwelt, tendieren dann doch dazu immer wieder, selbst nach kapitalistischen Prinzipien zu funktionieren. Es gibt unheimlich viele Anpassungsdrucke. Aber man sieht auch, so kaputt das an bestimmten Stellen sein mag oder in bestimmten historischen Epochen, es entsteht wieder neu. Und das erleben wir gerade. Also in der Krise, aus der Not geboren besinnen sich Leute auf alte solidarische Ideen wie bei unseren Energiegenossenschaften, damit kann man auch ein bisschen Geld verdienen. Also es muss nicht unbedingt ein sozialistisches Motiv dahinterstecken. Aber der Gedanke, etwas selber zu machen, dezentral zu produzieren, das setzt irgendwo auch soziale Reziprozität voraus. Also einen Tausch, wo man darauf vertraut, irgendwann mal eine Gegenleistung zu kriegen, wenn man sie denn benötigt. 8 Sprecher 1: Teilen und wechselseitige Hilfe geht vor Gewinn. Immer wieder gab es Verbünde von kleinen Warenproduzenten, die sich mithilfe dieses Prinzips eine Zeitlang gegen große profitorientierte Unternehmen behaupten konnten. In Deutschland zum Beispiel die berühmten Hersteller der Solinger Klingen. Allerdings funktionierte das nach Klaus Dörre nur, solange sie in einen größeren Zusammenhang eingebunden waren. O-Ton Klaus Dörre: Es braucht immer ein soziales Netzwerk, was nicht kapitalistisch ist. Also in Italien war es der PCI. Sprecher 1: Die kommunistische Partei Italiens, die dort bis in die 1980er-Jahre starken Einfluss besaß. O-Ton Klaus Dörre: Also in diesen Unternehmensverbünden hatte der PCI, zum Teil in Regionen 70 Prozent der Wähler-Stimmen. Da war alles Mitglied, vom Unternehmer über den Banker bis hin zum Arbeiter. Das war gewissermaßen eine gemeinsame Wertebasis, und man hat abends beim Bier die Dinge besprochen oder beim Wein dann in dem Fall, kulturvoller, die Dinge besprochen, wie es denn eigentlich laufen konnte. In Solingen war das die katholische Kirche, die eine ähnliche Funktion hatte. Das heißt es braucht ein Überzeugungssystem, das nicht marktförmig zugerichtet ist, weil nur das die Werte und die Vertrauensbeziehung schafft, die erforderlich sind, um so ein Kooperationsverhältnis aufrecht zu halten. Sprecher 1: Klaus Dörre glaubt nicht an die Idee von Jeremy Rifkin, dass die ökonomische Entwicklung des Kapitalismus von selbst auf eine Gesellschaft des kooperativen Teilens hintreibt. Der Kapitalismus lebe gerade davon, sich alternative Ideen einzuverleiben und dem Gewinnstreben zu unterwerfen. Dagegen helfe nur eine soziale Bewegung mit gemeinsamen Werten, die neue Formen des Eigentums und der Produktion hervorbringt und unterstützt. Was aber, wenn ein solches Netzwerk nicht existiert – wie heute! Kann man da immer noch von der Veränderung des kapitalistischen Systems träumen? O-Ton Harald Welzer: Ich mag eigentlich keine Konjunktive. Die Systemfrage ist immer eine Konjunktivfrage: Man müsste den Kapitalismus abschaffen, man müsste neue Bündnisse machen, man müsste die Menschen aufklären oder so. Alles das interessiert mich eigentlich nicht besonders. Mich interessiert eigentlich eher die Praxis, weil die Praxis ist das verändernde Moment. Sprecher 1: Auch Harald Welzer, der Direktor von Futurzwei macht sich keine Illusionen über die Veränderbarkeit des Gesellschaftssystems nach einem großen Masterplan. Weder Projekte, die von einer „Großen Transformation der Gesellschaft“ sprechen, noch der Glaube Jeremey Rifkins, dass der Kapitalismus sich schon selbst abschaffen würde, 9 überzeugen ihn. Er trägt auch keine getauschte Kleidung – glaubt aber trotzdem, dass ein utopisches Handeln von unten möglich und unterstützenswert ist. O-Ton Harald Welzer: Es ist besonders interessant, dass man im Bereich Ökologie, Klimaschutz, Nachhaltigkeit immer danach sucht, wie biegt man Leuten etwas bei. Also dieses ganze Phantasma von „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ ist immer von dem Gedanken getragen: Wir wissen was, was die anderen nicht wissen, also ist es unsere Aufgabe, denen das beizubringen, damit die das dann auch wissen, in der irrigen Annahme, sie würden dann etwas tun. Und das ist politisch grundverkehrt. Weil es sozialpsychologisch grundverkehrt ist. Ich kann Menschen nur für etwas interessieren und ein Engagement hervorrufen, wenn es ihre eigene Sache ist, d.h. wenn ich einen Anknüpfungspunkt finde. Sprecher 2: Akkordarbeit fürs Karma. Eine Geschichte des Gelingens, Teil 4. Sprecherin: Van Bo Le-Mentzel liebt Chucks, das legendäre Basketballschuhmodell. Allerdings gehört die Marke zum Sportartikelhersteller Nike, und der produziert bei weitem nicht so fair, wie Le-Mentzel es gern hätte. Also machte der Berliner sich selbst daran, eine Herstellung loszutreten, die ökologisch unbedenkliche Materialien verwendet und die Arbeiterinnen gerecht entlohnt. Über die Crowdfunding-Webseite startnext fand er genügend Leute, die die Karma Chakhs, wie er sein Alternativmodell getauft hatte, finanzieren wollten. Deshalb habe er die Produktion auch nicht allein organisiert, sagt Le-Mentzel, „das hat die Crowd gemacht“. Die Karma Chakhs kommen frei von Gewinnerwartungen zu denen, die sie haben wollen – aber mit deren Hilfe. „Man könnte sagen, ich leite eine globale Möbel- und Schuhfabrik“ beschreibt Le-Mentzel lachend seine Rolle. Aber darum ginge es nicht. Vielmehr darum, dass Wirtschaften gutes Karma bringt. Sprecher 1: Harald Welzer glaubt, dass weit weniger als 10 Prozent der deutschen Bevölkerung an einer sozialen Sharing-Ökonomie interessiert seien. Er schätzt die Zahl auf 3 bis 5 Prozent. Aber auch daraus könne eine Bewegung entstehen. O-Ton Harald Welzer: Wenn ich die Anfänge einer Bürgerrechtsbewegung sehe, dann bewegt sich das noch nicht einmal im Zwei-, Drei-, Vier-Prozentbereich. Solche Bewegungen werden dann stark, wenn in anderen gesellschaftlichen Gruppen etwa diese 3 bis 5 Prozent die Ideen aufnehmen und weitertreiben. Also der Witz besteht nicht in der Herstellung von Mehrheiten, sondern der Witz besteht in der Durchdringung aller gesellschaftlichen Gruppen mit demselben Anliegen. Das ist der spannende Punkt, das muss man hinkriegen. Immer dann, wenn sie Subkultur haben, springt nichts über. Dann sagt man: Ach, das sind die Ökos. Ach, das sind die Veganen. Aber wenn sie die gesellschaftliche Durchdringung hinkriegen, dann reichen geringe Prozentzahlen für fundamentale Verhaltens- und Einstellungsveränderung. 10 Sprecher 1: Das Denken der Gesellschaft müsse von der Idee eines guten Lebens in einer nachhaltig teilenden Gesellschaft angesteckt werden. Ein Beispiel ist für Welzer die aktuelle Bewegung der Gemeinwohlökonomie: Unternehmen verpflichten sich, Bilanzen zu erstellen, in denen sie festhalten, wie ökologisch und sozial sie produzieren. Teilen sie ihre Gewinne gerecht auf? Zahlen sie faire Löhne? Handeln sie fair gegenüber ihren Zulieferern? O-Ton Harald Welzer: Das wäre eine gute Funktion und die meisten der 1.500 Unternehmen, die sich bislang dieser Bewegung angeschlossen haben, sagen: Ja, das ist ein Superinstrument, wir sehen, wo wir schwach sind und wo wir besser sein könnten in Richtung Gemeinwohlorientierung. Tut uns gut, wir lernen etwas, wenn wir diese Bilanzen machen. Das mittelfristige Ziel der Gemeinwohlbilanz ist aber, wir möchten einen politischen Prozess starten, wo Unternehmen, die einen bestimmten Zielwert erreichen, in der Gemeinwohlbilanz steuerlich bevorteilt werden. [Sprecher 1: Ein Lernprozess in Richtung sozialer Gesellschaft. Ist das reinster Idealismus oder der einzige realistische Weg, überhaupt noch gesellschaftliche Alternativen vorantreiben zu können? Selbst der skeptische Klaus Dörre kann sich der Idee nicht ganz verweigern: O-Ton Klaus Dörre: Wenn damit transportiert wird, wir wollen eine andere Gesellschaft und das ist letztendlich die zentrale Bedingung für ein besseres Leben und so etwas verbreitet sich, dann ist das natürlich ein transformativer Ansatz in einer gewissen Weise. Das schließt nicht aus, dass es irgendwann doch wieder einkassiert wird. Aber in einer Situation, wo man mit tiefen Krisen rechnen muss, glaube ich, ist die Frage des Praktizierens von Alternativen in der bestehenden Gesellschaft schon eine ganz Wichtige.] Sprecher 1: Harald Heinrichs von der Universität Lüneburg hätte sogar einige Forderungen an die Politik, um diesen Trend zu stützen: O-Ton Harald Heinrichs: Das Spektrum reicht von beispielsweise der Bauleitplanung, indem eben von der Politik initiiert wird, mehr Wohnprojekte mit gemeinschaftlichen Nutzflächen, also das Thema gemeinschaftliches Wohnen. Ein zweiter Bereich wäre eben, inwieweit Städte Flächen zur Verfügung stellen, damit Menschen gemeinschaftliches Gärtnern im städtischen Umfeld praktizieren können. Auch hier hat die Politik eben viele Möglichkeiten, was zu gestalten. Also von daher glaube ich, in den ganz unterschiedlichen Bereichen hat Politik und gerade auch Kommunalpolitik bei weitem noch nicht die Möglichkeiten ausgeschöpft, förderlich und motivierend diese Thematik nach vorne zu bringen. 11 Sprecher 1: Und so wird Dana Giesecke zusammen mit Josefa Kny und anderen immer wieder neue Geschichten über vorbildliche Projekte sammeln und auf der FuturzweiWebseite veröffentlichen. O-Ton Dana Giesecke: Niemand hat ein total vollständiges Bild der Zukunft vor Augen, das ist unmöglich. Aber Futurzwei und auch jeder für sich persönlich wird schon bei bestimmten Projekten, Geschichten oder Initiativen denken, ja, das ist tatsächlich eine Sache, die zur Zukunft zählen könnte. Und deswegen würde ich sagen, dass wir vielleicht die aktuellen, gegenwärtigen Puzzleteile, die schon auf dem Spielfeld liegen, nehmen, sortieren und vielleicht versuchen, mit in eine Zukunft hineinzubringen. ***** 12
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