Manuskript Beitrag: Pflegedienst unter Betrugsverdacht – Mangelnde Kontrolle? Sendung vom 19. Juli 2016 von Eleni Klotsikas und Reinhard Laska Anmoderation: 1,25 Milliarden Euro. So viel Schaden verursachen kriminelle Pflegedienste geschätzt jedes Jahr. Das größte Geschäft machen die Betrüger dabei mit den Menschen, die in größter Not sind. Beatmungspatienten, die rund um die Uhr betreut werden müssen - und die sich am wenigsten wehren können. Reinhard Laska hat einen Fall recherchiert, der die Fehler im System zeigt. Hinweisen von Angehörigen wird kaum nachgegangen. Unangemeldete Kontrollen gibt es nicht. Betrügen - leicht gemacht! Aber heute Morgen, da kam die Polizei. Text: Heute Morgen, Razzia in Berlin-Mitte. Polizei und Beamte der Staatsanwaltschaft durchsuchen die Geschäftsräume eines Berliner Pflegeunternehmens. Die Staatsanwaltschaft wirft der Geschäftsführung Abrechnungsbetrug vor: O-Ton Ina Kinder, Staatsanwältin Berlin: Wir werfen den Betreibern dieses Pflegedienstes vor, dass sie unqualifizierte Kräfte bei der Pflege einsetzen, dann aber eine qualifizierte Pflegekraft abrechnen, und damit ein Betrug auch vorliegt. Unterwegs zu einem Patienten, der bis vor zwei Jahren von dem Unternehmen betreut wurde. Der 50-Jährige und seine Familie leben vor den Toren Berlins auf einem kleinen brandenburgischen Dorf. Sie möchten nicht erkannt werden. Der Familienvater leidet unter der Nervenkrankheit ALS, muss künstlich beatmet und ernährt werden. Kommuniziert wird über seine Pupillenbewegung und eine Buchstabentafel. Er muss rund um die Uhr betreut werden. Seine Angehörigen erheben schwere Vorwürfe gegen die Pfleger. O-Ton Tochter: Sie kamen hierher und wirkten auch sehr erschrocken über die Situation von meinem Vati und kannten sich eigentlich nicht wirklich aus. Also, sie hatten keine Intensiverfahrung, sie haben auch selber gesagt, sie sind hier in der Situation überfordert, haben‘s auch ans Büro weitergetragen und wurden dann trotzdem wieder hier eingesetzt. O-Ton Ehefrau: Es gab eben halt auch Mitarbeiter, die Deutsch nicht gesprochen haben, Deutsch nicht verstanden haben, die mich nicht mal verstanden haben, wenn man sie was gefragt hatte. Und da fragt man sich einfach, wie wollen die mit einem Patienten umgehen, der sich nicht äußern kann. Kaum Deutschkenntnisse, mangelnde Qualifikation, eines Tages kommt es fast zur Katastrophe. O-Ton Tochter: Es war eine deutschsprachige Mitarbeiterin im Dienst, die schon 20 Jahre aus dem Beruf raus war. Er ist blau angelaufen, sie konnte aber nicht schlussfolgern wieso, weshalb oder warum. Sie dachte, er ist unterzuckert, und als das auch nicht irgendwie funktioniert hat, hat sie mich gerufen. Ich habe sofort Sauerstoff ran gemacht und dann ging es auch. Und Vati auch hinterher buchstabiert, wäre ich nicht da gewesen, wäre es sein Ende gewesen. Besuch bei einem Beatmungspatienten. Der 64-Jährige leidet unter einer schweren Bronchialerkrankung, möchte nicht erkannt werden. Das Unternehmen hatte ihm seinerzeit eine Pflegerin geschickt, die kein Deutsch sprach und seiner Meinung nach mit den Beatmungsgeräten überfordert war. Das habe ihn fast das Leben gekostet. O-Ton Beatmungspatient: Ich bin plötzlich in der Nacht wach geworden und habe sehr, sehr schlecht Luft gekriegt. Dann habe ich die Notklingel betätigt, da ist ewig keiner runtergekommen. Da ist die Dame erst ins Bad gegangen, hat sich gekämmt und gemacht und keine Lösung für mich gefunden. Die hat kopflos dagestanden, wusste nicht, was sie machen sollte. Das war sehr gefährlich. Ich habe kaum Luft gekriegt und musste dann mit dem Rettungswagen auch ins Krankenhaus. Der Einsatz von unqualifizierten Billigkräften und Personalmangel sei keine Ausnahme gewesen, behauptet Steven Zimmermann, ein ehemaliger Mitarbeiter aus der Intensivpflege. O-Ton Steven Zimmermann , ehemaliger Mitarbeiter Pflegedienst: Es gibt nicht eine Versorgung, in der ich tätig war, wo ausreichend Personal vorhanden war. Meistens waren es immer nur so zwei Mitarbeiter, die fest im Team drin waren, der Rest wurde, ja, mit ausländischen Pflegekräften eben denn - wurden die Lücken gefüllt, ja. O-Ton Frontal 21: Und wenn man die Lücken nicht füllen konnte? O-Ton Steven Zimmermann , ehemaliger Mitarbeiter Pflegedienst: Tja, dann hat man eben Angehörige drum gebeten, die Dienste zu übernehmen und hat denen dafür ein paar Euro angeboten. Dabei dürfen Angehörige ohne entsprechende Ausbildung nicht am Beatmungsgerät arbeiten. O-Ton Ina Kinder, Staatsanwältin: Die Intensivpflege ist ein Feld, weil man im Monat sehr viel Geld damit verdienen kann. Also, ein einzelner Intensivpflegepatient bringt über 20.000 Euro im Monat. Und wenn man da wenig investiert, kriegt man natürlich viel raus. Das Unternehmen wirbt häufig osteuropäische Pflegerinnen an, wie Sanda Guhja. Die ist zwar gelernte Krankenschwester, hätte aber wegen mangelhafter Deutschkenntnisse nicht in der Intensivpflege eingesetzt werden dürfen. Tatsächlich aber sei sie monatelang fast ohne Unterbrechung im Einsatz gewesen. O-Ton Sanda Guhja, Krankenschwester: Ich musste jeden Tag zwölf Stunden arbeiten, so war der Dienstplan. In manchen Monaten habe ich 270 oder 330 Stunden gearbeitet - immer nur nachts. Als Sandra Guhja sich wegen einer Grippe krankschreiben lässt, habe ihr die Firma gekündigt. Die schulde ihr außerdem noch rund 14.000 Euro. O-Ton Sanda Guhja, Krankenschwester: Sie drohten mir. Sie sagten, ich soll ins Büro gehen, um das Geld bar bezahlt zu kriegen, keine Überweisung. Ich habe gesagt, ich will sowas nicht. Sie machten Druck, wollten mich überreden, mich nirgendwo zu beschweren, auch nicht mit Journalisten darüber zu reden. Auch Steven Zimmermann erhebt schwere Vorwürfe gegen seinen früheren Arbeitgeber. O-Ton Steven Zimmermann, ehemaliger Mitarbeiter Pflegedienst: Es war an der Tagesordnung, da die Geschäftsführung Mitarbeiter auch nicht bezahlt hat, Sozialabgaben wohl nicht abgeführt hat, viele Mitarbeiter waren eben auch schockiert über die Zustände, die dort herrschten. Ins Geschäft kam das Pflegeunternehmen auch durch die Berliner Charité. Die Klinik vermittelt ihren Patienten regelmäßig Dienstleister, die in der Intensivpflege tätig sind. Auch das Unfallkrankenhaus Marzahn hat das Unternehmen vermittelt. Wer trifft die Auswahl, wie werden empfohlene Pflegedienste kontrolliert? Von beiden Kliniken keine Antwort. Mario Czaja, der Berliner Senator für Gesundheit und Soziales, ist verantwortlich für die Kontrolle der Pflegedienste. Was will er tun? O-Ton Mario Czaja, CDU, Senator für Gesundheit und Soziales, Berlin: Wir haben erst seit zwei Jahren die zusätzlichen Mitarbeiter in Bezirken, die auch diese Pflegedienste überprüfen und auch die Qualifikation überprüfen. Bei vielen Hundert Pflegediensten glaube ich, dass nicht jeder jedes Jahr mit all seinen Mitarbeitern geprüft werden kann. Schlechte Nachrichten für Patienten, deren Leben an einer guten und professionellen Pflege hängt. Das Pflegeunternehmen hat auf unsere Fragen nicht geantwortet. Es gilt die Unschuldsvermutung. Korrektur "Pflegebetrug" Frontal21 hatte behauptet, der im Film zuerst gezeigt Beatmungspatient sei bei der AOK versichert und habe die Krankenkasse über die Probleme mit dem Pflegedienst informiert. Die AOK habe aber nicht reagiert. Nun stellte sich heraus, dass der Patient bei einer anderen gesetzlichen Krankenkasse versichert ist. Mithin sind die auch in dem Filmbeitrag erhobenen Vorwürfe gegenüber der AOK falsch und aus Manuskript und TV-Bericht entfernt worden. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
© Copyright 2024 ExpyDoc