DerLeichtmacher - lu-wahlen.ch

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Tages-Anzeiger – Donnerstag, 21. Juli 2016
Kultur & Gesellschaft
Terrorismus
Ein mobiles Gerät
soll Bombenbauer
aufspüren.
Barockschlösser
Kostümierte Guides
machen Führungen
zum Erlebnis.
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Der Leichtmacher
Dimitri, der unvergleichliche Clown, verweigerte sich, anders als viele seiner Berufskollegen, stets der putzigen Poesie.
Nun ist er im Alter von 80 Jahren gestorben.
Andreas Tobler
Er konnte es noch immer, auch mit achtzig – am Ende seiner Tage: uns Zuschauer leichterhand für sich einnehmen. Letztmals in einem Programm, das
vor etwas mehr als einem Jahr zur Uraufführung kam, danach noch oft auf Tour
zu sehen war. Und in dem Clown Dimitri
einen ganzen Abend über einem Vögelchen hinterherjagte, das weit über seinem Kopf schwebte. Diese Jagd war
selbstverständlich vergeblich, wie so
vieles im Leben – weil das Stofftierchen
mit einer Teleskopstange am Rücken des
Clowns befestigt war.
Nun ist Clown Dimitri im Alter von
80 Jahren gestorben. «Nach kurzem
Unwohlsein», wie das Teatro Dimitri in
einem Communiqué mitteilte. Und das
ist doch eigentlich unfassbar, war Dimitri doch gerade noch hier vor uns auf
der Bühne – und wohl eine der wenigen
Schweizer Ikonen, deren niemand überdrüssig wurde. Was mehr als nur bemerkenswert ist, hatte die Karriere des
Clowns doch vor etwas mehr als einem
halben Jahrhundert ihren Anfang genommen: mit einer Ausbildung in Paris
beim Pantomimen Etienne Decroux und
dem ebenso weltberühmten Weissclown
Marcel Marceau, der den Schweizer
dann gleich für zwei Stücke in seine
Truppe aufnahm.
Viele einsame Trainingsstunden
Er habe schon früh für sich entschieden,
dass er Clown werden wolle, hat Dimitri
in einem Interview zu seinem 80. Geburtstag erzählt. Eigentlich seit damals,
als er als kleiner Bub im Circus Knie
einen Clown gesehen hatte und begeistert war. Wie so viele Kinder. Aber Dimitri habe bei seinen Eltern – der Vater war
ein Deutschschweizer Architekt und
Bildhauer, die Mutter eine Kunsthandwerkerin – dann so lange «gemüdet», bis
eine Clown-Ausbildung möglich war.
Aber es habe dann schon mehrere Anläufe und Umwege gebraucht – und viele
einsame Trainingsstunden, bis er dann
endlich der beliebte Clown war, als den
wir ihn alle kannten.
Dimitri war Perfektionist, der selbst
im hohen Alter erklärte, er sei «ein
Clown, der ein noch besserer Clown
werden möchte.» Richtig Schwung erhielt seine Karriere 1959, als er sein erstes Soloprogramm herausbrachte – just
im Jahr, als der Clown Grock verstarb,
Dimitris grosses Vorbild. Seine eigene
Bühnenlaufbahn erreichte ihren Höhepunkt, als Dimitri in den 70er-Jahren in
insgesamt drei Saisons mit dem Circus
Knie unterwegs war, womit sich sein
Kindertraum wohl endgültig erfüllt
hatte. Zeitgleich gründete Dimitri in
Clown, Pantomime, Perfektionist: Dimitri im Mai 1964 im Théâtre du Vieux-Colombier in Paris. Foto: Michel Lipchitz (Keystone)
Verscio sein eigenes Teatro und die
Scuola Dimitri, eine Ausbildungsstätte
für Schauspieler und Artisten, aus der
zahlreiche bedeutende Bühnenkünstler
hervorgingen – und die heute als kantonale Fachhochschule anerkannt ist, worauf Dimitri stolz war. Kunst und Politik
trennte er streng, doch abseits der
Bühne engagierte er sich mithilfe seiner
Prominenz für Flüchtlinge aus Pinochets
Chile, aus dem ehemaligen Jugoslawien
sowie für die Kurden.
Heute sind die Weissclowns aus den
Zirkusmanegen verschwunden. Sie
scheinen ausser Mode gekommen. Nicht
aber Dimitri, der auch in seinen letzten
Jahren noch die Theater und Festsäle
füllte. Zuletzt mit dem Programm «DimiTRIgenerations», für das noch bis
Ende dieses Jahr Vorstellungen geplant
waren. Dimitri bestritt dieses Programm
zusammen mit seinem Enkel Samuel,
seinen Töchtern Nina und Masha sowie
der Clownin Silvana Gargiulo, die an Dimitris Scuola ausgebildet und die als
langjährige Familienfreundin fürs Bühnenprogramm adoptiert wurde.
In diesem letzten Familienprogramm
zeigte sich dann nochmals Dimitris
grosse Qualität: seine Leichtigkeit, die
sich wohl nicht unwesentlich aus der
Verweigerung gegenüber der putzigen
Poesie und der protzenden Perfektion
speiste, von der so viele Artisten- und
Rolf Knie zum Tod von Dimitri
Dimitri war über die Grenzen
hinaus bekannt. Was machte
seinen Erfolg aus?
Authentizität. Auf der Bühne spielte
Dimitri niemanden, er war Dimitri.
Seine Nummern zeichneten sich aus
durch Poesie und Zurückhaltung.
War das auch der Mensch Dimitri?
Dimitri hatte im Privaten wie auch auf
der Bühne sehr viel Stil. Er war eine sehr
diskrete Persönlichkeit. Dennoch sagte
er stets, was er dachte – egal, ob es nun
um Berufliches oder um Politik ging. Er
interessierte sich aber nicht für die
grossen intellektuellen Diskussionen, er
wollte Clown sein, er wollte den Menschen Freude bereiten.
Das tat er bis ins hohe Alter. Manche
sagen, er sei als Clown gereift.
Er arbeitete immer an sich selber. Dimitri stand fast 60 Jahre auf der Bühne,
erfand sich aber immer wieder neu. Er
wird eine Lücke hinterlassen. Dimitri
Fotoblog Dimitri,
der unvergleichliche Clown
zeitreise.tagesanzeiger.ch
«Kommen Sie in 24 Stunden wieder»
arbeitete mit der feinen Klinge, setzte
Körpersprache ein.
Dabei konnte ich erfahren, über welches
Timing Dimitri verfügte.
Sie standen selbst mit ihm
eine Saison lang in der Manege.
Was blieb Ihnen von damals
in Erinnerung?
1969 sagte mein Vater: «Nächstes Jahr
engagieren wir Dimitri. Und du, Rolf,
spielst Dimitris Partner.» Niemand
glaubte, dass die Nummer ein Erfolg
werden würde. In Thun gab es eine Probeaufführung. Dimitri war nervös, ich
war nervös, und das Publikum lachte
kein bisschen. Danach waren wir alle
deprimiert. Nur mein Vater meinte:
«Gut, jetzt wissen wir, woran wir sind.
Jetzt wissen wir, wie hart wir diesen
Winter arbeiten müssen.» Die Premiere
fand 1970 in Rapperswil statt. Und die
ganze Saison mit Dimitri wurde schliesslich ein Riesenerfolg.
War er für Sie ein Mentor?
Ja. Er war sehr streng mit mir. Wenn ich
ihm in der Nummer das Instrument zu
spät wegnahm, kam er nach der Vorstellung zu mir: «Rolf, du musst dich konzentrieren.» Von dieser Disziplin konnte
ich für meine ganze Karriere profitieren.
Er kam auch später immer an meine
Premieren. Mir war seine Meinung sehr
wichtig. Und er überschüttete mich
nicht mit Komplimenten, sondern war
ehrlich zu mir. Dimitri war ein guter
Freund.
Wie war es, mit ihm
zusammenzuarbeiten?
Ich stand gewissermassen als Zaungast
hinter ihm und spielte ihm den Ball zu.
halb auf den Namen Dimitri Jakob Müller getauft wurde), wird uns wohl auch
deshalb so fehlen, weil er der perfekte
Leichtmacher war, der noch bei seinen
allerletzten Auftritten mit federnden
Schritten über die Bühne tippelte – und
so die Grossartigkeit des Hierseins zelebrierte. Am Ende seines letzten Programms hat er dann doch noch das Vögelchen zu fassen gekriegt, dem er zuvor
einen Abend lang hinterherjagte. Uns
hatte er da schon längst in der Tasche.
Humor auch neben der Bühne
«Von seiner Disziplin konnte ich profitieren»
Mit Rolf Knie sprach Simon Knopf
Clown-Programme beseelt sind. Und
selbstverständlich war ihm alles Modische fremd. Dimitri war Dimitri.
Und als solcher konnte er uns mit
noch so schlichten Tricks für sich einnehmen, die er bis zuletzt mit stupender
Perfektion beherrschte. So etwa, wenn
er einen Pingpongball in höchste Höhen
und wieder zurück in seine Mundhöhle
ploppen liess. Oder wenn er denselben
Ball auf den Saiten einer Minigitarre jonglierte, deren Kopfplatte er mit seinen
Zähnen hielt – und sich so die angestimmten Akkorde zu einer Melodie zusammenfügten.
Dimitri, der 1935 als Enkel eines Russen in Ascona geboren wurde (und des-
Rolf Knie
Clown, Schauspieler
und Künstler
Wir waren mit Dimitri zum Interview
verabredet. Nachdem ich die Fragen
vorbereitet und der Fotograf seine Geräte gepackt hatte, machten wir uns auf
den Weg ins Bernhard-Theater. Es sollte
– das war vor vielen Jahren – um das
neue Programm von Dimitri gehen. Nervös und angespannt warteten wir im
Eingangsbereich des Theaters auf den
grossen Clown und Pantomimen. Auf
einmal öffnete sich schwungvoll die Tür,
und eine Präsenz, wie man sie nur selten
erlebt, erfüllte den Raum. Es war nicht
nur Dimitris Strahlen, das von seinem
breiten Mund ausging und sich über die
Person legte; es war vielmehr eine
schwer zu fassende Aura, die wie ein
Energiefeld um sich griff.
«Ja, Grüezi wohl, Herr Kalberer!», rief
Dimitri mir entgegen (wir kannten uns
aus Verscio, wo ich als Jugendlicher
einen Vorkurs in Pantomime besucht
hatte), «was machen Sie denn da?» Diese
Frage versetzte meiner Vorfreude einen
empfindlichen Schlag, und ich, etwas
verunsichert, antwortete, dass wir doch
einen Termin bei ihm hätten. «Ja, das ist
schon so, aber das ist ja erst morgen.»
Jetzt habe er keine Zeit, da er dringend
mit den Proben weitermachen müsse,
denn, wie wir ja wüssten, die Premiere
finde in wenigen Tagen statt. «Kommen
Sie in 24 Stunden wieder», sagte Dimitri
ungemein charmant in einem berndeutsch gefärbten Dialekt.
Ich war perplex und blickte mit
einem «Sorry» zum Fotografen. Dimitri
hatte nach wie vor sein freundliches
Grinsen im Gesicht und sagte, dass er
sich auf das Gespräch sehr freue, aber
nun müsse er wirklich auf die Bühne,
um zu proben (ich wusste aus meinen
Kursen, wie schwer Dimitri gerade an
seinen vermeintlich leichten Nummern
arbeitete).
Also drehten wir uns um in Richtung
Ausgang und setzten uns enttäuscht
in Bewegung. Dimitri blieb mit seinem
traurigen Clowns-Gesicht stehen und
schaute uns nach. Dann, auf einmal,
hörten wir ihn hinter uns: «Chömed
Sie bitte zrugg. Es isch nur es chliises
Witzli gsi.»
Guido Kalberer