TAIWAN 200 km Unser EM-Film: Das Beste zum Schluss CHINA LAOS Südchinesisches Meer ParacelInseln ScarboroughRiff von China VIETNAM THAILAND AUSGABE BERLIN | NR. 11068 | 28. WOCHE | 38. JAHRGANG KAMBODSCHA PHILIPPINEN Von Trikottest bis Philosophentrash – das Making-of von 55 taz-Videos heute auf taz.de/EMtaz Hongkong beanspruchtes MITTWOCH, 13. JULI 2016 Gebiet („9 dash line“) | WWW.TAZ.DE € 2,10 AUSLAND | € 1,60 DEUTSCHLAND SpratlyInseln H EUTE I N DER TAZ ASIEN China MALAYSIA LAND WEG China vervon China beanspruchtes Gebiet liert Rechtsstreit gegen Grenzen der ausschließlichen PhilippinenWirtschaftszonen ▶ SEITE 4, 12 BRUNEI taz.Grafik: infotext-berlin.de DATEN WEG Die neue Vereinbarung zwischen EU und USA ▶ SEITE 2, 12 LEUTE DA Hilfe für Geflüchtete: Projekt auf Lesbos ▶ SEITE 5 BERLIN Wucherpreise für Geflüchtete: Der Wohnungsschwarzmarkt ▶ SEITE 21 Foto oben: ap VERBOTEN Guten Tag, meine Damen und Herren! verboten möchte Sie nur kurz darüber informieren, dass es jetzt endlich die Konsequenzen zieht, weil es durch unfassbare Blödheit die gesamte taz, das alte Rudi-Dutschke-Haus und den taz-Neubau in Gefahr gebracht hat. verboten reicht deshalb mit sofortiger Wirkung seinen Rücktritt ein. Ab Mittwoch wird an dieser Stelle jemand anderes schreiben. BUNDESWEHR Ausländer rein: In ihrem neuen Weißbuch erwägt die Regierung erstmals, auch Bürger aus anderen EU-Ländern für die deutsche Armee zu rekrutieren. Denn Ministerin von der Leyen braucht mehr Personal für mehr Einsätze Neue Zielgruppe für die Bundeswehr-Personalabteilung: Warteschlange vor einem Arbeitsamt in Athen Foto: Kostas Tsironis/getty images BERLIN taz | Die Bundesregierung denkt über die Öffnung der Bundeswehr für Rekruten aus anderen EU-Staaten nach. Das geht aus dem Weißbuch zur Sicherheitspolitik hervor, das der taz vorliegt und das das Ka- Dubduu duuu duu. Right. binett voraussichtlich am Mittwoch beschließen wird. Die Öffnung der Bundeswehr für Bürgerinnen und Bürger der EU böte „ein weitreichendes Integrations- und Regenerationspotenzial für die personelle Ro- bustheit der Bundeswehr“, heißt es in dem Entwurf. Das Dokument entstand unter Federführung von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und ist mit den SPD-geführten Ministerien ab- gestimmt. Es löst das bisher gültige Weißbuch aus dem Jahr 2006 ab und legt die sicherheitspolitischen Leitlinien der Bundesregierung für die nächsten Jahre fest. In dem Papier kündigt die Regierung an, dass die Bundeswehr in Auslandseinsätzen häufiger Führungsaufgaben übernehmen werde. Dies entspreche der „zunehmenden internationalen Verantwortung LÖW/TS unseres Landes“. ▶ Schwerpunkt SEITE 3 TAZ MUSS SEI N Die tageszeitung wird ermöglicht durch 16.062 GenossInnen, die in die Pressevielfalt investieren. Infos unter [email protected] oder 030 | 25 90 22 13 Aboservice: 030 | 25 90 25 90 fax 030 | 25 90 26 80 [email protected] Anzeigen: 030 | 25 90 22 38 | 90 fax 030 | 251 06 94 [email protected] Kleinanzeigen: 030 | 25 90 22 22 tazShop: 030 | 25 90 21 38 Redaktion: 030 | 259 02-0 fax 030 | 251 51 30, [email protected] taz.die tageszeitung Postfach 610229, 10923 Berlin taz im Internet: www.taz.de twitter.com/tazgezwitscher facebook.com/taz.kommune 30628 4 190254 801600 KOMMENTAR VON MARTIN REEH ZUM NEUEN WEISSBUCH DER BUNDESWEHR V ielleicht muss man die Chuzpe bewundern, mit der die deutsche Bundesregierung auch im neunten Jahr der Eurokrise noch ihre nationale Interessenpolitik zulasten Südeuropas als Beitrag zur europäischen Einheit zu verkaufen sucht. Ein Anschauungsobjekt dafür liefert nun das Weißbuch der Bundeswehr, nach dem künftig auch Bürger anderer EU-Staaten für die deutsche Armee kämpfen sollen. Dies sei, so heißt es darin, „ein starkes Signal für die europäische Perspektive“. Diese Sichtweise hat Deutschland, wie so oft in Europa, ganz exklusiv. Vor einem Jahr zwang die Bundesregierung Griechenland zur Kapitulation Unsere Fremdenlegion vor der deutschen Austeritätspolitik. Eine ökonomische Perspektive für Griechenland gibt es seitdem nicht mehr. Stattdessen bietet Deutschland zynische Trostpflaster mit Eigennutz: Vor zwei Wochen kam Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel vorbei und versprach Athen ein paar Solaranlagen deutscher Firmen, für die es hierzulande keinen Abnehmer mehr gibt. Gestern leiteten die EU-Finanzminister unter starkem Druck vonseiten Wolfgang Schäubles ein Defizitverfahren gegen Spanien und Portugal ein. Beide Staaten hatten sich nicht an das deutsche Dogma, in Krisenzeiten die Staatsausgaben einzuschränken, gehalten. Ihre Wirt- schaft kam zaghaft wieder in Schwung. Wird die Konjunktur wieder abgewürgt, dürfte der Exodus junger Spanier und Portugiesen zur Freude deutscher Unternehmen nach Deutschland wieder zunehmen. Zukünftig, so die Botschaft aus dem Verteidigungsministerium, können sie aber auch für die Bundeswehr kämpfen. Die Freiheit Deutschlands würde Deutschland bietet Süd europa zynische Trost pflaster mit Eigennutz zukünftig von Arbeitslosen aus Madrid und Athen am Hindukusch verteidigt werden. Die letzte Hoffnung von Opfern der deutschen Politik in der Eurokrise heißt: riskieren, für Deutschland zu sterben. Das mag aus Sicht der Bundeswehr, die Nachwuchsprobleme hat, verständlich sein. Aber es ist einmal mehr deutscher Zynismus. In Deutschland aber glauben sie ihre PR-Sätze, mit denen das Verteidigungsministerium den deutschen Eigennutz als „europäische Perspektive“ verkauft, wirklich. Schäubles harte Haltung in der Defizitfrage und das Weißbuch zeigen: Es ist kein Ende der deutschen Politik, die Europa schadet, in Sicht. 02 TAZ.DI E TAGESZEITU NG PORTRAIT Der Tag M IT TWOCH, 13. JU LI 2016 NACH RICHTEN FLÜCHTLI NGE AUS DER TÜRKEI SÜDITALI EN EU nahm nach Abkommen erst 798 Syrer auf Mindestens 20 Tote bei Zugunglück BRÜSSEL | Drei Monate nach Rhyzodiastes xii, benannt nach Xi Jinping Foto: Wang Cheng-Bin Der zensierte Käfer Xi D arf eine neu entdeckte Käferart nach Chinas mächtigem Partei- und Staatschef Xi Jinping benannt werden? Ja, das ist eine außerordentliche Ehrerbietung und Lobpreisung, meint der chinesische Gastwissenschaftler Wang Cheng-Bin an der tschechischen Agraruniversität in Prag. Wang benannte deshalb die in der südchinesischen Provinz Hainan gefundene Käferart Rhyzodiastes (Temoana) xii in einem Artikel der zoologischen Fachzeitschrift Zootaxa Sie sahen den Staatschef zu einer Art Mistkäfer degradiert laut der Nachrichtenagentur AFP nach Chinas Präsident Xi Jinping „für seine Führung, die unser Mutterland stärker und stärker macht“. Der „äußerst seltene“ Käfer ernähre sich von „verrottetem Holz“ und sei damit eine Metapher für Chinas Präsidenten. Denn dieser sei eine ebenfalls sehr seltene Person. Seine massive Kampagne gegen Korruption sei wie das Fressen von Fäulnis und werde langfristig zum Verschwinden von Korruption führen. Doch Chinas Zensoren gefiel dieses große Lob überhaupt nicht. Sie sahen mit der Namensgebung ihren obersten Führer offenbar zu einer Art Mistkäfer degradiert. Wie die Nachrichtenseite China Digital Times am Montag berichtete, wiesen die chinesischen Zensurbehörden deshalb umgehend alle Medien und Internetdienste des Landes an, jede Erwähnung der Insektenart zu löschen. Die Zensoren ließen sich offenbar auch nicht von Wangs Beschreibung des seltenen Käfers umstimmen. Er habe einen „glänzenden Körper“, dessen Genitalbereich sich durch einen „moderat langen und an der schmalen Spitze gerundeten Stiel“ auszeichne. Wang reagierte mit Unverständnis auf die Entscheidung der Zensoren. „Hallo! Geliebter Präsident Xi! Das ist ein seltener Käfer! Der Name dieser Art wird für immer existieren! Eine unglaubliche Ehre!“, schrieb Wang an AFP. Vielleicht hätte er den Zensoren klarmachen sollen, dass nach dem 44. US-Präsidenten sogar eine Spinnenart, Apostidum barackobamai, benannt wurde. Aber so locker drauf sind Chinas KP-Kader selten. Vielleicht hätten die Zensoren statt eines Mistkäfers die Benennung einer schönen Blume nach Xi akzeptiert. Das haben selbst die sonst knallharten Nordkoreaner durchgehen lassen. Zum 46. Geburtstag des damaligen Führers Kim Jong Il nannte 1988 ein japanischer Botaniker eine von ihm gezüchtete Begonienart Kimjongilia. Bekanntlich sagte schon Mao: Lasst hundert Blumen blühen. SVEN HANSEN dem Start des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens hat die Europäische Union erst 798 von ursprünglich bis zu 18.000 erwarteten syrischen Flüchtlingen aus der Türkei aufgenommen. 294 der aufgenommenen Flüchtlinge kamen nach den von der EU-Kommission auf ihrer Internetseite veröffentlichten Zahlen nach Deutschland. Schweden liegt mit 264 aufgenommenen Syrern auf dem zweiten Platz in der Europäischen Union. Insgesamt sind im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens bis zum 5. Juli nur in zehn EU-Staa- ten syrische Flüchtlinge gekommen. Die Aufnahme von Syrern aus der Türkei ist ein Kernbestandteil des im März vereinbarten Abkommens. Die Türkei sicherte demnach zu, alle neu auf den griechischen Mittelmeerinseln ankommenden Flüchtlinge zurückzunehmen. Im Gegenzug verpflichtete sich die EU, für jeden so abgeschobenen Syrer einen anderen syrischen Flüchtling auf legalem Weg aufzunehmen. Den Zahlen der EU-Kommission zufolge sind bis Mitte Juni 468 Flüchtlinge aus Griechenland in die Türkei zurückgekehrt. (afp) ROM | Mindestens 20 Men- schen sind bei einem frontalen Zusammenstoß zweier Züge in Süditalien ums Leben gekommen. Vier schwebten in Lebensgefahr, sagte der Vizepräsident der betroffenen Provinz. Dutzende weitere wurden bei einem der schwersten Zugunglücke des Landes verletzt, darunter ein Kleinkind, das lebend geborgen wurde. Die Regionalzüge waren am Vormittag nördlich der süditalienischen Stadt Bari auf einer eingleisigen Strecke zwischen Corato und Andria zusammengestoßen. (dpa) DI E TAZ I M N ETZ WALFANG taz.de/twitter Kreuzfahrtfirmen meiden Färöer-Inseln taz.de/facebook HAGEN | Wegen des Walfangs auf taz.de/vimeo Folgen Liken Klicken www.taz.de den Färöer-Inseln fahren einige Kreuzfahrtunternehmen die Inselgruppe nicht mehr an. Aida (Rostock) und Hapag-Lloyd Cruises (Hamburg) hätten auf Aufforderung des Wal- und Delfinschutz-Forums zugesagt, ihre Anlandungen vorerst zu stoppen, teilte die Organisation mit. Tui Cruises (Hamburg) halte dagegen an seiner 2016 geplanten Anfahrt fest. Auf der zu Dänemark gehörenden Inselgruppe würden jährlich meist Hunderte Grindwale und andere Delfin arten getötet, hieß es. (epd) Überwachung leicht gemacht PRIVATSPHÄRE Persönliche Daten von Nutzern in die USA schicken? Das geht für Unternehmen ab sofort wieder ohne Aufwand. Und auch weitgehend ohne Kontrolle, kritisieren Verbraucherschützer VON SVENJA BERGT Unternehmen in Europa können ab sofort persönliche Daten von Nutzern wieder einfacher in die USA übertragen. Eine entsprechende Regelung, Privacy Shield, hat die EU-Kommission am Dienstag beschlossen. „Der Privacy Shield wird die transatlantische Wirtschaft stärken“, sagte Justizkommissarin Věra Jourová, die die Entscheidung gestern gemeinsam mit US-Staatssekretärin Penny Pritzker bekannt gab. Die Kommission hatte sich um eine neue Regelung zur Datenübermittlung bemüht, weil der Europäische Gerichtshof (EuGH) im vergangenen Herbst den Vorgänger, bekannt unter dem Namen Safe Harbor, gekippt hatte. Das Gericht kritisierte dabei vor allem zwei Punkte: Daten von europäischen Nutzern sind in den USA „Er wird die transatlantische Wirtschaft stärken“ EU-JUSTIZKOMMISSARIN VĚRA JOUROVÁ nicht vor der dortigen anlasslosen massenhaften Überwachung durch Geheimdienste geschützt. Und: Einen Rechtsweg, damit Nutzer gegen eventuellen Missbrauch vorgehen können, gab es nicht. Daten- und Verbraucherschützer sagen nun: Die aktuelle Vereinbarung ist nicht besser. Von einem PrivacySchwindel spricht die Bürgerrechtsorganisation EDRi, und Datenschützer Thilo Weichert kritisiert: „Beide Kritikpunkte des EuGH sind auch im Privacy Shield nicht behoben.“ So ist in der Vereinbarung etwa von „bulk collection“, Massensammlung, die Rede, die nur noch die Ausnahme sein soll, dafür gezielte Überwachung die Regel. „Es gibt die Zusage der US-Regierung, dass nur auf Daten zugegriffen wird, wenn es nötig und verhältnismäßig ist“, erklärte Kommissarin Jourová. Doch Datenschützern sind die Ausnahmen zu weit gefasst – und zu schwammig. Dass es um Belange der „nationalen Sicherheit“ geht, reicht aus. „Das massenhafte Sammeln von Daten europäischer Nutzer bleibt Wenn der Privacy Shield nicht hält, was er dem Namen nach verspricht, muss man sich selbst drum kümmern Foto: Gh. & M. David de Lossy/plainpicture „Europa muss Druck auf die USA machen“ VERUNSICHERUNG unter der neuen Vereinbarung möglich“, kritisiert die Bürgerrechtsorganisation Access Now. Nutzer, die sich beschweren wollen, wenn sie ein Unternehmen des Datenmissbrauchs verdächtigen, brauchen jedenfalls einen langen Atem. Der Jurist Max Schrems, der durch sein Vorgehen gegen Facebook letztlich Safe Harbor zu Fall brachte, hat untersucht, welchen Weg Nutzer im Beschwerdefall gehen müssen. Sein Ergebnis: Sie müssen sich mindestens durch sieben unterschiedliche Institutionen kämpfen. In der Wirtschaft zeigt man sich dagegen erleichtert. „Die deutsche Wirtschaft ist stark exportorientiert und die USA sind einer der wichtigsten Handelspartner“, sagt Susanne Dehmel vom Branchenverband Bitkom. Profitieren würden vor allem mittelständische Unternehmen. Sie sparen es sich, vertragliche Regelungen aufzusetzen oder sich das Okay der Nutzer für die Datenübermittlung einzuholen. Stattdessen können sie einfach aus einer Liste der US-Unternehmen, die sich nach dem Privacy Shield selbst zertifiziert haben, wählen. Ob die Freude lange hält, ist unklar. Daten- und Verbraucherschützer sind sicher, dass die Vereinbarung vor dem EuGH landen wird. „Der EuGH wird Nein sagen“, ist Datenschützer Thilo Weichert überzeugt. Ein bis anderthalb Jahre gibt er dem Privacy Shield, bis es ihm so geht wie seinem Vorgänger. Meinung + Diskussion SEITE 12 THEMA DES TAGES Die Vereinbarung macht es NutzerInnen schwer, ihre Rechte einzufordern, sagt der Grüne Jan Philipp Albrecht taz: Herr Albrecht, Sie sind bei Facebook, Twitter, das Betriebssystems Ihres Handys stammt von einem US-Anbieter, also werden jede Menge persönliche Daten von Ihnen in die USA übertragen – Angst? Jan Philipp Albrecht: Nicht unbedingt Angst. So richtig bewusst ist einem ja nicht, was die Konsequenzen von Datenmissbrauch sein können. Aber eine starke Verunsicherung ist schon da. Vor allem Verunsicherung, ob mit meinen Daten so umgegangen wird, wie ich das auch hier in Europa erwarten könnte. Die EU-Kommission sagt: Seit Dienstag müssen Sie nicht mehr vertrauen. Dann tritt das Privacy Shield in Kraft, das europäischen Unternehmen die Übermittlung von Nutzerdaten in die USA erleichtert, aber gleichzeitig Schutz vor Überwachung bieten soll. Einen Schutz vor Überwachung bietet es nicht. Im Vergleich zur Safe-Harbor-Vereinbarung, dem Vorgänger des Privacy Shield, der im vergangenen Jahr vom Europäischen Gerichtshof gekippt wurde, hat sich gar nicht so viel verändert. Es ist nur viel komplizierter geworden. Inwiefern? Zum Beispiel wenn Nutzer sich beschweren wollen. Dann werden sie erst zu einem Streitschlichtungsgremium ge- schickt, bevor sie sich bei der USWettbewerbsbehörde beschweren können. Und wenn sie es dorthin geschafft haben, brauchen sie einen Anwalt, der eine US-Zulassung hat. Das macht es für europäische Nutzerinnen und Nutzer unheimlich schwer, ihre Rechte einzufordern. Rechnen Sie damit, dass der EuGH auch diese Vereinbarung kippt? Es ist sehr wahrscheinlich, dass der EuGH das Privacy Shield kippt. Ich bin sicher, dass sich eine Datenschutzbehörde finden wird, die das Gericht zu einer entsprechenden Prüfung auffordert. Wahrscheinlich schneller, als es einigen lieb ist. Wie müsste ein Abkommen aussehen, das die Daten europäischer Nutzer wirklich schützen würde? Dafür müssten in den USA die wirklich vergleichbaren Datenschutzstandards gelten wie in Europa. Die US-Regierung müsste also neue Gesetze beschließen. Dazu gehört etwa, dass Daten nicht mehr anlasslos gesammelt werden dürfen. Und ganz wichtig: Es muss auf Bundesebene ein einheitliches Datenschutzrecht für Unternehmen geben. Halten Sie es für realistisch, dass die USA auf europäischen Druck Gesetze beschließen? Das ist gar nicht so unrealis- tisch, wie man meinen könnte. Schon 2012 haben die USA einen V orschlag für ein Datenschutzgesetz diskutiert – das ist leider im Kongress hängen geblieben. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ein solches Gesetz unter einer Clinton-Regierung tatsächlich realisiert wird. Aber dazu muss Europa weiter Druck machen. INTERVIEW SVENJA BERGT Jan Philipp Albrecht ■■33, sitzt seit 2009 für die Grünen im EU-Parlament. Foto: Fritz Schumann Schwerpunkt Bundeswehr M IT TWOCH, 13. JU LI 2016 TAZ.DI E TAGESZEITU NG 03 Mehr Führungsverantwortung, mehr Personal, mehr Waffen – vom Fokus auf die defensiven Aufgaben des Militärs bleibt wenig übrig „Vor allem ein PR-Produkt“ Ursachen werden ignoriert, sagt die Linke Christine Buchholz KRIEG Erster Arbeitstag eines 19-jährigen Matrosen bei der Marine: Die Bundeswehr sucht nach neuen Wegen, um mehr potenzielle Rekruten zu erreichen Foto: Frank Schinski/Ostkreuz Deutschland will „Impulsgeber“ sein WEISSBUCH Die Bundeswehr soll aufrüsten, häufiger ins Ausland und Führung übernehmen, vielleicht auch mit EU-Ausländern in ihren Reihen. So steht es in dem Grundlagenpapier, das das Kabinett heute beschließt VON PASCAL BEUCKER UND TOBIAS SCHULZE BERLIN taz | Es hat gedauert. Knapp anderthalb Jahre lang ließ das Verteidigungsminis terium über das neue Bundes wehrweißbuch diskutieren. Bür ger, Militärs, Wissenschaftler und Politiker durften auf Dut zenden Veranstaltungen über den Inhalt diskutieren. Damit handelt es sich bei dem Papier um „das erste sicherheitspoli tische Grundlagendokument Deutschlands, das auf einer in klusiven Beteiligungsphase auf baut“, wie es in den Vorbemer kungen heißt. Anzumerken ist das dem Do kument, das das Kabinett heute offiziell beschließen wird, aller dings nicht. Über weite Strecken liest sich das neue Weißbuch vielmehr wie eine Legitimati onsschrift: für neue Auslands einsätze der Bundeswehr und für den hohen Finanzbedarf von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Durchaus vorhandene Stimmen, die wei terhin für eine militärische Zu rückhaltung Deutschlands plä dieren, fanden dagegen kein Ge hör. Die „Dynamik unseres Sicher heitsumfelds“ habe „zu einem Anstieg der weltweiten Einsätze der Bundeswehr geführt“, heißt es in dem neuen Weißbuch – ganz so, als handle es sich um Naturgesetzmäßigkeiten und nicht um bewusste politische Entscheidungen der jeweiligen Bundesregierungen. Nun soll es angesichts des Konflikts mit Russland und dem Staatszerfall im Nahen Osten in die nächste Etappe gehen: „Deutschland ist bereit, sich früh, entschieden und substanziell als Impulsge ber in die internationale Debatte einzubringen, Verantwortung zu leben und Führung zu über nehmen.“ Anders als noch vor zehn Jahren will sich die Bun desrepublik nicht mehr damit zufriedengeben, nur „verlässli cher Partner“ in der EU und der Nato sein, mittlerweile formu liert sie einen „Gestaltungsan spruch“. Konkret mündet dieser An spruch in einer Reihe von Vor haben, die im bislang gültigen Weißbuch aus dem Jahr 2006 höchstens am Rande auftauch ten. So sei Deutschland zum Beispiel bereit, „Führungsver antwortung in VN-Missionen“ zu übernehmen und innerhalb der Nato als „Rahmennation“ zu wirken. Sprich: Die Deutschen leiten in Einsätzen ganze Ver bände, an die sich kleinere Part nerstaaten mit ihren Einheiten anschließen. Die Bundesregierung will al lerdings nicht nur Einsätze un ter dem Dach von UNO und Nato vorantreiben. Im Gegen teil: Deutschland will sich ver mehrt „an Ad-hoc-Kooperati onen beteiligen oder diese ge meinsam mit seinen Partnern initiieren“. Blaupause ist der Ein satz der von den USA geführten Militärkoalition gegen den IS, an der sich die Bundeswehr bereits beteiligt. Solche Allianzen sind flexibel: In ihnen können sich willige Staaten auch dann zu sammentun, wenn UNO und Nato einen Einsatz ablehnen. Auf bestimmte Kompeten zen beschränken soll sich die Bundeswehr für künftige Ein sätze nicht. Laut Weißbuch muss Deutschland „militärische Mit tel im gesamten Aufgaben- und Intensitätsspektrum“ vorhalten. Ein Schwerpunkt könnte in Zu kunft aber auf dem Konzept der „Ertüchtigung“ liegen, das sich durch das gesamte Dokument zieht. Dabei geht es um die „Be ratung, Ausbildung und Ausrüs tung“ von schwächeren Part nern – so wie derzeit im Nord irak, wo die Bundeswehr die Über weite Strecken liest sich das neue Weißbuch wie eine Legitimationsschrift für neue Auslands einsätze kurdischen Peschmerga-Kämp fer mit Waffen versorgt. Neben solchen Missionen im Ausland beschäftigt sich das Weißbuch am Rande auch noch mit Einsätzen im Inland. Forderungen aus der Union, sol che Einsätze durch eine Grund gesetzänderung zu erleichtern, konnte das Verteidigungsminis terium wegen Widerständen in der SPD nicht im Weißbuch un terbringen. Dafür hat sich die Koalition auf die Formulierung geeinigt, dass Inlandseinsätze grundsätzlich schon jetzt „auch bei terroristischen Großlagen in Betracht“ kämen. Was dieser Kompromiss für die Praxis be deutet, ist noch unklar. So oder so ergeben sich aus den gestiegenen Aufgaben aber kostspielige Konsequenzen. Im Weißbuch liest sich das so: „Die finanziellen Rahmenbedingun gen müssen es der Bundeswehr ermöglichen, ihr in Qualität und Quantität gewachsenes Aufga benspektrum und die bündnis politischen Anforderungen er füllen zu können.“ Denn derzeit sei die Truppe hinsichtlich ih rer Strukturen und Ressourcen „noch nicht in dem angestreb ten Umfang aufgestellt“. Erfor derlich sei, „Aufgabenspektrum und Ressourcenausstattung der Bundeswehr wieder in Einklang zu bringen“. Eine „Trendwende“ sei notwendig. Konkret bedeutet das: ein drastisch höherer Ver teidigungsetat, bessere Waffen und mehr Personal. Um die aktuellen Personal probleme zu lösen, will die Bun desregierung offenbar neue Wege gehen. So böte „die Öff nung der Bundeswehr für Bür gerinnen und Bürger der EU ein Regenerationspotenzial für die personelle Robustheit“. Sprich: Die Regierung will die Perso nallücken mit Ausländern fül len. Andere EU-Staaten setzen dieses Instrument bereits ein. Bekanntestes Beispiel ist die französische Fremdenlegion, die seit dem 19. Jahrhundert Ausländer in die Streitkräfte integriert. Neben dieser möglichen Öff nung der Bundeswehr verord net die Bundesregierung ih rer Armee ein „modernes Di versity Management“. Vielfalt und Chancengerechtigkeit mit Blick auf „ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder se xuelle Orientierung“ sollen gar Führungsaufgabe werden. Auch dadurch soll die Bundeswehr neue Rekruten erreichen. Während die Bundesregie rung der Diversity erstmals ein eigenes Kapitel widmet, ist ein anderes Leitbild endgültig aus dem Weißbuch verschwunden. „Die Bundesregierung betrach tet den Frieden als das höchste Gut“ – so ein Satz, wie er 1970 zu lesen war, findet sich heute nicht mehr. Nur noch vage ist von der „Förderung von Frieden“ die Rede, aufgeführt als eines von mehreren Zielen deutschen Re gierungshandelns, noch hinter der Wahrung des Wohlstands. Die ökonomischen Interessen werden wichtiger. Im Weißbuch 2006 wurde bereits als im Inte resse Deutschlands bezeichnet, den „freien Welthandel zu för dern und dabei die Kluft zwi schen armen und reichen Welt regionen überwinden zu hel fen“. Auch hier geht die Bundesre gierung jetzt weiter: Es wird nun explizit als „Auftrag der Bundes wehr“ definiert, zur Abwehr von Bedrohungen für „unsere freien und sicheren Welthandels- und Versorgungswege beizutragen“. Von der Überwindung der Kluft zwischen armen und reichen Weltregionen ist übrigens keine Rede mehr. Kommentar SEITE 1 taz: Frau Buchholz, was gefällt Ihnen am neuen Weißbuch? Christine Buchholz: Man kann das Weißbuch nur als Ganzes verstehen. Darin geht es um die Weißwaschung der eigenen militärischen Interessenpolitik, um Aufrüstung und um zukünf tige Kriege. Darin sehe ich kei nerlei positive Ansätze. Nicht mal, dass die Bundeswehr auf Diversity-Management setzen soll? Ich bin natürlich dafür, dass der Kampf gegen Diskriminierung, Rassismus und Sexismus auch in der Bundeswehr geführt wird. Diese Aspekte sollten aber eine Selbstverständlichkeit sein und nicht den Blick auf das grund legende Problem mit diesem Weißbuch verstellen: Es wird die Bundeswehr in neue mili tärische Auseinandersetzun gen führen. Die Bundesregierung stellt zunächst mal fest, dass die Welt unsicherer geworden ist und Deutschland reagieren muss. Ist das falsch? Wer darauf sinnvoll reagieren möchte, müsste zunächst die Ursachen für die neue Sicher heitslage analysieren. Dazu ge hört, dass die Entstehung des IS ohne den Irakkrieg nicht mög lich gewesen wäre. Die Regie rung ignoriert im Weißbuch aber sowohl diese als auch an dere kritische Fragen, zum Bei spiel nach Kampfdrohnen oder nach Posttraumatischen Belas tungsstörungen bei Soldatin nen und Soldaten. Ich sehe das Weißbuch daher als PR-Produkt. Die Regierung malt darin Bedro hungsszenarien an die Wand, um die Bereitschaft in der Be völkerung zu erhöhen, den Rüs tungsetat massiv zu erhöhen – und um die Rekrutierungspro bleme der Bundeswehr zu lösen. Die Regierung hält sich die Option von Bundeswehreinsätzen im Inneren offen. Gibt es Pläne in Ihrer Partei, dagegen zu klagen? Wir werden das Weißbuch genau analysieren und dann schauen, gegen welche Punkte wir Initi ativen starten. Dafür müssen wir es uns aber erst genau nach schauen und mit unseren Fach leuten sprechen. Und was passiert mit dem Weißbuch, falls die Linke ab 2017 mitregiert? Das Weißbuch ist ein weiteres Beispiel dafür, welche große Einigkeit es in sicherheitspoli tischen Fragen zwischen SPD und CDU gibt. Mit den Positio nen zur Aufrüstung, zu künfti gen Einsätzen und zur Nato ist es keine Grundlage, auf der die Linke regieren kann. INTERVIEW TOBIAS SCHULZE Christine Buchholz ■■45, ist Abgeordnete der Linken im Bundestag. Sie ist Mitglied des Verteidigungsausschusses und fordert das Ende von Auslands einsätzen und ein Verbot von Rüstungs exporten. Foto: Rolf Zöllner
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