1 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Legal – illegal … Medinetz hilft

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SWR2 Tandem - Manuskriptdienst
Legal – illegal …
Medinetz hilft auch ohne Krankenschein
Autor:
Peter Köster
Redaktion:
Ralf Kröner
Regie:
Tobias Krebs
Sendung:
Donnerstag, 21. Juli 2016, 10.05 Uhr
Wiederholung aus 2014
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MANUSKRIPT:
Erzähler:
Ich sitze in der Wohnung von Gabriele. Sie ist Erzieherin mit Fachhochschulstudium
und betreut autistische Kinder. Sie hat sich bereit erklärt, mich mit ihrem bulgarischen
Freund Krasi bekannt zu machen, dem Medinetz geholfen hat.
O-TON 1 (Krasi beginnt türkisch, dann Gabriele)
Also ich hab‘ eigentlich den Kontakt mit Medinetz gemacht, das war eigentlich Zufall.
Also es war so, dass er ganz schlimme Probleme mit den Zähen gehabt hat,
Schmerzen gehabt hat. Die Zähne waren vereitert, es war so schlimm, dass es auf
die Lymphknoten gegangen ist, dass er hier so ‘ne ganz große Beule gehabt hat.
Und ich hab 'ne Freundin … , ich hab überall 'rum telefoniert, kennst du jemanden,
der einen Arzt kennt, privat oder so. Und ich wusste, ihre Eltern sind irgendwie Ärzte
und dann hab ich gefragt. Und dann hat sie gesagt, ne, du, aber mein Mitbewohner
arbeitet bei Medinetz, und dann hat sie mir die Nummer von ihrem Mitbewohner
gegeben. Und dann hab ich eben mit dem Kontakt aufgenommen und das hat dann
auch sehr gut funktioniert. Und dann hat er uns zu einer Ärztin vermittelt, und die
Ärztin hat ihn angeschaut, hat Bluttest und alles mit ihm gemacht, so rudimentäre
Untersuchungen, und hat dann eben auch die Zähne angeschaut und hat dann halt
gesehen, dass die Zähne ganz kaputt sind. Und das halt durch die vereiterten und
kaputten Zähen auch so ausgelöst ist. Dann hat sie gesagt, dass sie einen Zahnarzt
brauchen, und ich hab dann wieder Medinetz angerufen und Medinetz hat uns dann
den Zahnarzt vermittelt, der in Heidelberg ist. Der hat uns dann ganz toll beraten,
ganz viel geholfen, sehr lieber Mensch. Vielen Dank!
Erzähler:
Ich will diesen „lieben“ Menschen kennen lernen und besuche ihn in seiner Praxis.
O-TON 2 (Zahnarzt)'
Im Fall von Schmerzen oder im Fall von einem Notfall, da ist es dann völlig egal, ob
er Papiere hat oder keine Papiere hat, welche Hautfarbe er hat, welcher Nationalität
er angehört. Das gehört einfach zu der Berufsauffassung meiner Meinung nach eines
Arztes, solche Leute zu behandeln; erst recht, wenn sie überwiesen werden, in
diesem Fall von angehenden Kollegen oder von Kollegen selber. Das ist 'ne
Selbstverständlichkeit.
Erzähler:
Übers Internet habe ich Kontakt zur ersten Vorsitzenden von Medinetz Rhein-Neckar
bekommen. Sie heißt Lena und studiert Zahnmedizin.
Sie lädt mich zum nächsten Treffen der Gruppe in Heidelberg ein. Medinetz RheinNeckar trifft sich abwechselnd in Mannheim und in Heidelberg. Als ich ankomme,
diskutieren die Mitglieder gerade über ihre neue Info-Broschüre. Sie soll in zehn
Sprachen erscheinen, unter anderem auf Türkisch, Russisch, Bulgarisch und
Rumänisch.
Bisher gibt es in rund 20 deutschen Städten Medinetz-Gruppen. Medinetz hilft
Menschen ausländischer Herkunft, die entweder keinen legalen Aufenthaltsstatus
haben oder nicht krankenversichert sind. Viele von ihnen gehen nicht zum Arzt, weil
sie Angst haben, angezeigt oder abgeschoben zu werden, wenn herauskommt, dass
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sie hier ohne Aufenthaltsgenehmigung leben. Es wird geschätzt, dass in Deutschland
zwischen mehreren Hunderttausend und nahezu einer Million Menschen leben, die
keine Aufenthaltsgenehmigung haben. Aber es gibt auch viele Menschen, die zwar
legal in Deutschland leben, aber nicht krankenversichert sind. Auch ihre Zahl lässt
sich nur schätzen, es dürften weit über Hunderttausend sein.
O-TON 3 (Lena)
Also, das Gründungsmotiv ging daraus hervor, dass Menschen, die ohne Papiere in
Deutschland leben, keine medizinische Versorgung gewährleistet kriegen, was für
uns ein deutlicher Missstand war. Und daraufhin haben sich vor jetzt schon einigen
Jahren Leute zusammen gefunden, um diesem Missstand entgegen zu treten. Unser
Verständnis ist eben, dass wir diesen Menschen ihr Menschenrecht auf medizinische
Versorgung, wie es im Grundgesetz festgeschrieben ist, auch gewährleisten wollen.
Unsere Utopie ist eigentlich, dass wir irgendwann nicht mehr notwendig sind, und
zwar wollen wir das in dem Fall so erreichen, dass es eben für alle Menschen in
Deutschland möglich ist, unabhängig von ihrem Status eben die medizinische
Versorgung in Anspruch zu nehmen, die sie benötigen.
Erzähler:
Wie Lena sind die meisten Mitglieder von Medinetz Rhein-Neckar MedizinStudentinnen und -Studenten. Sie dürfen noch nicht selbst praktizieren und sind
deshalb auf die Hilfe von fertig ausgebildeten Ärzten und Ärztinnen angewiesen.
Lea ist 20 Jahre alt, studiert Medizin an der Universität Heidelberg und ist 2.
Vorsitzende von Medinetz Rhein-Neckar.
O-TON 4 (Lea)
Wir haben schon eine Liste von Ärzten, die mit uns arbeiten und sich bereit erklärt
haben. Und eigentlich greifen wir meistens auf sie zurück. Nur gibt es bei manchen
Fachärzten Ärztemangel – also die für uns arbeiten. Und dann ist es so, dass wir
jetzt auch Ärzte angeschrieben haben oder anrufen – wir telefonieren einfach durch
und versuchen, Ärzte zu erreichen. Und wir haben auch bestimmte Unterlagen von
der Bundesärztekammer, die wir ihnen schicken und dann auch klar machen, dass
es eigentlich für Ärzte keine Gefahr bringt, Menschen ohne Papiere zu behandeln.
Erzähler:
Dr. Karoline Meyer ist Gynäkologin und arbeitet mit Medinetz zusammen. Ihren
Namen haben wir auf ihren Wunsch geändert:
O-TON 5 (Karoline Meyer)
Also es ist so, dass immer mal wieder diskutiert wird, dass die Ärzte sich dann auch
strafbar machen, dass sie das weitergeben müssen, dass das aber nicht verfolgt
wird. Und von daher habe ich da für mich jetzt kein Risiko gesehen, zumal ja auch
am Ende keiner weiß, das muss ja erst mal jemand raus finden, und da hat niemand
Interesse daran, sich an so ein Thema heran zu begeben.
Erzähler:
Der Paragraph 96 des Aufenthaltsgesetzes besagt, dass die Beihilfe zu illegalem
Aufenthalt in Deutschland strafbar ist. Umstritten ist, ob eine ärztliche Behandlung
den illegalen Aufenthalt verlängert und damit eine Gesetzesübertretung darstellt.
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O-TON 6 (Karoline Meyer)
Da gilt ja wie immer diese Schweigepflicht. Und die gilt ja auch für Pfarrer, soweit ich
weiß, und für Rechtsanwälte, und für Ärzte eben auch. Und wir geben niemandem
Auskunft, wer bei uns in Behandlung ist.
Erzähler:
Es gab schon mal das eine oder andere Ermittlungsverfahren gegen Ärzte, die
“Menschen ohne Papiere“ behandelt haben. Die Ermittlungen wurden aber alle
eingestellt. Die frühere Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Dr. Cornelia
Goesman, sicherte den betroffenen Ärzten die volle Unterstützung der Kammer zu.
Sie betonte, dass es unterlassene Hilfeleistung sei, wenn ein Kranker nicht behandelt
werde, weil er keine Aufenthaltserlaubnis hat. Zudem widerspreche das auch dem
hippokratischen Eid, den jeder Arzt und jede Ärztin vor ihrer ärztlichen Zulassung
ablegen muss.
Lena von Medinetz:
O-TON 7 (Lena)
Wir appellieren da in allererster Linie eben an das soziale Verständnis des Arztes,
das die Rolle des Arztes ja durchaus inne hat, und stellen uns als Organisation eben
vor, erläutern das Problem, dass es in Deutschland gibt mit illegalisierten Personen
und machen eben mit Hilfe dieses Textes von der Bundesärztekammer nochmal
auch ganz klar deutlich, dass überhaupt kein Schaden für den behandelnden Arzt
entsteht. Und da das über uns als Organisation läuft, bürgen wir natürlich in gewisser
Weise auch dafür, dass das gut läuft, dass Laborrechnungen und gewisse
Ärztehonorare auch bezahlt werden. D.h., das, was sonst vielleicht schwierig wäre,
nehmen wir da raus und kümmern uns praktisch um den bürokratischen Ablauf
dahinter.
Erzähler:
Die Gynäkologin Karoline Meyer berichtet, dass es sogar eine Art Gebührenordnung
für Nicht-Versicherte gibt.
O-TON 8 (Karoline Meyer)
Nach einigen Versuchen haben wir uns jetzt auf einfache Gebührenordnungen
festgelegt. Einfach, deswegen, weil es manchmal auch Fälle gibt, wo man denkt, die
ist vielleicht ohne Sozialversicherung, aber die ist nicht arm, und die können
durchaus auch eine ärztliche Leistung honorieren. Wenn man jetzt eine ganz
normale Schwangerenvorsorge –ähnlich wie bei uns im gesetzlichen Bereich –
durchführt, dann kostet das in so einem Fall um die 20 Euro. Also es geht nie um
Unsummen, aber grundsätzlich muss irgendwie eine ärztliche auch honoriert werden,
weil sonst natürlich sich so was rasch herum spricht, und das möchte man ja nun
auch nicht. Dass man hier so als Anlaufstelle steht für Leute, die sagen, „ja super, da
geh‘ ich hin, und es kostet nichts“.
Erzähler:
Und wenn doch einmal eine Schwangere kommt, die überhaupt kein Geld hat und
nichts für eine Vorsorgeuntersuchung zahlen kann?
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O-TON 9 (Karoline Meyer)
Also das wird dann sehr häufig über das Medinetz abgewickelt, also die Leute, die
das glaubwürdig versichern können, die werden ja durchaus unterstützt, letztlich über
Spenden.
Erzähler:
Medinetz Rhein-Neckar setzt als nicht darauf, dass die Ärzte, mit denen die Gruppe
zusammenarbeitet, Nicht-Versicherte kostenlos behandeln; das ist Lena wichtig:
O-TON 10 (Lena)
Wir haben verschiedene Möglichkeiten. Zum einen handeln wir mit den Ärzten oft
billigere oder so Mindesttarife quasi aus, dass sie die Patienten zu einem bestimmten
Fixpreis behandeln. Zudem haben wir immer wieder so Veranstaltungen und
kooperieren z.B. mit dem Chor in Mannheim, der jedes Jahr sein Weihnachtskonzert
zu unseren Gunsten aufführt, und da eben die Spenden kommen. Immer wieder
versuchen wir uns auch, um Stiftungsgelder zu bemühen. Da hatten wir eine Zeitlang
auch Einnahmen daraus und ein Großteil sind auch weiterhin Privatspenden.
Erzähler:
Ich möchte wissen, wie Medinetz für sich wirbt, nicht zuletzt um auch an private
Spender zu kommen.
O-TON 11 (Lena)
Das ist auf zwei Ebenen unser Problem. Zum einen mal den Bekanntheitsgrad in der
Bevölkerung zu vergrößern, die potentiell auch Spender sind, und zum anderen
eben auch an die Menschen zu kommen, die unsere Patienten werden könnten. In
der breiten Öffentlichkeit machen wir das eben vor allen Dingen mit Vorträgen oder
Filmabenden, hatten jetzt auch im Sommer eine Kooperation mit einem Künstler, der
Kunst im öffentlichen Raum gemacht hat, wo wir auf Parkschilder hinten drauf so
'ne Botschaft in verschiedensten Sprachen zu Medinetz platziert haben. Und in
solchen Veranstaltungen versuchen wir einfach, dieses Thema in die Öffentlichkeit
zu tragen.
Erzähler:
Und welche Patienten wenden sich an Medinetz? Sind es vor allem abgelehnte
Asylbewerber, Kriegsflüchtlinge, die illegal ins Land gekommen sind oder doch eher
sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge? Der Medizinstudent Florian arbeitet seit drei
Jahren bei Medinetz mit; er steht kurz vor dem Examen:
O-TON 12 (Florian)
Das ist ganz unterschiedlich, also es gibt Flüchtlinge, dann gibt es Leute, die sind
legal hier her gekommen, zum Studieren zum Beispiel und sind dann hier geblieben
und sind quasi illegal geworden. Also ich habe jetzt nicht genau die Statistiken im
Kopf, aber was es Mannheim auf jeden Fall mehr gibt, das sind die neuen EUBürger, Rumänen und Bulgaren, die jetzt auch für uns zu einer verhältnismäßig
großen Klientel geworden sind. Davon gibt es in Mannheim sehr sehr viele, und die
kommen bei uns auch immer häufiger vor: dass sich Leute, die zwar legal in
Deutschland leben, aber trotzdem keine Krankenversicherung haben, bei uns
melden. Und die sind auch mittlerweile in der Überzahl.
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Wir hatten dann eine Zeitlang, als das noch nicht so häufig war, eher per Einzelfall
entschieden, und haben uns aber auf einer großen Sitzung darauf geeinigt, dass wir
denen auch generell helfen. Jedoch ist es da auch sehr wichtig, dass man den
Leuten auch 'ne Rechtsberatung zukommen lässt, weil die haben ganz andere
Möglichkeiten als Menschen ohne Papiere an regulären Zugang zu kommen. Aber
generell ist es häufig das gleiche Problem: keine Krankenversicherung, kein Zugang
zur Gesundheitsversorgung.
Erzähler:
Genau das trifft auch auf Krasi zu, den mir seine deutsche Freundin Gabriele
vorgestellt hat. Er hält sich zwar legal in Deutschland auf, ist aber nicht
krankenversichert.
O-TON 13 (Gabriele)
Ja, bei ihm ist es dann halt so, er möchte auf jeden Fall richtig arbeiten. Und ich hoff‘
dann auch, dass wir dann alles auf die Reihe kriegen mit den Papieren, dass er dann
versichert ist. Man hat jeden Tag Stress. Er hat jetzt Grippe, ich denk‘ jetzt schon,
hoffentlich geht s' von allein weg. Und es fängt schon damit an, ein Rezepte für
Antibiotika zu kriegen. Ich hab‘ auch Grippe, ich hätt’ jetzt kein Rezept gebraucht. Ich
lös‘ jetzt morgen mein Rezept ein. Ich hätt‘s jetzt ohne Antibiotika hingekriegt. Ich
habe gleich gesagt, “ja, schreiben Sie mir Antibiotika bitte“. Und wenn’s dann bei ihm
schlimmer wird, weil‘s die selbe Sorte Grippe ist, weil’s wir ja von einander haben,
hoffe ich, dass es die selbe Sorte Grippe ist, hoffe ich dann, falls er‘s braucht, dass
es dann damit hinhaut.
Erzähler:
Auch Karoline Meyer behandelt Patienten, die zwar eine legalen Aufenthaltsstatus
haben, aber unversichert sind:
O-TON 14 (Karoline Meyer)
Auch diese Leute werden schwanger oder haben Unterbauchschmerzen oder haben
ein gesundheitliches Problem, und das muss in irgendeiner Weise versorgt werden.
Und gut, das kann man nun nicht den ganzen Tag machen. Aber es ist ja auch gar
nicht so häufig, und wenn da hin und wieder mal jemand kommt, der da ein
spezielles Problem hat, dann versorgen wir ihn eben mit. Das sind natürlich Leute,
die arbeiten Tag und Nacht und hoffen darauf, dass sie ab Januar dann angestellt
werden können. Und das würde viele ihrer Probleme lösen.
Erzähler:
Ab dem 1. Januar 2014 brauchen Rumänen und Bulgaren keine
Arbeitsgenehmigung mehr, wenn sie hier arbeiten. Wenn ihn sein Chef dann
anstellen würde, wäre auch Krasi eine Riesenlast los.
O-TON 15 Krasi, darüber Uebersetzung von Gabriele)
Also er will hier in Deutschland bleiben, also er will ein normales Leben, ein richtiges,
normales Leben, wo er normal arbeiten gehen kann, wo er normal Geld verdienen
kann, vielleicht auch irgendwie ne eigene Wohnung haben kann, eine Familie haben
kann. Wo er vielleicht auch seine Mama herholen kann, und sich um die kümmern
kann, der auch ein gutes Leben bieten kann, weil die ja auch schon älter ist.
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Wir haben natürlich 'ne Perspektive. Es ist so, dass er seinen Führerschein in
Bulgarien machen will, geht ja in Deutschland nicht, (lacht). Aber das ist ein EUFührerschein, der gilt dann auch hier. Dann möchte er gerne 'ne richtige Arbeit
machen. Ab 1. Januar kann er ja dann richtig arbeiten, irgend so was im Bereich mit
Fahrten, mit Taxi, oder Kurierfahrten oder so was. Und angemeldet ist er.
Erzähler:
Karoline Meyer berichtet, dass es Medinetz geschafft hat, sogar in manchen Klinken
besondere Preise für Nicht-Versicherte auszuhandeln:
O-TON 16 (Karoline Meyer)
Es gibt jetzt Absprache mit dem Medinetz, wo zumindest das Klinikum Mannheim zu
einen kleinen Preis die Entbindung übernimmt, also um die 400 Euro. 'Ne übliche
Entbindung, also wenn die normal über die Krankenkasse abgerechnet würde, also
über die gesetzliche Kasse, dann kostet es eher so zwischen 1000 und 1200 Euro.
Also das ist erstmal ein sehr günstiger Preis, und der muss halt in irgendeiner Form
aufgebracht werden.
Erzähler: Und natürlich gibt es auch besondere Tarife für Vorsorgeuntersuchungen:
TON 17 (Karoline Meyer)
Es wird nach Einzelgebührenordnungsziffern abgerechnet. Da kommt meistens dann
ein Betrag zwischen 15 und 20 Euro heraus, der wird hier bezahlt, wird hier quittiert.
Und im Klinikum: die müssen dann da Kontakt aufnehmen, die müssen dann sagen,
„wir kommen da jetzt!“ Und dann kriegen die dort auch eine Rechnung, die in der
Regel dann sofort bezahlt wird. Wenn es kein Geld gibt, müssen sie sich auch über' s
Medinetz um Spendengeld kümmern – so ist das meines Wissens geregelt.
Erzähler:
Ich frage, wie häufig solche oder ähnliche Fälle in ihrer Praxis vorkommen.
O-TON 18 (Karoline Meyer)
Wir haben hier vielleicht zehn Fälle im Jahr, also es ist jetzt nicht die Masse. Es gibt
einige andere Kollegen in Mannheim, die da auch engagiert sind. Man muss eben
auch immer gucken, also Dinge, die schon seit Jahren bestehen, gesundheitliche
Probleme, das wird natürlich auch schwierig, das dann dem deutschen
Gesundheitswesen aufs Auge zu drücken. Wo man sagt, „die ist jetzt seit 6 Wochen
in Deutschland, und das Problem besteht aber schon seit Jahren!“ Dann fragt man
sich natürlich auch, das kann ich ja auch im Heimatland regeln lassen oder hätte es
gekonnt – vielleicht auch nicht. Aber was wir natürlich auch ein bisschen gucken
müssen, dass nicht der Eindruck entsteht: hier viele deutsche Kassenpatienten
müssen sich von vorn bis hinten reglementieren lassen. Und dann kommt ein
bedürftiger armer Mensch, und da wird dann alles in die Wege geleitet. Das ist halt
auch schwierig zu vertreten
Erzähler:
Der Heidelberger Zahnarzt, der den jungen Bulgaren Krasi behandelt hat, sieht das
etwas grundsätzlicher:
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O-TON 19 (Zahnarzt)
Ja, das ist jedem seine eigene persönliche Berufsauffassung. Und diese
Berufsauffassung, angefangen vom Eid des Hippokrates bis hin zur EthikKommission, was es heutzutage gibt, würde auch dort niemals so eine Behandlung
ablehnen dürfen. Man darf eine solche Behandlung auch nicht ablehnen. Wir
machen ja keine Schönheitschirurgie oder irgendwelche Wellness- Kuren, sondern
wir behandeln ja Menschen, die definitiv Schmerzen haben oder ein Problem haben.
Und da ist es so, dass meiner Berufsauffassung nach, keiner der Tür verwiesen
werden darf. Also das geht gar nicht. Soweit ich weiß, ist das auch berufsrechtlich
gar nicht möglich, jemand, der Schmerzen hat oder einer Behandlung bedarf, der Tür
zu verweisen.
Erzähler:
Aber nicht alle, die im Gesundheitswesen arbeiten, haben eine so eindeutige Haltung
wie der Zahnarzt.
Lena erinnert sich an einen besonders dramatischen Fall, in dem gegen die ärztliche
Schweigepflicht verstoßen wurde:
O-TON 20 (Lena)
Es gibt ein konkretes Beispiel, das allerdings nicht über uns lief, aber was ganz
plastisch dafür ist, wie es laufen kann, wenn es nicht über eine solche Kooperation
läuft. Das war 'ne hochschwangere Patientin, 'ne illegalisierte Patientin, die quasi in
den Wehen ins Krankenhaus gekommen ist .Dort festgestellt wurde, dass sie weder
Papiere noch Versicherung hat, dann in ihrem Bett in so 'ne Art Abstellkammer
geschoben wurde, dort festgehalten wurde, die Polizei informiert wurde und sie quasi
aus dem Krankenhaus raus unter ärztlicher Betreuung in ein Abschiebegefängnis
gekommen ist und mit dem paar Wochen alten Kind, ich glaube, drei ,vier Wochen
später ausgeflogen wurde. Und das ist für mich 'ne Situation, wo ich sage, genau
wegen so was ist es ganz wichtig, dass es uns gibt. Abgesehen davon, dass es
medizinisch extrem grenzwertig ist, so kleines Kind in den Flieger zusetzen, ist es
natürlich auch für Mutter und Kind eine extreme traumatische Belastung, im
Krankenhaus Hilfe suchen zu wollen, während der Geburt. Und das, was man kriegt,
ist: die Polizei, die holt einen ab und bringt einen ins Gefängnis.
Ich denke, das war wahrscheinlich auch wieder so ein unglückliches Zusammenspiel
aus Unwillen und Unwissenheit. Anders kann ich mir sowas nicht erklären.
Erzähler:
Lea ergänzt:
O-TON 21 (Lea)
Ja, man muss dann auch bedenken, dass diese Empfehlung nicht jeden erreicht, und
dass nicht jeder das weiß, und dann besteht ja ein Krankenhaus auch nicht nur aus
Ärzten. Und das ist auch das Problem, dass die Verwaltung auch nicht ausreichend
informiert ist.
Erzähler:
Gab es denn jemals Konflikte mit dem Sozialamt, der Ausländerbehörde oder sonst
einem Amt, wenn es um Behandlungen ging, die Medínetzvermittelt hat, will ich am
Ende meines Besuchs bei der Gruppe im Rhein-Neckar-Gebiet wissen.
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O-TON 22 (Lena)
Wir kooperieren mit den Ärzten, rufen die an, schicken die Patienten dorthin und
kriegen die Rechnung zurück und da ist dieser ganze Behördenarm quasi
ausgeschaltet. Insofern kann ich mich aus meiner Zeit nicht daran erinnern, dass es
mal Konflikte gegeben hätte.
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