Er wollte ein noch besserer Clown sein - lu-wahlen.ch

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| Donnerstag, 21. Juli 2016 | Seite 2
Er wollte ein noch besserer Clown sein
Die ganze Schweiz verehrte ihn – Dimitri starb überraschend im Alter von 80 Jahren
Kollegen und Freunde trauern
Von Raphael Suter
Von Raphael Suter
«Dimitri hinterlässt eine grosse Lücke,
und ich sehe nicht, wer sie füllen
könnte», sagt Rolf Knie. «Er war für
mich sehr prägend.» Der Maler, der selber auch Clown war, hat Dimitri 1969
kennengelernt. «Mein Vater hat ihn
damals für das Folgejahr engagiert. Das
war ein grosses Risiko, denn ein Mime
alleine in der Arena hatte es noch nie
gegeben. Doch Dimitri im Circus Knie
wurde ein Riesenerfolg.»
Später ist Rolf Knie dann zusammen
mit Dimitri aufgetreten. «Ich konnte
von ihm viel lernen. Ich habe regelrecht
aufgesaugt, wie er gearbeitet hat.» Er
sei einer der wenigen gewesen, der das
Timing perfekt beherrscht habe. «Wenn
ich mal eine Sekunde zu spät war, hat er
mich nach der Vorstellung väterlich zur
Seite genommen und gemeint: ‹Rölfli,
du musst einfach genauer sein.›»
Dimitri sei in seiner Sparte einzigartig. «Jeder kennt Dimitri, er hat seine
Karriere über 60 Jahre aufgebaut und in
allen grossen Häusern gespielt.» Für
Rolf Knie ist er einer der wenigen Menschen, «die privat wie auf der Bühne Stil
hatten». Diesen Stil drückte Dimitri in
seiner ganzen Haltung, seiner Lebensphilosophie und seinem Respekt vor
anderen Menschen aus. «Dimitri hat
Dimitri wirklich gelebt.»
Auch für Gardi Hutter ist Dimitri ein
ganz Grosser. «Er war für mich und
meine Generation prägend, da er die
Clownfigur wieder weg vom Kinderfest
ins Theater zurückgebracht hat.» Künstler wie Emil, Franz Hohler oder eben
Dimitri begründeten die KleintheaterTradition. Und mit seiner Schule in Verscio habe er viele junge Künstlerinnen
und Künstler geformt. «Seine Figur
Dimitri ist unverwechselbar und wird
auch bleiben. Wer an Dimitri denkt, hat
sofort das Bild von Dimitri vor sich»,
sagt die Schauspielerin und Autorin
Gardi Hutter, die selber mit einer
Clownfigur erfolgreich ist.
Am Sonntag stand Dimitri noch auf der
Bühne des Freilichttheaters auf dem
Monte Verità. «Sogni di un’altra vita»
heisst das Stück, «Träume eines anderen Lebens». Dimitri spielte darin die
Figur des letzten Monteveritaners, Karl
Vester. Nach dem erfolgreichen Premieren-Wochenende wurde das Stück gestern Abend planmässig wieder aufgenommen – allerdings ohne Dimitri. Der
Clown starb in der Nacht auf den Mittwoch im Tessin. Laut seiner Tochter
Masha war er am Dienstagabend friedlich im Bett gestorben, nachdem er sich
zuvor unwohl gefühlt hatte. Einen Arzt
wollte Dimitri nicht beiziehen.
Die Vorstellung auf dem Monte
Verità fand gestern Abend dennoch
statt. «Wir sind alle tief betroffen und
unermesslich traurig über den unerwarteten Tod unseres Freundes und
Mitspielers Dimitri. Um ihn zu ehren,
hat das Ensemble beschlossen, ganz in
seinem Sinne weiterzuspielen», schreiben die Organisatoren des Freilichttheaters auf ihrer Hompage.
Dimitri war im vergangenen Jahr 80
Jahre alt geworden und wurde einmal
mehr als grösster Clown der Schweiz
gefeiert. Viele stellten ihn in die Reihe
der legendären Clows wie Charlie Rivel
oder Grock. Schon 1976 erhielt er den
Hans-Reinhart-Ring. 2009 bekam er
den Swiss Award in der Sparte Kultur.
2014 wurde ihm der Swiss Award für
sein Lebenswerk zugesprochen. In einer
für ihn typisch verschmitzten wie
bewusst anarchistischen Rede bedankte
er sich bei der Jury und beim Publikum
für die Auszeichnung. Vor allem aber
bedankte er sich bei seiner Frau Gunda,
die ihn sein ganzes Leben lange begleitete, und bei seinen vier Kindern, von
denen er so viel lernen durfte.
Künstlerische Entwicklung
Mit über 80 hatte Dimitri immer
noch viele Pläne. Mit dem Programm
«Famiglia Dimitri», bei dem drei Generationen mitwirken, wollte er am kommenden Montag wieder in seinem Teatro Dimitri in Verscio auftreten. Bis in
den Dezember hinein waren weitere
Vorstellungen geplant. Zudem sollte er
im Zentrum eines Dokumentarfilms des
schweizerisch-algerischen Regisseurs
Mohammed Soudani stehen. Das Drehbuch war bereits fertig und am Wochenende hatte der Regisseur mit Dimitri
das weitere Vorgehen besprochen. Der
überraschende Tod des Clowns macht
all diese Pläne zunichte.
Dimitri kommt 1935 in Ascona als
Sohn eines Architekten und Bildhauers
und einer Stoffplastikerin zur Welt. Als
er sieben ist, sieht er im Circus Knie den
Clown Andreff und will selber Clown
werden. Er besucht Schulen im Tessin
und in Zürich und beginnt mit 16 Jahren eine Töpferlehre in der Nähe von
Bern. In Bern spielt er auf Studentenbühnen auch erstmals komische Rollen,
die später zu eigenständigen Clownnummern werden. Als er den beiden
berühmten Schweizer Kabarettisten
Voli Geiler und Walter Morath erzählt,
dass er Clown werden möchte, meint
Morath: «Ja, du hast wirklich ein Kasperligesicht!»
In Bern sieht der junge Dimitri auch
den grossen Pantomimen Marcel Marceau und den Clown Grock. Beide
beeindrucken ihn sehr und werden für
die eigene künstlerische Entwicklung
von grosser Bedeutung sein. 1955,
nachdem er die Töpferlehre abgeschlossen hat, besucht Dimitri seinen ersten
Kurs beim Mimen Etienne Decroux in
Paris. Ein Jahr später lernt er dann sein
grosses Vorbild Marcel Marceau kennen. Er kann sogar in zwei Pantomimen
unter der Regie Marceaus auftreten.
In seiner Geburtsstadt Ascona
bringt er 1959 sein erstes Soloprogramm «L’angelo clown» zur Aufführung. 1960 gastiert Dimitri am Zürcher
Hechtplatz Theater und verliebt sich in
die ein Jahr ältere Gunda, der er zuvor
schon im Tessin begegnet ist. Im November 1961 heiraten die beiden auf dem
Standesamt Zürich, bereits im Jahr darauf wird der erste Sohn Ivan geboren, es
folgen David, Masha und Nina.
Schlagartig in der ganzen Schweiz
berühmt wird Dimitri durch seine
«Dimitri hat
Dimitri gelebt»
Ein Leben als Clown. Dimitri bei einem Auftritt in seinem Teatro in Verscio im Jahr 1982.
Tournee mit dem Circus Knie 1970.
Fredy Knie hat auf den Clown gesetzt,
der zuvor nur in Theatern aufgetreten
ist. Der Erfolg ist riesig. Charlie Chaplin,
Peter Ustinov, Friedrich Dürrenmatt
und Jean Tinguely gratulieren Dimitri
zu seinem Auftritt.
1971 gründet er zusammen mit
seiner Frau Gunda das Teatro Dimitri in
Verscio. 1973 geht er nochmals mit dem
Circus Knie auf Tournee, diesmal mit
seinen vier Kindern, einem Hängebauchschwein und einem Esel. Jetzt
startet Dimitri auch weltweit durch. Es
folgen Auftritte in ganz Europa, in
Asien, Australien und insgesamt zehn
Amerikatourneen, die ihn auch an den
New Yorker Broadway bringen. Überall
jubelt das Publikum dem Schweizer
Clown zu. 1979 geht Dimitri zum dritten Mal mit Knie auf Tournee. Er ist das
grosse Zugpferd des Schweizer Nationalzirkus.
Für seine 1978 entstandene Compagnie Teatro Dimitri schreibt er fast alle
Stücke selber und 1981 gründet er die
Fondazione Dimitri mit dem Zweck, die
Schule und das Theater in Verscio zu
fördern. Das kleine Theater wird 1983
mit 200 Plätzen neu eröffnet. Im Alter,
in dem andere in Pension gehen, initiiert er in Verscio das Museo Comico, das
von Harald Szeemann eingerichtet
worden ist, den er schon aus seiner
Berner Jugendzeit kennt.
Ungebrochene Schaffenskraft
Dimitri steht auf der Bühne, unterrichtet und schreibt Stücke für seine
Compagnie und Programme für seine
Kinder, die in seine Fussstapfen treten.
Erst als er auf die 80 zugeht, tritt er
etwas kürzer. «Vor ein paar Jahren habe
ich mich dazu entschlossen, nicht mehr
Regie zu führen und nicht mehr zu
unterrichten, sondern daran zu arbei-
Seine letzte Rolle. Auf dem Monte Verità im Tessin spielte Dimitri den
Monteveritaner Karl Vester in einer Freilichtproduktion. Foto Adrian Heitmann
Foto A.S.L.
ten, der Clown zu werden, der ich
immer sein wollte», erklärte er im vergangenen Jahr in einem Interview mit
der Schweizer Illustrierten.
1973 traten er und seine vier Kinder – alle genau gleich geschminkt und
kostümiert wie der Vater – im Circus
Knie erstmals gemeinsam auf. 2006
fanden dann die beiden Töchter Masha
und Nina zusammen mit Sohn David
und dem Schwiegersohn Kai Leclerc für
das Programm «La Famiglia Dimitri»
wieder mit ihrem Vater zusammen. Da
die Karrieren der Kinder längst eigenständig verliefen, wurde es immer
schwieriger für eine Familienreunion
auf der Bühne. Erst im vergangenen
Jahr beschlossen Nina und Masha
zusammen mit Enkel Samuel die zweite
Auflage der «Famiglia Dimitri» zu inszenieren. Für den grössten Clown der
Schweiz ging damit ein Herzenswunsch
in Erfüllung.
Sein grösster Erfolg. 2014 bekam
Dimitri den Swiss Award. Foto Keystone
Ein seriöser Schaffer
Für Emil Steinberger war Dimitri
nicht nur ein grossartiger Clown, sondern auch «ein unglaublich seriöser
Schaffer». «Wenn man ihn treffen
wollte, ging das frühestens ab 15 Uhr,
weil er vorher noch üben musste – und
das tagtäglich.» Diese Ernsthaftigkeit,
die Dimitri für seinen Beruf empfunden
habe, sei imponierend gewesen, meint
Emil Steinberger. «Es war auch sein
Markenzeichen.» Dimitri habe die Leute
nicht bloss unterhalten wollen. «Was er
auf der Bühne war, hat er selber mit
Leib und Seele gelebt.» Die Mischung
aus Naivität, Fröhlichkeit und Intelligenz sei einzigartig gewesen.
Kennengelernt hat Emil den Clown
in den frühen 60er-Jahren, als er selber
seine ersten kabarettistischen Schritte
in Luzern unternahm. «Damals war
Dimitri schon sehr bekannt, und als er
im Stadttheater Luzern auftrat, wollte
ich ihn unbedingt für ein Engagement
am Kleintheater gewinnen.» Scheu sei
er dann vor dem Künstlereingang
gestanden, bis ihn Dimitris Frau Gunda
gefragt habe, was er wolle. «Sie hat
ihrem Mann dann erzählt, draussen
stehe ein sympathischer Mann, mit dem
er reden müsse. Daraufhin hat mich
Dimitri in seiner Garderobe empfangen
und schliesslich eingewilligt, zehn
Abende im Kleintheater Luzern zu spielen – alle Abende waren ausverkauft.»
Im Laufe der Zeit sind die beiden
Freunde geworden, und Emil ist später
dann auch in Dimitris Theater im Tessin
aufgetreten. «Ich wurde sehr herzlich
aufgenommen, wohnte bei der Familie
Dimitri und war beeindruckt, wie
gesund sie leben. Zum Frühstück gab es
Körner und Nüsse», erinnert sich Emil
Steinberger.
Bundesrat Alain Berset traf Dimitri
mehrmals im Tessin und hat diese
Treffen «in bester Erinnerung». «Dimitri
war ein warmherziger, inspirierender
Mensch» und «einer der bedeutendsten
Bühnenkünstler der Schweiz», erklärte
der Kulturminister auf Anfrage der SDA
in einem Statement. «Dimitri hat uns
eindrücklich gezeigt, was Kleinkunst
ist: nämlich grosse Kunst mit bescheidenem Gestus.» Die Schweiz werde seine
Poesie und seine Kunst vermissen. «Er
hat uns alle beglückt.»