Er wollte den Menschen Freude machen n en - lu-wahlen.ch

Dimitri ist tot
Der grösste Clown der Schweiz starb 80-jährig
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21.7.2016
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Er wollte
den Menschen
Freude machen
Dimitri war als Clown der liebenswerte Tollpatsch,
scheitern war stets Teil seines Programms
VON SABINE ALTORFER
D
imitri ist so gestorben, wie
er sich das gewünscht hat:
Ruhig im Schlaf. Er habe
sich am Mittwoch um
21.45 Uhr ins Bett gelegt,
weil ihm unwohl war, und
sei eingeschlafen, für immer. So bestätigte die Familie den Tod des berühmtesten
Schweizer Clowns.
Doch was ist der Tod? Für Dimitri
nichts Schreckliches. Er habe die Gewissheit, dass es danach weitergehe. «Man
wird nicht einfach unter dem Boden von
den Würmern gefressen.» Diese Idee sei
anthroposophisch: «Der grösste Teil dessen, was uns ausmacht, ist nicht materiell: unsere Gedanken, unsere Gefühle,
unsere Träume.» Das sagte er mir im Februar vor einem Jahr. Wir trafen uns
zum Interview, weil sein 80. Geburtstag
anstand (am 18. September) und ein neues Familienprogramm «DimiTRIgenerationes» startete. Das Gespräch mit dem
begnadeten Komiker war erstaunlich
ernsthaft. Älterwerden, die Veränderungen in der Gesellschaft, die Intoleranz in
der Politik – das beschäftigte ihn enorm.
Getragen waren Dimitris Rückblick
und sein Blick in die Zukunft aber von
Zufriedenheit und Dankbarkeit, dass in
seinem Leben alles so kam, wie es kam.
Oft durch Zufälle, aber immer gepaart
mit einem grossen Willen und einer noch
grösseren Sehnsucht. Der Sehnsucht,
dem Leben das Beste abzugewinnen,
Freude zu haben und Freude zu verbreiten. «Das Schönste ist es, die Menschen
zum Lachen zu bringen – denn was ist
Lachen anderes als Freude», brachte er
sein Berufs-Ethos auf den Punkt.
Ein Clown der alten Schule
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Salz
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2 Esslöffel Essig
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Dimitri war kein Schenkelklopfer-Humorist, kein Comedian, der auf Kosten
anderer Lacher provoziert, sondern ein
Clown der alten Schule, ein Weiss-Clown.
Grock war für ihn der beste, das grosse
Vorbild. So gut sei er nie gewesen, aber irgendwann sei ihm klar geworden, dass er
anders sei und kein Grock werden wolle.
Dann erzählte er, wie er schon als Erstklässler in Ascona nach einem Besuch
des Zirkus Knie gewusst habe, dass er
Clown werden wolle. Auf dem See-Geländer habe er balanciert, habe spielerisch
ausprobiert, was er gesehen habe. Dass
er einst selber in der Knie-Manege brillieren wird, sich in den 1970er-Jahren dort
in die Herzen der Besucherinnen und
Besucher spielt, ahnte der kleine Jakob
Dimitri Müller noch nicht. Ebenso wenig,
dass sein Gesicht mit dem breiten Mund
und dem Pagenschnitt zu einer landesweit bekannten Marke würde.
Er brauchte ein paar Umwege, bis es
so weit war. Nach den Schulen im Tessin
und in Zürich machte er eine Töpferlehre bei Margrit Linck in Biel. Etwas mit
seinen Händen zu schaffen, zu entwerfen, habe ihn fasziniert. Dieses Talent
und seine kindliche Fantasie setzte er
später als Maler und für die Gestaltung
seiner Plakate ein. Und doch, der Traum
Clown zu werden, aufzutreten, war stärker. Noch als Lehrling besuchte er Theater-, Akrobatik- und Schauspielkurse,
lernte Klarinette und Gitarre spielen,
tanzen … Der junge Mann mit dem Kasperligesicht lernte und lernte.
Erfolg über alle Sprachgrenzen
Prägend sind die Kurse beim französischen Mimen Etienne Decroux – und ab
1958 bei seinem grossen Vorbild Marcel
Marceau. Nach ersten Auftritten – unter
anderem im Zirkus Medrano – kreiert er
1959 sein erstes Soloprogramm. Seine
erste Produktion im Theater Kramgasse
Bern muss gleich um 3 Monate verlängert werden, und auch im Hechtplatz
und selbst im Schauspielhaus Zürich tritt
der junge Clown 1960 erfolgreich auf.
Bald führen ihn Tourneen um die Welt.
Dimitris Kunst – sein Mix aus Clownerie, Akrobatik und Musik, die Poesie der
kleinen Momente – begeistert die Menschen über alle Sprachgrenzen hinaus.
Er ist der geschickte, liebenswerte Tollpatsch, scheitern ist stets Teil seines Programms. Er kann jonglieren, mit wenigen Gesten Geschichten erzählen und
singen. Er spielt unzählige Instrumente –
wie ein Anfänger und doch souverän mit
Witz und Perfektion.
Mindestens so entscheidend für sein
Leben wird die Wiederbegegnung mit
seiner einstigen – nur einseitigen – Jugendliebe Gunda Salgo. 1961 wird in Zürich standesamtlich geheiratet und 1964
in Paris nach dem Ritus der anthroposophischen Christengemeinschaft. Warum
zweimal, wollte ich beim Gespräch von
Dimitri wissen. «Weil wir uns beide für
Anthroposophie und geistige Werte interessieren und in Paris einen sehr netten
Priester kennen gelernt haben.» Dann geriet er ernsthaft ins Schwärmen. Über
die Anthroposophie und Rudolf Steiner.
«Wenn man einmal die Schriften von Rudolf Steiner gelesen hat, kommen einem
alle anderen religiösen Schriften blass
vor. Rudolf Steiner hat die Pädagogik revolutioniert und mit der Homöopathie
auch die Medizin. Für mich das Allerwichtigste: Er hat eine Philosophie begründet, die einen total frei lässt.»
Ab 50 kein Salto mehr
Mit seiner Überzeugung hat Dimitri nie
missioniert. Seine Mission hiess «ClownSein», Freude verbreiten. Dafür hat er
hart gearbeitet – noch mit 79 trainierte er
drei Stunden täglich. Mit 50 allerdings
entschied er, keinen Salto mehr zu machen. «Ein solcher Entscheid betrübt einen im ersten Moment. Denn wenn ich
den Salto ein Jahr nicht mehr übe, dann
ist es aus. Das ist ein Entscheid fürs Leben.» Sagte es und meinte lächelnd, man
könne als Clown allerdings aus dem
Nicht-Können etwas Neues kreieren.
Etwas Neues wagten Dimitri und Gunda 1971 an ihrem Wohnort Verscio: Sie
gründeten das Teatro Dimitri und bald
eine Theaterschule. Wer in der Schweiz
Pantomime oder Clown werden wollte,
musste nach Verscio. Heute ist sie Fachhochschule und Teil der Universität Tessin. Die Scuola Dimitri erhielt 1998 den
ersten Kulturpreis der AZ Medien, Dimitri selber wurde vielfach ausgezeichnet:
1976 erhielt der den Hans-Reinhart-Ring,
die wichtigste Schweizer Theaterauszeichnung, 2000 einen Ehren-Prix-Walo
sowie 2009 und 2014 einen Swiss Award.
1964 Der junge
Mann mit dem
Kasperligesicht
am Anfang seiner
Karriere. Dimitri
zeigt sich bei einem
Auftritt im Theatre
des Vieux Colombiers in Paris als
typischer WeissClown.
M. LIPCHITZ/KEYSTONE
1970 Dimitri beim
Zirkus Knie. Hier
spielte er sich während dreier Saisons
als liebenswerter
Tollpatsch in die
Herzen der kleinen
und grossen
Schweizer. KEYSTONE
Ohne Gunda ging nichts
Gunda war für Dimitri die starke Kraft
im Hintergrund, sie managte Scuola,
Teatro wie die Familie, und sie erzog die
vier Kinder David, Nina, Masha und Ivan.
Windeln gewechselt habe er nie, gestand
Dimitri, aber fürs Spielen sei er ein guter
Vater gewesen. So gut, dass drei der vier
Kinder heute selber auf der Bühne stehen, in den Familienprogrammen mit
dem Vater – und bei «DimiTRIgenerationes» war mit Enkel Samuel erstmals die
dritte Generation dabei. Dimitri war dabei Mittelpunkt, auch wenn er sich selber nur als Pausenclown sah. «Wenn wir
im Ausland spielen würden, wo mich
niemand kennt, würde man vielleicht –
hoffentlich – sagen: Das sind fünf ganz
unterschiedliche Leute und der Grossvater ist schon alt, aber gar nicht schlecht.»
Das klingt bescheiden, typisch für Dimitri. Der Erfolg hat ihn nicht stolz gemacht, ihm aber Freude bereitet. So
stand er bis zuletzt auf der Bühne – am
Sonntag im Teatro Monte Verità und am
Montag in Verscio mit dem Familienprogramm. Bis 2017 war seine Agenda voll.
Ebenfalls im nächsten Jahr wollte er mit
Regisseur Mohammed Soudani einen
Film drehen: Dimitri in der Hauptrolle
als Bahnwärter.
«Dimitri hat uns eindrücklich gezeigt, was Kleinkunst ist: nämlich grosse
Kunst mit bescheidenem
Gestus. Die Schweiz wird
seine Poesie und seine
Kunst, die Menschen
zum Lachen zu bringen,
vermissen. Er hat uns
alle beglückt.»
«Er war ein grosser
Künstler und gleichzeitig
ein unglaublich lieber
und liebenswürdiger
Mensch. Sofort hat er
sich in die Zirkusfamilie
integriert, seine Fröhlichkeit und positive Einstellung waren buchstäblich
ansteckend.»
Alain Berset Bundesrat
Fredy Knie jr Zirkus-Direktor
Emil Steinberger Kabarettist
Kunst von Herzen
Dimitri war aktiv, nicht unterzukriegen, auch nach Unfällen nicht. Er habe
sich oft vorgestellt: «Was wäre, wenn ich
blind wäre? Malen könnte ich nicht
mehr, aber ich könnte singen, Musik machen, Geschichten erzählen …» Ein Multitalent war er – und selbst wenn er einfach dasass und alleine oder mit Begleitung ein Tessiner Lied sang, so war das
so schlicht wie überzeugend. Denn es
war echt, kam von Herzen – und erreichte so die Herzen der Zuhörer.
Nein, mit dem baldigen Tod hat Dimitri nicht gerechnet. Auch wenn er sich
oft damit beschäftigte. «Wissen Sie, es
gibt Kulturen, wo man selbst dem Tod
mit Humor begegnet. Die Mexikaner sind
Weltmeister darin. Sie machen sich lustig
über den Tod, an ihrem Karneval sehen
Sie vor allem Skelette und Totenschädel.
Der grosse Münchner Komiker Karl Valentin hatte panische Angst vor dem Tod.
Sein letzter Satz war: ‹Ach wenn ich
g’wusst hätt, dass des so schöön ist …›,
und dann ist er entschlafen. Das sind für
mich Beispiele und Vorbilder, wie man
den Humor bis zuletzt bewahren kann.
Es ist wohl schwierig, aber schön.»
«Die Schweiz hat mit
Dimitri ein Juwel verloren.
Ich habe starke Erinnerungen an ihn. Etwa dass
er ein wunderbarer Zuhörer war, der einen mit
grossen Augen anschaute und hin und wieder
sein unglaubliches Lachen zeigte. Den Künstler
kann man vom Menschen nicht getrennt betrachten. Er war keine reine Kunstfigur, was er tat,
war extrem persönlich.»
2003 Für sein
Solostück «Ritratto» kreierte Dimitri
mit dem italienischen Commediadell’Arte-Spezialisten Alessandro
Marchettiein fantasievolles ClownTheater. E. RISCH/
KEYSTONE
2010 Gunda und
Dimitri eröffnen
den «Parco del
Clown» in ihrem
Kulturzentrum in
Verscio. – und feiern
damit Dimitris 75.
Geburtstag und 40
Jahre Teatro Dimitri.
K. MATHIS/KEYSTONE/