Dimitri ist tot Der grösste Clown der Schweiz starb 80-jährig HEUTE 21.7.2016 Was heute passiert Frankreich Staatspräsident François Hollande empfängt die britische Premierministerin Theresa May zum Antrittsbesuch. Radsport Die 18. Etappe der Tour de France führt die Fahrer von Sallanches den heftigen Anstieg hinauf nach Megève. Frage des Tages Das Game der Stunde: Sind auch Sie schon im «Pokémon Go»-Fieber? Ja Nein Stimmen Sie online ab unter www.aargauerzeitung.ch www.bzbasel.ch www.basellandschaftliche.ch www.solothurnerzeitung.ch www.grenchnertagblatt.ch www.limmattalerzeitung.ch www.oltnertagblatt.ch «Die Umfrage finden Sie online über die Such-Funktion mit dem Stichwort «Tagesfrage» Das Ergebnis erscheint in der nächsten Ausgabe. Ergebnis letzte Tagesfrage Wir haben gefragt: Sollen Schweizer Spitzensportler mehr Geld erhalten? Video des Tages Wakeboarder surft mit führerlosem Boot – nun ermittelt die Polizei Er wollte den Menschen Freude machen Dimitri war als Clown der liebenswerte Tollpatsch, scheitern war stets Teil seines Programms VON SABINE ALTORFER D imitri ist so gestorben, wie er sich das gewünscht hat: Ruhig im Schlaf. Er habe sich am Mittwoch um 21.45 Uhr ins Bett gelegt, weil ihm unwohl war, und sei eingeschlafen, für immer. So bestätigte die Familie den Tod des berühmtesten Schweizer Clowns. Doch was ist der Tod? Für Dimitri nichts Schreckliches. Er habe die Gewissheit, dass es danach weitergehe. «Man wird nicht einfach unter dem Boden von den Würmern gefressen.» Diese Idee sei anthroposophisch: «Der grösste Teil dessen, was uns ausmacht, ist nicht materiell: unsere Gedanken, unsere Gefühle, unsere Träume.» Das sagte er mir im Februar vor einem Jahr. Wir trafen uns zum Interview, weil sein 80. Geburtstag anstand (am 18. September) und ein neues Familienprogramm «DimiTRIgenerationes» startete. Das Gespräch mit dem begnadeten Komiker war erstaunlich ernsthaft. Älterwerden, die Veränderungen in der Gesellschaft, die Intoleranz in der Politik – das beschäftigte ihn enorm. Getragen waren Dimitris Rückblick und sein Blick in die Zukunft aber von Zufriedenheit und Dankbarkeit, dass in seinem Leben alles so kam, wie es kam. Oft durch Zufälle, aber immer gepaart mit einem grossen Willen und einer noch grösseren Sehnsucht. Der Sehnsucht, dem Leben das Beste abzugewinnen, Freude zu haben und Freude zu verbreiten. «Das Schönste ist es, die Menschen zum Lachen zu bringen – denn was ist Lachen anderes als Freude», brachte er sein Berufs-Ethos auf den Punkt. Ein Clown der alten Schule REZEPT DES TAGES Präsentiert von Annemarie Wildeisen Swiss Burger Zutaten für vier Personen 2 Zwiebeln 1 Teelöffel Butter 1 Scheibe Toastbrot 0,5 dl Milch 100 g Emmentaler oder Gruyère 0,5 Bund Petersilie glattblättrig 2 Esslöffel Senf scharf 350 g Hackfleisch gemischt Salz schwarzer Pfeffer aus der Mühle 2 Esslöffel Essig 2 Teelöffel Senf mild 1 Teelöffel Paprika edelsüss 100 g saurer Halbrahm 200 g Mini-Lattiche Öl zum Bestreichen der Burger 8 Scheiben Bratspeck 4 Bürli oder Mütschli Bestellen Sie jetzt via SMS ein Schnupperabo mit 3 Ausgaben für nur 12 Franken. SMS mit SCHNUPPER + Name und Adresse an 919 (20 Rp./SMS) oder Online-Bestellung unter www.wildeisen.ch/schnupperabo www.wildeisen.ch/suche/rezepte Dimitri war kein Schenkelklopfer-Humorist, kein Comedian, der auf Kosten anderer Lacher provoziert, sondern ein Clown der alten Schule, ein Weiss-Clown. Grock war für ihn der beste, das grosse Vorbild. So gut sei er nie gewesen, aber irgendwann sei ihm klar geworden, dass er anders sei und kein Grock werden wolle. Dann erzählte er, wie er schon als Erstklässler in Ascona nach einem Besuch des Zirkus Knie gewusst habe, dass er Clown werden wolle. Auf dem See-Geländer habe er balanciert, habe spielerisch ausprobiert, was er gesehen habe. Dass er einst selber in der Knie-Manege brillieren wird, sich in den 1970er-Jahren dort in die Herzen der Besucherinnen und Besucher spielt, ahnte der kleine Jakob Dimitri Müller noch nicht. Ebenso wenig, dass sein Gesicht mit dem breiten Mund und dem Pagenschnitt zu einer landesweit bekannten Marke würde. Er brauchte ein paar Umwege, bis es so weit war. Nach den Schulen im Tessin und in Zürich machte er eine Töpferlehre bei Margrit Linck in Biel. Etwas mit seinen Händen zu schaffen, zu entwerfen, habe ihn fasziniert. Dieses Talent und seine kindliche Fantasie setzte er später als Maler und für die Gestaltung seiner Plakate ein. Und doch, der Traum Clown zu werden, aufzutreten, war stärker. Noch als Lehrling besuchte er Theater-, Akrobatik- und Schauspielkurse, lernte Klarinette und Gitarre spielen, tanzen … Der junge Mann mit dem Kasperligesicht lernte und lernte. Erfolg über alle Sprachgrenzen Prägend sind die Kurse beim französischen Mimen Etienne Decroux – und ab 1958 bei seinem grossen Vorbild Marcel Marceau. Nach ersten Auftritten – unter anderem im Zirkus Medrano – kreiert er 1959 sein erstes Soloprogramm. Seine erste Produktion im Theater Kramgasse Bern muss gleich um 3 Monate verlängert werden, und auch im Hechtplatz und selbst im Schauspielhaus Zürich tritt der junge Clown 1960 erfolgreich auf. Bald führen ihn Tourneen um die Welt. Dimitris Kunst – sein Mix aus Clownerie, Akrobatik und Musik, die Poesie der kleinen Momente – begeistert die Menschen über alle Sprachgrenzen hinaus. Er ist der geschickte, liebenswerte Tollpatsch, scheitern ist stets Teil seines Programms. Er kann jonglieren, mit wenigen Gesten Geschichten erzählen und singen. Er spielt unzählige Instrumente – wie ein Anfänger und doch souverän mit Witz und Perfektion. Mindestens so entscheidend für sein Leben wird die Wiederbegegnung mit seiner einstigen – nur einseitigen – Jugendliebe Gunda Salgo. 1961 wird in Zürich standesamtlich geheiratet und 1964 in Paris nach dem Ritus der anthroposophischen Christengemeinschaft. Warum zweimal, wollte ich beim Gespräch von Dimitri wissen. «Weil wir uns beide für Anthroposophie und geistige Werte interessieren und in Paris einen sehr netten Priester kennen gelernt haben.» Dann geriet er ernsthaft ins Schwärmen. Über die Anthroposophie und Rudolf Steiner. «Wenn man einmal die Schriften von Rudolf Steiner gelesen hat, kommen einem alle anderen religiösen Schriften blass vor. Rudolf Steiner hat die Pädagogik revolutioniert und mit der Homöopathie auch die Medizin. Für mich das Allerwichtigste: Er hat eine Philosophie begründet, die einen total frei lässt.» Ab 50 kein Salto mehr Mit seiner Überzeugung hat Dimitri nie missioniert. Seine Mission hiess «ClownSein», Freude verbreiten. Dafür hat er hart gearbeitet – noch mit 79 trainierte er drei Stunden täglich. Mit 50 allerdings entschied er, keinen Salto mehr zu machen. «Ein solcher Entscheid betrübt einen im ersten Moment. Denn wenn ich den Salto ein Jahr nicht mehr übe, dann ist es aus. Das ist ein Entscheid fürs Leben.» Sagte es und meinte lächelnd, man könne als Clown allerdings aus dem Nicht-Können etwas Neues kreieren. Etwas Neues wagten Dimitri und Gunda 1971 an ihrem Wohnort Verscio: Sie gründeten das Teatro Dimitri und bald eine Theaterschule. Wer in der Schweiz Pantomime oder Clown werden wollte, musste nach Verscio. Heute ist sie Fachhochschule und Teil der Universität Tessin. Die Scuola Dimitri erhielt 1998 den ersten Kulturpreis der AZ Medien, Dimitri selber wurde vielfach ausgezeichnet: 1976 erhielt der den Hans-Reinhart-Ring, die wichtigste Schweizer Theaterauszeichnung, 2000 einen Ehren-Prix-Walo sowie 2009 und 2014 einen Swiss Award. 1964 Der junge Mann mit dem Kasperligesicht am Anfang seiner Karriere. Dimitri zeigt sich bei einem Auftritt im Theatre des Vieux Colombiers in Paris als typischer WeissClown. M. LIPCHITZ/KEYSTONE 1970 Dimitri beim Zirkus Knie. Hier spielte er sich während dreier Saisons als liebenswerter Tollpatsch in die Herzen der kleinen und grossen Schweizer. KEYSTONE Ohne Gunda ging nichts Gunda war für Dimitri die starke Kraft im Hintergrund, sie managte Scuola, Teatro wie die Familie, und sie erzog die vier Kinder David, Nina, Masha und Ivan. Windeln gewechselt habe er nie, gestand Dimitri, aber fürs Spielen sei er ein guter Vater gewesen. So gut, dass drei der vier Kinder heute selber auf der Bühne stehen, in den Familienprogrammen mit dem Vater – und bei «DimiTRIgenerationes» war mit Enkel Samuel erstmals die dritte Generation dabei. Dimitri war dabei Mittelpunkt, auch wenn er sich selber nur als Pausenclown sah. «Wenn wir im Ausland spielen würden, wo mich niemand kennt, würde man vielleicht – hoffentlich – sagen: Das sind fünf ganz unterschiedliche Leute und der Grossvater ist schon alt, aber gar nicht schlecht.» Das klingt bescheiden, typisch für Dimitri. Der Erfolg hat ihn nicht stolz gemacht, ihm aber Freude bereitet. So stand er bis zuletzt auf der Bühne – am Sonntag im Teatro Monte Verità und am Montag in Verscio mit dem Familienprogramm. Bis 2017 war seine Agenda voll. Ebenfalls im nächsten Jahr wollte er mit Regisseur Mohammed Soudani einen Film drehen: Dimitri in der Hauptrolle als Bahnwärter. «Dimitri hat uns eindrücklich gezeigt, was Kleinkunst ist: nämlich grosse Kunst mit bescheidenem Gestus. Die Schweiz wird seine Poesie und seine Kunst, die Menschen zum Lachen zu bringen, vermissen. Er hat uns alle beglückt.» «Er war ein grosser Künstler und gleichzeitig ein unglaublich lieber und liebenswürdiger Mensch. Sofort hat er sich in die Zirkusfamilie integriert, seine Fröhlichkeit und positive Einstellung waren buchstäblich ansteckend.» Alain Berset Bundesrat Fredy Knie jr Zirkus-Direktor Emil Steinberger Kabarettist Kunst von Herzen Dimitri war aktiv, nicht unterzukriegen, auch nach Unfällen nicht. Er habe sich oft vorgestellt: «Was wäre, wenn ich blind wäre? Malen könnte ich nicht mehr, aber ich könnte singen, Musik machen, Geschichten erzählen …» Ein Multitalent war er – und selbst wenn er einfach dasass und alleine oder mit Begleitung ein Tessiner Lied sang, so war das so schlicht wie überzeugend. Denn es war echt, kam von Herzen – und erreichte so die Herzen der Zuhörer. Nein, mit dem baldigen Tod hat Dimitri nicht gerechnet. Auch wenn er sich oft damit beschäftigte. «Wissen Sie, es gibt Kulturen, wo man selbst dem Tod mit Humor begegnet. Die Mexikaner sind Weltmeister darin. Sie machen sich lustig über den Tod, an ihrem Karneval sehen Sie vor allem Skelette und Totenschädel. Der grosse Münchner Komiker Karl Valentin hatte panische Angst vor dem Tod. Sein letzter Satz war: ‹Ach wenn ich g’wusst hätt, dass des so schöön ist …›, und dann ist er entschlafen. Das sind für mich Beispiele und Vorbilder, wie man den Humor bis zuletzt bewahren kann. Es ist wohl schwierig, aber schön.» «Die Schweiz hat mit Dimitri ein Juwel verloren. Ich habe starke Erinnerungen an ihn. Etwa dass er ein wunderbarer Zuhörer war, der einen mit grossen Augen anschaute und hin und wieder sein unglaubliches Lachen zeigte. Den Künstler kann man vom Menschen nicht getrennt betrachten. Er war keine reine Kunstfigur, was er tat, war extrem persönlich.» 2003 Für sein Solostück «Ritratto» kreierte Dimitri mit dem italienischen Commediadell’Arte-Spezialisten Alessandro Marchettiein fantasievolles ClownTheater. E. RISCH/ KEYSTONE 2010 Gunda und Dimitri eröffnen den «Parco del Clown» in ihrem Kulturzentrum in Verscio. – und feiern damit Dimitris 75. Geburtstag und 40 Jahre Teatro Dimitri. K. MATHIS/KEYSTONE/
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