Einführung zum Thema Internist 2016 · 57:401 DOI 10.1007/s00108-016-0061-7 Online publiziert: 27. April 2016 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 B. Salzberger1 · S. Schellong2 1 2 Stabsstelle Infektiologie, Universitätsklinikum Regensburg, Regensburg, Deutschland II. Medizinische Klinik, Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt, Dresden, Deutschland Medizin für Migranten Die vorliegende Ausgabe von Der Internist gibt einen Überblick über Erkrankungen bei Flüchtlingen, Asylbewerbern und Migranten und über deren medizinische Versorgung. Der Schwerpunkt war schon weit im Vorfeld geplant. Mit der Entwicklung in der zweiten Jahreshälfte 2015 konnte diese Planung dann aber kaum mehr Schritt halten. Die Ausgabe erscheint dennoch in engem zeitlichem Zusammenhang zur Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), auf der dieses Thema ebenfalls zum Schwerpunkt geworden ist. Deutschland ist kein klassisches Einwanderungsland wie die USA oder Kanada. Die gesetzlichen Regelungen für die häufig notfallmäßige Versorgung waren den Handelnden häufig nicht sofort geläufig und konnten auch nicht immer rasch vor der notwendigen Behandlung geklärt werden. Der Beitrag von P. Klein bringt Licht in die gesetzlichen Versorgungsregeln. Die Autorin beschreibt mögliche Versorgungsmodelle, die allerdings starke regionale Unterschiede aufweisen. Auch in der weiteren Versorgung stellen sich Fragen: Welche Infektionskrankheiten müssen vor der Unterbringung in Gemeinschaftseinrichtungen abgeklärt werden? Wie soll das geschehen? Das sind nur zwei Fragen von vielen. Die wichtigsten Infektionskrankheiten mit ihrem spezifischen geografischen Hintergrund werden von A. Stich dargestellt, die spezifische Situation von Kindern und Jugendlichen beleuchtet M. Hufnagel. Nach der notfallmäßigen Versorgung der akuten Probleme und dem Screening auf übertragbare Erkrankungen folgt die Versorgung von chronischen und nicht sofort behandlungsbedürftigen Erkran- kungen. Hierzu gehören sowohl psychische Erkrankungen, denen traumatische Erfahrungen im Heimatland oder auf der Flucht zugrunde liegen können, als auch Erkrankungen, die aufgrund der geografischen Herkunft bei Migranten häufiger sind als in der einheimischen Bevölkerung, z. B. Thalassämien. Die Thematik der psychischen Erkrankungen wird von J. Schellong et al. dargestellt, genetische Erkrankungen der Blutbildung im Beitrag von B. Zur. im Verständnis »vonUnterschiede Gesundheit und Krankheit die die Situation meistern halfen. Diese häufig ehrenamtliche und freiwillige, aber immer still und pragmatisch geleistete Hilfe droht im medialen Echo und der politischen Debatte in den Hintergrund zu geraten. Dabei ist sie die adäquate und professionelle Antwort unserer Berufsgruppe auf die aktuelle Herausforderung. B. Salzberger sind eine kulturelle Barriere Diese beiden Erkrankungsgruppen sind sicher nicht die einzigen, die in der nächsten Zeit in der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen und Migranten eine wichtige Rolle spielen. Nicht nur Krankheiten selbst, auch das Verständnis von Gesundheit und Krankheit ist kulturell geprägt, und Sprachschwierigkeiten erhöhen diese kulturellen Barrieren noch einmal. Hier müssen wir aufmerksam bleiben und entsprechend adäquate und niedrigschwellige Behandlungsangebote schaffen – nur so kann die Gesundheit dieser Menschen gesichert werden. Hierfür müssen wir auch eigene Regeln bzw. Leitlinien entwickeln. C. Rauscher stellt den Weg zu solchen Leitlinien am Beispiel von Publikationen der Kollegen aus den USA und Kanada dar. Die hohe Welle von Migranten und Flüchtlingen in den letzten Monaten hat unser Gesundheitssystem überrascht und beansprucht, aber nicht überrollt. Das ist dem raschen und intensiven Einsatz von medizinischem Personal und freiwilligen Helfern zu verdanken, S. Schellong Korrespondenzadresse Prof. Dr. med. B. Salzberger Stabsstelle Infektiologie, Universitätsklinikum Regensburg Franz-Josef-Strauß-Allee 11, 93042 Regensburg, Deutschland [email protected] Prof. Dr. med. S. Schellong II. Medizinische Klinik, Krankenhaus DresdenFriedrichstadt Friedrichstr. 41, 01067 Dresden, Deutschland [email protected] Interessenkonflikt. B. Salzberger und S. Schellong geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Der Internist 5 · 2016 401 Schwerpunkt: Medizin für Migranten Internist 2016 · 57:402–408 DOI 10.1007/s00108-016-0058-2 Online publiziert: 21. April 2016 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 Redaktion S.M. Schellong, Dresden B. Salzberger, Regensburg Es gibt wohl keinen Arzt in Deutschland, der in den letzten zwölf Monaten nicht direkt mit der Versorgung von Asylbewerbern konfrontiert war. Die Informationen, die dazu im Internet bereitstehen, sind vielfältig und oft so detailliert, dass eine wirkliche Orientierung nur mit einem großen Zeitaufwand möglich ist. Im vorliegenden Beitrag wird versucht, aus den vorhandenen Quellen herauszufiltern, was der Autorin für die tägliche Versorgungspraxis wichtig erscheint. Eingeflossen sind ihre praktischen ehrenamtlichen Erfahrungen als Allgemeinmedizinerin, aber auch die Absprachen und Vereinbarungen im Freistaat Sachsen, die sie als ärztliche Geschäftsführerin der Landesärztekammer Sachsen begleitet hat. Praktisch alle Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) haben auf ihren Internetseiten Informationen zur medizinischen Versorgung von Asylbewerbern bereitgestellt, die auf jeden Fall empfehlenswert sind. In der Regel wird man gezielt auf andere Seiten geleitet, die weiteres relevantes Material wie Anamnesebogen in vielen Sprachen, Aufklärungsmaterial oder Piktogramme zur Medikamenteneinnahme bereithalten und die Suche so vereinfachen. Ankommen in Deutschland Die meisten Flüchtlinge kommen über die bayerische Außengrenze nach Deutschland. Sie werden nach dem sog. Königssteiner Schlüssel, der aus den Steuereinnahmen und der Bevöl- 402 Der Internist 5 · 2016 P. Klein Sächsische Landesärztekammer, Dresden, Deutschland Asylbewerber und ihre Versorgungssituation kerungszahl berechnet wird, zunächst auf die Erstaufnahmeeinrichtungen der Bundesländer verteilt. Aus den Erstaufnahmeeinrichtungen werden die Flüchtlinge den Kommunen und kreisfreien Städten zugeteilt. Sie sollen nicht länger als 3 Monate in einer Erstaufnahmeeinrichtung bleiben. Familien mit kleinen Kindern werden in der Regel schneller einer Kommune oder einer kreisfreien Stadt zugeteilt als alleinstehende Erwachsene. Ein Drittel der Asylbewerber kam 2015 aus Syrien, im Januar 2016 war es sogar mehr als die Hälfte. Weitere häufige Herkunftsländer waren 2015 Albanien (12,2 %), der Kosovo (7,6 %), Afghanistan (7,1 %), der Irak (6,7 %) und Serbien (3,7 %). Zwei Drittel der Asylbewerber in 2015 waren Männer, davon war die Hälfte zwischen 19 und 35 Jahre alt. Ein Drittel der Asylbewerber waren Kinder unter 18 Jahre, nur 7 % waren älter als 45 Jahre (http://www.oecd-ilibrary.org/ content/datacollection/edu-data-en). Verlässliche Daten zum »Bildungsstatus der Asylbewerber gibt es derzeit nicht Es gibt keine verlässlichen Daten zum Bildungsstatus der Asylbewerber. Erst seit Oktober 2015 werden die Bildungsabschlüsse und beruflichen Qualifikationen in den Erstaufnahmeeinrichtungen erfasst. Untersuchungen der Organisation für wissenschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zur Schulbildung in 81 Ländern haben jedoch ergeben, dass das Bildungsniveau gerade in den Herkunftsländern Syrien und Al- banien in keiner Weise mit Deutschland zu vergleichen ist. Dort kommen jeweils nur um die 40 % über definierte Grundkompetenzen hinaus, in Deutschland liegt diese Quote bei 84 %. Inwieweitdas Bildungsniveau vonFlüchtlingen dem durchschnittlichen Niveau in ihren Herkunftsländern entspricht, kann allerdings nicht sicher beurteilt werden. Erstuntersuchung Möglichst direkt bei ihrer Registrierung oder in engem zeitlichem Bezug werden die Flüchtlinge ärztlich untersucht. Der Inhalt dieser Erstuntersuchung, die in der Regel vom Gesundheitsamt durchgeführt wird, differiert in den verschiedenen Bundesländern etwas, konzentriert sich aber immer auf den Ausschluss von übertragbaren Erkrankungen. Neben einer Anamneseerhebung erfolgt eine allgemeine ärztliche Untersuchung zum Nachweis oder Ausschluss von übertragbaren Krankheiten sowie von Ausscheidertum. Dazu gehören eine Röntgenuntersuchung der Lunge ab dem 16. Lebensjahr, ein Tuberkulintest bei Kindern und Schwangeren, den in der Regel das Gesundheitsamt abliest, und serologische Untersuchungen, die je nach Bundesland variieren. Bei entsprechender Anamnese oder Symptomatik sowie epidemiologischen Anhaltspunkten werden Stuhluntersuchungen oder weitere serologische Untersuchungen durchgeführt (s. auch Beitrag „Häufige Infektionskrankheiten bei Migranten“ von Stich in dieser Ausgabe). Problematisch ist, dass die weiterbehandelnden Ärzte (noch) nicht routinemäßig die Befunde der Erstuntersuchung Hier steht eine Anzeige. K Schwerpunkt: Medizin für Migranten einsehen können. Wenn es pathologische Ergebnisse gibt, die eine Weiterbehandlung erfordern bzw. infektiologisch relevant sind, benachrichtigt das Gesundheitsamt die Wohneinrichtung, und der Patient erhält einen Befund zur Übermittlung an die weiterbehandelnden Ärzte. Das Gesundheitsamt spricht dann in der Regel auch eine Verlegungssperre aus. Seit einigen Wochen erhalten Flüchtlinge bei ihrer Registrierung einen „Flüchtlingsausweis“, auf dem perspektivisch auch die Daten zur medizinischen Untersuchung gespeichert werden sollen. Über eine Datenbank sollen diese auch für alle zuständigen öffentlichen Stellen abrufbar sein. Robert Koch-Institut »siehtDasbisher keine erhöhte Infektionsgefahr für die Bevölkerung Das Robert Koch-Institut (RKI) stellt auf seiner Internetseite jeweils in der Mitte des Folgemonats die Monatsstatistik der übertragbaren Erkrankungen von Asylbewerbern bereit. Mit 428 Fällen waren im Januar 2016 Varizelleninfekte bei Asylbewerbern die häufigste meldepflichtige Erkrankung, gefolgt von 198 Tuberkulosefällen. Insgesamt wurden im Januar 1030 meldepflichtige Infektionskrankheiten bei Flüchtlingen berichtet. Das RKI sieht bisher keine erhöhte Infektionsgefahr für die Bevölkerung, wobei unkontrollierte Verlegungen von Flüchtlingen aus Erstaufnahmeeinrichtungen in die Kommunen oder auch das Untertauchen mancher Flüchtlinge das Risiko regional erhöhen können. Versorgung in Theorie und Praxis Die Versorgung von Flüchtlingen und Asylbewerbern ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Es gibt zum Beispiel Bundesländer, in denen die Asylbewerber während ihrer Unterbringung in einer Erstaufnahmeeinrichtung medizinisch durch neu aufgebaute Ver- 404 Der Internist 5 · 2016 sorgungsstrukturen versorgt werden und nicht durch die üblichen Strukturen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). In anderen Bundesländern sollen die Asylbewerber in die Regelversorgung integriert werden. Man muss sich also immer erkundigen, wie die Versorgung regional organisiert ist. Nur beispielhaft sollen die derzeitigen Strukturen in Sachsen beschrieben werden, wo sich in den letzten Monaten ein Mischsystem etabliert hat. Stationäre Fälle werden in den Krankenhäusern versorgt. Viele Kliniken bauen eigene Strukturen auf mit Flüchtlingslotsen, mehrsprachigen Informationsmaterialien oder Frühsprechstunden für Notfälle aus Erstaufnahmeeinrichtungen. Die Patienten sind eine andere Versorgung in Krankenhäusern gewohnt als bei uns üblich. Oft bedarf es großer praktischer Integrationsbemühungen. Absprachen mit den Trägern der Erstaufnahmeeinrichtungen vor Ort haben sich hier besonders bewährt, es gibt in Sachsen sogar einige Kliniken, deren Ärzte ehrenamtlich in Erstaufnahmeeinrichtungen regelmäßige Sprechstunden abhalten. Ambulant mit minimalem Aufwand gut behandelbare Erkrankungen wie Erkältungen, Hühneraugen oder Gelenkbeschwerden müssen auf diese Weise nicht in den Krankenhausambulanzen behandelt werden. Da in den Erstaufnahmeeinrichtungen immer Dolmetscher vor Ort sind, ist die Kommunikation mit den Patienten erheblich einfacher als oft beim Notfallkontakt in der Ambulanz. Ambulante Fälle werden in Sachsen in der vertragsärztlichen Versorgung behandelt. In den drei großen Städten Dresden, Leipzig und Chemnitz hat die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen dazu jeweils eine Flüchtlingsambulanz mit fest angestellten Ärzten eingerichtet, die tagsüber die Flüchtlinge versorgen. Unterstützt werden sie von den Sozialämtern und der Landesdirektion sowie von professionellen Dolmetschern. Zunehmend etabliert sich eine geordnete Zusammenarbeit mit Kliniken, niedergelassenen Fachärzten und Gesundheitsämtern. Die Gesundheitsämter nehmen in der Versorgung eine zentrale Stellung ein, da sie u. a. 4 die Erstuntersuchung einschließlich der Kontrollen durchführen, 4 die Unterbringungseinrichtungen überwachen, 4 die Anträge auf Kostenübernahme beurteilen und 4 teilweise die Impfungen der Flüchtlinge übernehmen. Die Kommunen haben in den letzten Jahren sehr viel Personal in den Gesundheitsämtern abgebaut. Daher kommt es zu erheblichen Belastungen, was man bei der Kommunikation mit den dortigen Kollegen berücksichtigen sollte. In vielen Erstaufnahmeeinrichtungen gibt es ehrenamtliche Sprechstunden, wobei es sich bewährt hat, für je 100 Flüchtlinge etwa 3 h Sprechstunde pro Woche vorzuhalten. Organisiert werden diese im Ehrenamt von niedergelassenen Kollegen, von Krankenhausärzten oder auch von berenteten Kollegen. Ärzte ohne eigene Praxis dürfen in Sachsen auf Grünen Rezepten Verordnungen tätigen. Die Medikamente werden kostenfrei an den Asylbewerber abgegeben, und die Landesdirektion bzw. das Sozialamt übernimmt die Kosten. Voraussetzung dafür ist jedoch zusätzlich immer eine Vereinbarung zwischen der Landesdirektion und der abgebenden Apotheke, die in der Regel in direkter Nähe der jeweiligen Erstaufnahmeeinrichtung liegt. Das Asylbewerberleistungsgesetz Entsprechend ihrem Stand im Asylverfahren unterscheidet man zwischen Asylsuchenden, Asylbewerbern, Asylberechtigten sowie Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz. Bis auf Asylberechtigte ist allen die Tatsache gemeinsam, dass sie nicht in einer gesetzlichen Krankenkasse versichert sind, sondern nach den Regeln des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) versorgt werden. So lange Asylbewerber in einer Erstaufnahmeeinrichtung bzw. in Gemeinschaftsunterkünften der Kommunen oder kreisfreien Städte untergebracht sind, erhalten sie das, was sie für das täg- Zusammenfassung · Abstract liche Leben brauchen, als Sachleistung. Dazu gehören 4 die sog. Grundleistungen: j Essen, j Unterkunft, j Kleidung, j Gesundheits- und Körperpflege, j Haushaltswaren; 4 ein Taschengeld (für Alleinstehende z. B. maximal 135 € monatlich); 4 medizinische Leistungen und 4 weitere Leistungen im Einzelfall. Während des Aufenthalts in einer Erstaufnahmeeinrichtung werden die entstehenden Kosten vom Land getragen, also beispielsweise in Sachsen von der Landesdirektion. Eventuell notwendige Kostenzusagen müssen also bei der Landesdirektion beantragt werden. Ist ein Flüchtling schon einer Kommune bzw. einer kreisfreien Stadt zugewiesen worden, trägt die Kosten das zuständige Sozialamt, das dann auch für die Kostenzusagen zuständig ist. Die Liste mit den entsprechenden Kostenträgernummern findet man auf der Internetseite der jeweiligen Landes-KV. In manchen Bundesländern gibt es Vereinbarungen mit Krankenkassen zur Abwicklung der Abrechnung, auch diese findet man auf den KVSeiten. Was an medizinischen Leistungen übernommen wird, regeln §§ 4 und 6 AsylbLG: § 4 Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt (1) Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren. Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist. (2) Werdenden Müttern und Wöchnerinnen sind ärztliche und pflegerische Hilfe und Betreuung, Hebammenhilfe, Arznei-, Verband- und Heilmittel zu gewähren. Internist 2016 · 57:402–408 DOI 10.1007/s00108-016-0058-2 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 P. Klein Asylbewerber und ihre Versorgungssituation Zusammenfassung Die medizinische Versorgung von geflüchteten Menschen ist in Deutschland gesetzlich stark reguliert. Die regional sehr unterschiedliche Umsetzung stellt derzeit aber eine große Herausforderung dar. Die spezifischen lokalen Regelungen sind den Handelnden oft nicht im Detail bekannt, im Notfall können sie häufig nicht rasch geklärt werden. Die medizinische Versorgung während der Flüchtlingswelle im Sommer und Herbst 2015 wäre ohne einen pragmatischen und größtenteils ehrenamtlichen Einsatz von medizinischem Personal gar nicht möglich gewesen. Im vorliegenden Beitrag werden die wichtigsten Formalien der Asylbewerberversorgung aufgezeigt. Im Fokus steht dabei die medizinische Versorgung. Da jedoch das Asylverfahren als solches die gesundheitliche Situation der Flüchtlinge direkt oder indirekt beeinflussen kann bzw. muss, wird auch darauf kurz eingegangen. Schlüsselwörter Akute Erkrankung · Chronische Erkrankung · Schmerzbehandlung · Notfallversorgung · Flüchtlinge Asylum seekers and the healthcare situation Abstract Medical healthcare for refugees is strictly regulated by law in Germany but the great regional variation in the implementation is currently a huge challenge for healthcare providers. Providers are often not familiar with the specific local regulations and especially in emergencies it is often not possible to clarify open questions before treating patients. The high influx of refugees in the summer and fall of 2015 led to a situation that could only be managed with the voluntary and pragmatic help of all healthcare personnel involved. This (3) Die zuständige Behörde stellt die ärztliche und zahnärztliche Versorgung einschließlich der amtlich empfohlenen Schutzimpfungen und medizinisch gebotenen Vorsorgeuntersuchungen sicher. Soweit die Leistungen durch niedergelassene Ärzte oder Zahnärzte erfolgen, richtet sich die Vergütung nach den am Ort der Niederlassung des Arztes oder Zahnarztes geltenden Verträgen nach § 72 Abs. 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch. Die zuständige Behörde bestimmt, welcher Vertrag Anwendung findet. § 6 Sonstige Leistungen (1) Sonstige Leistungen können insbesondere gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerlässlich, article explains the most relevant regulations covering medical healthcare for refugees and asylum seekers. In addition, the procedure for the approval of asylum status in itself can have a direct or indirect impact on the health status of these individuals; therefore, some comments are made regarding this aspect. Keywords Acute disease · Chronic disease · Pain management · Emergency treatment · Refugees zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten oder zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht erforderlich sind. Die Leistungen sind als Sachleistungen, bei Vorliegen besonderer Umstände als Geldleistung zu gewähren. (2) Personen, die eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes besitzen und die besondere Bedürfnisse haben, wie beispielsweise unbegleitete Minderjährige oder Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, wird die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe gewährt. Der Internist 5 · 2016 405 Schwerpunkt: Medizin für Migranten Weiterführende Informationen. 4 Die Bundesregierung stellt unter https://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Themen/ 4 4 4 4 4 4 4 4 Fluechtlings-Asylpolitik/4-FAQ/_node.html?id=GlossarEntry1671934 aktuelle Informationen zur Flüchtlingssituation bereit. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellt ebenfalls regelmäßig aktualisierte Informationen bereit: http://www.bamf.de/DE/Migration/AsylFluechtlinge/Asylverfahren/ Asylbewerberleistungen/asylbewerberleistungen-node.html Viele Informationen dieses Beitrags finden Sie auch unter http://www.asylinfo.sachsen.de/. In jedem Bundesland gibt es einen Flüchtlingsrat, unter http://www.fluechtlingsrat.de finden sich die Kontaktdaten. Das Robert Koch-Institut hat Mindestanforderungen für die Erstaufnahmeuntersuchungen empfohlen, an die sich die Bundesländer halten: https://www.rki.de/DE/Content/ Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GesundAZ/Content/A/Asylsuchende/ Inhalt/Erstaufnahmeuntersuchung.pdf?__blob=publicationFile Viele Inhalte dieses Beitrags und weitere praktische Instrumente, die für Ärzte relevant sind, hat die Sächsische Landesärztekammer als FAQ-Liste ins Internet gestellt: http://www.slaek.de/de/ 04/pressemitteilungen/2015/070-behandl_Asyl.php. Solche Informationsbereiche zum Thema Asyl haben praktisch alle Landesärztekammern. Da die ambulante Versorgung in den Bundesländern sehr stark differiert, stellen alle Kassenärztlichen Vereinigungen gezielt Informationen dazu ins Internet. Exemplarisch sei hier nur der Link der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen genannt, die auf ihrer Startseite eine sehr straffe und informative FAQ-Liste zur Versorgung in Niedersachsen veröffentlicht hat: http://www.kvn.de Die Expertenkommission zur Neuausrichtung der Flüchtlingspolitik der Robert Bosch Stiftung hat aktuell ein sehr interessantes Themendossier bereitgestellt. Es trägt den Titel „Zugang zu Gesundheitsleistungen und Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge und Asylbewerber: Von der Erstversorgung bis zur psychosozialen Behandlung“ (http://www.bosch-stiftung.de, unter „Publikationen“). In der Onlinebibliothek MEDBOX (http://www.medbox.org) finden sich eine Vielzahl wichtiger Dokumente und Informationen bezüglich weltweit relevanter Gesundheitsinformationen. In der Toolbox „Refugees“ wurde eine Sammlung relevanter und mehrsprachiger Informationsund Unterstützungsmaterialien rund um das gesamte Thema der Flüchtlingsversorgung zusammengestellt. Konsequenzen aus den §§ 4 und 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes Mit diesen beiden Paragrafen ist der Arzt in der Versorgung von Asylsuchenden sowohl im Krankenhaus als auch in der Arztpraxis und in ehrenamtlichen Einrichtungen weitgehend auf sich allein gestellt. Einen breiten Konsens gibt es allerdings zu folgenden Aussagen: 4 Im akuten Notfall kann behandelt werden. 4 Wenn der Patient Schmerzen hat, kann er ebenfalls behandelt werden. 4 Schwangere und Wöchnerinnen werden so versorgt, wie in der GKV üblich. Bei der Interpretation der beiden Paragrafen helfen am ehesten gesunder Menschenverstand und eine ärztlich-ethische Grundeinstellung. Ob beides im Umgang mit den Kostenträgern hilft, bleibt dahingestellt. 406 Der Internist 5 · 2016 Behandlungsscheine und Kostenzusage Eine Absicherung, dass eine Leistung erbracht werden darf, bietet außerhalb des klassischen Notfalls nur eine schriftliche Kostenzusage des Kostenträgers, also des entsprechenden Sozialamts oder des Landes. Kostenzusagen werden mit formlosen Kurzberichten beantragt, wobei diese in der Regel den Ärzten im Gesundheitsamt vorgelegt und nicht auf Sachbearbeiterebene geprüft werden. Interpretationshilfe zum Asylbewerberleistungsgesetz Divergierende Auslegungen und konkrete Anfragen von ärztlichen Kollegen, ob beispielsweise Haartransplantationen oder künstliche Befruchtungen nach AsylbLG abgerechnet werden können, haben zumindest in Sachsen dazu geführt, dass sich das Sozialministerium, das Innenministerium, das Integrationsministerium, die Landesdirektion, die Krankenhausgesellschaft, die KV und die Landesärztekammer auf eine Interpretationshilfe verständigt haben. Basis waren die Erfahrungen in der Flüchtlingsversorgung des zweiten Halbjahrs 2015. Im Weiteren wird auf diese Interpretationshilfe Bezug genommen. Medikamentenverordnungen Zu jeder Behandlung muss der Patient einen Behandlungsschein mitbringen. Nur im Notfall kann er ohne diesen untersucht und therapiert werden, in der Regel muss aber auch bei Notfällen nachträglich ein Behandlungsschein angefordert werden. Werden Überweisungen notwendig, müssen weitere Behandlungsscheine ausgefüllt werden. In der Regel werden die Behandlungsscheine von den Erstaufnahmeeinrichtungen mitgegeben, oft ist das Personal dort sogar autorisiert, diese auszufüllen. Auch bei Vorliegen eines »Behandlungsscheins gelten die Einschränkungen des AsylbLG Behandlungsscheine sagen nichts darüber aus, welche Leistungen erbracht werden dürfen. Man bleibt immer an die Einschränkungen des AsylbLG gebunden. Praktisch in allen Bundesländern wird auch für Asylbewerber auf die Arzneimittelrichtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses einschließlich ihrer Anlagen als Richtschnur für die Verordnungen verwiesen. Auch wenn diese Richtlinie streng genommen nur für GKVVersicherte gilt, ist es sinnvoll, ihre Regeln auch bei Asylbewerbern einzuhalten. Dies ist besonders für ehrenamtlich tätige Ärzte aus Krankenhäusern wichtig, da hier die Arzneimittelrichtlinie weitgehend unbekannt ist. Heil- und Hilfsmittel Im Nachgang zu Operationen bzw. stationären Aufenthalten ist die Verordnung von Heil- und Hilfsmitteln unkompliziert möglich. In allen anderen Fällen sollte eine Kostenzusage eingeholt werden, insbesondere bei Hörgeräten und Brillen. In Sachsen gibt es die Absprache, dass die Verordnung von Massagen, Bädern und Thermotherapien nicht vom AsylbLG abgedeckt ist. Chronische Erkrankungen Das größte Problem ist die Frage, ob und wenn ja wann chronische Erkrankungen behandelt werden dürfen. Die Behandlung chronischer Erkrankungen, die unbehandelt immer zu einem Notfall werden, ist durch § 4 AsylbLG abgedeckt. Insbesondere zu nennen sind in diesem Zusammenhang die Hypertonie, die Niereninsuffizienz, der Diabetes mellitus und die koronare Herzkrankheit. Bei diesen Erkrankungen ist immer eine kontinuierliche Behandlung geboten. Eine Teilnahme an Disease-Management-Programmen oder eine präventive Diagnostik ist nur schwer mit dem AsylbLG in Einklang zu bringen, hier sollte man in jedem Fall entweder eine Kostenzusage einholen oder abwarten, bis das Asylverfahren abgeschlossen ist. Hier steht eine Anzeige. K Stationäre Einweisungen Notfallmäßige stationäre Einweisungen sind ohne vorherige Kostenzusage möglich. Das aufnehmende Krankenhaus muss jedoch – wie auch bei GKVVersicherten – im Nachgang eine Kostenzusage einholen. Elektive Einweisungen benötigen immer das vorherige Einholen einer Kostenzusage. Gerade bei elektiven Operationen (Struma, Cholezystolithiasis, Herzkatheter) sollte in der Begründung für die Behandlung ein Bezug zum § 4 AsylbLG (Akutfall oder Schmerzbehandlung) oder zu mindestens zum § 6 „Sonstige Leistungen, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich sind“ hergestellt werden. Dolmetscher Dolmetscherleistungen sind in § 6 Abs. 1 des AsylbLG eingeschlossen: „Sonstige Leistungen können insbesondere gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerlässlich . . . sind.“ Sie sind ebenfalls beim Kostenträger zu beantragen und müssen in der Regel als „unerlässlich zur Sicherung der Gesundheit“ begründet werden. Aufgrund des derzeitigen Dolmetschermangels gilt es von Fall zu Fall abzuwägen, ob man einen Antrag stellen muss oder ob man sich mit anderen Mitteln behelfen kann, so etwa mit Angehörigen, mehrsprachigen Anamnesebogen oder Piktogrammen. Auch die Nutzung von Internetdolmetscherdiensten hat sich inzwischen vielerorts erfolgreich etabliert. Haftung Für Ärzte, die beispielsweise in Erstaufnahmeeinrichtungen ehrenamtlich arbeiten, stellt sich immer wieder die Frage, wer bei Behandlungsfehlern haftet. Diese Frage hat das Gesundheitsministerium in Nordrhein-Westfalen geklärt: Nach dessen Beurteilung ist eine primäre Haftung Schwerpunkt: Medizin für Migranten des Landes im Wege der Staatshaftung gegeben. Nach Auswertung der aktuellen Rechtsprechung kommt es dabei auf die Zahlung einer Vergütung für die ärztliche Tätigkeit nicht an, wenn ansonsten die Voraussetzungen der Amtshaftung gegeben sind. Eine Rückgriffsmöglichkeit des Landes auf den Arzt besteht nur bei grober Fahrlässigkeit und Vorsatz. Hier ist dann die Berufshaftpflichtversicherung des Arztes von Bedeutung. Daher sollte jeder Arzt bei der eigenen Berufshaftpflichtversicherung nachfragen, ob dies abgedeckt ist und auch die Behandlung von Flüchtlingen beinhaltet. Da die Beurteilung des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums bundesweite Bedeutung hat, hat sie die Bundesärztekammer im Internet zur Verfügung gestellt. Schwangerschaftsabbrüche Auch wenn dies für Internisten eine Rarität sein wird, soll kurz darauf verwiesen werden, dass der Schwangerschaftsabbruch einer anderen Gesetzgebung unterliegt, nämlich dem Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG). Hier gibt es eine spezielle Regelung für Asylbewerberinnen. Die Schwangere sollte direkt zu einer Beratungsstelle geschickt werden, denn die Beratungsstellen sind bestens mit dem Verfahren vertraut. Die Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs werden bei Asylbewerberinnen in der Regel übernommen, auch dies ist im SchKG festgelegt. Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen Gerade in Anbetracht von Vertreibung und Flucht spielen psychiatrische Störungen wie Suchterkrankungen, das posttraumatische Belastungssyndrom, Depressionen und auch psychosomatische Erkrankungen eine große Rolle bei Asylsuchenden (s. Beitrag von Schellong in dieser Ausgabe). Eine Behandlung ist ausgesprochen schwierig, da gerade in der Anfangszeit die Unterbringung in den Erstaufnahmeeinrichtungen eine therapeutische Intervention erschwert. Hinzu kommt die Tatsache, dass es nur wenige muttersprachliche Thera- 408 Der Internist 5 · 2016 peuten gibt und die Einschaltung eines Dolmetschers das therapeutische Setting beeinflusst. Wichtig ist immer eine vorab einzuholende Kostenzusage. Die Behandlung sollte möglichst in einer Einrichtung erfolgen, die auf traumatisierte Asylbewerber spezialisiert ist. Ausgeschlossene Leistungen Es gibt selbstverständlich Leistungen, bei denen man selbst mit viel ärztlicher Kreativität keinen Bezug zum AsylbLG finden kann – das AsylbLG deckt primär nur eine Versorgung im Akutfall und bei Schmerzen ab. Leistungen ohne Bezug reichen von Septumkorrekturen über Lesebrillen und die Versorgung der Altersschwerhörigkeit mit einem Hörgerät bis zu Hormontherapien im Rahmen der Fertilisationsbehandlung. Dies steht im Gegensatz zu den Informationen, die die Asylbewerber haben, nämlich dass in Deutschland umstandslos alles bezahlt wird. Es werden also Ärzte Kostenzusagen für Behandlungen beantragen und andere Ärzte werden die Kostenzusage eventuell ablehnen. Letztendlich wird es auch hier sein wie bei den GKV-Versicherten: Erst der Gang vor das Sozialgericht kann klären, welche Leistungen tatsächlich ausgeschlossen sind. Fazit für die Praxis 4 Die wesentlichen Belange der medizi- nischen Versorgung von Flüchtlingen sind im Asylbewerberleistungsgesetz geregelt. 4 Für die Gewährung einzelner Leistungen gibt es einen Interpretationsspielraum, der im Einzelfall mit den jeweiligen Kostenträgern (Land, Sozialamt) auszuloten ist. 4 Neben den bundeseinheitlichen Regelungen gibt es einige für die Bundesländer spezifische Regelungen, insbesondere bezüglich der Versorgungsstrukturen und Zuständigkeiten. Darüber hinaus finden sich regionale und lokale Besonderheiten in der Zusammenarbeit und Netzwerkbildung. 4 Inzwischen existiert eine Fülle von Hilfsmitteln für den alltäglichen Gebrauch, die von den zuständi- gen Institutionen oder von freien Initiativen zur Verfügung gestellt werden. Korrespondenzadresse Dr. P. Klein Sächsische Landesärztekammer Schützenhöhe 16, 01099 Dresden, Deutschland [email protected] Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt. P. Klein gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren. Schwerpunkt: Medizin für Migranten Internist 2016 · 57:409–415 DOI 10.1007/s00108-016-0057-3 Online publiziert: 3. Mai 2016 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 Redaktion S.M. Schellong, Dresden B. Salzberger, Regensburg Migranten in Deutschland – eine Infektionsgefahr? Flüchtlinge und Asylbewerber, oft auch generell Fremde und Ausländer, werden nicht selten als Bedrohung wahrgenommen, insbesondere was die Gefahr der „Einschleppung gefährlicher Krankheiten“ angeht. Die entscheidende Erkenntnis all derjenigen, die auf dem Feld der Migrantenmedizin tätig sind, lautet hingegen: Flüchtlinge sind nicht gefährlich, sie sind gefährdet! Auch wenn in dieser Patientengruppe der Anteil an Infektionskrankheiten oder die Besiedlung durch potenziell hochresistente Erreger höher ist als in der durchschnittlichen deutschen Bevölkerung, ist die Gefahr einer Ansteckung für deutsche Mitbürger sehr gering [1]. Allerdings bedingen die Lebensbedingungen von Geflüchteten, die hygienisch oftmals zweifelhaften Not- und Massenunterkünfte, der geringe Lebensraum für Familien, der schlechtere Zugang zu einer präventiven und kurativen medizinischen Versorgung sowie ein anderes Risikoverständnis für die Gefahren von Infektionen ein erhöhtes Krankheitsrisiko. Wird Gesundheitsfürsorge im richtigen Sinne verstanden, erzwingt sie deshalb ein Umdenken: weg von einer Politik des Screenings und Abschirmens hin zur Verbesserung des niederschwelligen Zugangs zu einer umfassenden, den jeweiligen Bedürfnissen angepassten Gesundheitsversorgung. Die Realisierung erweist sich schon jetzt als eine der größten Herausforderungen für unser Gesundheitssystem in den nächsten Jahren. A. Stich Tropenmedizinische Abteilung, Missionsärztliche Klinik, Würzburg, Deutschland Häufige Infektionskrankheiten bei Migranten Erstkontakt mit Flüchtlingen Ektoparasiten Flüchtlinge kommen auf vielen Wegen nach Deutschland. Das Asylverfahrensgesetz und Asylbewerberleistungsgesetz sowie deren regional unterschiedlichen Durchführungsbestimmungen sehen verschiedene Kontaktmöglichkeiten zwischen Flüchtlingen und dem medizinischen Versorgungssystem vor. Beim ersten Kontakt soll sofort eine medizinische Inaugenscheinnahme bzw. Erstsichtung erfolgen, bei der akut behandlungsbedürftige Gesundheitsprobleme erkannt werden sollen. Sie wird nicht zwangsläufig von Ärzten vorgenommen, auch Mitarbeiter der Rettungsdienste und medizinisches Fachpersonal gelten als geeignet. Ein besonderes Augenmerk liegt bereits zu diesem frühen Zeitpunkt auf der Erkennung von Ektoparasiten, da die Betroffenen anschließend in aller Regel in eine Massenunterkunft überstellt werden sollen. Immer wieder werden Kopfläuse (Pediculus humanus capitis) entdeckt, nachgewiesen werden sie meist anhand der weißlichen, nicht abstreifbaren Nissen am Haaransatz und anhand der typischen Kratzspuren am Hinterhaupt und retroaurikulär. Die Therapie besteht in der Gabe von insektizidhaltigen Externa. Der Befall mit der 0,3–0,5 mm großen Krätzmilbe Sarcoptes scabiei variatio hominis ist inzwischen eine sehr häufige Diagnose bei neu in Deutschland angekommenen Flüchtlingen – ein Resultat ihrer desolaten Unterbringung auf den verschiedenen Fluchtrouten. Die Übertragung erfolgt durch engen direkten Körperkontakt. Die indirekte Übertragung über Textilien spielt nur eine unwesentliche Rolle. Leitsymptome sind heftiger Juckreiz, der sich unter der warmen Bettdecke in der Nacht verstärkt, und stecknadelgroße Vesikel, erythematöse Papeln und Pusteln an den Prädilektionsstellen: den Interdigitalfalten, Axillarregionen, Brustwarzenhöfen, dem Nabel, Penisschaft und der Perianalregion (. Abb. 1). Durch Kratzeffekte, Verkrustung und Impetiginisierung entsteht ein vielfältiges morphologisches Bild, das diverse Hauterkrankungen imitieren kann. Besteht eine Skabies über längere Zeit, können Primär- und Sekundäreffloreszenzen nebeneinander vorhanden sein. Der Erstkontakt mit neu »ankommenden Flüchtlingen erfordert hygienische Basismaßnahmen Vielfach besteht bereits hier große Unsicherheit und manchmal auch eine große Sorge der Beteiligten vor ansteckenden Krankheiten. Der Erstkontakt mit neu ankommenden Flüchtlingen erfordert keine spezielle Schutzkleidung, wohl aber die Beachtung hygienischer Basismaßnahmen. Patienten mit Fieber, Ausschlag (insbesondere Windpocken und Masern) und schweren Behinderungen sollen so früh wie möglich erkannt und sofort einer Behandlung sowie ggf. Isolation zugeführt werden. Der Internist 5 · 2016 409 Schwerpunkt: Medizin für Migranten Abb. 1 8 Skabies mit typischem interdigitalem Befallsmuster Abb. 2 8 Klassischer Befund bei Lymphknotentuberkulose Die Therapie der Skabies kann topisch oder systemisch erfolgen. Eine international akzeptierte einheitliche Therapieempfehlung existiert nicht [2]. Therapeutikum der Wahl ist 5 %ige Permethrin-Creme. Mit Ausnahme des Kopfs wird die Creme sorgfältig auf dem gesamten Integument verteilt. Optimal ist die abendliche Auftragung, am nächsten Morgen wird die Creme dann mit Seife abgewaschen. Schleimhäute an Körperöffnungen müssen sorgfältig ausgespart werden. Meist ist eine einmalige Applikation ausreichend. Bestehen 2 Wochen nach der Erstapplikation noch klinische Zeichen einer aktiven Infestation, z. B. neue Papeln oder neu entdeckte Milbengänge, sollte die Behandlung wiederholt werden. international einheit»licheEineTherapieempfehlung in Bezug auf Skabies existiert nicht Eine Alternative ist die systemische Therapie mit Ivermectin in einer Dosierung von 200 μg/kgKG. Ivermectin ist ein Breitspektrumanthelminthikum, das auch auf humanpathogene Insekten und Milben wirkt. Eine Kontraindikation besteht bei Schwangeren sowie bei Kindern mit einem Körpergewicht < 15 kg. Die Therapie sollte nach 7–10 Tagen wiederholt werden. Ivermectin ist in Deutschland noch nicht zugelassen und muss durch eine Apotheke aus dem Ausland importiert werden. 410 Der Internist 5 · 2016 Die Kontrolle von Krätzeepidemien in Not- und Gemeinschaftsunterkünften ist eine erhebliche Herausforderung. Manchmal lässt sie sich nur bewältigen, wenn alle Betroffenen einer Wohngemeinschaft oder Unterkunft zeitgleich behandelt werden (Massenchemotherapie mit Ivermectin). geteilt. Oft gehen Befunde im Rahmen der Umverteilungen von Flüchtlingen verloren. Ein einheitliches Dokumentationssystem existiert nicht. Eine individualmedizinische Untersuchung oder gar die Durchführung von Impfungen ist nicht Bestandteil des Verfahrens. Tuberkulose „Seuchenschutzuntersuchung“ Bei allen in Deutschland registrierten Flüchtlingen ist nach § 62 des Asylverfahrensgesetzes eine medizinische Untersuchung in den ersten 3 Tagen vorgesehen. Ihr Ziel ist die Erkennung ansteckender Krankheiten. Die Durchführung obliegt den örtlichen Gesundheitsbehörden und ist in jedem Bundesland unterschiedlich geregelt. Im Vordergrund steht überall die Erstellung eines Röntgenbilds des Thorax, oft erfolgt ergänzend eine Blut-, manchmal auch eine Stuhluntersuchung. In Bayern wird ein umfangreiches Programm abgewickelt, das einen Human-immunodeficiencyvirus(HIV)-Test, eine Hepatitis- und Luesserologie sowie eine mikrobiologische Stuhluntersuchung umfasst; bis vor Kurzem war auch eine parasitologische Stuhluntersuchung inbegriffen. In den nördlichen Bundesländern wird dagegen auf all diese Labortests komplett verzichtet. Das Ergebnis der Untersuchungen wird zwar zentral erfasst, den Betroffenen aber – wenn überhaupt – nur im Falle von pathologischen Werten mit- In den letzten Jahren ist die Zahl neu registrierter Tuberkuloseerkrankungen in Deutschland nach Jahren des steten Rückgangs wieder gestiegen. Einziger Grund ist die Zuwanderung. Hierzulande haben inzwischen deutlich über 50 % der Patienten mit neu diagnostizierter Tuberkulose einen Migrationshintergrund [3]. Die Tuberkulose ist bei ausländischen Patienten also viel häufiger zu erwarten als bei deutschen. Als besondere Risikogruppe gelten generell Flüchtlinge, die deshalb zwingend einer Screeninguntersuchung unterworfen werden müssen. Die rasche Durchführung einer Thoraxröntgenaufnahme soll der frühzeitigen Erfassung einer offenen Lungentuberkulose dienen, bei Schwangeren und Personen unter 16 Jahren wird alternativ der Tuberkulinhauttest (THT) oder ein immunologisches Verfahren („interferon-γ release assay“ [IGRA]) eingesetzt. Dieses Vorgehen erfasst aber nur einen Teil der behandlungsbedürftigen Tuberkuloseerkrankungen und wird deshalb in seiner Bedeutung allgemein überschätzt. Folgende Probleme tauchen auf: Zusammenfassung · Abstract 4 Es gibt nicht den Röntgenbefund, der 4 4 4 4 beweisend für eine Lungentuberkulose wäre. Die Tuberkulose hat viele Gesichter. Umgekehrt schließt auch eine unauffällige Röntgenaufnahme des Thorax eine ansteckungsfähige Tuberkulose nicht aus, z. B. bei Larynx- oder Bronchialtuberkulose. THT und IGRA können eine große Zahl von falsch-negativen und falschpositiven Ergebnissen liefern. Abgesehen von methodischen Fehlern, die bei beiden Testmethoden relativ häufig vorkommen, gibt das Testresultat lediglich Hinweise auf die Stärke der immunologischen Auseinandersetzung mit dem Tuberkulinantigen. Immunsupprimierte Patienten können trotz einer hochfloriden Tuberkuloseerkrankung einen negativen Befund aufweisen, ebenso können Gesunde nach BacillusCalmette-Guérin(BCG)-Impfung oder Kontakt mit nichttuberkulösen Mykobakterien positiv reagieren. Ein positives Testergebnis kann also lediglich als Hinweis auf eine latente Tuberkulose gewertet werden, die mit einem je nach Grundstatus des Patienten unterschiedlichen Risiko der späteren Entwicklung einer Tuberkuloseerkrankung assoziiert ist. Einem Screening, dass sich nur auf die pulmonale Tuberkulose konzentriert, entgehen alle extrapulmonalen Formen, die bei Migranten etwa die Hälfte aller Tuberkuloseerkrankungen ausmachen (. Abb. 2; [4]). Eine sog. Screeninguntersuchung kann immer nur eine Momentaufnahme sein. Wenn die Tuberkuloseinfektion in den erbärmlichen Massenunterkünften vor den Grenzblockaden am Balkan erfolgte, kann die Ansteckung im Zeitfenster der folgenden 4–6 Wochen nicht detektiert werden. Die Gesamtheit der Flüchtlinge ist heterogen. Syrer haben in ihrem Heimatland eine Inzidenz der Tuberkulose, die sich nur gering von der in Deutschland unterscheidet [5]. Dagegen kommen Somalis aus einem Land, in dem die Inzidenz mehr als hundert Mal höher liegt als hierzulande. Die zugrunde liegende Internist 2016 · 57:409–415 DOI 10.1007/s00108-016-0057-3 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 A. Stich Häufige Infektionskrankheiten bei Migranten Zusammenfassung Durch den aktuellen Zustrom von Flüchtlingen nach Europa und den bereits hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund steigt die Bedeutung von Infektionskrankheiten. Diese werden im Rahmen einer Erstsichtung neu ankommender Flüchtlinge, bei systematischen Screeninguntersuchungen oder im Rahmen der allgemeinen medizinischen Versorgung erkannt. Ihre Diagnostik und Therapie erfordern spezielle Kenntnisse, gegebenenfalls auch spezifische Schutzmaßnahmen. Das Spektrum der Infektionen wird dabei vor allem durch die Heimatregionen der Migranten und die Umstände der Flucht bestimmt. Im vorliegenden Beitrag werden die wichtigsten Infektionskrankheiten und ihre Behandlung dargestellt. Flüchtlinge und Migranten sind in Bezug auf Infektionen keine Gefahr für die allgemeine Bevölkerung, sie stellen aber selbst eine höchst gefährdete Gruppe dar. Schlüsselwörter Flüchtlinge · Tuberkulose · Malaria · Infektionskrankheiten · Screening · Asyl Frequent infectious diseases in migrants Abstract The current influx of refugees and the high rate of immigration increase the rate and impact of infectious diseases in Europe. Infections can be detected at the initial examination of arriving refugees as a result of systematic screening or within the framework of general medical care. Diagnosis and treatment require special expertise and in some cases special precautions. The spectrum of infections is determined by the country of origin of migrants and the conditions Prävalenz kann als Grundlage für den prädiktiven Wert aller Diagnoseverfahren hergenommen werden. Je geringer die Prävalenz in der Gruppe der Untersuchten, umso höher der Anteil falsch-positiver Befunde. Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass kein Screeningverfahren eine individualmedizinische Versorgung ersetzen kann. Will man in der Risikogruppe der Flüchtlinge und Migranten die Tuberkulose bekämpfen, ist Screening nicht die alleinige Antwort. Vor allem muss man den Zugang zur Gesundheitsversorgung so niederschwellig wie möglich gestalten und eine kontinuierliche medizinische Betreuung von guter Qualität aufbauen. Die sehr unterschiedlichen klinischen Bilder der Tuberkulose sind vielen Ärzten in Praxis und Klinik erstaunlich wenig bekannt. Bei Patienten mit Migra- experienced on fleeing to Germany. In this article the diagnostics and treatment of the most important infections are presented. As far as infections are concerned refugees and migrants do not represent a threat to the general population but instead have to be perceived as a highly vulnerable group. Keywords Refugees · Tuberculosis · Malaria · Infectious diseases · Screening · Asylum tionshintergrund, besonders solchen aus Hochprävalenzländern, ist bei jedem unklaren Organbefund zunächst auch an eine Tuberkulose zu denken. Wichtige Beispiele sind in . Tab. 1 aufgeführt. »kannDaseineTuberkulosescreening individualmedizinische Versorgung nicht ersetzen Von entscheidender Bedeutung für das weitere klinische Management ist eine zielgerichtete Diagnostik, sobald der Verdacht auf eine Organtuberkulose besteht. Leider wird er oft erst nach einer histologischen Untersuchung verdächtiger Gewebe geäußert, wenn diese den typischen Befund einer Entzündung mit epitheloidzellhaltigen Granulomen, oftmals mit zentraler Nekrose (Verkäsung), aufweisen. Wichtig ist, bei jeder ProbengeDer Internist 5 · 2016 411 Schwerpunkt: Medizin für Migranten Tab. 1 Beispiele für unterschiedliche Erscheinungsbilder der extrapulmonalen Tuberkulose Befund Diagnose Nachweis Vergrößerte und entzündlich veränderte Lymphknoten (zervikal, axillär, mediastinal, retroperitoneal) Lymphknotentuberkulose Mykobakterien im Lymphknotenpunktat oder Aspirat von Eiter Aszites Peritonealtuberkulose Mykobakterien im Aszitespunktat Kavernöse Raumforderung in der Niere Nierentuberkulose „Sterile“ Leukozyturie; Mykobakterien im Morgenurin Perikarderguss; Perikardverkalkungen Tuberkulöse Perikarditis Mykobakterien im Perikardpunktat Pleuraerguss Tuberkulöse Pleuritis Mykobakterien im Pleurapunktat Raumforderung im Knochen Knochentuberkulose Punktion für histologische Untersuchung und Mykobakterienkultur krankungen bei ausländischen Patienten deutlich höher, was die zentrale Bedeutung der kulturellen Erregeranzucht in der Therapieplanung unterstreicht. Fast alle in Deutschland registrierten Patienten mit multiresistenter (MDR) oder extensiv resistenter (XDR) Tuberkulose sind Ausländer. Bei MDR-Tuberkulose ist der Erreger gegen die Standardmedikamente Isoniazid und Rifampicin resistent, bei extensiv resistenten Formen auch gegen zahlreiche Ausweichmedikamente. Akut behandlungsbedürftige Infektionskrankheiten Malaria Tab. 2 Therapie der Malaria im Überblick Erkrankung Erreger Therapie Malaria tropica Plasmodium falciparum Artemether/Lumefantrin; Atovaquon/Proguanil; in schweren Fällen Artesunat i. v. oder Chinin Malaria tertiana Plasmodium vivax, P. ovale Wie bei P. falciparum, nach Ausschluss eines Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangels zusätzlich Primaquin Malaria quartana Plasmodium malariae Chloroquin Die seltene „fünfte Malaria“ durch Plasmodium knowlesi ist auf Südostasien beschränkt und spielt in der Migrantenmedizin derzeit keine Rolle winnung neben der histopathologischen oder zytologischen auch die mikrobiologische Diagnostik anzufordern. Dies bedeutet die Gewinnung nativer, d. h. nicht formalinfixierter Proben. Außerdem muss den Mikrobiologen aktiv mitgeteilt werden, wonach sie suchen sollen. Enthält die Anforderung nur die Formulierung „Bakterien Standard“, wird das Material routinemäßig zwar auf grampositive und gramnegative Erreger untersucht, Mykobakterien entgehen dann aber der Diagnostik. Wichtig ist das mehrstufige Aufbereiten des Untersuchungsmaterials, ganz gleich, ob es sich dabei um Sputum, Flüssigkeit einer bronchoalveolären Lavage, Abszesspunktat oder solides Material einer Probenexzision handelt. Zunächst wird ein nach Ziehl-Neelsen gefärbter Ausstrich mikroskopisch auf säurefeste Stäbchen untersucht. Danach erfolgt eine molekularbiologische Analyse auf Mykobakterien, die bereits unter Ver- 412 Der Internist 5 · 2016 wendung entsprechender Primer erste Aussagen über mögliche antimikrobielle Resistenzen zulässt. Gleichzeitig wird das Material auch auf spezielle Nährmedien verbracht, um einen kulturellen Nachweis mit Resistogramm zu versuchen, was aber bei Mykobakterien immer mehrere Wochen dauert. Die Sensitivität der Methoden steigt von der Mikroskopie über die PolymeraseKettenreaktion (PCR) zur Kultur jeweils um den Faktor 10 [6]. Die Therapie der Tuberkulose erfordert eine mindestens 6-monatige Kombinationstherapie mit Tuberkulostatika [7], von denen das jüngste bereits über 50 Jahre alt ist. Ein Heilungserfolg setzt eine lückenlose Therapietreue des Patienten voraus, was ein hohes Maß an Kommunikation und Führung durch den Behandler erfordert. Weiterhin müssen die Erreger der Infektion medikamentensensibel sein. Im Vergleich zu deutschen Patienten liegt die Rate resistenter Tuberkuloseer- Die Malaria gilt als die wichtigste tropische Infektionskrankheit. Pro Jahr erkranken Hunderte Millionen Menschen, mehrere Hunderttausend sterben [8]. Der gefährlichste Erreger ist Plasmodium falciparum. Eine große Gruppe der in Deutschland behandelten Patienten mit Malaria sind Afrikaner, die auf Besuch bei ihrer Familie im Heimatland waren und meist keine ausreichende Expositions- und Chemoprophylaxe betrieben haben [9]. Obwohl man bei den meisten auf eine Semiimmunität und damit einen milderen klinischen Verlauf hoffen kann, darf man sich im Einzelfall nie darauf verlassen und muss jeden Patienten mit P.-falciparum-Malaria als infektiologischen Notfall behandeln. Eine Malaria tropica wird bei »Flüchtlingen in Deutschland nur selten gefunden Die Malaria tropica durch P. falciparum hat eine Inkubationszeit von 6 Tagen bis wenigen Wochen. Flüchtlinge sind meist viel länger unterwegs, bis sie in Deutschland ankommen, sodass eine P.-falciparum-Infektion bei dieser Patientengruppe kaum gesehen wird. Häufig hingegen waren in den vergangenen Monaten Flüchtlinge aus Eritrea oder Äthiopien, die viele Monate nach ihrer Ankunft in Deutschland eine schwere fieberhafte Erkrankung entwickelten. Hier handelt es sich um eine Infektion mit Plasmodium Abb. 3 8 Giemsa-gefärbter Blutausstrich bei Infektion mit Plasmodium vivax (Malaria tertiana) Abb. 4 8 Borrelia recurrentis im peripheren Blutausstrich (Giemsa-Färbung) laufversagen nach Beginn der Antibiose, weswegen zu Beginn eine einschleichende Therapie mit Doxycyclin oder Penicillinen unter Steroidschutz und Monitorüberwachung empfohlen wird [11]. Chronische Infektionskrankheiten Abb. 5 9 Zystische Echinokokkose vivax (. Abb. 3), dem wichtigsten Erreger der Malaria tertiana. Grund des lange verzögerten Auftretens der Symptome ist die Reaktivierung von Parasiten aus persistierenden Leberformen (Hypnozoiten), die noch jahrelang Ursache eines Malariarückfalls sein können. Diagnostik und Behandlung der Malaria sind in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit (DTG) beschrieben [10]. Die wichtigsten Informationen fasst . Tab. 2 zusammen. Insbesondere bei schweren Verläufen, schwangeren Patientinnen oder Kindern sollte frühzeitig Rücksprache mit erfahrenen Tropenmedizinern gehalten werden. Läuserückfallfieber Seit 2015 werden gehäuft Fälle einer bis dato in Deutschland extrem seltenen Infektionskrankheit beobachtet, des Läuserückfallfiebers. Es handelt sich um eine besonders in Äthiopien und Eritrea endemische Infektionskrankheit, die durch den bakteriellen Erreger Borrelia recurrentis hervorgerufen und durch Kleiderläuse von Mensch zu Mensch übertragen wird. Klinisch ähnelt der Verlauf mit remittierenden Fieberschüben einer schweren Malaria, im Blutausstrich findet man allerdings nicht die intraerythrozytär gelegenen Plasmodien, sondern extrazellulär korkenzieherartig gewundene fadenförmige Spirochäten (. Abb. 4). Gefährlich wird das Läuserückfallfieber besonders durch eine plötzlich einsetzende Herxheimer-Reaktion mit Kreis- Bei vielen Flüchtlingen und Migranten bestehen chronische Infektionen, die erst allmählich entdeckt werden, entweder zufällig oder im Rahmen von Untersuchungen bei unklaren Beschwerden. Auch viele Jahre nach Ankunft in Deutschland sollte man bei Patienten mit Migrationshintergrund die differenzialdiagnostischen Überlegungen um die Palette seltener Infektionen erweitern. Wichtige Beispiele sind in . Tab. 3 zusammengefasst. Besiedlung durch multiresistente Erreger Bisher gibt es widersprüchliche Daten und Erfahrungen zur Frage, wie häufig PatientenmitMigrationshintergrund mit multiresistenten Erregern (MRE) kolonisiert sind. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf methicillinresistenten Staphylokokken (MRSA) und multiresistenten gramnegativen Erregern (mit Resistenz gegen 3 oder 4 von 4 Antibiotikagruppen). Es kann als wahrscheinlich gelten, dass bei ausländischen Patienten das Risiko einer Besiedlung durch MRE höher ist als in der deutschen Normalbevölkerung, da die Betroffenen Der Internist 5 · 2016 413 Schwerpunkt: Medizin für Migranten Tab. 3 Seltene chronische Infektionskrankheiten bei Flüchtlingen und Migranten Erkrankung Erreger Vorkommen Nachweis Therapie Natriumstiboglukonat, Miltefosin, liposomales Amphotericin B [14] Hautleishmaniose Leishmania major, L. tropica, L. infantum Vor allem im Mittleren Osten bis Afghanistan Mikroskopischer Erregernachweis in der Läsion, PCR zur Artdiagnose Giardiasis Giardia intestinalis (Lamblien) Ubiquitär Parasitennachweis Metronidazol, eventuell Paromoim Stuhl (mimycin kroskopisch, Koproantigentest, PCR) Amöbiasis Entamoeba histolytica Tropen und Subtropen Parasitennachweis Metronidazol, eventuell Paromoim Stuhl (mimycin [15] kroskopisch, Koproantigentest, PCR) Apathogene Schleimhautamöben Endolimax nana, Entamoeba coli, Entamoeba dispar u. v. a. Tropen und Subtropen Nebenbefund in der Stuhlmikroskopie Keine Strongyloidiasis Strongyloides stercoralis (Zwergfadenwurm) Tropen und Subtropen Serologisch, Larvennachweis im Stuhl (Mikroskopie, PCR, Kultur) Ivermectin (nicht zugelassen), Albendazol Schistosomiasis Schistosoma mansoni, S. haematobium u. a. Vergleichsweise häufig bei Migranten aus dem tropischen Afrika Serologisch, Nachweis von Eiern im Stuhl und/oder Urin Praziquantel [16] Hymenolepiasis Hymenolepis nana (Zwergbandwurm) Tropen und Subtropen Mikroskopischer Einachweis im Stuhl Praziquantel Zystische Echinokokkose (. Abb. 5) Echinococcus granulosus (Hundebandwurm) Regionen mit Schafzucht Zystische Läsion in Leber, selten in Lunge, Milz und anderen Organen Albendazol, operative Resektion (cave Ruptur), PAIR in erfahrenen Zentren Zystizerkose Larvenstadium von Taenia solium (Schweinebandwurm) Regionen mit Schweinezucht Kleine zystische Läsionen, v. a. in Zentralnervensystem und Muskulatur Albendazol, Steroide PAIR Punktion, Aspiration, Instillation, Reaspiration, PCR Polymerase-Kettenreaktion 4 aus Ländern kommen, wo ein un- kontrollierter Zugang zu Antibiotika besteht, deren Verschreibung nicht einer ärztlichen Indikationsstellung unterliegt, 4 unter hygienischen Bedingungen leben mussten, die eine fäkal-orale Transmission oder Schmierinfektion von Erregern und damit einen höheren Durchseuchungsgrad begünstigen, 4 häufig in Ländern unterwegs waren, wo bereits eine erhöhte Prävalenz von MRE bekannt ist (z. B. Griechenland). 414 Der Internist 5 · 2016 Daraus ergibt sich aber nicht zwangsläufig die Empfehlung, alle Patienten mit Migrationshintergrund bei Krankenhausaufnahme zu screenen und bis zum Erhalt des Ergebnisses prophylaktisch zu isolieren. Das Robert Koch-Institut hat zu dieser Thematik eine differenzierte Stellungnahme erarbeitet, die eine Beurteilung im Einzelfall mit Abschätzung individueller Risikokriterien für eine MRE-Besiedlung einer standardisierten Isolierung vorzieht [12]. Präventivmaßnahmen bei Flüchtlingen Flüchtlinge sind eine höchst vulnerable Gruppe, die besondere Maßnahmen des Infektionsschutzes benötigt. Die meisten Flüchtlinge haben keinen Nachweis zurückliegender Impfungen bei sich, obwohl sie oft aus Ländern mit einem ehemals funktionierenden Impfprogramm stammen, z. B. aus Syrien. Impfungen sollten deshalb möglichst früh aktiv angeboten werden. Nur wenn bereits bei Eintritt in eine Massenunterkunft Impfungen durchgeführt und regelmäßig wiederholt werden, lassen sich Ausbrüche vermeiden, die mit der Gefährdung vieler Menschen und dem Aufwand der dann notwendigen Riegelungsimpfungen einhergehen. Besonderen Vorrang haben die Kombinationsimpfungen gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis und Poliomyelitis, Masern, Mumps, Röteln und Varizellen sowie die Influenzaimpfung. Andere Impfungen können gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) bald nachgeschaltet werden, wobei die Indikation für einen Hepatitis-A- und Hepatitis-B-Schutz sowie die tetravalente Meningokokkenimpfung ebenfalls großzügig gestellt werden sollte [13]. Inwieweit eine jeweilige Titerbestimmung vor dem Angebot einer Impfung epidemiologisch und logistisch sinnvoll ist, muss wohl einer Einzelfallentscheidung unterliegen. Ebenso wichtig ist es, Basismaßnahmen der Hygiene vorzuhalten: 4 Ausreichende sanitäre Anlagen 4 Regelmäßige Reinigung der Gebäude 4 Möglichkeiten der Händedesinfektion Dies bedeutet natürlich auch, die Betroffenen in die Durchführung einzubeziehen, was nicht von den fremdsprachigen Sicherheitsdiensten der Flüchtlingsunterkünfte geleistet werden kann. Infektionsschutz für Helfer und medizinisches Personal Die große Zahl von Flüchtlingen, die seit 2015 in Deutschland zu versorgen ist, hat eine außergewöhnliche Welle der Hilfsbereitschaft bei vielen ehrenamtlichen Helfern und Mitarbeitern professioneller Gesundheitsdienste ausgelöst. Es ist eine Verpflichtung aller Organisationen und Organisatoren der Flüchtlingshilfe, bei den eigenen Mitarbeitern auf einen ausreichenden Infektionsschutz zu achten – das gilt für haupt- wie ehrenamtliche Helfer gleichermaßen. Die Maßnahmen umfassen die folgende Trias: Korrespondenzadresse Prof. Dr. A. Stich Tropenmedizinische Abteilung, Missionsärztliche Klinik Salvatorstr. 7, 97074 Würzburg, Deutschland [email protected] Einhaltung ethischer Richtlinien Angebot (oder gar Auflage?) von Schutzimpfungen. Bei allen Mitarbeitern muss auf einen ausreichenden Schutz gegen Masern, Mumps, Röteln, Varizellen, Tetanus, Diphtherie und Polio geachtet werden. Erste Priorität haben Influenza, Hepatitis A und B sowie eventuell die tetravalente Meningokokkenimpfung. Beachtung sinnvoller Hygienemaßnahmen. Möglichkeiten zum Händewaschen und eventuell zur Händedesinfektion müssen gegeben sein. Handschuhe und eventuell ein Mundschutz sind nur bei Maßnahmen mit engem Kontakt nötig. Schutzkleidung ist nicht erforderlich. Angebot zu medizinischen Untersuchungen. Mit den Mitarbeitern sollten Aufklärungsgespräche zu tatsächlichen Infektionsrisiken geführt werden. Serologische Basisuntersuchungen sollten erfolgen, bei engem regelmäßigem Kontakt auch ein IGRA. Fazit für die Praxis 4 Flüchtlinge und Migranten gefähr- den nicht die Bevölkerung, sind aber selbst eine höchst gefährdete Gruppe. 4 Mit Erstsichtung und Screeninguntersuchungen kann nur ein Teil der Infektionsprobleme erkannt werden, gerade auch in Bezug auf die Tuberkulose. 4 Deshalb ist es von großer Bedeutung, möglichst flächendeckend einen niederschwelligen Zugang zu einer adäquaten medizinischen Versorgung sicherzustellen. 4 Präventive Maßnahmen wie das rasche Angebot von Schutzimpfungen und die Einführung einer Basishygiene sind von großer Bedeutung. Interessenkonflikt. A. Stich gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. 14. Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit Leitlinie: Diagnostik und Therapie der kutanen und mukokutanen Leishmaniasis in Deutschland. http://www.dtg.org/ uploads/media/Leitlinie_Kutane_Leishmaniasis. pdf. Zugegriffen: 04. März 2016 15. Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit Leitlinie: Diagnostik und Therapie der Amöbenruhr. http://www.dtg. org/uploads/media/Leitlinie_Amoebenruhr.pdf. Zugegriffen: 04. März 2016 16. Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit Leitlinie: Diagnostik und Therapie der Schistosomiasis (Bilharziose). http://www.dtg.org/uploads/media/Leitlinie_ Schistosomiasis.pdf. Zugegriffen: 04. März 2016 Dieser Beitrag beinhaltet keine vom Autor durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren. Literatur 1. RKI (2015) Überblick über epidemiologisch wichtige Infektionskrankheiten. Dtsch Arztebl 112(42):A 1717 2. AWMF Leitlinie Scabies. http://www.derma.de/ fileadmin/derma/pdfs/LL_Skabies_2006_07_17. pdf. Zugegriffen: 04. März 2016 3. Robert Koch-Institut (2014) Bericht zur Epidemiologie der Tuberkulose in Deutschland für 2014, Berlin 2015, ISBN 978-3-89606-264-2. doi:10.17886/rkipubl-2015-005 4. 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Robert Koch-Institut Stellungnahme des Robert Koch -Instituts zu Frage des Screenings von Asylsuchenden auf Multiresistente Erreger (MRE). http://www. rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/ Gesundheitsberichterstattung/GesundAZ/ Content/A/Asylsuchende/Inhalt/MRE-Screening_ Asylsuchende.pdf?__blob=publicationFile. Zugegriffen: 04. März 2016 13. Pfeil J et al (2015) Empfehlungen zur infektiologischen Versorgung von Flüchtlingen im Kindesund Jugendalter in Deutschland. Monatsschr Kinderheilkd 163:1269–1286. doi:10.1007/s00112015-0003-9 Der Internist 5 · 2016 415 Schwerpunkt: Medizin für Migranten Internist 2016 · 57:416–433 DOI 10.1007/s00108-016-0040-z Online publiziert: 2. Mai 2016 © Die Autor(en) 2016 Redaktion S. M. Schellong, Dresden B. Salzberger, Regensburg J. Pfeil1 · R. Kobbe2 · S. Trapp3 · C. Kitz4 · M. Hufnagel5 1 Kinderheilkunde I, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Heidelberg, Heidelberg, Deutschland 2 Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Deutschland 3 Bremen, Deutschland Kinder- und Jugendmedizin, Missionsärztliche Klinik, Würzburg, Deutschland 5 Sektion Pädiatrische Infektiologie und Rheumatologie, Klinik I, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg, Deutschland 4 Empfehlungen zur infektiologischen Versorgung von Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter in Deutschland Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie, der Gesellschaft für Tropenpädiatrie und Internationale Kindergesundheit und des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Hintergrund Deutschland und Europa erleben momentan eine zahlenmäßig unabsehbare Zuwanderung von Flüchtlingen aus dem Nahen und Mittleren Osten (v. a. Syrien, Afghanistan, Irakund Pakistan), denafrikanischen Staaten (v. a. Eritrea, Nigeria), sowie dem westlichen Balkan (v. a. Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien und Serbien – bei zuletzt abnehmenden Zahlen) und der Ukraine [5]. Mindestens jeder vierte Asylbewerber ist ein Kind oder Jugendlicher [9]. Bürgerkriege, Katastrophen und zunehmende Armut zwingen viele Menschen zur entbehrungsreichen Flucht in die Länder West- und Nord-Europas. Hieraus resulDieser Beitrag erschien ursprünglich in der Zeitschrift Monatsschrift Kinderheilkunde 2015, 136:1269–1286. DOI 10.1007/s00112-0150003-9. 416 Der Internist 5 · 2016 tiert auch ein relevant erhöhter medizinischer Bedarf bei der medizinischen Versorgung vieler Flüchtlinge in Deutschland. Die Grundhaltung zur ärztlichen Versorgung von minderjährigen Flüchtlingen leitet sich aus dem Artikel 24 [Gesundheitsvorsorge] der UN-Kinderrechtskonvention von 1989 her. Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit an. Flüchtlinge sind auf dem gleichen medizinischen Niveau zu versorgen wie die einheimische Wohnbevölkerung. Dies gilt für akute oder chronische Erkrankungen ebenso wie für alle Maßnahmen der medizinischen Prävention. In der aktuellen Ausnahmesituation mit dem plötzlichen massenhaften Auftreten von Leistungssuchenden können die Versorgungskapazitäten überfordert sein. Mögliche Versorgungslücken soll- ten dann in der weiteren medizinischen Betreuung geschlossen werden. Eine aktuelle Querschnittserhebung unter 100 syrischen Flüchtlingskindern in einer Münchner Erstaufnahmestelle ergab, dass 80 % der Kinder unter somatischen(v. a. Atemwegserkrankungen)und 40 % unter psychischen/psychiatrischen Beschwerden (v. a. posttraumatische Belastungsstörungen) litten. Unter den somatischen Beschwerden fanden sich in 10 % infektiöse/parasitäre Erkrankungen (in erster Linie Hautinfektionen), weiterhin wiesen 40 % der Kinder, die Impfdokumente hatten, einen unvollständigen Impfstatus auf [7]. Häufig sind die Informationen zur medizinischen Anamnese und zum Impfstatus aufgrund der Sprachbarriere schwer zu erheben, fragmentarisch oder sie fehlen ganz. Flüchtlinge und Asylsuchende sind eine besonders vulnerable Gruppe in unserer Gesellschaft. Dies gilt insbe- Information Diese Stellungnahme wurde von den beteiligten Autoren im Auftrag der jeweiligen Fachgesellschaften erarbeitet: Für die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI e. V): Dr. Johannes Pfeil, Heidelberg PD Dr. Markus Hufnagel, Freiburg Für die Gesellschaft für Tropenpädiatrie und Internationale Kindergesundheit (GTP e. V.): PD Dr. Robin Kobbe, Hamburg Dr. Christa Kitz, Würzburg Für den Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ e. V.): Dr. Stefan Trapp, Bremen Mitarbeit An der Erarbeitung der Stellungnahme waren Vertreter der folgenden Fachgesellschaften und Organisationen beteiligt: 4 Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin, Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen (DAKJ), 4 Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), 4 Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), 4 Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit (DTG), Folgende Personen haben an der Erarbeitung der Stellungnahme mitgewirkt: 4 Prof. Dr. Ralf Bialek (Infektionsdiagnostik; DGPI), 4 Prof. Ulrich Heininger (Impfungen; Sprecher der Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen der DAKJ, DGPI), 4 Prof. Dr. Hans-Iko Huppertz (Gesamtkonzept; DAKJ, DGPI), 4 Prof. Dr. Thomas Junghanss (Tropenmedizinische Aspekte; DTG), 4 Dr. Carsten Krüger (Gesamtkonzept; GTP), 4 Dr. Mirjam Kunze (Schwangerenvorsorge; DGGG), 4 Prof. Dr. Johannes Liese (Gesamtkonzept, MRE-Screening; DGPI, DGKJ), 4 PD Dr. Nicole Ritz, PhD (Tuberkulose; DGPI – Ausschuss typische und atypische Mykobakteriosen), 4 PD Dr. Erika Sievers, MPH (Aspekte öffentlicher Kinder- und Jugendgesundheitsdienst; Fachausschuss Kinder- und Jugendgesundheitsdienst), 4 Prof. Dr. Arne Simon (MRE-Screening; DGPI), 4 Prof. Dr. August Stich (Gesamtkonzept, tropenmedizinische Aspekte; DTG). sondere für Kinder und Jugendliche, die teilweise auch unbegleitet kommen, und für Schwangere. Sie benötigen eine angemessene und niederschwellige medizinische Versorgung, die an die individuelle Situation angepasst sein muss. Es ist eine professionelle, soziale und ethische Herausforderung, die medizinische Versorgung von Flüchtlingen adäquat zu organisieren und durchzuführen. Infektiologische Fragen oder Beschwerden nehmen einen besonderen Stellenwert bei der Betreuung von Flüchtlingen ein [7, 15]. Die vorliegende Empfehlung konzentriert sich bewusst auf die Infektionsdiagnostik und Infektionsprävention, wohl wissend, dass Kindergesundheit weit darüber hinausgeht. Weitere Handlungsempfehlungen von Behörden und anderen Fachgesellschaften, die sich mit anderen gesundheitsbezogenen Aspekten und der psychosozialen Betreuung von Kindern und Jugendlichen befassen, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, sind bereits publiziert [1, 15, 19] oder werden folgen. Die vorliegenden Empfehlungen sollen Ärzte und medizinisches Personal in der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter unterstützen mit dem Ziel, 1. einen unvollständigen Impfschutz frühzeitig zu erkennen und rasch zu vervollständigen – zum individuellen Schutz und um Ausbreitungen von Infektionen zu verhindern, 2. übliche Infektionskrankheiten im Kindes- und Jugendalter, auch vor dem Hintergrund von Sammelunterkünften, Sprachbarrieren und unterschiedlichen kulturellen Auffassungen, zu diagnostizieren und zu behandeln und 3. in Deutschland seltene Infektionskrankheiten (z. B. Tuberkulose, Malaria, Dengue-Fieber, kutane Leishmaniose) frühzeitig zu erkennen und zu therapieren. Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), die Deutsche GesellschaftfürPädiatrische Infektiologie (DGPI) und die Gesellschaft für Tropenpädiatrie und Internationale Kindergesundheit (GTP) wollen mit dieser Stellungnah- me Hilfestellung leisten, welche RoutineMaßnahmen in der Infektionsdiagnostik und Infektionsprävention bei der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter sinnvoll sind. Die Stellungnahme beinhaltet keine Empfehlungen zum individuellen Umgang akuter infektiologischer Probleme. Hierzu wird auf Empfehlungen und Leitlinien der Fachgesellschaften (z. B. DGPI-Handbuch – Infektionen bei Kindern und Jugendlichen [6] oder RKI – Infektionskrankheiten von A–Z [17]) verwiesen. Das Robert Koch-Institut hat in einer aktuellen Publikation eine Liste mit den häufigsten ungewöhnlichen Infektionskrankheiten zusammengefasst, die bei der aktuellen Flüchtlingspopulation zu erwarten sind [15]. In . Tab. 1 sind die häufigsten Leitsymptome, ihre wichtigsten infektiologischen Differenzialdiagnosen und eine Basisdiagnostik tabellarisch zusammengefasst. Sollte die Basisdiagnostik keinen wegweisenden Befund erbringen, ist die Kontaktaufnahme zu einem pädiatrischen Infektiologen/einer pädiatrischen Infektiologin oder einem Tropenmediziner/einer Tropenmedizinerin empfohlen. Wichtig ist jedoch, zu betonen, dass „klassische“ Infektionskrankheiten, z. B. akute respiratorische Infekte, MagenDarm-Infektionen und pyogene Hautund Weichteilinfektionen bei Flüchtlingen häufiger sind als die in unseren Breiten seltenen importierten Infektionskrankheiten. Ebenso wichtig ist die Einschätzung, dass von Flüchtlingen weder für die Allgemeinbevölkerung noch für ihre Helfer ein generelles erhöhtes Infektionsrisiko ausgeht. Flüchtlinge sind aus infektiologischer Sicht keine gefährliche, sondern aufgrund der besonderen Lebensumstände eine gefährdete Gruppe. Den Mitarbeitern in den Gemeinschaftseinrichtungen für Flüchtlinge, auch den ehrenamtlich Tätigen sowie der ansässigen Bevölkerung, sollte in diesem Zusammenhang nochmals die Bedeutung von Impfungen kommuniziert und ihnen ein Impfschutz nach den Empfehlungen der STIKO – wann immer möglich – angeboten werden. Diese Stellungnahme basiert auf praktischen Erfahrungen von Experten der pädiatrischen Infektiologie und der inDer Internist 5 · 2016 417 Zusammenfassung · Abstract Internist 2016 · 57:416–433 © Die Autor(en) 2016 DOI 10.1007/s00108-016-0040-z J. Pfeil · R. Kobbe · S. Trapp · C. Kitz · M. Hufnagel Empfehlungen zur infektiologischen Versorgung von Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter in Deutschland. Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie, der Gesellschaft für Tropenpädiatrie und Internationale Kindergesundheit und des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Zusammenfassung Minderjährige Flüchtlinge in Deutschland bilden eine besonders vulnerable Gruppe in unserer Gesellschaft. Dabei spielen Infektionskrankheiten eine wesentliche Rolle bei der medizinischen Versorgung. Aus infektiologischer Sicht sind Flüchtlinge keine gefährliche, sondern aufgrund der besonderen Lebensumstände eine gefährdete Gruppe. Auch in Krisensituationen erfordern ethische und ärztliche Verpflichtungen, ein Höchstmaß an medizinischer Versorgung zu erreichen. Die hier dargestellten Empfehlungen zur Infektionsdiagnostik und -prävention von Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter dienen dazu, den Impfschutz zu optimieren und Infektionskrankheiten, auch vor dem Hintergrund von Sammelunterkünften, Sprachbarrieren und unterschiedlichen kulturellen Auffassungen, zu diagnostizieren, zu behandeln und deren Weiterverbreitung zu verhindern. In den Erstaufnahmestellen sollen durch ein Kurzscreening (besser durch eine frühzeitige Basisuntersuchung) akute medizinische Probleme, potenziell übertragbare Infektionen (inkl. Tuberkulose), spezifische Impflücken, aber auch andere behandlungsbedürftige Erkrankungen erkannt und behandelt werden. Die Dokumentation aller Befunde ist essenziell, um Doppeluntersuchungen zu vermeiden und die weitere Behandlung zu optimieren. Hierfür ist eine funktionierende Kommunikationsstruktur zu schaffen. Nach Verteilung der Flüchtlinge auf die Kommunen sollen im Rahmen der ambulanten und evtl. stationären Versorgung die von der STIKO empfohlenen Standardimpfungen vervollständigt und Flüchtlinge in allen medizinischen Bereichen mit dem gleichen medizinischen Niveau versorgt werden wie die einheimische Bevölkerung. Wegen einer höheren Prävalenz von multiresistenten Erregern (MRE) in den Herkunftsländern ist bei stationären Aufnahmen in vielen Fällen ein MRE-Screening empfohlen. Schlüsselwörter Übertragbare Krankheiten · Stationär behandelte Patienten · Prävention und Kontrolle · Tuberkulose · Impfungen Recommendations for the diagnosis and prevention of infectious diseases in pediatric and adolescent refugees in Germany. Statement of the German Society of Pediatric Infectious Diseases, the Society of Tropical Pediatrics and International Child Health, and the Professional Association of Pediatricians Abstract Child and adolescent refugees in Germany represent a particularly vulnerable social group and treating infectious diseases forms a crucial part of providing their medical care. From an infectious diseases perspective, refugees themselves, as a result of their difficult personal circumstances, are the ones at highest risk. Even in crisis situations, medical practitioners are medically and ethically obliged to provide a high standard of care. The guidelines presented here propose recommendations for diagnosing and preventing infectious diseases among refugees under 18 in Germany. The guidelines are intended to assist in optimizing vaccine protection and treatment of diseases while taking into consideration factors such as ternationalen Gesundheit im Kindesund Jugendalter in Deutschland. Frühere Empfehlungen der Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ; zuletzt aktualisiert im Jahr 2013 [19]) bzw. der American Academy for Pedia- 418 Der Internist 5 · 2016 refugees’ challenging living conditions, cultural differences and potential language barriers. Upon refugees’ arrival at the first housing sites, it is recommended that a basic clinical screening (and not just a brief visual inspection) be provided in order to identify and initiate treatment for acute medical problems and potentially contagious diseases (including tuberculosis), as well as to close gaps in vaccination coverage. Documentation of the clinical findings is critical, both to avoid redundant investigations and to optimize individual medical care. For this, an effective communication system must be established. Once refugees have been transferred into their destination community, outpatient and inpatient care providers should collaborate to bring refugees up-to-date with all vaccines recommended by STIKO (German Standing Committee on Vaccination). The same high standard of medical care should be delivered to refugees as would be to the general population. Due to the high prevalence of multi-resistant organisms (MRO) in the refugees’ countries of origin, MRO screening is recommended for most patients receiving inpatient care. trics (zuletzt aktualisiert im Jahr 2012 [1]) und der US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (vom August 2012 [25]) wurden in der Erstellung zum Teil berücksichtigt. Die Empfehlungen der DAKJ [19] unterscheiden sich von dieser Stellungnahme, da zum einen die umfassende me- dizinische Versorgung (nicht fokussiert auf infektiologische Aspekte) abgehandelt ist und die Empfehlungen für „einzelne“ Immigranten/internationale Adoptivkinder gedacht sind. Die große Anzahl der Flüchtlinge in Deutschland zwingt neben der „bestmöglichen“ Versorgung des Einzelnen, zusätzlich Kosten- und Keywords Communicable diseases · Inpatients · Prevention & control · Tuberculosis · Vaccination Tab. 1 Symptom- und befundorientierte regionenspezifische infektiologische/tropenmedizinische Differentialdiagnosen bei Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter Leitsymptom/Leitbefund Infektiologische/tropenmedizinische Erstdiagnostik bzw. Differentialdiagnostik Akute Dysenterie (blutiger Stuhl, Fieber, Bauchschmerzen) Stuhluntersuchung auf pathogene Bakterien (Kultur) auf enteroinvasive bakterielle Infektionen (A–E) Stuhluntersuchung auf Amoeben (Entamoeba histolytica) und Amoeben-Serologie bei V. a. Amoeben-Colitis (A–E) Chronische Diarrhoe (> 14 Tage) Stuhluntersuchung auf Giardia lamblia (PCR/Antigen/Mikroskopie) (D–E) Serologie auf HIV, insbesondere D, E häufige DD: Laktoseintoleranz (inbesondere B, C, E) Periodisches Fieber und Bauchschmer- Überweisung an Zentrum mit Fragestellung Familiäres Mittelmeerfieber (insbesondere Mittelmeeranraizen mit Erhöhung von Leukozyten, CRP nerstaaten) und BSG Fieber und Raumforderung Leber Blutkultur Amoebenserologie (DD Amoeben-Leberabszess; A–E) – Vorsicht: bei Patienten aus Endemiegebieten kann eine positive Amoeben-Serologie auch eine serologische Narbe einer früheren Infektion darstellen Zystische Raumforderung insbesondere Leber und/oder Lunge Überweisung an Zentrum mit Fragestellung zystische Echinokokkose (A–E) (Online-Anfrage über www.tropenmedizin-heidelberg.de– „Konsiliaranfrage Echinokokkose“) Gedeihstörung, Pulmonale Symptomatik, pathologische Lymphknoten, Aszites, Pleura-, Perikarderguss und weitere Organmanifestationen extrapulmonaler Tuberkulose THT und/oder IGRA, Bildgebung und mykobakterielle Diagnostik: pulmonale und extrapulmonale Tuberkulose (A–E) Serologie auf HIV (insbesondere D, E) Fieber ohne klinischen Fokus Dicker Tropfen und dünner Blutausstrich, ggfls. ergänzend Schnelltest bis 1 Jahr nach Ankunft in Deutschland bei Malaria (Verdacht bereits medizinischer NOTFALL) (C, E) Blutkultur (u. a. Salmonella typhi) bei u. a. Typhus abdominalis (A–E) Leishmanien-Antikörper (insbesondere bei Hepatosplenomegalie und Panzytopenie) bei viszeraler Leishmaniasis (A–E) Zerebraler Krampfanfall Bildgebung (DD Neurozystizerkose; A–E) Eosinophilie (> 500/nl) Stuhl auf Wurmeier (3 Stuhlproben von verschiedenen Tagen) auf intestinale Helminthen (Wurmeier im Stuhl sind oft erst verzögert nachweisbar, da Eosinophilie erst während der Gewebspassage ausgeprägt ist) Strongyloides-Serologie bzw. Strongyloides-PCR im Stuhl Falls negativ, umfangreiches Gewebshelminthen-Screening in Absprache mit pädiatrisch-infektiologischem/ tropenmedizinischem Zentrum Transaminasenerhöhung Serologie auf Hepatitis A, B, C und E, EBV, CMV (A–E) Splenomegalie, ultrasonographische Überweisung an pädiatrisch-infektiologisches/tropenmedizinisches Zentrum (DD gastrointestinale Zeichen einer Leberfibrose, Zeichen der Schistosomiasis, insbesondere E) portalen Hypertension Rezidivierende Harnwegsinfekte, ultrasonographische Zeichen von Blasenwandveränderungen, Harnabflussstörungen Überweisung an pädiatrisch-infektiologisches/tropenmedizinisches Zentrum (DD urogenitale Schistosomiasis, insbesondere E) Unklare Hautläsion – mit Juckreiz Frage nach nächtlichem Juckreiz, Hautinspektion auf Kratzspuren und skabies-typische Prädilektionsstellen (intertriginös, Genitalbereich) zur DD Skabies Unklare (chronische) Hautulzera Überweisung an pädiatrisch-infektiologisches/tropenmedizinisches Zentrum (DD kutane Leishmaniose, insbesondere B, C) Die Tabelle gibt nur eine Orientierung über wichtige regionenspezifische Differenzialdiagnosen häufiger Leitsymptome und -befunde. Die Auswahl der Regionen orientiert sich an der derzeitigen Häufigkeitsverteilung der Flüchtlingspopulationen in Deutschland: A Westlicher Balkan, B Syrien, Irak, C Pakistan, Afghanistan, D Russische Föderation, Georgien, E Afrika südlich der Sahara. Wird eine regionenspezifische infektiologische/tropenspezifische Verdachtsdiagnose gestellt, sollte sofort mit einem pädiatrisch-infektiologischen/ tropenmedizinischen Zentrum Kontakt aufgenommen werden – je nach Akutheit und insbesondere bei Verdacht auf Malaria am gleichen Tag. Wird keine Verdachtsdiagnose gestellt und persistieren die Symptome und Befunde, die zur Abklärung geführt haben, ist ebenfalls eine Kontaktaufnahme mit einem Zentrum für pädiatrische Infektiologie/Tropenmedizin empfohlen. Der Internist 5 · 2016 419 Schwerpunkt: Medizin für Migranten Praktikabilitätsaspekte zu berücksichtigen. Gesundheitssystem und gesetzliche Vorschriften Kontakt zum deutschen Gesundheitssystem haben Flüchtlinge auf verschiedene Arten. Kurzscreening in den Erstaufnahmestellen Ziel des Kurzscreenings (der „Inaugenscheinnahme“) ist 1. die Früherkennung von potenziell übertragbaren Erkrankungen und 2. die Entscheidung, ob der neu angekommene Flüchtling in der Erstaufnahmestelle verbleiben kann oder sich akut in medizinische Behandlung (ambulant oder stationär) begeben muss. Eine „Inaugenscheinnahme“ findet unmittelbar nach Ankunft der Flüchtlinge in der Erstaufnahmestelle statt. Hier spielen Durchfallerkrankungen, exanthematöse Erkrankungen und andere Erkrankungen mit hohem Übertragungsrisiko (insbesondere die Tuberkulose) eine entscheidende Rolle. Die Tuberkulose ist in den Herkunftsländern der Flüchtlinge häufiger als in Deutschland. Flucht, unzureichende medizinische Versorgung und beengte sowie unhygienische Lebensbedingungen bergen ein zusätzliches Risiko, eine Tuberkulose zu erwerben oder zu reaktivieren. Gemäß § 36, Abs. 4 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) soll vor oder unverzüglich nach Aufnahme in eine Gemeinschaftsunterkunft/ Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge oder Asylbewerber das Vorliegen einer ansteckungsfähigen Lungentuberkulose ausgeschlossen werden. Dafür sieht der Gesetzgeber die Ausstellung einer medizinischen Bescheinigung vor. Gesetzliche Vorgaben, wie dieser Ausschluss zu führen ist, existieren nur für Erwachsene und Jugendliche ab 15 Jahre. Für diesen Personenkreis muss sich die medizinische Bescheinigung (mit Ausnahme von Schwangeren) auf eine Röntgenaufnahme der Lunge stützen. 420 Der Internist 5 · 2016 Für alle asylsuchenden Kinder und Jugendliche < 15 Jahren empfiehlt die Arbeitsgruppe „AWMF-Leitlinie Diagnostik, Prävention und Therapie der Tuberkulose im Kindes- und Jugendalter“ ein immundiagnostisches Tuberkulose-Screening mittels TuberkulinHauttest (THT) oder Interferon-gamma Release Assay (IGRA) [2]. Bei positivem Testergebnis sollen weitere Abklärungen und eine Therapie gemäß bestehenden nationalen Empfehlungen erfolgen [6]. Die praktische Umsetzbarkeit eines solchen allgemeinen Tuberkulosescreenings erfordert personelle und logistische Unterstützung für die vor Ort Tätigen durch Politik und Geldgeber. Ohne eine solche Unterstützung wird ein flächendeckendes, zeitnahes Screening nicht möglich sein. Für die infektionshygienische Überwachung ist nach § 36 (1) IfSG der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) verantwortlich. Der Umfang des Kurzscreenings ist gesetzlich nicht vorgegeben. Die Autoren dieser Stellungnahme unterstützen das Kölner Statement zur medizinischen Versorgung von Flüchtlingen vom 23.9.2015 [11], in dem es heißt, dass die reine (ärztliche) „Inaugenscheinnahme“ – neben einer möglichen Traumatisierung des Flüchtlings – eine Vergeudung von wertvollen Ressourcen ist, da für die Identifikation von vermeintlichen Ansteckungsgefahren eine strukturierte Anamnese und eine gezielte Untersuchung notwendig sind. Als bessere Alternative soll geschultes medizinisches Fachpersonal wie z. B. Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpfleger und -pflegerinnen, medizinische Fachangestellte/Arzthelfer und Arzthelferinnen oder Sanitäter und Sanitäterinnen in ausreichender Zahl und mit ausreichendem Zeitdeputat in allen Erstaufnahmestellen als Ansprechpartner für alltägliche gesundheitliche Fragestellungen vorgehalten werden. Bei Notwendigkeit einer ärztlichen Expertise sollen die Flüchtlinge dann ärztlichem Personal vorgestellt werden. Idealerweise sollen Kurzscreening und Basisuntersuchung zusammengefasst werden. Während die „Inaugenscheinnahme“ grundsätzlich zeitnah und ganztägig bei Ankunft der Personen erfolgen sollte, er- folgt die Basisuntersuchung zu festgelegten geordneten Sprechstundenzeiten im Tagesrhythmus der Einrichtung – möglichst innerhalb von 24 Stunden nach Ankunft in der Erstaufnahmestelle. Basisuntersuchung in den Erstaufnahmestellen Die Basisuntersuchung („Gesundheitscheck“) sollte bei Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter idealerweise von einem Kinder- und Jugendarzt durchgeführt werden. Ziel dieser Untersuchung ist das Erkennen von 1. potenziell übertragbaren Erkrankungen und von 2. akut behandlungsbedürftigen, (auch) nicht infektiologischen Grunderkrankungen. Diese Untersuchung soll zeitnah nach der Erstaufnahme stattfinden, sie erfolgt ohne Behandlungsschein und wird von den Behörden, die für die Erstaufnahmestellen zuständig sind, organisiert und finanziert. Der § 62 des Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) legt fest, dass zum Erkennen von kontagiösen Erkrankungen bestimmte Untersuchungen vom Flüchtling bzw. vom Asylbewerber/von der Asylbewerberin geduldet werden müssen. Hierzu können z. B. auch eine Blutentnahme, eine Stuhluntersuchung und ein Röntgenbild des Thorax gehören. Der Umfang der Basisuntersuchung ist gesetzlich nicht vorgegeben. Die Dokumentation der Befunde der Basisuntersuchung ist essenziell, um nachfolgenden medizinischen Einrichtungen die Informationen zur Verfügung zu stellen und Doppeluntersuchungen zu vermeiden! Ein Dokument über die Basisuntersuchung soll dem Flüchtling/dem Asylsuchenden mitgegeben werden, entweder in Papierform oder elektronisch (als digitales Medium könnten z. B. auch Fotoaufnahmen von Papierdokumenten mit den Smartphones der Flüchtlinge benutzt werden, in dessen Besitz viele Flüchtlinge sind). Ein entsprechendes Papierdokument ist z. B. in Bremen als „Bremer Gesundheitsheft“ entwickelt worden1. Zusätzlich sollte eine elektronische, zentrale Dokumentation und Abb. 1 9 Inhalte der infektiologischen Versorgung von Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter in Deutschland Übermittlung der Befunde angestrebt werden, auf die nachfolgende Untersuchungsstellen zurückgreifen können. Ambulante Vorstellung bei niedergelassenen Ärzten/ Ärztinnen Eine Vorstellung bei den niedergelassenen Kollegen und Kolleginnen, die Kinder und Jugendliche versorgen, kann zur Basisuntersuchung (falls diese nicht in den Erstaufnahmestellen geleistet wird) oder bei akuten Erkrankungen erfolgen. Im letzteren Fall sollten die Flüchtlinge – je nach landesrechtlicher Regelung – im Besitz einer Gesundheitskarte oder eines Behandlungsscheins sein, der nach Einzelantrag vom für sie zuständigen Sozialamt oder der Regierungsbehörde ausgestellt wird. In manchen Bundesländern, wie z. B. Nordrhein-Westfalen, reicht ein von der Erstaufnahmestelle vergebener Behandlungsschein zur ambulanten Weiterbehandlung aus. In Ländern wie Bre1 Das Dokument kann unter www.bvkj.de/ mitglieder/medien-und-materialien als pdf-Datei heruntergeladen werden. men und Hamburg erhalten Flüchtlinge nach ihrer Registrierung eine Gesundheitskarte. Mit dieser fallen Einzelanträge auf Behandlungsscheine weg und erleichtern die medizinische Versorgung (mit reduziertem Leistungsanspruch gemäß AsylbLG). Entsprechende Versichertenkarten sollten in allen Bundesländern ausgestellt werden. Stationäre Vorstellung in den Kinderkliniken bei akuten Erkrankungen Auch für diese Behandlung sollte eine Gesundheitskarte bzw. ein Behandlungsschein des zuständigen Sozialamtes oder der Regierungsbehörde vorliegen, über den die Übernahme der Behandlungskosten gesichert ist. Notfallbehandlungen sind immer ohne Behandlungsschein zu leisten. Praktisches Vorgehen BVKJ, DGPI und GTP schlagen folgendes Untersuchungsprogramm bei Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter nach Ankunft in Deutschland für die Erkennung und Prävention von Infektionskrankheiten vor (zusammenfassende Darstellung in . Abb. 1). Dabei sollte zur optimalen Nutzung ärztlicher Ressourcen das Kurzscreening mit der Basisuntersuchung kombiniert werden. Wichtig ist die Verfügbarkeit von Dolmetschern, wenn keine ausreichenden Deutschkenntnisse bei den Flüchtlingen vorhanden sind. Die Autoren der Stellungnahme befürworten eine Finanzierung von Dolmetschern über die gesetzlichen Krankenkassen. Basisuntersuchung in den Erstaufnahmestellen Ziel der Basisuntersuchung ist der Ausschluss von übertragbaren Infektionskrankheiten, akut behandlungsbedürftigen Erkrankungen und die Erhebung des Impfstatus. Das Untersuchungsprogramm umfasst Routineuntersuchungen, die obligat alle Flüchtlinge erhalten sollen, sowie spezielle Untersuchungen, die fakultativ bei bestimmten anamnestischen Hinweisen, Symptomen oder Befunden ergriffen werden sollen. Der Internist 5 · 2016 421 Schwerpunkt: Medizin für Migranten Letztere sind unter Punkt „Ambulante Vorstellung“ dargestellt. Empfohlene Routineuntersuchungen von Kindern und Flüchtlingen Anamnese 1. Aktuelle Beschwerden und Vorerkrankungen j Hinweise auf übertragbare Erkrankungen, insbesondere exanthematöse Haut-, Durchfall- und Atemwegserkrankungen (inklusive Tuberkulose) j Akut behandlungsbedürftige Erkrankungen j Akut psychische Dekompensationsrisiken2 2. Familienanamnese und Begleitpersonen j Wer sind die Begleitpersonen? (Mit Dokumentation der Telefonnummer(n) der Begleitpersonen) j Ansteckende Erkrankungen der Begleitpersonen (insbesondere Tuberkulose) 3. Überprüfen der vorhandenen Dokumentation bekannter TuberkulinHauttest-Ergebnisse oder Bluttests für Tuberkulose Erfragen des Impfstatus3 4 Nur Impfpässe oder Arztbriefe zählen als offizielle Impfdokumente4 Klinische Untersuchung 4 Gewicht, Länge 4 Körperliche Untersuchung mit spezieller Beachtung von j Haut: Hinweise auf Infektionen (u. a. Erkennen von Skabies, Läusebefall, Pyodermie, Masern, Varizellen), Verletzungen 2 Ein Screening auf posttraumatische Belastungsstörungen (engl. posttraumatic stress disorder, PTSD) ist prinzipiell sinnvoll, sollte jedoch nur dann angeboten werden, wenn auch eine psychologische Nachbetreuung im Fall eines positiven Ergebnisses gewährleistet ist. Andernfalls wird eine erneute Traumatisierung durch die Befragung, die nicht adäquat behandelt werden kann, riskiert. 3 Infos über ausländische Impfpläne: http:// apps.who.int/immunization_monitoring/ globalsummary/schedules 422 Der Internist 5 · 2016 j Lymphknoten (insbesondere tu- berkulöse Lymphadenitis als häufigste extrapulmonale Manifestation) j Herz, Lunge, Abdomen Erklärungen bzw. Begründungen des Untersuchungsprogramms: 1. Grundlage für die Erkennung von behandlungsbedürftigen Infektionskrankheiten sind die Anamnese sowie die körperliche Untersuchung. Aus logistischen Überlegungen werden diese im Rahmen einer Basisuntersuchung knapper und fokussierter gehalten, mit dem Ziel, schwere sowie hoch ansteckende Infektionskrankheiten zu erkennen. 2. Die Impfanamnese stellt einen wichtigen Teil der Basisuntersuchung dar. Hierdurch können Impflücken sicher erkannt werden und die notwendigen Nachholimpfungen zeitnah veranlasst werden, was insbesondere vor dem Hintergrund von Sammelunterkünften mit hohem Infektionsrisiko wichtig ist. 3. Kontrovers diskutiert werden können die Notwendigkeit und der Umfang einer Blutentnahme im Rahmen der Basisuntersuchung. Gerade bei Kindern bedeutet die Blutentnahme einen hohen logistischen Aufwand. Demgegenüber ist die frühzeitige Erkennung mit Einleitung adäquater Therapie- und 4 In einer aktuellen Stellungnahme des Robert Koch-Instituts vom 5.10.2015 [16] können bei Flüchtlingen ausnahmsweise mündliche Angaben zu erfolgten Impfungen auch ohne Impfdokumente Berücksichtigung finden, sofern sie als glaubwürdig eingeschätzt werden. Eine solche Ausnahme kann bei Flüchtlingen aus Syrien gemacht werden,die vor 2010 geimpft worden sind. Syrien hatte vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs ein effizientes Impfprogramm mit exzellenten Impfraten. Wenn die Eltern oder der/die Jugendliche glaubhaft versichern können, dass vor Ausbruch des Bürgerkriegs eine vollständige Immunisierung nach dem syrischen Impfplan erfolgte, kann auf die Durchführung von vielen Nachholimpfungen verzichtet werden (Ausnahmen: Varizellen und Meningokokken Gruppe C bzw. ACWY Konjugatimpfstoff, da diese in Syrien nicht im Impfprogramm enthalten sind). Bleiben Zweifel, gilt das empfohlene Vorgehen bei den Nachholimpfungen. Präventionsmaßnahmen bei einigen Infektionskrankheiten nur durch Laboruntersuchungen möglich. Beispielsweise ist die Prävalenz der Hepatitis B in den Ursprungsländern der Flüchtlinge deutlich höher als in Deutschland (Balkanstaaten und Naher Osten im Bereich von je 2–4 %, in afrikanischen Ländern südlich der Sahara 5 bis > 8 % [22]). Auf Hepatitis B wird in diesen Ländern während der Schwangerschaft üblicherweise nicht gescreent. 4. Die routinemäßige Durchführung eines Tuberkulose-Screenings ist aufgrund der Vielzahl von Flüchtlingen eine Herausforderung für die praktische Umsetzung. Begründet wird die medizinische Notwendigkeit eines routinemäßigen Screenings mit der erhöhten Prävalenz der Tuberkulose innerhalb von Risikopopulationen wie Flüchtlingen [2]. Zuverlässige Daten zur Prävalenz der Tuberkulose bei Flüchtlingen in Deutschland fehlen. Die Prävalenz dürfte aber mindestens so hoch liegen wie im jeweiligen Herkunftsland der Flüchtlinge. Herkunftsländer von Flüchtlingen mit sehr hoher Tuberkuloseinzidenz (d. h. > 100 pro 100.000) sind: Afghanistan, Eritrea, Nigeria, Pakistan und die Ukraine [24]. Allerdings ist bekannt, dass Prävalenzdaten aufgrund der vielfältigen Expositionsrisiken in Krisengebieten ohne ausreichende medizinische Versorgung und während der Flucht unzuverlässig sind. In einem systemischen Review, der die nationalen Prävalenzdaten mit jenen in Krisenregionen verglich, konnte gezeigt werden, dass die Raten in Krisenregionen 2- bis 20-fach erhöht sind [13]. In die Abwägung eines routinemäßigen Tuberkulosescreenings muss letztendlich auch mit einbezogen werden, dass das Risiko einer Tuberkuloseübertragung, das von Kindern ausgeht, deutlich geringer ist als bei Erwachsenen (auch wenn Ansteckungen durch Sputum-negative Kinder und durch Säuglinge beschrieben sind). Falls ein routinemäßiges Tuberkulosescreening mit THT oder IGRA personell und organisatorisch nicht bei allen Kindern und Jugendlichen in den Erstaufnahmestellen umsetzbar ist, sollte das Screening zeitlich prioritär im Rahmen der Basisuntersuchung bei Vorliegen eines der folgenden Kriterien [10] durchgeführt werden: (1) bekannter Tuberkulose-Kontakt, (2a) Gewichtsstagnation oder Gewichtsverlust, (b) Husten > 2 Wochen Dauer, (c) unerklärtes Fieber > 1 Woche, (d) persistierende Müdigkeit, oder (3) Herkunft aus einem Land mit hoher Tuberkuloseinzidenz (> 100 pro 100.000 Bewohner). Das fehlende Tuberkulosescreening soll unter Angaben der Gründe dokumentiert und zeitnah bei allen Kindern und Jugendlichen nachgeholt werden. 5. Eine routinemäßige Röntgenuntersuchung des Thorax zum Ausschluss einer Lungentuberkulose, wie sie bei erwachsenen Flüchtlingen Standard ist, ist bei Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren aufgrund der niedrigen Sensitivität bei relevanter Strahlenbelastung abzulehnen. Bei Jugendlichen ab 15 Jahren ist nach IfSG eine Röntgen-ThoraxUntersuchung vorgeschrieben, um das Nichtvorliegen einer infektiösen Lungentuberkulose bescheinigen zu können [18]. Wichtig wäre zum Zeitpunkt der Basisuntersuchung bereits die Erkennung akuter und chronischer behandelbarer Erkrankungen. Zeitliche Limitationen und Kommunikationsschwierigkeiten im Rahmen der Basisuntersuchung erschweren oder verhindern einen solchen Anspruch. Die Diagnostik muss dann auf die ambulante Versorgung nach Verteilung der Flüchtlinge auf die Kommunen verschoben werden. Da die Erfahrungen im Umgang mit einer großen Anzahl an Flüchtlingen bisher beschränkt sind, müssen die Empfehlungen dieser Stellungnahme im Verlauf an neue Erkenntnisse angepasst werden („work in progress“). Empfohlene Impfungen in Erstaufnahmestellen Frühzeitige Impfungen der Flüchtlinge nach Ankunft in Deutschland sollen 1. den individuellen Schutz des Flüchtlings sicherstellen und 2. Ausbrüche impfpräventabler Infektionserkrankungen verhindern oder begrenzen. Um zeitnah eine hohe Impfquote sicherzustellen, sind Impfangebote so früh als möglich nach Ankunft in den Räumlichkeiten der Aufnahmeeinrichtungen empfohlen (sogenannte Kohortenimpfung). Dazu sollen alle Flüchtlinge einen vollständigen Impfschutz bzw. eine Erstimpfung nach den aktuellen STIKO-Empfehlungenzur„Umsetzung frühzeitigerImpfungen bei Asylsuchenden nach Ankunft in Deutschland“ aufweisen bzw. erhalten [16]. Im Fokus der Verhinderung von Ausbrüchen steht ein möglichst rascher Impfschutz gegen Masern, Mumps, Röteln und Varizellen. Unter Berücksichtigung von Kontraindikationen (z. B. Schwangerschaft, schwere Immunsuppression) haben Lebendimpfungen gegen diese Viruserkrankungen bei Nichtgeimpften in den Gemeinschaftseinrichtungen die höchste Priorität5 . Auf eine Varizellenimpfung kann verzichtet werden, wenn durch die Eltern eine Varizellenerkrankung in der Anamnese des Kindes glaubhaft angegeben wird. Darüber hinaus sind in Gemeinschaftseinrichtungen Ausbrüche von invasiven Meningokokkenerkrankungen (wie Meningitis, Sepsis), Pertussis und Influenza gefürchtet, weshalb diese Impfungen zusätzlich zu den Standardimpfungen allen Flüchtlingen im Kindesund Jugendalter in Erstaufnahmeeinrichtungen angeboten werden sollen. Die Standardimpfung gegen Rotaviren soll jungen Säuglingen STIKO-kon5 Um Ausbrüche ausreichend sicher vermeiden zu können, ist eine einmalige MMR+V-Impfung zunächst ausreichend. Die 1. Impfdosis sollte im Alter von 9 Monaten (bis zu einem Alter von 6 Jahren) aufgrund eines möglicherweise höheren Fieberkrampfrisikos als getrennte MMR+V-Impfung verabreicht werden [14], kann aber aus medizinischen oder organisatorischen Gründen auch als MMRV-Vierfachimpfung verabreicht werden [16]. Die 2. MMRV-Impfung (bevorzugt als Vierfachimpfstoff) soll zu Beginn des 2. Lebensjahres [14] nachgeholt werden. Hinweis: Der Vierfachimpfstoff Priorix Tetra® ist nur bis zu einem Alter von 12 Jahren zugelassen. form verabreicht werden. Dadurch kann das Risiko für Rotavirusausbrüche in den Einrichtungen reduziert werden. Auch Hepatitis A kann prinzipiell zu Ausbrüchen in Gemeinschaftseinrichtungen führen, allerdings ist derzeit die Ausprägung des Risikos nicht bekannt, weshalb zum jetzigen Zeitpunkt eine routinemäßige Hepatitis-A-Impfung in Erstaufnahmestellen nicht empfohlen werden kann. Aufgrund des Ausbreitungspotentials von Varizellen-Infektionen in Gemeinschaftseinrichtungen soll die erste Impfung – als MMR + V-Impfung – ab dem Alter von neun Lebensmonaten vorgezogen werden. Die 2. MMRV-Impfung sollte zu Beginn des 2. Lebensjahres gegeben werden, um einen optimalen Schutz vor Masern zu haben. Dabei muss ein Mindestabstand von 4–6 Wochen zur 1. MMRV-Impfung beachtet werden. Da die Impftiter bei einer so frühen Immunisierung niedriger ausfallen, ist eine 3. MMRV-Impfung zwischen dem Alter von 15 und 23 Monaten (mindestens 3 Monate Abstand zur 2. MMRV-Impfung) empfohlen. Bei bestehendem fehlenden Impfschutz gegen Pertussis soll diese Impfung – je nach Alter des Flüchtlings und Impfstatus – mit Diphtherie, Tetanus, Poliomyelitis, ggf. auch mit Hepatitis B und H. influenzae Typ b kombiniert werden. Siehe dazu die aktuellen Impfempfehlungen der STIKO [14]. Bei der Rotavirusimpfung ist zu beachten, dass möglicherweise ein geringfügig erhöhtes Risiko für Darminvaginationen (ca. 1–2 Fälle pro 100.000 geimpfte Kinder) innerhalb der 1. Woche nach der 1. Rotavirusimpfung besteht. Dieses Risiko nimmt mit dem Alter der Impflinge zu. Daher empfiehlt die STIKO dringend, die Impfserie frühzeitig – spätestens bis zum Alter von 12 Wochen – zu beginnen und vorzugsweise bis zum Alter von 16 Wochen (Rotarix® ) bzw. von 20–22 Wochen (RotaTeq®) abzuschließen. Die Impfserie muss für Rotarix® auf jeden Fall bis zum Alter von 24 Wochen und für RotaTeq® bis zum Alter von 32 Wochen abgeschlossen sein. Die Sorgeberechtigten müssen über die klinischen Symptome einer Invagination aufgeklärt werden können (cave: Sprachbarriere) und auch kurzfristig eine Der Internist 5 · 2016 423 Schwerpunkt: Medizin für Migranten Bestehende Impflücken gegen Masern, Mumps, Pertussis, Röteln und Varizellen sollen bei der Erstuntersuchung erkannt und durch entsprechende Impfungen möglichst zeitnah geschlossen werden [16]. 1. Dabei haben der Impfschutz gegen Masern, Mumps, Röteln und Varizellen aus Sicht des Patienten und der Gemeinschaft die höchste Priorität.6 2. Danach folgt in der Dringlichkeit der Individualschutz gegen Tetanus sowie der Schutz vor Diphtherie, Poliomyelitis und Pertussis (der auch aus der Sicht der Gemeinschaft zu fordern ist, um Ausbrüche zu verhindern). 3. Die Impfung aller Flüchtlinge im Kindesund Jugendalter in Gemeinschaftseinrichtungen gegen Influenza, Meningokokken der Serogruppe C7 und bei Säuglingen unter 3 Monaten gegen Rotaviren (Abschluss der Impfung vorzugsweise bis zum Alter von 16–22 Wochen) ist zur Vermeidung der Ausbreitung von Ausbrüchen sinnvoll. 4. Auch die Standardimpfungen gegen Pneumokokken und humane Papillomaviren sollen zeitnah verabreicht werden, möglichst bevor die Flüchtlinge auf die Kommunen verteilt werden. 6 Um Ausbrüche ausreichend sicher vermeiden zu können, ist eine einmalige MMRV-Impfung zunächst ausreichend. Die 2. MMRV-Impfung kann zu einem späteren Zeitpunkt (d. h. zu Beginn des 2. Lebensjahres [14]) nachgeholt werden. 7 Statt der in Deutschland empfohlenen Standardimpfung gegen Meningokokken der SerogruppeCistbeiFlüchtlingenausdenderzeitigen Regionen die Impfung mit einem tetravalenten MenACWY-Konjugatimpfstoff alternativ zu erwägen, da die Flüchtlinge aus Ländern mit höherer Prävalenz von Meningokokken der Serogruppen A, W, Y kommen, deshalb mit diesen Erregern besiedelt sein können (was zu Ausbrüchen führen kann) und möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt Reisen in ihre Heimatländer (als sogenannte „Visiting Friends and Relatives“ (VFR)) unternehmen. Aufgrund des vergleichbaren Preises der MenACWY-Konjugatimpfstoffe mit den MenC-Impfstoffen fallen bei VerwendungvonMenACWYkeine wesentlichen Zusatzkosten an. 424 Der Internist 5 · 2016 medizinische Vorstellung gewährleistet sein, falls ein Säugling symptomatisch wird. Zu den empfohlenen Impfungen von medizinischem Personal und (ehrenamtlichen) Helfern wird auf die Anlage 4 der STIKO-Empfehlung vom 5. Oktober 2015 verwiesen [16]. Ambulante Vorstellung Ambulante Vorstellungen bei Ärzten und Ärztinnen, die Kinder und Jugendliche versorgen, können zur Basisuntersuchung oder bei behandlungsbedürftigen akuten oder chronischen Erkrankungen erfolgen. Im Erkrankungsfall muss das Untersuchungsprogramm symptomorientiert individuell bestimmt werden. Bei Verdacht auf eine importierte Infektionskrankheit oder bei positiven Screeningbefunden soll frühzeitig Kontakt mit einem pädiatrischen Infektiologen/einer pädiatrischen Infektiologin oder einem Tropenmediziner/einer Tropenmedizinerin aufgenommen werden. Anamnese und klinischer Untersuchungsbefund Neben Anamnese und klinischer Untersuchung (siehe . Tab. 2 und 3) sollen ein Basislabor bei allen Flüchtlingen abgenommen werden und ein Tuberkulosescreening durchgeführt werden, wenn dieses noch nicht in den Erstaufnahmestellen gemacht wurde. Zur Weitergabe bereits erhobener medizinischer Befunde ist eine Kommunikationsstruktur/-kultur zwischen der lokalen Erstaufnahmestelle und den lokalen Praxisärzten und -ärztinnen notwendig. Eine solche Struktur existiert derzeit nicht flächendeckend und sollte aufgebaut werden. Hierbei sollten – außer bei akuter Notwendigkeit – die Untersuchungen möglichst dort zugeordnet werden, wo die strukturellen Bedingungen für die erforderliche Compliance und mögliche Therapie angenommen werden kann. Dies ist eher erst in der aufnehmenden Kommune der Fall. Selbstverständlich kann aufgrund von Befunden aus der Anamnese und/oder der klinischen Untersuchung des Kindes/Jugendlichen eine Erweiterung dieses Basislabors medizinisch indiziert sein. Blutentnahme Als Basislaboruntersuchungen werden Blutbild und Differenzialblutbild bestimmt. Weitere routinemäßige Blutentnahmen werden nur bei Flüchtlingen aus bestimmten Hochprävalenzgebieten8 für ausgewählte Infektionskrankheiten empfohlen: 4 Serologien auf HIV9 (idealerweise kombinierter Antigen-Antikörpertest), 4 Hepatitis B (HBs-Antigen). Erklärungen bzw. Begründungen des Untersuchungsprogramms: 1. Die Prävalenz einer Anämie, in erster Linie einer EisenmangelAnämie (aber auch Hämoglobinopathien), ist bei Flüchtlingen hoch [1, 25] und kann jedoch auch auf eine chronische Infektion (z. B. HIV, Tuberkulose) hinweisen. Über das Differenzialblutbild kann außerdem eine Eosinophilie erkannt werden, die auf eine parasitäre Infektionserkrankung hinweisen und eine weitere Abklärung erfordern kann. 2. Die Auswahl der serologischen Testungen beschränkt sich auf chronische Infektionserkrankungen, die auch bei asymptomatischen Patienten entweder eine Therapie (HIV, ggf. Hepatitis B) erfordern oder ein wesentliches Übertragungsrisiko (HIV, Hepatitis B) aufweisen. Eine Testung auf Hepatitis C wird derzeit nicht empfohlen, da bisher für die Pädiatrie keine allgemein akzeptierte Therapie existiert und keine spezifische Prophylaxe möglich ist. Eine Untersuchung von Antikörpern gegen spezielle tropische Infektionserreger wird bei anamnestischen und klinischen Hinweisen regionenspezifisch neben anderen Nachweisverfahren durchgeführt, in der Regel jedoch durch Tropenmediziner und -medizinerinnen. Es wird in nächster Zeit 8 Als Hochprävalenzländer gelten Länder mit einer Erkrankungsprävalenz von ≥ 1 % für HIV (d. h.derzeit nurinLänderninSub-Sahara Afrika; nicht Naher und Mittlerer Osten, z. B. Syrien) [23] bzw. ≥ 8 % für Hepatitis B (d. h. derzeit nur in Ländern in Sub-Sahara Afrika; nicht Naher und Mittlerer Osten, z. B. Syrien) [22]. 9 Ein informiertes Einverständnis wird benötigt Tab. 2 Anamnese bei Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter Unterlagen zu Schwangerschaft und Geburt (falls zugänglich; v. a. bei Kindern < 6 Jahren) – Mütterliche Risikofaktoren vor/während der Schwangerschaft (z. B. Hepatitis-B-, Hepatitis-C-, HIV-, Lues-Status, mütterliche Medikamente, Drogen, Alkohol, Nikotin) – Schwangerschaftswoche, Geburtsmodus, Geburtsgewicht, Geburtslänge, Kopfumfang bei Geburt, APGAR-Werte – Geburts- oder postnatale Komplikationen – Ergebnisse des Neugeborenen-Stoffwechselscreenings bzw. -Hörscreenings Perzentilenkurven inkl. Kopfumfang (internationale WHO-Kurvena verwenden) Vernachlässigung, Missbrauch, Gewaltanwendungb Ernährung (v. a. Eisen, Kalzium, Vitamin D, Iod) Meilensteine der Entwicklung Verhaltensauffälligkeiten Labor- oder bildgebende Vorbefunde Impfstatusc Tuberkulin-Hauttest- oder IGRA-Ergebnisse Vorerkrankungenc (v. a. Hinweise auf chronische Erkrankungen) Allergien Medikamenteneinnahme Arztberichte Familienanamnese Umweltrisiken (z. B. Blei-, Nikotin-Exposition) Institutionalisierung Aktuelle Beschwerdenc (insbesondere Fragen nach Husten, Fieber, Gewichtsverlust, Nachtschweiß, Hauterscheinungen, Juckreiz, Durchfall, Erbrechen, akute Schmerzen) . Tab. 2 und 3 sind als Orientierungshilfe gedacht, an welche anamnestischen und klinischen Befunde bei der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter gedacht werden soll. a Zusätzlich internationale WHO-Kurven (www.who.int/childgrowth/en) verwenden. b Ein Screening auf posttraumatische Belastungsstörungen (engl. posttraumatic stress disorder, PTSD) ist prinzipiell sinnvoll, sollte jedoch nur dann angeboten werden, wenn auch eine psychologische Nachbetreuung im Fall eines positiven Ergebnisses gewährleistet ist. Andernfalls wird eine erneute Traumatisierung durch die Befragung, die nicht adäquat behandelt werden kann, riskiert. c Mindestanforderungen an Anamnese und Untersuchung im Rahmen einer Basisuntersuchung. noch zu diskutieren sein, ob nicht regionenspezifisch ein Screening z. B. bzgl. Schistosomiasis sinnvoll ist, da chronische Infektionen lange asymptomatisch (und ohne Eosinophilie) verlaufen und zu schweren, irreversiblen Schäden führen können. 3. Eine routinemäßige Untersuchung von Urin oder Stuhl ist ohne entsprechende Symptomatik nicht sinnvoll [25]. Bevor ein Stuhlscreening allgemein empfohlen werden kann, sind regionenspezifische Daten zur Prävalenz von Darmparasitosen unter den Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter in Deutschland notwendig. Erst wenn diese Daten vorliegen, kann über die empirische Gabe von luminalen Antihelmintika (z. B. Mebendazol) als Alternative [20] zum Stuhlscreening oder gar keiner Maßnahme entschieden werden. Eventuell muss ein immundiagnostisches Tuberkulosescreening mittels Tuberkulin-Hauttest (THT) oder Interferongamma Release Assay (IGRA)10 nachgeholt werden, falls ein solches nicht in der Erstaufnahmeeinrichtung stattgefunden hat.Ein Tuberkulosescreening soll nach denVorgabenderArbeitsgruppe „AWMFLeitlinie Diagnostik, Prävention und Therapie der Tuberkulose im Kindes10 Der IGRA hat den Vorteil gegenüber dem THT, dass keine zweite Vorstellung zum Ablesen des Testergebnisses notwendig ist und keine falsch-positiven Screening-Ergebnisse bei Z. n. BCG-Impfung erfasst werden. Dafür ist der Test teurer als der THT und die Test-Performance bei Kindern unter 5 Jahren ist nicht ausreichend evaluiert. und Jugendalter“ bei allen asylsuchenden Kindern und Jugendlichen < 15 Jahren unabhängig von der Tuberkuloseinzidenz des Herkunftslandes durchgeführt werden [2]. Bei positivem Testergebnis sollen weitere Abklärungen und die Therapie gemäß bestehenden nationalen Empfehlungen erfolgen. Wenn die Infektion weniger als 8 Wochen zurückliegt oder eine Miliartuberkulose vorliegt, können beide Teste negativ sein. 4 Wahl des Testverfahrens bei Kindern < 5 Jahren: In dieser Altersgruppe soll in erster Linie ein Tuberkulin-Hauttest (THT) angelegt werden. Bei eingeschränkter Verfügbarkeit von PPD RT-23 kann auch bei Kindern < 5 Jahren ein IGRA verwendet werden. 4 Wahl des Testverfahrens bei Kindern und Jugendlichen ≥ 5–15 Jahren: Bei Kindern ab 5 Jahren kann ein Tuberkulin-Hauttest (THT) oder ein Interferon-gamma Release Assay (IGRA) verwendet werden. 4 Interpretation des THT: Die Interpretation des THT-Ergebnisses muss unter Berücksichtigung des BCG-Impfstatus (evtl. falschpositiv) und des Ernährungs- bzw. Krankheitsstatus (falsch-negativ bei schwerer Malnutrition oder nach Masernerkrankung) erfolgen. Eine Induration von ≥ 10 mm ist eine Indikation zur weiteren Untersuchung unabhängig vom BCG-Impfstatus. 4 Interaktion THT/IGRA und Maserninfektion/-impfung: 4 Eine Masernimpfung oder -infektion kann zu einer temporären Suppression der zellvermittelten Immunantwort und damit zu einem falsch-negativen THT- oder IGRATestergebnis führen [21]. Das immunodiagnostische Screening sollte deshalb zeitgleich oder vor einer MMR(V)-Impfung durchgeführt werden. Falls eine Masernimpfung kürzlich verabreicht wurde oder eine Masernerkrankung vorliegt, sollten 4–6 Wochen Abstand zur Masernimpfung/-infektion für die Testung eingehalten werden [21]. Der Internist 5 · 2016 425 Schwerpunkt: Medizin für Migranten Tab. 3 Klinische Untersuchung bei Flüchtlingen im Kindes- und Jugendaltera Vitalzeichena: Körpertemperatur, Herzfrequenz, Atemfrequenz, evtl. Blutdruck Gewichta, Längea, Kopfumfang (mit Anlegen einer Perzentilenkurve; internationale WHO-Kurvenb verwenden), BMI Komplette körperliche Untersuchung mit spezieller Beachtung von: – Hauta: Hinweise auf Infektionen (u. a. Erkennen von Skabies, Läusebefall, Pyodermie, Masern, Varizellen), angeborene Hauterkrankungen, Verletzungen – Lymphknoten – Herza, Lungea, Abdomena – Genitalien: Hinweise auf Infektionen, sexueller Missbrauch, Mutilationen – Neurologie: Entwicklungsstand – HNO- und Zahnstatus . Tab. 2 und 3 sind als Orientierungshilfe gedacht, an welche anamnestischen und klinischen Befunde bei der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter gedacht werden soll. a Mindestanforderungen an Anamnese und Untersuchung im Rahmen einer Basisuntersuchung. b Zusätzlich internationale WHO-Kurven (www.who.int/childgrowth/en) verwenden. Bei gesicherter Exposition und initial negativem THT oder IGRA muss der Test nach 3 Monaten wiederholt werden. Bei Kindern < 5 Jahren soll in dieser Situation bis zum wiederholten Test eine Chemoprophylaxe mit Isoniazid gegeben werden [6]. Bei folgenden anamnestischen Hinweisen, Symptomen oder Befunden muss eine weiterführende Diagnostik eingeleitet werden und die Patienten sollen frühzeitig an einen pädiatrischen Infektiologen/eine pädiatrische Infektiologin oder einen Tropenmediziner/eine Tropenmedizinerin überwiesen werden: 4 Durchfall (v. a. wenn blutig-schleimig, mit hohem Fieber oder chronisch [d. h. > 2 Wochen bestehend]), 4 Splenomegalie, 4 Verdacht auf sexuellen Missbrauch (u. a. zum Ausschluss einer sexuell übertragbaren Erkrankung; Absprache zwischen pädiatrischen Infektiologen/Tropenmediziner und Jugendgynäkologen empfohlen), 4 Normozytäre Anämie (u. a. zum Ausschluss einer chronischen Infektion), 4 Eosinophilie (bei Werten > 500/μl). Empfohlene Nachholimpfungen im Rahmen der ambulanten Versorgung Neben der ambulanten Versorgung von akuten oder chronischen Erkrankungen sollen im Rahmen der ambulanten Versorgung der Flüchtlinge (nach Verteilung der Flüchtlinge auf die Kommunen oder bei längeren Aufenthalten in 426 Der Internist 5 · 2016 Erstaufnahmeeinrichtungen) bestehende Impflücken geschlossen werden. Bei den Nachholimpfungen gelten folgende Prinzipien [14]: 4 Nur dokumentierte Impfungen sind applizierte Impfungen4. 4 Jede dokumentierte Impfung zählt, egal wie lange sie her ist, das Immunsystem „vergisst nicht“. 4 Jede Nachimpfung soll in einem Impfausweis dokumentiert werden11. 4 Auffrischen oder Vervollständigen von Standardimpfungen, falls weniger Impfungen als von der STIKO aktuell empfohlen [14] dokumentiert sind und wenn der Patient die folgenden Alterskriterien erfüllt (. Tab. 4). Die STIKO hat seit dem Jahr 2012 Tabellen für verschiedene Altersgruppen publiziert,12 die als Anhaltspunkte für eine individuelle Planung von Nachholimpfungen zu verwenden sind und seitdem jährlich aktualisiert werden [14]. Da die meisten Flüchtlinge nach der Verteilung auf die Kommunen weiter in Gemeinschaftseinrichtungen (z. B. Asylbewerberheime) wohnen werden, ist dort die Infektionsgefährdung für Flüchtlinge höher als in der Allgemeinbevölkerung. 11 Ein Muster für ein Ersatzformular zur Dokumentation durchgeführter Impfungen (bei fehlendem Impfpass) findet sich in der STIKOPublikation [16]. 12 Abzurufen unter http://www.rki.de/DE/ Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2012/Ausgaben/30_12.pdf?__blob=publicationFile. Der in dieser Stellungnahme empfohlene Impfkalender geht wegen der potenziell besseren medizinischen Versorgung in den Kommunen und dem längeren Aufenthalt der Flüchtlinge in den Gemeinschaftseinrichtungen (im Vergleich zu den Erstaufnahmestellen) über das Mindest-Impfangebot hinaus, dass das Robert Koch-Institut – in Abstimmung mit der STIKO – für Flüchtlinge in Erstaufnahmestellen veröffentlicht hat [16]. In dieser vorliegenden Stellungnahme werden Impfempfehlungen aufgrund der speziellen Lebenssituation in einer Gemeinschaftseinrichtung (in . Tab. 4 kursiv gedruckt) mit den Standardimpfempfehlungen der STIKO [14] kombiniert. Manche Impfzeitpunkte sind aufgrund der Dringlichkeit eines Immunschutzes bei Unterkunft in einer Gemeinschaftseinrichtung (in Analogie zu den STIKOEmpfehlungenfürErstaufnahmeeinrichtungen [16]) vorgezogen (in . Tab. 5 mit j gekennzeichnet). Müssen Flüchtlinge aus logistischen, administrativen oder politischen Gründen länger in Erstaufnahmeeinrichtungen verbleiben (> 4–6 Wochen), sollte auch diese Population sämtliche in . Tab. 5 angeführten Nachholimpfungen erhalten. Abstriche, die dem Nachweis einer Besiedelung mit multiresistenten Erregern (MRE) dienen (sogenanntes Kolonisationsscreening) sind bei Flüchtlingen und Asylbewerbern im Kindes- und Jugendalter im ambulanten Setting routinemäßig nicht empfohlen. Anstelle eines routinemäßigen MREScreenings ist im ambulanten Bereich die sorgfältige Beachtung der Basishygiene [12] zielführend für den Umgang mit allen Patienten. Bei bekannter Besiedelung mit MRE sind spezielle Hygienemaßnahmen im ambulanten wie im stationären Setting zu ergreifen [8]. Die Frage der Notwendigkeit einer Dekolonisierung bei Nachweis einer Besiedelung mit MRSA bei einem ansonsten gesundenKind istGegenstand einersorgfältigen individualmedizinischen Risikoanalyse des behandelnden Kinder- und Jugendarztes. Im Falle einer MRSA-Infektion sollte parallel zur Behandlung eine Dekolonisation des Kindes angestrebt werden. Hier steht eine Anzeige. K Schwerpunkt: Medizin für Migranten Tab. 4 Empfohlene Altersgruppe und Anzahl der Impfstoffdosen bzw. Impfsequenz der empfohlenen Nachholimpfungen für Flüchtlinge im Kindes- und Jugendalter [14] Impfung Empfohlene AltersAnzahl Impfstoffdosen bzw. Impfsequenz gruppe MMR 1–17 Jahre nach 1.1.1970 Geborene 0–1 Monat einmalig MMR Varizellen 1–17 Jahre 0–1 Monat Diphtherie Immer 0–1–6 Monate Tetanus Immer 0–1–6 Monate Poliomyelitis Immer 0–1–6 Monate Pertussis Immer Altersabhängig 1–4 Dosen (siehe STIKO-Empfehlungen [14]) H. influenzae Typ b < 5 Jahre Altersabhängig 1–4 Dosen (siehe STIKO-Empfehlungen [14]) Hepatitis Ba 0–17 Jahre 0–1–6 Monate; bei Impfungen von Säuglingen mit 6-fachem Kombinationsimpfstoff sind 4 Impfdosen notwendig Pneumokokken < 2 Jahre Alters- und gestationsaltersabhängig 1–4 Dosen (siehe STIKO-Empfehlungen [14]) Rotavirus 6–12 Wochenb (Beginn 2 oder 3 Impfdosen (im 4-Wochen-Abstand; siehe der Impfserie) STIKO-Empfehlungen [14]) Meningokokken ACWY bzw. Cc 1–17 Jahre Einmalige Impfung Influenza (saisonal)d Immer (ab einem Alter von 6 Monaten möglich) 1 oder 2 Impfdosen (2 Impfdosen im 4-Wochen-Abstand bei erster Influenzaimpfung im Leben des Impflings, sonst reicht eine Einzeldosis) HPV 9–17 Jahre 2 oder 3 Impfdosen (0–1–6 Monate)e (siehe STIKOEmpfehlungen [14]) a In Gemeinschaftseinrichtungen bevorzugt mit Hepatitis A kombinieren. Das Mindestalter der 1. Dosis ist 6 Lebenswochen. Das Höchstalter der 1. Dosis Rotateq® ist 12 Lebenswochen (keine Altersangabe für Rotarix® ). Das Höchstalter bei letzter Dosis ist 24 Lebenswochen (bei Rotarix®) bzw. 32 Lebenswochen (bei Rotateq®). c Vorzugsweise als MenACWY-Impfung. d Der lebend-attenuierte Influenza-Impfstoff (LAIV; intranasale Applikation) ist der bevorzugte Impfstoff im Kindesalter und kann bei Kindern im Alter von 2–17 Jahren verwendet werden. Nach den STIKO-Empfehlungen ist er bevorzugt im Alter von 2–6 Jahren einzusetzen [14]. Für Säuglinge und Kinder unter 2 Jahre können nur parenterale inaktivierte Influenza-Totimpfstoffe (TIV) verwendet werden. e Bei Immunisierungsbeinn bis zum Alter von 13 Jahren (mit Gardasil®) bzw. bis zum Alter von 14 Jahren (d. h. bis ein Tag vor dem 15. Geburtstag) (mit Cervarix®) muss nur 2-malig im Abstand von 6 Monaten geimpft werden (dann Mindestabstand für Cervarix® 5 Monate). holten Kontakt mit Einrichtungen des Gesundheitssystem hatte oder 2. eine bekannte frühere Kolonisierung oder Infektion mit MRE hatte oder 3. chronische Wunden/Hautläsionen aufweist. Darüber hinaus sollte ein MRE-Screening erfolgen, wenn der Patient in der Klinik Kontakte zu potenziell gefährdeten Risikopatienten, z.B. aus den Bereichen Intensivtherapie, Onkologie oder Transplantation hat und 1. eine Flüchtlingsanamnese in den letzten 3 Monaten13 hatte oder 2. in einer Gemeinschaftseinrichtung untergebracht ist. Zum Screening benötigte Proben werden von folgenden Körperstellen abgenommen: 4 beide Nasenvorhöfe und Rachen (MRSA) – 2 Tupfer, 4 beide Leisten (MRSA) – ein Tupfer für beide Stellen ausreichend, 4 Rektalabstrich (multiresistente gramnegative Bakterien; MRGN) – ein Tupfer ausreichend, Durchtritt durch den Analsphinkter notwendig! b Bis zum Erhalt der MRE-Screeningergebnisse ist bei stationären Patienten eine prophylaktische Isolierung empfohlen (soweit dies die baulichen Bedingungen zulassen). Untersuchungsprogramm für schwangere Flüchtlinge bei Erstvorstellung 4 Frage nach Husten, Fieber, Gewichts- Stationäre Vorstellung in den Kinderkliniken Die Vorstellung in einer Kinderklinik wird meist bei akuten Erkrankungen erfolgen. Neben dem symptomorientierten individuellen Untersuchungsprogramm soll die Vorstellung in einer Kinderklinik genutzt werden, um eventuell noch fehlende Untersuchungen aus dem Umfang der Basisuntersuchung zu ergänzen. Dazu ist entweder eine Dokumentation der Basisuntersuchung notwendig (z. B. Einlegeblatt mit den Ergebnissen der Basisuntersuchung im U-Heft oder Impfaus- 428 Der Internist 5 · 2016 weis) oder eine Kommunikationsstruktur mit der lokalen Erstaufnahmestelle bzw. den lokalen Praxisärzten und -ärztinnen notwendig. Eine solche Struktur existiert derzeit nicht und sollte aufgebaut werden. Zusätzlich zur eventuellen Komplettierung der Basisuntersuchung soll bei Flüchtlingen ein MRE-Screening vor/bei jeder stationären Aufnahme erfolgen, wenn der Patient 1. innerhalb der letzten 12 Monate im Herkunftsland bzw. im Transit einen Krankenhausaufenthalt oder wieder- verlust, Nachtschweiß, 4 Impfstatus erheben, 4 Messung von Körpertemperatur, Atemfrequenz, Herzfrequenz, Blutdruck, Körpergewicht, 4 körperliche Untersuchung von Lunge, Abdomen (inkl. Nieren). Schwangere sollen danach bzw. nach Feststellung einer Schwangerschaft einer 13 Die Grenze von 3 Monaten ist arbiträr gewählt,da es keine DatenzurMRE-Besiedelung bei Flüchtlingen gibt. Bei neuen Erkenntnissen muss die Zeitangabe ggf. revidiert werden. Tab. 5 Empfohlener Impfkalender für Flüchtlinge im Kindes- und Jugendalter in Gemeinschaftseinrichtungen (nach Verteilung auf die Kommunen, gültig für Flüchtlinge, die das Stadium des Aufenthaltes in Erstaufnahmestellen bereits hinter sich haben, oder bei längeren Aufenthalten in Erstaufnahmeeinrichtungen) Impfungen Kombination mit Vorsorgeuntersuchung Vgl. zu STIKO-Empfehlungen [14] 2 Monate: DTaP-IPV-HepB-Hib + PCV + RVa Dito b 3 Monate: DTaP-IPV-HepB-Hib + (PCV ) + RV Bei U4 4 Monate: DTaP-IPV-HepB-Hib + PCV + (RVc) j j Dito d 9 Monate: MMR + V + TIV (Impfung ab 6 Monate möglich) Spätestens bei U6 12 Monate: MMRVj + MenC oder MenACWYe + HAVf Bei U6 13 Monate: DTaP-IPV-HepB-Hib + PCV Nein (ab 12 Monate für MMR + V) Nein (für MenACWY) Dito (11–14 Mo) 15–23 Monate: evtl. Nachholimpfungen + MMRVg + HAVh ab 24 Monate: LAIV Dito Bei U7 MMRVj Bei U9 Dito d Nein 5–6 Jahre: Tdap 9–17 Jahre: Tdap-IPV Dito 9–14 Jahre: HPVi für Mädchen Spätestens bei J1 Dito a Rotavirus(RV)-Infektionsausbrüche in Flüchtlingslagern werden beschrieben, unklar, ob relevant unter der derzeitigen Situation in den deutschen Gemeinschaftsunterkünften. b Pneumokokken-Konjugat-Impfung (PCV) nur für Frühgeborene; bei Reifgeborenen 2+1-Schema. c Bei Rotarix® zwei Impfdosen, bei Rotateq® drei Impfdosen. Zulassung nur für das Alter von 6 bis 24 Wochen (Rotarix®) bzw. 6 bis 32 Wochen (Rotateq®). d Im Alter von 6 Monaten bis 8 Jahren sollen Kinder, die noch nie eine Influenza-Impfung (IV) erhalten haben, zwei Impfdosen im Abstand von mindestens 4 Wochen erhalten (TIV tri- oder tetravalente inaktivierte Influenza-Impfstoffe zur parenteralen Applikation; LAIV lebend-attenuierte Influenza-Impfstoffe zur intranasalen Applikation). e Der Preis der tetravalenten MenACWY-Konjugatimpfstoffe ist vergleichbar mit dem der monovalenten MenC-Impfstoffe. f Bei Aufenthalt in Gemeinschaftseinrichtungen empfohlen. g Bei Erstimpfung mit MMRV vor dem 12. Lebensmonat und Zweitimpfung nach 4–6 Wochen ist eine 3. MMRV-Impfung notwendig (Mindestabstand zur 2. MMRV-Impfung von 3 Monaten). h Abstand zur ersten HAV-Impfung: 6–12 Monate. i Impfschema: 0–6 Monate für Mädchen im Alter von 9 bis 13 Jahren (Gardasil® ) bzw. im Alter von 9 bis 14 Jahren (Cervarix®), 0–1(–2)–6 Monate für Mädchen ab einem Alter von 14 Jahren (Gardasil® ) bzw. 15 Jahren (Cervarix®). Bis zum 18. Lebensjahr nachholen, falls vorher keine HPV-Impfung erfolgt ist. j vorgezogen niedergelassenen Frauenärztin14 vorgestellt werden. Dort sind folgende zusätzliche Untersuchungen – nach den „Mutterschafts-Richtlinien“ – empfohlen: 4 Urin-Status auf Eiweiß, 4 kapilläres/venöses Blutbild zur Hämoglobin-Kontrolle, 4 serologische Untersuchungen auf Hepatitis B (HBs-Antigen; idealerweise nach der 32. Schwangerschaftswoche, möglichst nahe am errechneten Geburtstermin), HIV (anti-HIV; nach entsprechender Aufklärung), Lues (TPPA/TPHA/ELISA), Röteln (falls keine zwei Röteln-Impfungen erfolgt sind), 4 Ein Rektovaginalabstrich zwischen der 34. und 37. Schwangerschaftswoche auf Gruppe-B-Streptokokken und multiresistente gram-negative Erreger (MRGN) sollte aufgrund der 14 Aus kulturellen Gründen sollte eine Vorstellung bei einer Frauenärztin bevorzugt werden 4 4 4 4 zu erwartenden höheren Inzidenz einer Besiedelung in der Flüchtlingspopulation durchgeführt werden, Abstriche auf multiresistente Erreger (MRE) sind bei schwangeren Flüchtlingen im Jugendalter im ambulanten Setting routinemäßig nicht zu fordern. Die Testung macht jedoch Sinn bei allen Schwangeren in der Spätschwangerschaft (z. B. mit einem GBS-Screening kombiniert), spätestens bei stationärer Aufnahme zur Geburt oder bei vorzeitiger Wehentätigkeit, Influenza-Impfung mit InfluenzaTotimpfstoffen sind zu empfehlen (ab der 20. Schwangerschaftswoche), bei negativer Röteln-Serologie Aufklärung über Verhalten bei RötelnExposition und aktive Röteln-Impfung nach der Entbindung empfehlen; dann kombiniert als MMR-Impfung (ggf. zusätzliche Varizellenimpfung), Totimpfstoffe wie Tdap-Impfstoffe können in der Schwangerschaft ge- geben werden, sodass bestehende Impflücken ggf. auch in der Schwangerschaft geschlossen werden können. Impfungen sollten jedoch nicht vor dem 2. Trimenon durchgeführt werden. Finanzierungsaspekte Die Finanzierung von medizinischen Leistungen bei Flüchtlingen ist nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) geregelt. Flüchtlinge erhalten – über den Umweg einer Einzelbeantragung bei den Behörden – einen Krankenbehandlungsschein (oder Versichertenkarte – ja nach Bundesland) mit eingeschränktem Leistungsanspruch. In einigen Bundesländern (z. B. Hamburg, Bremen) wurde dieses Verfahren durch Gesundheitskarten ersetzt. Kosten werden erstattet für Behandlungen von 1. akut notwendigen, nicht aufschiebbaren Erkrankungen, 2. Schmerzen, Der Internist 5 · 2016 429 Schwerpunkt: Medizin für Migranten 3. Mutterschaftsvorsorgeleistungen, 4. Früherkennungsuntersuchungen U1 bis U9, 5. Gesundheitsuntersuchung J1, 6. Schutzimpfungen. Leistungen für vorbestehende chronische Erkrankungen müssen nicht vergütet werden. In diesen Fällen muss laut Gesetzeslage immer eine Kostenzusage vor der Behandlung eingeholt werden. Diese restriktive Haltung wurde vom 118. Deutschen Ärztetag in Frankfurt/M. kritisiert und als ethisch fragwürdig angesehen [3]. Die Einschränkung von medizinischen Leistungen ist auch ökonomisch nicht sinnvoll, da höhere Folgekosten damit verbunden sind [4]. So lagen in einer Studie die ProKopf-Ausgaben für die eingeschränkte medizinische Versorgung um ca. 40 % höher als bei Asylsuchenden mit regulärem Anspruch auf kassenärztliche Leistungen [4]. Zusätzlich ist der Verwaltungsaufwand für Einzelbegutachtungen von Leistungsanträgen erheblich und verursacht zusätzliche Kosten für die zuständigen Ämter. Kostenträger im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes ist die jeweilige Kommune, in Einzelfällen das Bundesland. Die Abwicklung erfolgt über das örtlich zuständige Sozialamt. Nach Gewährung von Asyl oder nach 15 Monaten Aufenthalt in Deutschland – bei noch nicht abgeschlossenem Asylverfahren – hat der Asylbewerber einen Anspruch auf eine Vollversicherung über eine gesetzliche Krankenkasse. Einige bundesdeutsche Länder (z. B. Hamburg und Bremen) stellen bereits nach Antrag auf Asyl eine Gesundheitskarte aus, über die Asylbewerber bei einer gesetzlichen Krankenversicherung mit den vorgenannten Einschränkungen versichert sind und sich direkt bei einem Arzt mit Kassenzulassung vorstellen können. Nordrhein-Westfalen hat im August 2015 mit Krankenkassen eine Rahmenvereinbarung zur Einführung der Gesundheitskarte beschlossen, in einigen Ländern ist dies geplant.15 Die Delegierten des 118. Deutschen Ärztetag in Frankfurt/M. fordern für alle Flüchtlinge in Deutschland die Einführung einer Versichertenkarte [3]. 430 Der Internist 5 · 2016 Im Gegensatz zu Kindern, die gemeinsam mit ihren Eltern nach Deutschland flüchten und nach dem AsylbLG einen eingeschränkten Leistungsanspruch auf medizinische Versorgung haben, erhalten unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF), die in die Obhut des Jugendamtes genommen werden, ab diesem Moment die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Versorgung der Flüchtlinge insbesondere im stationären Bereich mit schweren Erkrankungen, eingreifenden Therapien einschließlich Operationen und unterschiedlicher Prognose erfordert erhebliche zusätzliche Ressourcen. Es müssen Dolmetscher gefunden und bezahlt werden. Alle Untersuchungen, Aufklärungen, Therapien und Visiten dauern meist ein Mehrfaches der bei deutschen Patienten aufzuwendenden Zeit. Die problematische Unterkunft in den Heimen macht es notwendig, Kinder aufzunehmen, die bei Vorhandensein einer intakten Wohnung zu Hause gepflegt werden könnten. Kinder können aus dem gleichen Grund nicht nach Hause entlassen werden, wenn eine häusliche Nachbehandlung nicht gewährleistet ist. Deshalb müssen zusätzliche Mittel für die Versorgung dieser Kinder bereitgestellt werden, z. B. in Form einer Zusatz-DRG, deren Wert auszuhandeln ist. Die Delegierten des 118. Deutschen Ärztetag in Frankfurt/M. beschlossen: „Alle Flüchtlinge müssen vollen Zugang zu allen Gesundheitsleistungen der gesetzlichen Krankenkassen bekommen“ [3]. Die Delegierten berufen sich dabei auf die UN-Kinderrechtskonvention (Art. 24, Abs. 1), die „das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit“ als ein Grundrecht jedes Kindes nennt. Neben dem Zugang zu optimaler gesundheitlicher Versorgung fordert die UN-Kinderrechtskonvention auch einen Zugang zu Bildung und zu sozialer Teilhabe aller Flüchtlingskinder. Die Autoren der Stellungnahme unterstützen die Forderung nach Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte und Zugang zu Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung für alle Flüchtlinge in Deutschland. Fazit für die Praxis 4 Die Sicherstellung einer adäqua- 4 4 4 4 15 Der Stand zur Einführung von Gesundheitskarten für Flüchtlinge in den einzelnen Bundesländern kann hier nachgelesen werden: www.aerztezeitung.de/ politik_gesellschaft/gp_specials/fluechtlinge/ default.aspx?sid=896098&cm_mmc=Newsletter-_-Newsletter-C-_-20151013-_-Flüchtling. 4 ten medizinischen Versorgung von Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter stellt eine große Herausforderung dar. Bei Kindern und Jugendlichen soll frühzeitig nach Ankunft in einer Erstaufnahmestelle eine ärztliche Basisuntersuchung mit fokussierter Anamnese, klinischer Untersuchung und Erfassung des Impfstatus erfolgen. Ein generelles Tuberkulosescreening (mit Tuberkulin-Hauttest [0-14 Jahre] oder Interferon-gamma Release Assay [5-14 Jahre]) ist bei allen Flüchtlingen im Kindes- und Jugendalter in den Erstaufnahmestellen empfohlen, wird dort aber erfahrungsgemäß personell und organisatorisch an seine Grenzen stoßen. Ist ein generelles Tuberkulosescreening nicht umsetzbar, soll zunächst ein risikobasiertes Tuberkulosescreening erfolgen. Das Screeningergebnis bzw. ein nichtdurchgeführtes Screening ist entsprechend zu dokumentieren. Bestehende Impflücken sollen in der Erstaufnahmestelle sobald wie möglich geschlossen werden. Dabei haben Impfungen gegen Masern, Mumps, Röteln, Varizellen die höchste Priorität, gefolgt von Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Poliomyelitis, sowie saisonale Influenza. Im Rahmen einer ambulanten Weiterbehandlung ist die Bestimmung eines Differenzialblutbildes, bei Herkunft aus Hochprävalenzländern (nicht Syrien) auch eine serologische Untersuchung auf HIV und Hepatitis B empfohlen. Bei der stationären Aufnahme in Kinderkliniken sollte ein Screening auf multiresistente Erreger durchgeführt werden, insbesondere wenn Hier steht eine Anzeige. K Schwerpunkt: Medizin für Migranten Hinweise auf einen früheren Krankenhausaufenthalt bestehen. 4 Unabdingbar, und derzeit vielerorts unzureichend, ist die Dokumentation und Weitergabe medizinischer Befunde an den Schnittstellen zwischen Erstaufnahmestelle sowie ambulanter und stationärer Versorgung. Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt. J. Pfeil, R. Kobbe, S. Trapp, C. Kitz und M. Hufnagel geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren. Literatur Korrespondenzadresse PD Dr. M. Hufnagel Sektion Pädiatrische Infektiologie und Rheumatologie, Klinik I, Zentrum für Kinderund Jugendmedizin, Universitätsklinikum Freiburg Mathildenstr. 1, 79106 Freiburg, Deutschland [email protected] Danksagung. Die Autoren danken zusätzlich folgenden Kollegen und Kolleginnen, die mit Ihren Kommentaren bzw. Beiträgen an der Fertigstellung der Stellungnahme beigetragen haben: Dr. Monika Engel (Kinder- und Jugendärztin aus Karlsruhe), Dr. Roland Fressle (Kinder- und Jugendarzt aus Freiburg, Landesverbandsvorsitzender des BVKJ BadenWürttemberg), Prof. Dr. Walter Haas (Fachgebiet „Respiratorisch übertragbare Erkrankungen“ der Abteilung für Infektionsepidemiologie am Robert Koch-Institut; Ausschuss typische und atypische Mykobakteriosen der DGPI), Dr. Ulrike Horacek, MPH (Gesundheitsamt Recklinghausen), Dr. Axel Iseke, MPH (Gesundheitsamt Münster), Dr. Martina Sappa und Dr. Torsten Spranger (Autoren des „Bremer Gesundheitsheftes“), sowie Dr. Miriam Wiese-Posselt, MPH (Robert Koch-Institut – Fachgebiet Impfprävention). 432 Der Internist 5 · 2016 1. American Academy of Pediatrics (2012) Comprehensive health evaluation of the newly adopted child. Pediatrics 129:e214–e223 2. 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Zugegriffen: 22.11.2015 Gefährlicher triple-negativer Brustkrebs Neue Zielmoleküle für die Behandlung Etwa 15% aller Brustkrebspatientinnen leiden unter dem triple-negativen Brustkrebs (TNBC). Betroffen sind etwa 11.000 Frauen in Deutschland pro Jahr, die Neuerkrankungsrate nimmt zu. Als Behandlung steht bisher außer der Operation nur die ungerichtete Chemotherapie zur Verfügung. Sie schädigt auch gesunde Zellen und ist daher für die Patientinnen sehr belastend. Trotz Behandlung sterben daher viele Patientinnen innerhalb von drei Jahren nach der Diagnose. Bei dieser gefährlichen Variante des Brustkrebses fehlen den entarteten Zellen bestimmte Andockstellen für Hormone und Botenstoffe, die bei anderen Brustkrebsvarianten vorkommen. Konkret handelt es sich dabei um den Östrogenrezeptor (ER), den Progesteronrezeptor (PR) und den Wachstumsfaktorrezeptor 2 (HER2). Allerdings sind genau diese 3 Andockstellen der Angriffspunkt von Medikamenten, mit denen Brustkrebs zielgerecht behandelt wird – biologische und chemische Wirkstoffe, die die kranken Zellen über diese Rezeptoren attackieren. Fehlen diese Rezeptoren, können auch die Medikamente nicht mehr eingesetzt werden, denn sie gelangen gar nicht erst in die Tumorzellen, um dort zu wirken. Eine Forschergruppe an der TU München unter der Leitung von Manfred Schmitt sowie am Helmholtz Zentrum München unter der Leitung von Michaela Aubele hat sich nun auf einen anderen Rezeptor konzentriert, der insbesondere auch bei wandernden Tumorzellen und Metastasen in anderen Organen vorliegt: der sog. uPA-Rezeptor und damit verbundene Protein, das uPAR-Interactom. Den Wissenschaftlern war aufgefallen, dass einzelne Mitglieder des uPAR-Interactoms beim triple-negativen Brustkrebs auffallend häufig in hoher Zahl vorkommen. Sie sind für die Zellteilung sowie für die Ausbreitung und die Ansiedlung von TNBC-Tumorzellen in anderen Organen wichtig. Dies hatten die beiden Teams zuvor durch Untersuchungen gezeigt, in denen sie im Labor mit genetischen Veränderungen an einzelnen Brustkrebszellen die Wirksamkeit von uPAR unterbrochen hatten. Die Folge war, dass die Krebszellen sich kaum noch teilten und ihre Aggressivität verloren. Danach untersuchten das Team rund 300 Gewebeproben von TNBC-Patientinnen aus der Gewebebank des Klinikums rechts der Isar. Dort werden seit Jahren Proben aus verschiedenen Tumoren gesammelt, um das Gewebe mit neuen Methoden erforschen zu können. Mit Hilfe dieser Tumorproben wollte die Gruppe die vielfältigen Interaktionen, die uPAR offensichtlich auch mit anderen Botenstoffen und Signalsubstanzen von Zellen hat, aufklären. Das Team bereitete die Zellen aus Turmorgewebe und aus TNBC-positiven Brustkrebstumorzellen so auf, dass auf molekular-biologischem Weg über 30 verschiedene Proteine und Botenstoffe nachgewiesen werden konnten, die mit uPAR in Wechselwirkung stehen. Darunter befanden sich auch verschiedene Zellwachstumshormone sowie Rezeptoren für das Verdauungshormon Insulin, das Nahrung in die Zellen bringt. So gelang es den Forschern, auch einige wichtige und bislang in diesem Zusammenhang noch nicht bekannte Proteine wie zum Beispiel Cyr61 und YB1 zu identifizieren. Anschließend wertete das Team die in der Gewebedatenbank ebenfalls gespeicherten Patienten- und Krankheitsdaten aus. Dabei zeigte sich, dass zwischen den neu identifizierten Proteinen und der metastasenfreien Überlebensdauer von Frauen mit TNBC tatsächlich ein signifikanter Zusammenhang besteht. Damit ist klar, dass genau diese Proteine Angriffsstellen sein könnten, um die Tumorzellen zu vernichten. Die Entwicklung eines biologisch wirksamen Medikaments und klinische Studien stehen noch aus. Ein praktisches Ergebnis der umfangreichen Auswertung der Gewebedatenbank liegt jedoch schon vor: In Zukunft können Ärzte bessere Aussagen über den Verlauf der TNBC-Erkrankung und der damit verbundenen Lebenserwartung machen und die Patientinnen besser aufklären und beraten. Quelle: Informationsdienst Wissenschaft (idw) Pressemitteilung Wilhelm Sander-Stiftung Der Internist 5 · 2016 433 Schwerpunkt: Medizin für Migranten Internist 2016 · 57:434–443 DOI 10.1007/s00108-016-0055-5 Online publiziert: 22. April 2016 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 J. Schellong · F. Epple · K. Weidner Redaktion S.M. Schellong, Dresden B. Salzberger, Regensburg Psychosomatik und Psychotraumatologie bei Geflüchteten und Migranten Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, TU Dresden, Dresden, Deutschland Herausforderungen für den Internisten Deutschland steht vor der Herausforderung, eine gesundheitliche Versorgung für Flüchtlinge zu gewährleisten, die auch psychische Vulnerabilitäten berücksichtigt. Erschütterungen durch Erlebnisse im Herkunftsland, während des Migrationsprozesses, bei Ankunft ebenso wie im weiteren Verlauf beeinflussen die psychische Gesundheit. Die häufigsten psychischen Störungen rund um Migrationserfahrungen sind nach klinischer Erfahrung Depressionen, Angststörungen, psychosomatische Beschwerdenund posttraumatische Belastungsstörungen. Dem medizinischen Erstkontakt kommt hier eine wichtige Funktion als Weichensteller zu. Screeninginstrumente, das Wissen um Besonderheiten der traumainformierten und der dolmetschergestützen Kommunikation sowie Kenntnisse zu Vermittlungsmöglichkeiten in eine adäquate Behandlung helfen, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Prävalenz psychischer Störungen Wie viele der Ankommenden tatsächlich unter psychischen Beschwerden leiden, lässt sich aktuell noch nicht ausreichend abschätzen. Zu unterschiedlich sind die Bedingungen, unterdenenepidemiologische Untersuchungen an Menschen mit Migrationshintergrund bisher durchgeführt wurden [5, 24]. Eine bevölkerungsrepräsentative Befragung in Deutschland ergab, dass ein Migrationshintergrund an sich noch keine erhöhte Prävalenz für 434 Der Internist 5 · 2016 psychische Störungen bedeuten muss – insbesondere bei Migranten, die gut integriert sind und die deutsche Sprache beherrschen [15]. Auch in der Metaanalyse von Lindert [25] zeigt sich bei Arbeitsmigranten keine Erhöhung der Prävalenz im Vergleich zur Normalbevölkerung. Bei traumatisierten Flüchtlingen wird dies allerdings anders gesehen: So findet man bei Flüchtlingen eine teils deutlich erhöhte Prävalenz psychischer Störungen [25, 37], die auch während des Aufenthalts in einem sicheren Land über viele Jahre erhalten bleibt [37]. Auch in anderen Studien finden sich Hinweise auf den engen Zusammenhang zwischen Traumatisierungen und psychischer Gesundheit bei Flüchtlingen [36]. Traumatisierung und Traumafolgestörungen Traumatisierung im Herkunftsland, auf der Flucht, im Aufnahmeland Viele Flüchtlinge waren möglicherweise wiederholt schweren traumatischen Ereignissen ausgesetzt, z. B. Folter, Haft, der Zeugenschaft von Zerstörung und Gewalt, einer eigenen Lebensbedrohung oder dem traumatischen Verlust von Angehörigen. Wenig wissen wir über die Belastungen im Kindesalter oder psychische bzw. psychosomatische Vorerkrankungen. Auch die Bedingungen während der Flucht können zur Traumatisierung geführt haben, etwa durch lange Aufenthalte in unterversorgten Flüchtlingsla- gern oder durch psychosoziale Belastungen und Stress aufgrund von Gewalt oder Trennung von der Familie. Diese meist von Menschen zugefügten „sequenziellen“ Traumatisierungen werden in der Literatur auch als traumatische Erlebnisse von Typ II bezeichnet und vom TypI-Trauma abgegrenzt, einem nur einmaligen Ereignis. Auch die Umstände im »Aufnahmeland beeinflussen die körperliche und psychische Gesundheit Die Umstände im Aufnahmeland sofort nach der Einwanderung wie auch später im Migrationsverlauf haben zusätzlich einen wesentlichen Einfluss auf die körperliche und psychische Gesundheit. Das bestätigen Untersuchungen einer niederländischen Arbeitsgruppe [20]. Wichtige Faktoren direkt nach der Einwanderung sind Fremdheitsgefühl, Diskriminierung und Rassismus, Sprach-und Verständigungsprobleme, spätere Faktoren sind u. a. hochgradige Verunsicherung und eine ungünstige soziale Integration. Die Bedingungen in den Gemeinschaftsunterkünften in Verbindung mit der Unsicherheit, wo der nächste Unterbringungsort sein wird, die Sorge um die Zurückgebliebenen oder die Angst vor einer Abschiebung sind manchmal so verunsichernd, dass sie die psychische Hier steht eine Anzeige. K Schwerpunkt: Medizin für Migranten Gesundheit zusätzlich stark beeinträchtigen können [20, 35]. Nach schwerwiegenden Belastungen können sich psychische Störungen entwickeln, die gemeinhin zunächst als Traumafolgestörungen bezeichnet werden. Nicht jeder entwickelt im Anschluss an ein potenziell traumatisierendes Erlebnis eine Traumafolgestörung. Prägende Vorerfahrungen, soziale Bedingungen sowie die Art, Anzahl und das Ausmaß der Traumatisierungen haben Einfluss darauf, ob und wie jemand erkrankt [6, 18, 27]. Posttraumatische Belastungsstörung Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist in den medizinischen Klassifikationssystemen erst seit 1980 erfasst. Diese Erkrankung stellt eine der möglichen Traumafolgestörungen dar. Sie kann sich als Folge einer existenziellen Bedrohung oder nach Zeugenschaft einer solchen Situation entwickeln. Als potenziell traumatisch gilt nach der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD-10) ein kurz oder lang anhaltendes Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß, das nahezu bei jedem eine tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde [10]. InderUS-amerikanischenKlassifikation, dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5; [2]), werden die auslösenden Stressereignisse konkret benannt: Exposition mit tatsächlichem oder drohendem Tod, schwerer Verletzung oder sexueller Gewalt, die direkt selbst oder als Zeuge erlebt wird. Die PTBS ist die „klassische“ Traumafolgestörung. Bei diesem Störungsbild sind nach Erleben einer potenziell traumatischen Situation folgende Hauptsymptome prägend [1, 2, 10]: 4 Wiedererleben des traumatischen Ereignisses in Form von unkontrollierten Gedanken und Bildern, aufdringlichen Nachhallerinnerungen und Träumen, den sog. Intrusionen oder Flashbacks 4 Vermeiden von traumanahen Reizen im Handeln und im Denken. Dieses Vermeidungsverhalten neigt zu 436 Der Internist 5 · 2016 Generalisierung und Ausbreitung auf Reize, die bisher noch nicht mit dem Trauma verknüpft waren. 4 Gefühl des Betäubtseins („numbing“), Unfähigkeit, die eigenen Gefühle wahrzunehmen, eventuell auch einige wichtige Aspekte der Belastung zu erinnern, emotionale Starre 4 Übererregung (Hyperarousal), z. B. Schlafstörungen, Reizbarkeit, Hypervigilanz oder Konzentrationsschwierigkeiten, Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen. Körperliche Symptome von Übererregung (Zittern, Schwitzen, Herzrasen) 4 Im Kindesalter teilweise veränderte Symptomausprägungen (z. B. wiederholtes Durchspielen des traumatischen Erlebens, Verhaltensauffälligkeiten, z. T. aggressive Verhaltensmuster) Die Symptomatik dauert mindestens einen Monat und tritt innerhalb von 6 Monaten nach dem traumatischen Geschehen auf, gelegentlich aber auch erst später (verzögerte PTBS). In der deutschen Allgemeinbevölkerung beträgt die 1-Monats-Prävalenz der PTBS 1–3 %. Sie ist abhängig von Geschlecht und Alter: Frauen sind häufiger betroffen als Männer, Menschen über 60 Jahre häufiger als die jüngeren [26]. Die 12-Monats-Prävalenz beträgt 2,3 % [17]. ist die »RateBeianFlüchtlingen PTBS im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung deutlich erhöht In Bevölkerungsgruppen, die häufiger in Kontakt mit potenziell traumatischen Ereignissen sind, ist die Prävalenz deutlich erhöht – so z. B. bei deutschen Soldaten nach dem Afghanistaneinsatz [21]. Auch bei Flüchtlingen und Asylbewerbern ist die Rate an PTBS im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung deutlich erhöht [12] – ebenfalls, weil sie häufiger von potenziell traumatischen Erlebnissen betroffen sind. Einige Studien im deutschen Sprachraum weisen auf Prävalenzen von 20 bis 40 % bei den Ankommenden hin [14, 19, 25]. Über verschiedene Flüchtlingsgruppen, Herkunfts- und Ankunftsländer hinweg wurde in einer Metaanalyse eine PTBS-Prävalenz von etwa 30 % für Flüchtlinge aus Kriegsgebieten gefunden [36]. Traumafolgestörung nach Mehrfachtraumatisierung Nach Typ-II-Traumata, also nach mehrfachen und lang andauernden traumatischen Erlebnissen sowie sexuellen Gewalterfahrungen, entwickeltsichhäufiger ein Subtyp der PTBS mit dissoziativen Symptomen oder auch eine sog. komplexe Traumafolgestörung [11, 33, 40]. Dieses Beschwerdebild ist zusätzlich zu den Symptomen einer PTBS durch eine Vielfalt an psychischen, körperlichen und sozialen bzw. zwischenmenschlichen Beeinträchtigungen gekennzeichnet. Dazu zählen 4 Veränderungen in der Gefühlswelt, 4 körperliche Beschwerden (Schmerzen, Verdauungsprobleme u. a.) ohne (ausreichendes) körperliches Korrelat, 4 dissoziative Symptome wie j die Abspaltung von Teilen des Erlebten aus dem Bewusstsein, j Erstarrungszustände, j Derealisation (Gefühl des Unwirklichen) und j Depersonalisation (Selbstentfremdung oder Entfremdung gegenüber der Umwelt), 4 Selbstschädigung/Selbstverletzung, 4 Suizidgedanken bzw. -impulse, 4 Veränderungen in der Selbstwahrnehmung und 4 Veränderungen in Sexualität und Beziehungsgestaltung. Andere traumaassoziierte Störungen und Komorbidität Die PTBS ist bei Weitem nicht die einzige Störungsform, die als Folge einer Traumatisierung zu verstehen ist. Zum einen wirken sich traumatische Erlebnisse meist auch auf psychosozialer Ebene aus. Zum Zweiten sind komorbide Störungsbilder wie affektive und somato- Zusammenfassung · Abstract forme Störungen, Abhängigkeitserkrankungen und Essstörungen häufig (etwa 80 %; [18]). Zum Dritten kommen diese manchmal auch traumaassoziiert genannten Störungsbilder auch eigenständig vor. Psychotische Episoden mit Halluzinationen von dissoziativen Phänomenen oder Flashback-Erleben im Rahmen einer PTBS abzugrenzen, kann insbesondere bei sprachlichen Einschränkungen Probleme bereiten. Klärung kann manchmal erst eine Vorstellung bei psychiatrisch oder traumaspezifisch ausgebildeten Fachkollegen bringen. Sicher scheint, dass bei Flüchtlingen nicht nur die PTBS, sondern die Anzahl aller psychischen Störungen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung deutlich erhöht ist. Dies gilt auch für die Zahl der oft unbehandelten körperlichen Erkrankungen. Insbesondere Kopfschmerzen, Schmerzen im Abdomen oder in den Extremitäten werden sehr häufig berichtet [7]. Anpassungsstörung Bei einer Anpassungsstörung [4] treten Symptome wie Angst, Traurigkeit, Sorgen und Anspannung innerhalb eines Monats nach einem belastenden Lebensereignis oder einer besonderen Lebensveränderung auf, z. B. nach schwerer Erkrankung, Trennung, einem Verlust oder Schwierigkeiten am Arbeitsplatz. Die Symptome können mehrere Monate bis maximal 2 Jahre anhalten. Auslöser ist zwar eine nachvollziehbare, schwere Belastung, aber kein „traumatisches“ Erlebnis im engeren oben beschriebenen Sinn. Eingeordnet werden hier beispielsweise eine prolongierte Trauer nach dem Verlust eines Angehörigen oder intensive psychische Reaktionen auf Integrationsprobleme werden z. B. hier . Von einer „subsyndromalen“ PTBS wird gesprochen, wenn nach einem traumatischen Erlebnis einige, aber nicht ausreichend viele Symptome einer PTBS vorhanden sind. Internist 2016 · 57:434–443 DOI 10.1007/s00108-016-0055-5 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 J. Schellong · F. Epple · K. Weidner Psychosomatik und Psychotraumatologie bei Geflüchteten und Migranten. Herausforderungen für den Internisten Zusammenfassung Viele Geflüchtete müssen im Herkunftsland, auf der Flucht und gelegentlich auch im Ankunftsland schwer belastende Ereignisse erleben. Die individuellen Reaktionen darauf beeinflussen nicht nur die psychische, sondern auch die somatische Gesundheit. Zudem wirken sich traumatische Erlebnisse meist auf psychosozialer Ebene aus. Die sozialen Verhältnisse und Bedingungen, unter denen eine Integration erfolgt, tragen das Ihre zur psychischen Stabilität bei. Die Gesundheitsversorgung von Geflüchteten darf daher psychosomatische und psychotraumatologische Aspekte nicht vernachlässigen. Dem medizinischen Erstkontakt kommt hier eine wichtige Funktion als Weichensteller zu. Screeninginstrumente, das Wissen um Besonderheiten der traumainformierten und der dolmetschergestützen Kommunikation sowie Kenntnisse der Vermittlung in eine adäquate Behandlung helfen, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Schlüsselwörter Migration · Psychische Gesundheit · Psychische Störungen · Posttraumatische Belastungsstörungen · Traumainformierte Gesprächsführung Psychosomatics and psychotraumatology of refugees and migrants. A Challenge for the Internist Abstract Many refugees experience severely stressful events in their home countries, during migration and occasionally even after arrival in the country of destination. The individual reactions not only influence the mental health but also somatic well being. Traumatic events may have an essential impact on psychosocial functioning; moreover, the social circumstances during the integration process influence mental stability. Physicians play an important role in identifying possible traumatization and Psychotraumatologie und internistische Praxis In . Abb. 1 sind verschiedene Aspekte veranschaulicht, die in der internistischen Praxis berücksichtigt werden sollten, um Flüchtlingen mit psychischen Belastungen gerecht zu werden. Die einzelnen Punkte werden im Text aufgegriffen und erläutert. Der erste Zugang zum Patienten Schlüsselsymptome Da die Darstellung und Bedeutung psychischer und psychosomatischer Symptome und Beeinträchtigungen zwischen den Kulturen generell divergiert und sich subsequently guiding towards adequate treatment; hence, the healthcare of refugees should regularly include psychosomatic and psychotraumatological aspects. Knowledge of screening instruments, trauma-informed care and interpreter-assisted communication are necessary to meet required standards. Keywords Migration · Mental health · Mental disorders · Posttraumatic stress disorder · Traumainformed care auch innerhalb der Herkunftsländer unterscheidet, gelingt es gerade Geflüchteten in ihrem anhaltenden Stresserleben nicht, somatisch begründete Beschwerden von psychischen oder psychosomatischenBeschwerdenzu differenzierenund zu äußern. Insbesondere bei Äußerung der in . Infobox 1 aufgeführten Symptome sollten Behandelnde aufmerksam werden und gegebenenfalls eine Weiterbehandlung initiieren. Screening: PROTECT oder PHQ-9 Grundvoraussetzung ist zunächst eine empathische Kontaktaufnahme, sensible Beobachtung und Untersuchung – soweit sprachlich möglich zudem eine neutrale Gesprächsführung ohne vorschnelle Der Internist 5 · 2016 437 Schwerpunkt: Medizin für Migranten Abb. 1 9 Psychotraumatologische Aspekte bei der Behandlung von Flüchtlingen Zuordnung der Symptome. Zur Identifizierung von traumatisierten Flüchtlingen steht mit PROTECT auch ein europaweit entwickelter, pragmatischer Screeningfragebogen zur Verfügung. Konzipiert wurde er für Interviewer in Ausländerbehörden, um eine erste Abschätzung bezüglich des Vorliegens einer Traumatisierung vornehmen zu können. Zusätzlich zu Fragen nach Schmerzen beinhaltet der Fragebogen einige Fragen nach Schlafstörungen, Albträumen, Erinnerungen an schmerzhafte Ereignisse, Angst, Vergesslichkeit oder Konzentrationsstörungen und Interesselosigkeit. Dieser Kurzfragebogen mit 10 Fragen findet sich in zahlreichen Sprachen unter http://www.protect-able. eu/resources. Die Website bietet auch hilfreiche Erläuterungen. Er ist durchaus auch zum Screening in der ärztlichen Praxis nutzbar. PROTECT ist ein Screening»fragebogen zur Identifizierung traumatisierter Flüchtlinge Da depressive Symptome wesentlich häufiger auftreten als „klassische“ PTBSSymptome, sei hier auch der Screeningfragebogen Patient Health Ques- 438 Der Internist 5 · 2016 tionnaire 9 (PHQ-9) genannt [22, 39]. Dies ist ein psychodiagnostischer Selbstauskunftsfragebogen, der in vielen Sprachen verfügbar ist (http://www. phqscreeners.com). Er erleichtert das Screening und die Messung des Schweregrads depressiver Symptome. Der PHQ-9 ist frei erhältlich und kann gebührenfrei angewendet werden. Traumainformierte Gesprächsführung In der medizinischen Behandlung von Flüchtlingen sind traumabezogene Themen nicht selten mit der Krankheitsgeschichte verwoben. Eine traumainformierte Gesprächsführung kann mit einfühlsamen und ressourcenorientierten Fragen eine achtungsvolle Begegnung ermöglichen, die wichtige Weichen für den weiteren Heilungsverlauf stellt. Im dolmetschergestützten Gespräch wird dies zur Anforderung für alle drei Gesprächspartner. Traumatisierte Menschen können durch die Erinnerung an ihre Erlebnisse in körperliche und seelische Ausnahmezustände (Flashbacks) geraten. Wichtig ist daher, die Gesprächsführung entsprechend anzupassen und „traumainformiert“ vorzugehen (. Infobox 2). Traumatisierung ist mit Gefühlen von Ohnmacht und Ausgeliefertsein verbunden. Einerseits sollten die Patienten nicht erneut diesem Gefühl ausgesetzt werden, andererseits sollte man sich trauen, achtungsvolle Fragen nach erlebten traumatischen Situationen zu stellen. Die Grundsätze der Gesprächsführung sind geprägt von 4 Normalität (normale Reaktion auf katastrophales Ereignis), 4 dem Vertrauen in die Selbstbestimmung (Transparenz) und 4 der Beachtung der Individualität (jeder und jede Reaktion ist einzigartig). Die Abschätzung, ob ein Patient behandlungsbedürftig ist, erfordert keine detaillierte Exploration der belastenden Ereignisse. Hier hat sich bewährt, nach groben Umständen zu fragen, um zu verstehen, ohne aufzuwühlen. Sollte ein Patient dennoch stark emotional reagieren, helfen kleine stressreduzierende Übungen, so kann er beispielsweise bewusst darauf achten, dass die Ausatmung länger dauert als die Einatmung, oder er orientiert sich in der Gegenwart, indem er Rechenaufgaben löst oder Gegenstände mit einer bestimmten Farbe im Raum sucht. Zu viele Reize verwirren und ängstigen zusätzlich. Ein sachlicher, aber dennoch einfühlsamer Ton hilft, einer sich Hier steht eine Anzeige. K Schwerpunkt: Medizin für Migranten Infobox 1 Schlüsselsymptome, die auf eine Traumafolgestörung hinweisen. (Adaptiert nach [8]) Infobox 2 Kernelemente der traumainformierten Gesprächsführung. (Adaptiert nach [34]) 4 4 4 4 4 Grundvoraussetzung: geschützte, 4 4 4 4 4 4 4 Schreckhaftigkeit und Angst Starke Nervosität und Herzrasen Schlafstörungen und Albträume Gefühl der Sinnlosigkeit, Hoffnungslosigkeit Erinnerungslücken, Konzentrationsprobleme Quälende Erinnerungen oder Bilder, die sich aufdrängen Appetitlosigkeit Starke Müdigkeit Verstärktes Bedürfnis nach Alkohol oder Beruhigungsmitteln Generalisierte Schmerzen Beunruhigende Körperwahrnehmungen anbahnenden Dissoziation gegenzusteuern. Bereits die kurze Reorientierung im Raum, eingestreute Fragen mit Gegenwartsbezug oder auch nur das Anbieten eines Schlucks Wasser können antidissoziativ wirken [34]. Besonderheiten der dolmetschergestützten Gesprächsführung bei Asylsuchenden und Geflüchteten In aller Regel wird es schwierig sein, mit Geflüchteten auf Deutsch über so komplexe Themen wie die psychische Befindlichkeit zu sprechen. Teilweise ist es möglich, auf Englisch miteinander ins Gespräch zu kommen – abhängig von den Sprachkenntnissen bei Geflüchteten und Behandelnden. Istdies nichtderFall, wird sinnvollerweise ein Dolmetscher hinzugezogen. Im dolmetschergestützten Gespräch sind einige Hinweise zu beachten [28]: 4 Machen Sie sich in einem kurzen Vorgespräch mit dem Dolmetscher vertraut. 4 Nutzen Sie zum Dolmetschen keine Verwandten oder gar Kinder der Betroffenen. Gerade bei traumabezogenen Inhalten entsteht hier sehr schnell eine massive Überforderung. 4 Versuchen Sie auf eine wortwörtliche Eins-zu-eins-Übersetzung hinzuwirken, ohne den Dolmetschenden dazu zu drängen. 4 Verwenden Sie einfache Wörter und möglichst wenige Fachbegriffe. Eine kurze, präzise Ausdrucksweise erleichtert den Übersetzungsprozess. 440 Der Internist 5 · 2016 störungsfreie Gesprächssituation 4 Kommunikation: j Transparente Erklärung aller Schritte (Gefühl des Ausgeliefertseins vermeiden!) j Wissen um mögliche Stressreaktionen, Normalisierung j Sachlicher, aber einfühlsamer Ton j Beachtung psychischer Zustände und Anpassen der Kommunikation (antidissoziativ) j Bestätigung der Wahrnehmung der Betroffenen und Ernstnehmen von Gefühlen j Ängste der Betroffenen bedenken j Ressourcenorientiertes Fragen, Beachtung, dass die Tat ein endliches Ereignis gewesen ist (z. B.: Wie sind Sie aus der Situation gekommen?) j Keine Zusagen, die nicht haltbar sind (nur Dinge versprechen, über die man selbst Kontrolle hat) 4 Abschluss: Mitgeben schriftlicher Informationen, z. B. Broschüren (möglichst in der Landessprache) 4 Halten Sie trotz des Dolmetschers Blickkontakt mit dem Patienten. 4 Bei allem nötigen Verständnis für fremde Lebenswelten gibt es Grenzverletzungen, die über alle kulturspezifischen Besonderheiten hinweg als solche zu betrachten sind und krank machen (insbesondere Gewalt). 4 Haben Sie Verständnis für die „doppelte Sprachlosigkeit“. (Gemeint ist hier zum einen die Unmöglichkeit, das Erlebte aufgrund hohen Schamgefühls überhaupt in Worte zu fassen, zum anderen die besondere Schwierigkeit, dies auch noch in einer fremden Sprache zu tun.) 4 Verabschieden Sie sich auch vom Dolmetscher und erkundigen Sie sich, ob auch für ihn wieder genügend Abstand zum Gesprächsinhalt hergestellt ist. Behandlung Die Behandlung psychischer Erkrankungen bei Geflüchteten ist nicht nur eine humanitäre Aufgabe. Sie sorgt auch dafür, dass alle anderen (Integrations-) Maßnahmen nicht ins Leere laufen. Ziel ist zunächst die Stabilisierung, medizinische Versorgung und Krisenbehandlung, zudem die Verhinderung einer psychischen Dekompensation mit Symptomausweitung und psychosozialen Folgen sowie schließlich die kurative Therapie. Krisenintervention bei psychischer Dekompensation Suizidale Krisen, ausgeprägte dissoziative Zustände, eine massive depressive Entgleisung oder Angstzustände bedürfen der Akutbehandlung. Nach Ausschluss einer Selbst- oder Fremdgefährdung kann ein psychoedukativ klärendes Gespräch bereits viel Linderung bringen. Explizit für traumatisierte Flüchtlinge entwickelte Text- und Audiovorschläge zur Psychoedukation und auch therapeutische Übungen zur Stabilisierung in verschiedenen Sprachen finden sich zum Beispiel unter http://www.wiki.pszduesseldorf.de/NAWA. Gerade in Gemeinschaftsunterkünften sollte auch ein eventuelles aktuelles Gewalterleben beachtet werden, so etwa häusliche, sexuelle oder rechtsradikale Gewalt. Spezifische Beratungseinrichtungen stehen hier zur Verfügung. Informationen und Hilfsmöglichkeiten in vielen Sprachen für Betroffene und für Fachkräfte finden sich unter der Nummer des bundesweiten Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ (+49 8000 116016; http://www.hilfetelefon.de). Vertraulich, kostenfrei und rund um die Uhr werden Hilfe und Unterstützung auch für Fachkräfte angeboten. Traumaspezifische Psychotherapie Traumafolgestörungen sind durch Psychotherapie gut behandelbar, sofern traumaspezifische Techniken angewendet werden und keine Chronifizierung der Symptome eingetreten ist [3, 13]. Insbesondere die Behandlung der klassischen Form der PTBS, einer Folgestörung nach einzelnem Typ-I-Trauma, zeigt bei Anwendung eines der folgenden Verfahren gute bis sehr gute Ergebnisse [12]: 4 Intensive Exposition in der Erinnerung („prolonged exposure in sensu“) 4 „Eye movement desensitization reprocessing therapy“ nach Shapiro 4 Kognitive Verhaltenstherapie PTBS in mehreren Studien als regelrecht kontraproduktiv erwiesen [9, 16, 23]. Weitervermittlung Es gibt einige vielversprechende Belege für die Wirksamkeit der psychotherapeutischen Behandlung von Flüchtlingen mit Traumafolgestörungen [29, 30, 31]. Die Studienlage ist aber nach wie vor nicht befriedigend, zumal die Teilnehmerzahlen oft gering und die Umstände sowie die Populationen sehr heterogen waren [7]. Eine kulturspezifische Anpassung der Therapiemanuale wird dringend empfohlen, steht aber zum jetzigen Zeitpunkt noch am Anfang [9]. Psychopharmakotherapie Sicherlich stellt sich in einigen Fällen die Frage nach der Notwendigkeit einer Medikation. Eine befriedigende medikamentöse Behandlung ist für die PTBS noch nicht gefunden. Psychotherapie bleibt auch bei traumatisierten Geflüchteten die bevorzugte Behandlungsmethode. Verschiedene Studien belegen eine gewisse Wirksamkeit von selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmern [32, 38] wie Paroxetin und Sertralin sowie des Noradrenalin-Serotonin-Wiederaufnahmehemmers Venlafaxin. Einzelne Hinweise auf positive Effekte finden sich für die Neuroleptika Olanzapin und Risperidon oder für Antikonvulsiva wie Topiramat. Für die Indikation PTBS zugelassen sind in Deutschland lediglich Paroxetin und Sertralin. Bei Schlafstörungen und Überwiegen der depressiven Stimmung hat sich Mirtazapin bewährt. Als spannungslösend werden beispielsweise niedrig potente Neuroleptika wie Quetiapin oder Prothazin empfohlen. Abgesehenvom EinsatzbeiakuterSuizidalität ist von Benzodiazepinen abzuraten. Nicht zu unterschätzen ist zum einen deren hohes Abhängigkeitspotenzial, zum anderen scheinen sie die Entwicklung dissoziativer Phänomene zu begünstigen, das Nachlassen von PTBSSymptomen zu verzögern und psychotherapeutische Techniken in ihrer Wirkung zu beeinträchtigen. Der Einsatz dieser Medikamentengruppe hat sich bei der An vielen Orten haben sich Netzwerke zur medizinischen Versorgung von Flüchtlingen gebildet, in die auch psychosoziale Beratungsstellen sowie ärztliche und psychologische Psychotherapeuten eingebunden sind. Gerade die Behandlung von Flüchtlingen in ihrer Komplexität und unter sich ständig verändernden Bedingungen erfordert ein gut funktionierendes Netzwerk mit hoher Transparenz und guter Absprachemöglichkeit. Ein internistischer Erstkontakt kann zusätzlich zur somatischen Erstversorgung eine wesentliche Weichenstellung sein, um Geflüchtete in spezifische Behandlungssettings zur gezielten psychosozialen Intervention weiterzuvermitteln. Die Versorgungsumstände, d. h. die Unterbringung in einer Erstaufnahmeeinrichtung, in der Gemeinschaftsunterkunft einer Kommune oder in dezentralen Wohnungen bzw. das eigenständige Leben als anerkannter Flüchtling, beeinflussen die Möglichkeiten einer fachspezifischen Versorgung. Sind Patienten noch ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, haben sie nach § 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes grundsätzlich lediglich Anspruch auf die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände. „Sonstige Leistungen“ – z. B. Psychotherapie – können im Einzelfall übernommen werden, wenn sie für die Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerlässlich sind und die Betroffenen besondere Bedürfnisse haben (§ 6 Asylbewerberleistungsgesetz). Dies gilt beispielsweise für unbegleitete Minderjährige oder Personen mit schweren Gewalterfahrungen (Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt). In diesen Fällen ist eine gesonderte Beantragung von Leistungen erforderlich, die auch Fahrtund Dolmetscherkosten beinhaltet. Haben Patienten einen gesicherten Aufenthaltsstatus, so sind sie bei einer Krankenkasse versichert und haben Anspruch auf alle Krankenkassenleistungen und damit auch auf psychotherapeutische Leistungen, soweit diese indiziert sind. Allerdings werden in diesem Fall die Dolmetscherkosten von Krankenkassen bisher nicht übernommen. Spannungsfeld Begutachtung Die Realität der Flüchtlingssituation ist die Hoffnung auf Anerkennung als Flüchtling und die Angst vor Ausweisung. Der Wunsch nach einer Bescheinigung der Ausreiseunfähigkeit wird verständlicherweise in der Behandlung oft thematisiert. Andererseits bitten Behörden um Unterstützung. Um der Gefahr einer Instrumentalisierung zu entgehen, sollte auch in diesem Kontext die Trennung von Gutachtensituation und Behandlung wesentlicher Grundsatz bleiben [41]. Die Beurteilung der Reisefähigkeit wird meist vom Öffentlichen Gesundheitsdienst oder von Ärzten bzw. anderen Gutachtern übernommen, die die Ausländerbehörde beauftragt. In der Zusammenarbeit hat sich eine transparente Auftrags- und Rollendifferenzierung bewährt. Unkritisch ist dagegen die Ausstellung von Befundberichten. Diese können ihrerseits von späteren Gutachtern in ihre Einschätzung einbezogen werden. Die Begutachtung reaktiver psychischer Störungen nach dem aufenthaltsrechtlichen Verfahren gehört in die Hände erfahrener Gutachter. Spezialisierte psychotraumatologische Kenntnisse sind Grundlage für die qualifizierte Begutachtung von Menschen mit Traumafolgestörungen. Die Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT) definiert Standards für eine Qualifikation und führt eine Liste zertifizierter Gutachter (http://www.degpt.de). Fazit für die Praxis 4 Traumatisierende Erlebnisse im Her- kunftsland, auf der Flucht und im Ankunftsland können die Gesundheit von Geflüchteten stark beeinträchtigen. 4 Internisten können Weichensteller für eine gezielte Psychotherapie oder Der Internist 5 · 2016 441 Schwerpunkt: Medizin für Migranten für die Vermittlung in Unterstützungsnetzwerke sein. 4 Grundfertigkeiten in dolmetschergestützter und traumasensibler Gesprächsführung helfen diese Weichenstellerfunktion wahrzunehmen. 4 Für die Detektion von Flüchtlingen mit Traumafolgesymptomatik stehen Kurzfragebogen zur Verfügung. 4 Stellungnahmen und Begutachtungen bezüglich der Reisefähigkeit sollten von der Behandlung getrennt werden. Korrespondenzadresse Dr. med. univ. J. Schellong Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, TU Dresden Fetscherstr. 74, 01307 Dresden, Deutschland [email protected] Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt. J. Schellong, F. EppleundK. Weidner geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren. Literatur 1. American Psychiatric Association (2000) Diagnostic and statistical manual of mental disorders, fourth edition (Dsm-4(r)). Washington DC, American Psychiatric Association 2. American Psychiatric Association (2013) Diagnostic and statistical manual of mental disorders, fifth edition (Dsm-5(r)). Arlington, American Psychiatric Association 3. Bisson JI, Roberts NP, Andrew M (2013) Psychological therapies for chronic post-traumatic stress disorder (PTSD) in adults (Review). Cochrane Database Syst Rev CD003388. doi:10.1002/14651858 4. Bley S, Einsle F, Maercker A et al (2008) Anpassungsstörungen – Die Erprobung eines neuen diagnostischen Konzepts in einem ambulanten psychosomatischen Setting. Psychother Psychosom Med Psychol 58(12):446–453 5. 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Das Leben ohne Krankenversicherung hat für Betroffene oft katastrophale Folgen: Krankheiten werden verschleppt, Wunden nicht adäquat versorgt, die Patienten bleiben, da sich ihr Gesundheitszustand zusehends verschlechtert, daheim und verlieren jeden Anschluss, weshalb viele am Ende auch noch psychisch erkranken – ein Teufelskreis. Professor Peter C. Ostendorf, ehemaliger Chefarzt des Zentrums für Innere Medizin im Hamburger Marienkrankenhaus, startete im Frühjahr 2014 eine Initiative, um die als unerträglich empfundene Situation der Betroffenen zu verbessern. Gemeinsam mit Kollegen eröffnete er in drei Räumen, die ihm die Gesellschaft „Pflegen & Wohnen“ im Senioren Centrum Horn unentgeltlich zur Verfügung stellte, die erste Hamburger „Praxis ohne Grenzen“. Das Mobiliar stammte aus der ausgemusterten Intensivstation des Marienkrankenhauses, wo Ostendorf sogar die Seifenspender abmontierte. Mehrere Stiftungen unterstützten die Anschaffung der medizinischen Geräte, auf die viele Hersteller zudem großzügige Rabatte gewährten. Im ersten Jahr kamen insgesamt 1280 Patienten in die Sprechstunde, zu der die „Praxis ohne Grenzen“ jeden Mittwoch von 15 bis 18 Uhr einlädt. Der ständig steigenden Nachfrage wegen sah man sich bald gezwungen, sowohl die Räumlichkeiten als auch das Angebot zu erweitern. Die notwendig gewordenen Umbauten finanzierte die Reimund C. Reich-Stiftung. Inzwischen verfügt die „Praxis ohne Grenzen“ in Hamburg-Horn über zwölf Räume, verteilt auf 320 Quadratmeter. Kostenlose Sprechstunden Waren in der Ambulanz zunächst nur Internisten, Dermatologen, Gynäkologen und Pädiater tätig, so laden heute auch Zahnärzte, Augenärzte, HNO-Ärzte, Chirurgen und Orthopäden in die kostenlose Sprechstunde, wo sich Patienten auf Wunsch auch anonym behandeln lassen können. Ergänzt wird das medizinische Angebot durch eine Sozialberatung. Mittlerweile arbeiten 41 Ärzte, zwölf Krankenschwestern und Medizinisch-technische Assistentinnen sowie zwei Dolmetscher und eine Bürokraft in der Hamburger Einrichtung, die sich vor allem durch Spenden finanziert. Künftig rechnet Ostendorf mit bis zu 2500 Patienten pro Jahr, nicht zuletzt der steigenden Flüchtlingszahlen wegen. Finanzielle Engpässe ergäben sich mitunter durch teure Medikamente, Operationen und aufwendige Therapiekonzepte. Das mit dem CharityAward verbundene Preisgeld von 20.000 Euro, sagte der 77-jährige Internist bei der Preisverleihung in Berlin, „gibt uns eine Reserve für Notfälle, Operationen oder Chemotherapien“. Mit dem Medienpaket in Höhe von 100.000 Euro, unterstützt von Springer Medizin und dem TV-Wartezimmer aus Freising, will der ehemalige Chefarzt den Bekanntheitsgrad seiner Initiative erhöhen und auf diese Weise weitere Spenden generieren. (Smi) Quelle: Ärzte Zeitung vom 29. 1. 2016 www.aerztezeitung.de © Praxis ohne Grenzen Eine 65-jährige Frau aus Ghana reist im Sommer nach Hamburg, um ihren Sohn und ihr Enkelkind zu besuchen. Während ihres Aufenthaltes erkrankt sie an hohem Fieber. Ihr Visum läuft ab, an eine Rückreise ist nicht mehr zu denken. Die Patientin hat keinen Versicherungsschutz – was soll sie tun? Ihr Sohn bringt sie in die „Praxis ohne Grenzen“. Dort diagnostizieren die Ärzte eine Malaria tropica und eine ausgeprägte Herzschwäche. Sie vermitteln die Patientin ans UKE, dessen Spezialisten schwere Schädigungen ihrer Herzklappen und Koronararterien feststellen. Die Ghanaerin benötigt einen 4- fachen Bypass. Kosten: 27.000 Euro. Die „Praxis ohne Grenzen“ gibt eine Übernahmegarantie. Inzwischen befindet sich die 65-Jährige in der Rehaphase – es geht ihr gut. Ähnliche Schicksale erfahren die Mitarbeiter der „Praxis ohne Grenzen“ Woche für Woche und tun alles dafür, das Leid ihrer Patienten zu lindern. Für ihren ehrenamtlichen Einsatz hat die Hamburger Einrichtung im vergangenen Herbst den 1. Preis des von Springer Medizin vergebenen CharityAwards 2015 erhalten. 8 Engagiert für Menschen ohne Krankenversicherung: Professor Peter C. Ostendorf Schwerpunkt: Medizin für Migranten Internist 2016 · 57:444–451 DOI 10.1007/s00108-016-0030-1 Online publiziert: 22. Februar 2016 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 Redaktion S.M. Schellong, Dresden B. Salzberger, Regensburg Aufgrund von Migration sind die genetisch determinierten Hämoglobinopathien, Hämoglobin(Hb)-Strukturdefekte und der Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase(G6PDH)-Mangel in Deutschland keine seltenen Erkrankungen mehr. Wegen der aktuellen Flüchtlingsbewegungen aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus afrikanischen Gebieten wird die Zahl der Betroffenen deutlich zunehmen. Entsprechend nimmt die Herausforderung in der Differenzialdiagnose der Anämien zu. Viele Migranten und Flüchtlinge kommen aus Gebieten, in denen Thalassämien, Sichelzellerkrankungen und der G6PDH-Mangel endemisch sind. Der vorliegenden Arbeit wurden aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamts auf Basis des Mikrozensus zu Migration, Asyl und Bevölkerungsanteilen zugrunde gelegt. Die Prävalenz hereditärer Hb-Defekte und des G6PDH-Mangels in den Nationen, aus denen ein Großteil der Migranten und Flüchtlinge in Deutschland stammt, wurde durch intensive Literaturrecherche in verschiedenen wissenschaftlichen und medizinischen Datenbanken ermittelt. Die Daten waren teils sehr lückenhaft, daher ist nur eine ungefähre Abschätzung der Betroffenen möglich. Ein weiteres Ziel dieser Arbeit ist es, Kenntnisse über die pathophysiologischen Mechanismen zu vermitteln und die diagnostischen sowie therapeutischen Konsequenzen aufzuzeigen. Die hereditären Anämien sind in der medizinischen Ausbildung teilweise unterrepräsentiert und finden in der Differenzialdiagnostik häufig nicht die nötige Aufmerksamkeit. 444 Der Internist 5 · 2016 B. Zur Institut für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie, Universitätsklinik Bonn, Bonn, Deutschland Zunahme genetisch determinierter Anämien durch Migration in Deutschland Hämoglobin Hb ist ein tetrameres Protein mit jeweils 2 α- und 2 β-Globinketten und der Hämgruppe, bestehend aus einem Porphyrinring mit einem zentralen Eisenatom für die Sauerstoffbindung. Das Hb eines Erwachsenen besteht bis zu etwa 97 % aus HbA (mit jeweils 2 α- und 2 β-Globinen), bis zu etwa 3,5 % aus HbA2 (mit 2 α- und 2 δ-Globinen) und bis zu 1 % aus HbF (mit 2 α- und 2 γ-Globinen). Neugeborene haben einen hohen HbF-Anteil, der sich individuell unterschiedlich schnell auf rund 1 % reduziert. Im gleichen Maße, wie der HbF-Anteil abfällt, steigt der HbA-Anteil, der ca. im sechsten Lebensmonat Erwachsenenwerte erreicht. Auf dem Chromosom 16 codieren 2 Gene das α-Globin, α-1 wird zu ca. 30 % exprimiert, α-2 zu ca. 70 %. Auf dem Chromosom 11 codiert jeweils ein Gen das β-Globin und δ-Globin und 2 Gene das γ-Globin [1]. α-Thalassämie-Syndrome Mutationen im α-Globin führen aufgrund der 2-fachen Codierung des Peptids seltener zu ausgeprägten Störungen. Die Vererbung ist autosomal-rezessiv. Der Pathomechanismus beruht auf einer Imbalance der Bildung von funktionsfähigen Globinen. Der molekulare Defekt wird überwiegend durch Deletionen des Gens verursacht. Die Inaktivierung von nur einem Gen führt zur α+ -Thalassämie (-α/αα), die klinisch meist stumm verläuft. Die Inaktivierung von 2 Genen wird als α0-Thalassämie bezeichnet und kann heterozygot oder homozygot sein (--/αα oder -α/-α). Klinisch zeigt sich eine milde mikrozytäre Anämie. Bei Verlust von 3 α-GlobinGenensprichtmanvonderHbH-Erkrankung, die sich klinisch durch eine mikrozytäre hämolytische Anämie äußert. Die Ausprägung ist bei 2 inaktivierten α2-Genen stärker und kann zur gelegentlichen Transfusionsbedürftigkeit führen. HbH, ein instabiles insuffizientes β-Tetramer, kann eine Konzentration von bis zu 20 % erreichen. HbH-Innenkörper präzipitieren und verursachen periphere Hämolysen. Beim Ausfall von allen α-Genen entsteht bis zu 90 % Hb Barts (γ-Tetramer), das intrauterin einen Hydrops fetalis verursacht. Die Mutationen, häufig Deletionen beim Crossing-over, führen zu einer reduzierten Synthese von α-Globinen [2]. Verlust von 3 α-Globin»GenenDeräußert sich in einer mikrozytären hämolytischen Anämie Das nichtdeletionale Hb Constant Spring (αCS) entsteht durch eine Mutation im Stoppcodon. Es ist sehr häufig in Südostasien anzutreffen. Die Kombination mit einer α-Thalassämie verursacht häufig schwerere HbH-Erkrankungen [3]. β-Thalassämie-Syndrome Das β-Globin wird von einem Gen auf Chromosom 11 codiert. Deletionen eines Gens sind selten. Meist liegen Punktmutationen vor, die die Transkription Tab. 1 Typ Klinische Einteilung des Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangels Enzymaktivität Defizienz Symptome (%) 1 <1 Schwer Chronische hämolytische Anämie 2 1–10 Schwer Intermittierende Hämolyse 3 10–60 Mäßig Induzierte intermittierende Hämolyse 4 60–100 Nein Keine 5 > 110 Nein Keine durch Beeinträchtigung der mRNAReifung vermindern. Eine heterozygote β-Thalassämie, die nicht in Kombination mit anderen Hb-Varianten auftritt, ist klinisch stumm. Teilweise ist sie an erhöhten Erythrozytenzahlen und einer Mikrozytose mit und ohne Anämie erkennbar, was sich in der Bezeichnung Thalassaemia minima und minor niederschlägt. Eine heterozygote »β-Thalassämie ist für sich genommen klinisch stumm Patienten mit homozygoter β-Thalassämie sind schwer erkrankt, sie zeigen eine ineffektive Erythropoese und eine Knochenmarkshyperplasie. Die Ausprägung kann aufgrund der Restaktivität der β-Globinketten-Synthese sehr unterschiedlich sein. Der völlige Ausfall der β-Globinketten-Synthese (β0) verursacht schwerere Krankheitsbilder, als wenn noch eine Restbildung der β-Globinkette von bis zu 20 % (β+) oder > 20 % (β++) besteht. Klinische Erscheinungsbilder einer homozygoten Anlage sind die Thalassaemia intermedia und major [4]. HbE (β26, Glu → Lys) ist eine Strukturanomalie, die in Asien weitverbreitet ist. Eine modifizierte β-mRNA bewirkt die verminderte Bildung des mutierten β-Globins. Daher wird HbE auch zu den thalassämischen Varianten gezählt. Homozygot zeigt sich gelegentlich nur eine leichte hypochrome Anämie, in Kombination mit einer heterozygoten β-Thalassämie jedoch ein ausgeprägtes thalassämisches Krankheitsbild [5]. Hb Lepore entsteht durch ein nichthomologes Crossing-over während der Meiose, das zur Bildung eines Fusionsprodukts aus δ- und β-Globin führt. Es kommt zu einer verminderten Bildung von mRNA und damit zu einer verminderten Transkription. Hb Lepore ist daher den β-Thalassämien zugehörig [6]. Sichelzellerkrankung HbS (β6, Glu → Val) ist eine weitverbreitete Mutation in Afrika, in den arabischen Ländern, in den Mittelmeergebieten und in den südlicheren Gebieten Asiens. Der Pathomechanismus der homozygoten Sichelzellerkankung ist sehr komplex. Durch Veränderungen von Sauerstoffgehalt, pH-Wert und Temperatur kommt es zur Polymerbildung des Hb und daraufhin zur Sichelung der Erythrozyten. Diese unflexiblen Erythrozyten verursachen in den sauerstoffärmeren Venolen eine mikrovaskuläre Stase und heften sich an die Endothelzellen. Durch eine niedrige Argininkonzentration wird die Stickstoffmonoxidsynthese vermindert, was zusätzlich eine Vasokonstriktion bewirkt. Erhöhte Granulozytenzahlen bei Infektionen tragen zusätzlich zu einem Gefäßverschluss bei. Die Folge können u. a. Schlaganfälle, Schmerzkrisen, ein akutes Thoraxsyndrom, eine Milzsequestration und aseptische Nekrosen sein. Patienten mit Sichelzellerkrankung haben eine gut kompensierte Anämie mit Hb-Werten zwischen 6 und 9 g/dl. Höhere Werte durch Bluttransfusion können bei ihnen zu Gefäßverschlüssen führen. Eine wichtige Rolle spielt der protektive Effekt der HbF-Konzentration. Eine Sichelzellerkrankung zeigt sich auch bei heterozygoter Anlage in Kombination mit anderen heterozygoten Varianten. Die Kombination mit einer heterozygoten β0-Thalassämie verursacht ein Krankheitsbild entsprechend der homo- Hier steht eine Anzeige. K Zusammenfassung · Abstract zygoten Erkrankung. Die Kombination miteiner β+-Thalassämie verläuftwesentlich milder. Die Kombinationen mit HbC, HbD, HbE und anderen β-Globin-GenMutationen sind ebenfalls mit einer Sichelzellerkrankung assoziiert. Die Ausprägung unterscheidet sich individuell, meist ist sie weniger stark. Die Kombination einer homozygoten Sichelzellerkrankung mit einer α-Thalassämie hat dagegen einen positiven Effekt [7, 8]. Andere häufige Varianten Bei der HbC-Anomalie können sich HbKristalle bilden, die die Verformbarkeit der Erythrozyten beeinflussen. Die Kristallbildung wird im Gegensatz zu HbS durch Oxygenierung verursacht und nimmt bei zunehmender Deoxygenierung ab. Die HbC-Erythrozyten werden aufgrund der dadurch bedingten Membrandefekte in der Milz entfernt. Dies erklärt, warum homozygote Patienten nicht an einer Sichelzellerkrankung leiden, sondern eher an einer leichten hämolytischen Anämie. In Kombination mit einer heterozygoten β-Thalassämie ergibt sich ein schwerers thalassämisches Krankheitsbild oder mit einer Sichelzellanomalie eine weniger stark ausgeprägte Sichelzellerkrankung [9]. HbD kommt weltweit vor. Teilweise sehr hohe Prävalenzen finden sich in Indien und China. HbD hat mehrere Strukturvarianten mit sehr unterschiedlichen Mutationsorten des β-Globin-Gens. Die verbreitetsten sind HbD Punjab/Los Angeles und HbD Iran. HbD ist homozygot nicht mit einer Erkrankung assoziiert [10]. HbO Arab wird in heterozygoter Form nicht klinisch manifest, homozygot zeigt sich maximal eine leichte hämolytische Anämie. Diese Variante ist ebenfalls weitverbreitet. Jede der oben aufgelisteten Varianten kann schließlich in Kombination mit einer heterozygoten β-Thalassämie oder Sichelzellanlage zu schweren Erkrankungen führen [11]. Glukose-6-PhosphatDehydrogenase-Mangel Der G6PDH-Mangel wird durch Mutationen des G6PDH-Gens auf Abschnitt q28 des X-Chromosoms verur- 446 Der Internist 5 · 2016 Internist 2016 · 57:444–451 DOI 10.1007/s00108-016-0030-1 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 B. Zur Zunahme genetisch determinierter Anämien durch Migration in Deutschland Zusammenfassung Hintergrund. Aufgrund von Migration und Flucht sind Hämoglobinopathien und der Glukose-6-Phosphat-DehydrogenaseMangel in Deutschland keine seltenen Erkrankungen mehr. Durch die aktuellen Flüchtlingsbewegungen werden diese genetisch determinierten Erkrankungen an Bedeutung gewinnen. Methoden. Auf Basis einer Literaturrecherche wurden die Prävalenzen von genetisch determinierten Anämien in den ursprünglichen Endemiegebieten zusammengestellt. Die gewonnenen Daten wurden mit Statistiken zur Bevölkerungszusammensetzung in Bezug auf Migration, Ausländer und Asylsuchende in Deutschland verglichen. Ergebnisse. Die Endemiegebiete weisen für den Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase- Mangel und für Hämoglobinopathien teilweise Prävalenzen von 40 % und mehr auf. Der Anteil der Personen aus den Endemiegebieten nimmt rapide zu. Schlussfolgerung. Durch die hohe Zahl an Flüchtlingen aus asiatischen und afrikanischen Gebieten wird die Bedeutung der genetisch determinierten Erythrozytendefekte in der Differenzialdiagnose der Anämien zunehmen. Die Vermittlung von Kenntnissen über Gefahren, Diagnostik und Therapie muss in der medizinischen Aus- und Fortbildung besser organisiert werden. Schlüsselwörter Flüchtlinge · Hämoglobinopathien · Glukose6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel · Sichelzellenanämie · Thalassämie Increase in genetically determined anemia as a result of migration in Germany Abstract Background. Due to the increasing numbers of migrants and asylum seekers, hemoglobinopathies and glucose-6-phosphate dehydrogenase deficiency are no longer rare diseases in Germany. As a result of the current migration movements these genetically determined diseases will gain in importance. Methods. Following a literature search the prevalence of the original endemic regions was compiled and compared to the population composition based on statistical data on migrants, foreign residents and asylum seekers in Germany. Results. In the endemic regions a prevalence of 40 % and sometimes higher have been found for glucose-6-phosphate dehydrogen- sacht. Bisher sind etwa 150 verschiedene Mutationen bekannt, es handelt sich überwiegend um Punktmutationen. G6PDH ist in den Erythrozyten das Schlüsselenzym des Pentosephosphatwegs. Durch den Pentosephosphatweg werden letztendlich für weitere Stoffwechselvorgänge Pentosephosphate und NADPH bereitgestellt. NADPH dient als Kofaktor für das Enzym Glutathionreduktase, das oxidiertes Glutathion wieder reduziert. Glutathion ist essenziell für ase deficiency and hemoglobinopathies. The number of people arriving in Germany from these endemic regions is rapidly increasing. Conclusion. Due to the high number of asylum seekers arriving from Asian and African regions, genetic erythrocyte defects will gain importance in the differential diagnosis of anemia; therefore, medical education and training must incorporate heightened awareness of risks, diagnostics and therapy of these disease patterns. Keywords Refugees · Hemoglobinopathies · Glucose 6 phosphate dehydrogenase deficiency · Anemia, sickle cell · Thalassemia den Oxidationsschutz des Erythrozyten, da stetig Peroxide anfallen. Wird zu wenig Glutathion bereitgestellt, kommt es zu oxidativen Schäden des Erythrozyten und dadurch zur Hämolyse. Häufiges erstes Kennzeichen eines G6PDH-Mangels ist ein Neugeborenenikterus. Es werden 5 Typen unterschieden (. Tab. 1). Die spezifischen G6PDH-Mutationen finden sich gehäuft innerhalb bestimmter ethnischer Gruppierungen. Der sog. afrikanische Typ A Polen Italien Syrien Griechenland Albanien Kosovo 22 % 22 % 8% 23 % 2% 2% Serbien 2% 4% Mazedonien 4% 4% 2% 7% 1% Afghanistan 15 % 5% 4% 4% Eritrea Pakistan 13 % 8% Russland/Ukraine 6% 13 % 4% 20 % Naher/Mittlerer Osten Süd-/Südostasien Afrika Nigeria a Bulgarien Westbalkan Türkei Irak 5% Rumänien b Übrige China Übrige Griechenland Italien 21 % 2% Westbalkan 5% 5% Polen 10 % 4% Rumänien Russland/Ukraine Türkei 11 % 6% 9% 5% 4% Afrika Süd-/Südostasien 18 % Kasachstan Naher/Mittlerer Osten c Übrige Abb. 1 8 Verteilung der Nationalitäten unter Asylsuchenden (a) und Ausländern (b) sowie in der Bevölkerung mit Migrationshintergrund (c). (Daten aus [14]) Differenzialdiagnose Hämoglobindefekt, G6PDH-Mangel, Eisenmangel Familienanamnese, Medikamentenanamnese, Verwandschaftsverhältnisse? Anämie? Mikrozytose, Hypochromie Normozytose, Normochromie β-Thalassämie Eisenmangel α-Thalassämie HbE Erythrozytenzahl↑ Retikulozyten↑ (Hämolysezeichen) Ferritin↓ Retikulozyten↓ Keine Hämolyse (Hämolysezeichen) (Hämolysezeichen) HPLC oder Elektrophorese Ggf. löslicher Transferrinrezeptor ↑ Genetische Analyse HPLC oder Elektrophorese Genetische Analyse bei stummer β-Thalassämie HbS, HbC, HbD G6PDH-Mangel Hämolysezeichen Retikulozyten↑ Coombs-Test negativ HPLC oder Elektrophorese Enzymaktivität + genetische Analyse HPLC/Elektrophorese bei HbH, Hb Barts Blutausstrich: HbHEinschlusskörper Seltene Hämoglobinvarianten: genetische Analyse, Gensequenzierung Abb. 2 8 Stufendiagnostik der mikro- und normozytären Anämien. Im Einzelfall muss die Diagnostik auf autoimmune und neoplastische Ursachen erweitert werden. G6PDH Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase; Hb Hämoglobin; HPLC „high-performance liquid chromatography“ (Hochleistungsflüssigkeitschromatographie) und die in Südostasien vorkommende Mahidol-Variante weisen noch relativ hohe Restaktivitäten auf. Bei der im Mittelmeergebiet sowie im Nahen und Mittleren Osten vorkommenden medi- terranen Variante ist keine Restaktivität nachweisbar. Die G6PDH-Aktivitäten sind bei jungen Erythrozyten viel höher als bei alten. Retikulozyten besitzen die höchste Aktivität. Beim männlichen Ge- schlecht tritt die Erkrankung hemizygot in voller Ausprägung in Erscheinung, beim weiblichen Geschlecht nur bei Homozygotie [12, 13]. Der Internist 5 · 2016 447 Schwerpunkt: Medizin für Migranten Tab. 2 dern Prävalenz der genetischen Disposition für Hämoglobinopathien und einenGlukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel in endemischen LänG6PDH-Mangel (%) α-Thalassämie (%) β-Thalassämie (%) HbS Gehäuft auftretende Varianten Türkei 1,3–6,9 3–7,5 2,5–10,2 2,3–10 HbO/HbD/HbE/Hb Lepore Italien 0,1–23,1 4,1–12,6 < 1–19 < 1–13 Hb Lepore Griechenland 2,9–11,7 7a 7,5–10 1a Hb Lepore Spanien 0,4–0,9 – – – Rumänien 1,9 – 0,5 – Bulgarien 3,3 0,5–1,6 < 1–19,9 – Westbalkan 0,4–11,9 – 0,5–10 – Israel 3,6 2 10 – Jordanien 12,6 2,3–3,5 3–5,9 0,4–4,4 Europa HbO/Hb Lepore Naher Osten Libanon 2,1–3,1 Syrien 3,0b b Irak 8,6 Iran 0,6–7,6 Golfstaaten 1,9–31,3 Jemen 5,9 <1 2–3 <1 < 1–5 5 < 1–24 HbO, HbD 3,7–4,6 2,5–16 HbO 1,4–8,3 HbD 1–18,1 HbD, HbO 1 b HbO a a 4,6–58,3 2–8,9 8,6 2,4–4,4 Etwa 1 11–15 5–13 2a a Asien Pakistan 1,8–2,6b HbE, HbD Indien/Bangladesch 3,4–22,6 11–80 < 1–15 11,1–30 HbE bis 66,7, HbD bis 59,9 Südostasienc 3,1–28,5 Bis 80 1–11 < 1–17,2 HbE 6–60, Hb Constant Spring China 1,6–9,0 Bis 17,5 0,7–6,4 – HbE bis 55,6 Nord 1–5,9b < 1–9,3 1,5–10 < 1–22,2 Hb Lepore/HbD West 6,6–30,7 28–32,6 0,8 1–34 HbC bis 40 a – 1–21 –a 2–38 Afrika d Zentral 11,6–25,1 Bis 42 Ost 10,6–21,4 51–60d Süd 2,7 a Keine weiteren Studien vorhanden Nur männliche c Thailand/Vietnam/Kambodscha/Laos/Indonesien/Philippinen d Sichelzellscreening G6PDH Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase; Hb Hämoglobin b Migrantenanteile in Deutschland Die Definition eines Migrationshintergrunds lautet im Mikrozensus wie folgt: „alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil“. Im Jahr 2014 hatten 20,3 % (16,4 Mio.) der Bevölkerung Deutschlands einen Migra- 448 Der Internist 5 · 2016 tionshintergrund [14]. Die Einbürgerungen für 2013 zeigen, dass nach wie vor viele Türken und Osteuropäer eingebürgert werden, zunehmend sind es jedoch Personen aus Afrika, Nahost und China [15]. Im Jahr 2014 lebten in Deutschland 8,153 Mio. Ausländer. Türken sind mit über 1,5 Mio. weiterhin die stärkste Gruppe, jedoch steigt der Anteil von Personen aus Rumänien, Polen, Italien und Griechenland. Einen immer höheren Anteil haben auch Personen aus Asien und Afrika [16]. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat im August 2015 die aktuellen Zahlen zum Asyl herausgegeben. Hier wurden nur Asylanträge ausgewertet – von Januar bis August 2015 waren es 303.443 (. Abb. 1). Die weitere Entwicklung der Flüchtlingszahlen ist derzeit nicht absehbar. Nach dem Bericht stellen Syrer die größte Gruppe dar, gefolgt von Albanern und Afghanen [17]. Tab. 3 Medikamente und Substanzen, die bei einem Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel eine Hämolyse auslösen können (Kurzfassung) Risiko Substanzen Hohes Risiko Sulfonamid Cotrimoxazol Dapson Metamizol Naphthalin inhalativ Nitrofurantoin Sulfacetamid Hautkontakt mit Henna Favabohnen Unkalkulierbares Chloroquin Risiko Ciprofloxacin Hydroxychloroquinsulfat Mefloquin Phenazon Propyphenazon Sulfadiazin Sulfasalazin Sultiam Toloniumchlorid Geringes Risiko Acetylsalicylsäure Chinin Mesalazin Probenecid Hoch dosiertes Vitamin C Endemiegebiete Hämoglobinopathien und der G6PDHMangel sind genetische Veränderungen des Erythrozyten, die auch bei heterozygoter Anlage einen gewissen Schutz vor Malaria bieten. Daher ist die Zahl der Betroffenen in Malariagebieten oder ehemaligen Malariagebieten besonders hoch. Die Häufigkeiten der Hb-Defekte und des G6PDH-Mangels in verschiedenen Ländern variieren in der Literatur, da die Studien an sehr unterschiedlichen Populationen durchgeführt wurden und sehr uneinheitliche Probandenzahlen umfassten. Zudem kamen unterschiedliche Testmethoden zur Anwendung. Hierbei ist nicht die Nationalitätszugehörigkeit entscheidend, sondern die ethnische Zugehörigkeit der Personen. Die Grenzen vieler Länder auf dem afrikanischen und asiatischen Kontinent sind in der Nachkolonialzeit gezogen worden. Ursprünglich ethnisch zusammenhängende Bevölkerungsgruppen wurden so in unterschiedliche Nationalitäten aufgeteilt [18]. Eine weitere Ursache für Häufungen in bestimmten Gebieten sind konsanguine Ehen zwi- schen Cousin und Cousine [19]. Daher kann man bezüglich der Prävalenz und Verteilung innerhalb einer Nation nur Schätzungen abgeben. Die α- und β-Thalassämie-Mutationsarten haben ebenso einen ethnischen und topografischen Bezug. Bestimmte Mutationen des β-Globin-Gens sind eher im Mittelmeergebiet anzutreffen, wohingegen andere eher im asiatischen Raum vorherrschen. Dies trifft auch für die α-Thalassämie zu, die allerdings überzählig in den afrikanischen und asiatischen Gebieten vorkommt [20, 21]. Der G6PDH-Mangel hat die stärkste Ausbreitung und Prävalenz in den ehemaligen und aktuellen Malariagebieten. Hierbesteht, wie obenbeschrieben, ebenfalls ein enger Bezug zwischen den Mutationsorten und der Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen [22]. Die HbC-Anomalie ist in »Westafrika endemisch HbE ist besonders in Süd- und Südostasien verbreitet. In einigen Gebieten sind über 50 % der Bevölkerung betroffen [23]. Die Sichelzellerkrankung ist in den Subsahararegionen Afrikas, in einigen Mittelmeerregionen (Sardinien, Zypern) und in Süd- sowie Südostasien weitverbreitet [20]. Die HbC-Anomalie ist in Westafrika endemisch [9]. Die Prävalenzen der genetischen Anlagen des G6PDH-Mangels und der Hämoglobinopathien sind in . Tab. 2 dargestellt [20–25]. Die Prävalenzen des G6PDH-Mangels in Deutschland sind unbekannt. Eine retrospektive Langzeitauswertung eines spezialisierten Einsendelabors für Erythrozytendefekte ergab bei 34 % der eingesendeten Proben eine Hämoglobinopathie. Eine kürzlich durchgeführte Studie an ghanaischen Migranten in Deutschland ergab Prävalenzen für G6PDH-Mangel und Hämoglobinopathien von bis zu 20 %. Diese Daten weisen auf eine relativ hohe Verbreitung hin [26, 27]. Diagnostik Die Diagnostik von Hb-Defekten und eines G6PDH-Mangels sollte in einem spe- zialisierten Labor durchgeführt werden, das nötige Entscheidungen für eine Stufendiagnostik selbstständig treffen kann, um einen korrekten Befund zu erstellen. Der Laborarzt sollte die klinischen Symptome, Konsequenzen und Therapien gut kennen. Vor allem sollte auch eine genetische Beratung angeboten werden. Die Erfahrung des Untersuchers mit bestimmten Untersuchungsverfahren spielt hier eine große Rolle. Es ist unbedingt notwendig, die Untersuchungsverfahren bis zur Diagnosefindung genau aufzulisten. HbH-Erkrankungen »gehenDiehäufig mit einer hämolytischen Anämie einher Eine heterozygote β-Thalassämie ist häufig durch eine milde mikrozytäre, hypochrome Anämie gekennzeichnet, eine wichtige Differenzialdiagnose der Eisenmangelanämie. Daher sollte man immer ein Blutbild mit Retikulozytenzahlen, Serumferritin und Serumhaptoglobin bestimmen. Eine Unterscheidung von der Eisenmangelanämie ist oft auf der Basis relativ hoher Erythrozytenzahlen und einer leichten Retikulozytose möglich. Beides fehlt bei der Eisenmangelanämie. Die α-Thalassaemia minima oder minor ist selten im Blutbild zu erkennen. Die HbH-Erkrankungen gehen jedoch häufig mit einer hämolytischen Anämie einher. Eine heterozygote Sichelzellanomalie lässt sich im Regelfall nicht allein anhand des Blutbilds erkennen. Die HbChromatographie und die Hb-Elektrophorese sind für die Hb-Defekt-Diagnostik unerlässlich. Diese Untersuchungen liefern gute Ergebnisse bei der Erkennung von β-Thalassämien, Sichelzellerkrankungen, HbC-, HbD- und HbEAnomalien sowie kombinierten Heterozygotien. Bei α-Thalassämien sind diese Methoden nicht zielführend, bestenfalls kann man damit HbH-Fraktionen detektieren. Hier sollten genetische Untersuchungen durchgeführt werden. So gibt es etwa kommerzielle Panels für die genetische Untersuchung der häufigsten Mutationen [28]. Der G6PDH-Mangel zeichnet sich durch eine normozytäre, normochrome Der Internist 5 · 2016 449 Schwerpunkt: Medizin für Migranten hämolytische Anämie aus. Die Diagnose basiert häufig auf der quantitativen spektrophotometrischen Bestimmung der Enzymaktivität. Eine Tüpfelanalyse für das Neugeborenenscreening ist erhältlich. Differenzialdiagnostisch sollten Hämoglobinopathien und autoimmunhämolytische Anämien ausgeschlossen werden. Die Sphärozytose ist als Membrandefekt in den Endemiegebieten selten, Elliptozytosen kommen dagegen in einigen arabischen Regionen vor. Die genetische Diagnostik der Mutationen sollte jedoch zusätzlich erfolgen, da sich bestimmte Mutationen phänotypisch unterschiedlich verhalten. Hier sollte die Diagnostik von einem Spezialisten durchgeführt werden (. Abb. 2; [12]). Man muss immer bedenken, dass bei den genetisch determinierten Erythrozytendefekten die Erythrozytenüberlebenszeiten verkürzt sind und der HbA1cWert kein verlässlicher Parameter zur Diagnose und Therapiesteuerung des Diabetes mellitus ist [29]. Therapie Heterozygote Personen bzw. Anlageträger für Hämoglobinopathien oder HbStrukturanomalien sind in aller Regel gesund und bedürfen keiner Therapie, sie weisen aber die häufigste Differenzialdiagnose zur Eisenmangelanämie auf. Auch im Falle eines Kinderwunschs sollte die Anlage immer abgeklärt werden. Die homozygote β-Thalassämie ist eine äußerst schwere Erkrankung. Sie erfordert regelmäßige Bluttransfusionen mit gleichzeitiger Chelattherapie zur Vermeidung einer Eisenüberladung. Ebenso kann die HbH-Erkrankung gelegentlich Bluttransfusionen erforderlich machen. Bei der Sichelzellerkrankung muss ein strenges Präventionsprogramm zur Vermeidung von Sichelzellkrisen durchgeführt werden. Bei Sichelzellkrisen können Patienten intensivpflichtig werden. Eine Dauertherapie mit Hydroxycarbamid ist teilweise erforderlich. Durch Hämoglobinopathien kommt es zu einem erhöhten Zellumsatz; die regelmäßige Gabe von Vitamin B12 und Folsäure ist häufig sinnvoll. Bei ausgeprägten hämolytischen Krisen durch einen G6PDH-Mangel besteht 450 Der Internist 5 · 2016 die Therapie in Bluttransfusionen. Hier hat die Vermeidung der Noxen den höchsten Stellenwert. Mittlerweile sind mehr als 100 Substanzen bekannt, die hämolytische Krisen auslösen können (. Tab. 3). Auch fieberhafte Infektionen können Krisen auslösen. In vielen Fällen ist der G6PDH-Mangel jedoch gering ausgeprägt, sodass eine Therapie nicht erforderlich ist. Man sollte aber bedenken, dass nicht nur Männer betroffen sind, sondern auch Frauen im seltenen Fall einer Homozygotie [30]. Diagnostik und Therapiesteuerung des Diabetes mellitus herangezogen werden. Korrespondenzadresse PD Dr. med. B. Zur Institut für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie, Universitätsklinik Bonn Sigmund-Freud-Str. 25, 53127 Bonn, Deutschland [email protected] Einhaltung ethischer Richtlinien Resümee In Anbetracht der Bevölkerungszusammensetzung müssen bei der Differenzialdiagnose von Anämien die früher endemischen genetisch vererbten Anämien stärkere Berücksichtigung finden. Insbesondere bei männlichen Personen aus bestimmten Herkunftsländern sollte die Möglichkeit eines G6PDH-Mangels in Betracht gezogen werden, da eine Reihe von Substanzen und Infektionen hämolytische Krisen auslösen kann. Fazit für die Praxis 4 Der Anteil an Migranten und Flücht- 4 4 4 4 lingen aus Endemiegebieten für einen G6PDH-Mangel oder Hämoglobinopathien ist relativ hoch und nimmt weiter zu. Der G6PDH-Mangel ist weitverbreitet. Eine Hämolyse kann durch oxidierende Substanzen und Infektionen ausgelöst werden und sollte bei der Therapie anderer Grunderkrankungen berücksichtigt werden. Die Erkrankungsschwere ist variabel, aber meist mild. Hämoglobinopathien sind in der Differenzialdiagnose mikrozytärer Anämien eine Ursache mit zunehmendem Gewicht. Das Risiko für homozygot Betroffene wird steigen. Sichelzellerkrankungen aufgrund von Homozygotie oder kombiniert mit heterozygoten Hb-Anomalien stellen für die Diagnostik und Therapie eine Herausforderung dar. HbA1c kann bei Personen mit genetisch determinierten Erythrozytendefekten im Allgemeinen nicht für die Interessenkonflikt. B. Zur gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine vom Autor durchgeführte Studien an Menschen oder Tieren. Literatur 1. Schechter AN (2008) Hemoglobin research and the origins of molecular medicine. Blood 112:3927–3938 2. Piel FB, Weatherall DJ (2014) The a-Thalassemias. N Engl J Med 371:1908–1916 3. Schrier SL, Bunyaratvej A, Khuhapinant A et al (1997) The unusual Pathobiology of haemoglobin constant spring red blood cells. Blood 89:1762–1769 4. Oliveri NF (1999) The β-Thalassemias. N Engl J Med 341:99–109 5. Vichinsky E (2007) Hemoglobin E syndromes. Hemotalogy Am Soc Hematol Educ Program 2007:79–83 6. Seward DP, Ware RE, Kinney TR (1993) Hemoglobin sickle-Lepore: report of two siblings and review of the literature. Am J Hematol 44:192–195 7. Rees DC, Williams TN, Gladwin MT (2010) Sicklecell disease. Lancet 376:2018–2031 8. Penman BS, Habib S, Kanchan K, Gupta S (2011) Negative epistasis between α+ thalassaemia and sickle cell trait can explain interpopulation variation in South Asia. 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Drug Saf 33:713–726 Zika-Verdacht: Empfehlungen zur Diagnostik Zika-Virus-Infektionen wurden mittlerweile auch bei Reiserückkehrern in Deutschland festgestellt (20 Fälle, Stand: 15. Februar). Angesichts der unspezifischen Symptome stellt sich die Frage, wen man einem Labortest unterziehen soll. Empfehlungen für die Diagnostik hat jetzt das Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) gegeben. Aufmerksam werden sollte man als Arzt vor allem bei erkrankten Rückkehrern aus tropischen Regionen Süd- und Mittelamerikas, aber auch aus der Karibik; diese gelten derzeit als Endemiegebiete. Das Zika-Virus kommt zudem endemisch in Afrika, Südostasien und auch auf verschiedenen pazifischen Inseln vor. Bei Rückkehrern aus solchen Gebieten rät das BNITM zu einer Laboruntersuchung auf eine Zika-Virus-Infektion, wenn sich innerhalb von drei Wochen Symptome entwickeln. Besondere Aufmerksamkeit sollte schwangeren Reiserückkehrerinnen zukommen: Bei diesen ist eine serologische Untersuchung mit IgM- und IgG-Nachweis auch dann sinnvoll, wenn sie nicht erkrankt sind. Das Gleiche gilt für männliche Rückkehrer mit schwangerer Partnerin. Frauen, die sich nicht sicher sind, ob sie schwanger sein könnten, sollten einen Schwangerschaftstest durchführen. Symptome, die auf das Zika-Fieber hindeuten, sind Fieber, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Muskel- und Gelenkschmerzen, Hautausschlag sowie eine nicht eitrige Bindehautentzündung. Damit ähnelt das Krankheitsbild einem grippalen Infekt, aber auch anderen mückenübertragenen Infektionen wie dem Dengue-Fieber. Die Infektion mit Zika-Viren kann aber auch nur mit wenigen der genannten Symptome oder gänzlich symptomfrei verlaufen. In den meisten Fällen sei von einer Krankheitsdauer von 3 bis 7 Tagen und einer Spontanheilung auszugehen, heißt es in der Mitteilung des Instituts. Eine Infektion mit dem Zika-Virus verläuft in der großen Mehrzahl der Fälle milde. Vorerkrankungen könnten ein Risiko für einen schwereren Verlauf darstellen. Allerdings wurden gleichzeitig mit der jüngsten Epidemie in Lateinamerika häufiger als zuvor Schäden an ungeborenen Kindern (Mikrozephalie) und bei Er- wachsenen das seltene Guillian-Barré-Syndrom beobachtet, das auch bei vielen anderen Infektionskrankheiten auftreten kann. Von einer Zika-Infektion Betroffene werden symptomatisch behandelt mit schmerzund fiebersenkenden Medikamenten, viel Ruhe und ausreichend Flüssigkeit. Vorrangig wird empfohlen, bei jedem Rückkehrer aus einem tropischen Gebiet, der mit entsprechenden Symptomen in die Arztpraxis kommt, zunächst Malaria auszuschließen. Quelle: Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, www.bnitm.de Der Internist 5 · 2016 451 Schwerpunkt: Medizin für Migranten Internist 2016 · 57:452–456 DOI 10.1007/s00108-016-0056-4 Online publiziert: 25. April 2016 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 Redaktion S.M. Schellong, Dresden B. Salzberger, Regensburg C. Rauscher1 · B. Salzberger2 1 2 Lehr- und Forschungsstelle Allgemeinmedizin, Universität Regensburg, Regensburg, Deutschland Stabstelle Infektiologie, Universitätsklinikum Regensburg, Regensburg, Deutschland Erstuntersuchung und Screening von Migranten Was ist sinnvoll, was ist evidenzbasiert? Die Aufgaben in der medizinischen Versorgung von Migranten sind vielfältig. Sie reichen von der sofortigen Versorgung akuter Erkrankungen oder Verletzungen bei der Ankunft über die Untersuchung auf übertragbare Krankheiten (vor der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft nach § 62 Asylgesetz) bis zur anschließenden medizinischen Betreuung nach den individuellen Bedürfnissen [1]. Diese Aufgaben stellen alle Beteiligten vor große Herausforderungen – aktuell wegen der hohen Zahl von Migranten, aber auch wegen der Komplexität der spezifischen Aufgaben und ihrer Organisation. Die Gesundheitsprobleme von Migranten bzw. Flüchtlingen sind vielfältig. Viele der mitgebrachten Gesundheits- probleme sind hierzulande seltener und uns damit weniger vertraut. Dazu kommen sprachliche und kulturelle Barrieren aufseiten der Migranten, die die Nutzung der Angebote erschweren [2–4]. Viele der mitgebrachten »Gesundheitsprobleme sind hierzulande seltener Gerade die initiale Versorgung spielt eine entscheidende Rolle in der langfristigen Sicherung der Gesundheit, bei Infektionskrankheiten ebenso wie bei chronischen somatischen oder psychischen Erkrankungen. Von den drei aufgeführten Teilaufgaben ist die Akutbehandlung bei der An- kunft sicher am klarsten definiert. Umfang und Art der Angebote zu Punkt zwei und drei sind weniger gut dargestellt und fixiert. Klare und einheitliche gesetzliche Grundlagen für eine umfassende Erstuntersuchung bzw. -behandlung liegen im deutschsprachigen Raum bisher ebenso wenig vor wie Leitlinien. Der vorliegende Beitrag analysiert die internationale Literatur bezüglich der Erfahrungen und Leitlinien zur speziellen Gesundheitsfürsorge von Migranten und fasst diese zusammen. Methodik In der PubMed-Datenbank erfolgte eine Literaturrecherche mit folgendem Suchterm: (guideline OR evidence) AND Tab. 1 Untersuchungs- und Behandlungsempfehlungen bei Migranten nach den Leitlinien der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und der Canadian Collaboration for Immigrant and Refugee Health (CCIRH) CDC CCIRH 452 Tuberkulosescreening Für alle: bei positivem Haut- oder IGRA-Test Röntgenaufnahme des Thorax; Behandlung von aktiver und latenter Tuberkulose Bei Herkunft aus Hochprävalenzland: Screening mittels Hauttest, bei positivem Ergebnis Röntgenaufnahme des Thorax; Behandlung von aktiver und latenter Tuberkulose HIV-Screening Für alle im Alter von 13 bis 64 Jahren: Screening empfohlen Für alle Adoleszenten und Erwachsenen aus Ländern mit einer Prävalenz > 1 %: Screening empfohlen; Anbindung der Therapie bei HIV-Positivität Hepatitisscreening Für alle aus Regionen mit einer Prävalenz von ≥ 2 %: HBsAg-Screening Bei Herkunft aus Ländern mit niedriger Prävalenz: Screening bei zusätzlichen Risikofaktoren Hepatitis C: Routinescreening für alle aus den Geburtsjahrgängen 1945–1965, ansonsten nach Risikofaktoren Kein Routinescreening auf Hepatitis A und E Für alle aus Regionen mit einer Prävalenz von ≥ 2 %: HBsAg-Screening Bei chronischer Hepatitis-B-Infektion: Anbindung zur Therapie Bei negativen Markern: Impfung Hepatitis C: Screening für alle aus Regionen mit einer Prävalenz von ≥ 3 % Bei Positivität: Anbindung der Therapie Der Internist 5 · 2016 Tab. 1 Untersuchungs- und Behandlungsempfehlungen bei Migranten nach den Leitlinien der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und der Canadian Collaboration for Immigrant and Refugee Health (CCIRH) (Fortsetzung) CDC CCIRH Screening auf intestinale Parasiten Für alle aus Endemieländern: Für alle aus Endemieregionen (Afrika, Asien u. a.): serologische Untersuchung auf Strongyloides stercoralis und Schispräsumtive Behandlung bereits im Herkunftsland, alternativ bei Ankunft für erdassoziierte Helminthen, tosomiasis nach Herkunftsland, Therapie nur nach Ergebnis Strongyloides, Schistosomiasis und ggf. Loa loa (nach Endemizität); im Blutbild Untersuchung auf Eosinophile, ggf. weitere Untersuchungen Malaria Alle Personen mit mehr als 5 kg Körpergewicht, ohne Schwangerschaft und ohne Stillen aus Afrika südlich der Sahara: präsumtive Therapie Ansonsten: Therapie nach Testung, präferenziell mittels PCR Sexuell übertragbare Infektionen Syphilis als wichtiges Item benannt, in Leitlinie nicht adressiert Syphilis: serologische Untersuchung mittels VDRL bzw. für alle ab 15 Jahren Screening auf Syphilis mittels RPR oder VDRL Chlamydia trachomatis: bei asymptomatischen sexuell aktiven Frauen bis 25 Jahre Screening mittels PCR, ansonsten nach Symptomen bzw. Anamnese Gonorrhö: Screening nach Symptomatik Screening auf alle sexuell übertragbaren Erkrankungen nach sexuellem Missbrauch Screening auf Bleibelastung Für alle Kinder zwischen 6 Monaten und 16 Jahren: Screening auf Bleibelastung durch Blutspiegelbestimmung Multivitaminpräparate und Eisen für alle Kinder von 6 Monaten bis 6 Jahren Kein Routinescreening; Testung nach Herkunftsland, Anamnese und Klinik mittels dickem Tropfen oder Schnelltest; keine Routinetherapie Nicht adressiert Screening bezüglich Er- Bei der körperlichen Untersuchung sollte das Augennährung und Wachstum merk auf Proteinmangelernährung bzw. spezifische Ernährungsstörungen (Vitamin B12 u. a.) gerichtet sein. Für alle: kleines Blutbild, ggf. Ergänzungsuntersuchungen Für Frauen im reproduktionsfähigen Alter und Kinder (1–4 Jahre): Screening auf Eisenmangelanämie mit kleinem Blutbild Erst- und Auffrischungsimpfungen Erst- und Auffrischungsimpfung nach dem aktuellen Schema des Advisory Committee on Immunization Practices (ACIP) Erst- und Auffrischungsimpfung nach dem aktuellen Schema (im Einzelnen spezifiziert); spezifisch auch HPV-Impfung bei Frauen zwischen 9 und 26 Jahren Probleme der psychischen Gesundheit Kein Routinescreening Screening auf Depression nur, wenn auch Behandlungsangebot vorhanden ist; kein Routinescreening auf posttraumatische Belastungsstörung und andere Erkrankungen Sonstiges Diabetes: Screening auf Diabetes mit Nüchternblutzucker bei allen Patienten ab 35 Jahren aus Regionen mit hoher Prävalenz von Diabetes mellitus Typ 2 (Lateinamerika, Afrika) Kontrazeption: Beratung von Frauen im reproduktionsfähigen Alter bezüglich offener Fragen der Kontrazeption Screening mittels Zytologie auf Veränderungen des Zervixepithels HBsAg Hepatitis-B-Virus-Oberflächenantigen; HIV „human immunodeficiency virus“; HPV humane Papillomviren; IGRA „interferon-γ release assay“; PCR Polymerase-Kettenreaktion; RPR „rapid plasma reagin“; VDRL „venereal disease research laboratory“ Der Internist 5 · 2016 453 Zusammenfassung · Abstract (health exam OR screening) AND (immigration OR migrant OR refugee OR asylum-seeker). Da nicht alle Dokumente zur Untersuchung von Migranten als wissenschaftliche Publikationen vorhanden sind (z. B. gesetzliche Regelungen), wurde zusätzlich im Internet nach Empfehlungen bzw. gesetzlichen Bestimmungen für die Staaten Australien, Kanada, Großbritannien, Frankreich und Deutschland sowie für den gesamten europäischen Raum gesucht. Als Suchmaschine wurde Google verwendet, jeweils mit dem Term „health exam screening migrant refugee“ plus der spezifischen Landesoder Regionsbezeichnung. Die Recherche mit PubMed ergab insgesamt 458 Treffer, die individuell durchsucht wurden, zusätzliche Informationen wurden über die Websites der Weltgesundheitsorganisation (WHO), des International Office for Migration, der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) gesucht. Sämtliche Treffer wurden von den Autoren einzeln analysiert und danach kategorisiert, ob Empfehlungen für spezifische Untersuchungen oder Behandlungen ausgesprochen wurden. Ergebnisse Insgesamt erbrachte die Suche 47 Dokumente, die sämtlich nach 1999 publiziert worden sind. Insgesamt 6 Publikationen hatten explizit die Erstuntersuchung zum Thema, teils auf einzelne Aspekte, teils integrativ auf alle Aspekte bezogen. Die Mehrzahl der Leitlinien war auf die Untersuchung spezifischer Erkrankungen gerichtet: genauer auf eine aktive bzw. latente Tuberkulose (n = 6), eine Human-immunodeficiency-virus(HIV)-Infektion (n = 2), eine Hepatitis-B- bzw. Hepatitis-C-Infektion (n = 3), Infektionskrankheiten insgesamt (n = 3), psychiatrische oder sexuell übertragbare Erkrankungen (jeweils 2) sowie auf Eosinophilie, Anämie, chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen u. a. (jeweils n = 1). Die beiden ausführlichsten Leitlinien sind die der CDC (zwei allgemeine Leitlinien, 10 krankheitsspezifische Einzeldokumente) sowie die der Canadian 454 Der Internist 5 · 2016 Internist 2016 · 57:452–456 DOI 10.1007/s00108-016-0056-4 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 C. Rauscher · B. Salzberger Erstuntersuchung und Screening von Migranten. Was ist sinnvoll, was ist evidenzbasiert? Zusammenfassung Die medizinische Versorgung von Migranten und Flüchtlingen ist mit der hohen Zahl von Migranten der letzten Monate ein dringendes Problem im deutschen Gesundheitssystem geworden. Die Versorgung besteht in der Behandlung akuter Gesundheitsprobleme bei der Ankunft, aber auch in der Therapie von übertragbaren und nichtübertragbaren chronischen Erkrankungen sowie langfristig in der Integration in das lokale Gesundheitssystem. Die Gesundheitsprobleme bei Migranten sind vielfältig. Aufgrund der Besonderheiten der Herkunftsländer sind sie uns häufig wenig vertraut. Dies macht deutlich, dass für alle Beteiligten Versorgungsleitlinien sinnvoll wären. In einer Literatur- und Internetrecherche wurden insgesamt 47 Leitlinien identifiziert, von denen zwei besonders ausführlich und klar begründet sind: zum einen die Publikation der Centers for Disease Control and Prevention, USA, zum anderen die Veröffentlichung der Canadian Collaboration for Refugee and Immigrant Health. Eine vergleichende Analyse dieser Vorschläge könnte der Auftakt für die Formulierung einer evidenzbasierten europäischen Leitlinie sein. Schlüsselwörter Flüchtlinge · Infektionskrankheiten · Impfung · Gesundheitsversorgung · Leitlinien Initial examination and screening of migrants. What makes sense and what is evidence-based? Abstract The medical treatment of migrants and refugees has recently become an important topic in the German healthcare system due to the large numbers of migrants. Healthcare for migrants includes treatment of acute illnesses and trauma on arrival, screening for chronic communicable and non-communicable diseases and in the long term, the integration into the local healthcare system. As health problems of migrants are diverse and dependent on the region of origin, guidelines should be readily available for all healthcare professionals involved in migrant healthcare. A literature search for comprehensive guidelines for screening Collaboration for Immigrant and Refugee Health (CCIRH; [5–17]). Aufgrund ihres Umfangs und auch wegen der Begründung der Einzelmaßnahmen wird im Folgenden auf diese beiden Leitlinien eingegangen. Explizit evidenzbasiert ist einzig die Leitlinie der CCIRH, sie enthält eine entsprechende Wertung der Empfehlungen. Auf der Website des ECDC findet sich ein Hinweis auf die Entwicklung einer solchen Leitlinie zur Prävention von Infektionskrankheiten für den europäischen Raum, ein Zeithorizont wird allerdings nicht genannt [18]. In . Tab. 1 and treatment of migrant’s health problems detected 47 different guidelines including 2 comprehensive ones from the US Centers of Disease Control and Prevention and the Canadian Collaboration for Immigrant and Refugee Health. Comparative analysis of these guidelines could be a starting point for evidence-based European guidelines on migrant health. Keywords Refugees · Communicable diseases · Immunization · Delivery of healthcare · Guidelines sind die Empfehlungen aus den Leitlinien der CDC und der CCIRH kurz zusammengefasst. Die Empfehlungen beider Leitlinien weisen große Übereinstimmungen auf. In Bezug auf einige Punkte werden jedoch trotz gleicher zugrunde liegender Evidenz unterschiedliche Empfehlungen ausgesprochen. Die Unterschiede finden sich vor allem bei der Behandlung von Tropenerkrankungen wie intestinalen Parasitosen und Malaria, aber auch in der Bewertung einiger chronischer Er- krankungen wie des Diabetes mellitus (. Tab. 1). Diskussion In der medizinischen Betreuung und Behandlung von Migranten sind besondere Probleme zu berücksichtigen, insbesondere aufgrund von Unterschieden in den Krankheitsspektren, die durch die geografische Herkunft oder Reiseroute bedingt sind, aber auch wegen Unterschieden in der gesundheitlichen Versorgung vor der Einreise. Zusätzlich sind wegen der häufigen Unterbringung in Gemeinschaftseinrichtungen gesetzliche Vorgaben zu berücksichtigen, die auf Länderebene unterschiedlich sein können. Gerade beim Screening auf eine latente bzw. aktive Tuberkulose sind die Aspekte der öffentlichen Gesundheit ebenso betroffen wie die der individuellen Gesundheit. Dies muss vor allem bei der Kommunikation der Screeningprogramme und auch bei der Verpflichtung zu Untersuchungen sicher berücksichtigt werden. Eine Vereinheitlichung auf europäischer Ebene wäre sinnvoll. Ausländische Empfehlungen »müssen immer an das eigene Gesundheitssystem angepasst werden heiten. Hier muss deshalb ein eigener europäischer Weg gegangen werden, den das ECDC im Bereich der übertragbaren Erkrankungen bereits eingeleitet hat [18]. Die Erfassung von gesundheitlichen Problemen und deren Behandlung kann nur in einer engen Kooperation zwischen primär behandelnden Ärzten und spezialisierten Einrichtungen geschehen. Erstere sind im Optimalfall Allgemeinmediziner, sie vervollständigen u. a. Impfungen, führenScreenings aufspezifische Erkrankungen durch und leiten die Patienten an Einrichtungen weiter, die beispielsweise in der Behandlung von Tuberkulose, HIV oder Hepatitis B/C spezialisiert sind. Eine wichtige Rolle spielen auch Dolmetscher, die oft dabei helfen müssen, sprachliche und kulturelle Barrieren zu überwinden. Die Definition und Implementierung von Untersuchungs- und Behandlungsprogrammen, die individuell angepasst werden müssen, ist eine wichtige Aufgabe für die nächste Zeit. Dies erfordert von beiden Seiten Geduld, Zuhören und den Aufbau eines vertrauensvollen Verhältnisses. Die Schritte sind jedoch dringend notwendig. Letztlich hängt die mittel- und langfristige Gesundheit der Migranten und damit auch das Gelingen der Integration davon ab, wie die Angebote unseres Gesundheitssystems kommuniziert und angenommen werden [2, 4]. Fazit für die Praxis In den USA und Kanada als typischen Einwanderungsländern liegen sowohl für die Untersuchung als auch für die Behandlung von Migranten und Flüchtlingen ausführliche und begründete Empfehlungen vor. Beide Leitlinien umfassen fast vollständig die in der Literatur beschriebenen Erkrankungen und Probleme und geben wichtige Hinweise und Kommentare für Behandlungsstrategien. Die Empfehlungen sind in vielen Teilen gleichlautend, unterscheiden sich aber beispielsweise bei der Behandlung von intestinalen Parasitosen und der Malaria. Dies macht deutlich, dass Empfehlungen aus anderen Regionen immer spezifisch an das jeweilige Gesundheitssystem angepasst werden müssen, sei es aufgrund ökonomischer oder kultureller Gegeben- 4 Das Programm der Erstuntersuchung von Migranten ist in der medizinischen Literatur bisher nicht gut dokumentiert. 4 In den USA und Kanada sind Leitlinien erschienen, die sich vor allem in der präsumtiven Therapie einiger Infektionen unterscheiden. 4 Beide Leitlinien könnten eine gute Basis für eine europäische evidenzbasierte Leitlinie geben. Korrespondenzadresse Prof. Dr. B. Salzberger Stabstelle Infektiologie, Universitätsklinikum Regensburg Franz-Josef-Strauß-Allee 11, 93052 Regensburg, Deutschland [email protected] Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt. C. Rauscher und B. Salzberger geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren. Literatur 1. Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (2015) Gesundheit von Asylbewerbern: Erstuntersuchungen gewährleistet (Pressemitteilung 6.2.2015): Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Erlangen 2. Rechel B, Mladovsky P, Ingleby D, Mackenbach JP, McKee M (2013) Migration and health in an increasingly diverse Europe. Lancet 381:1235–1245 3. Rechel B, Mladovsky P, Devillé W, Rijks B, PetrovaBenedict R, McKee M (2011) Migration and health in the european union. McGraw Open University Press, Maidenhead 4. IOM (2013) International Migration, Health and Human Rights. IOM, Genf 5. Pottie K, Greenaway C, Feightner J, Welch V, Swinkels H, Rashid M, Narasiah L et al (2011) Evidence-based clinical guidelines for immigrants and refugees. CMAJ 183:E824–925 6. Centers for Disease Control and Prevention (2016) Guidelines for the U.S. Domestic Medical Examination for Newly Arriving Refugees. Atlanta, GA, USA 7. Centers for Disease Control and Prevention (2015) Guidenlines for evaluating and updateing immunization during the domestic medical examination for newly arrived refugees. Atlanta, GA, USA 8. Centers for Disease Control and Prevention (2014) Screening for sexually transmitted disease during the domestic medical examination for newly arrived refugees. Atlanta, GA, USA 9. Centers for Disease Control and Prevention (2014) Screening for Hepatitisn during the domestic medical examination for newly arrived refugees. Atlanta, GA, USA 10. Centers for Disease Control and Prevention (2013) Intestinal parasite guideline for domestic medical examination for newly arrived refugees. Atlanta, GA, USA 11. Centers for Disease Control and Prevention (2013) Lead screening during the domestic medical examination for newly arrived refugees. Atlanta, GA, USA 12. Centers for Disease Control and Prevention (2013) Guidelines for the evaluation of the nutritional status and growth in refugee children during Der Internist 5 · 2016 455 Fachnachrichten 13. 14. 15. 16. 17. 18. the domestic screening examination of refugees. Atlanta, GA, USA Centers for Disease Control and Prevention (2012) Guidelines and discussion of the history and physical examination. Atlanta, GA, USA Centers for Disease Control and Prevention (2012) Screening for tuberculosis infection and disease during the domestic medical examination for newly arrived refugees. Atlanta, GA, USA Centers for Disease Control and Prevention (2012) Domestic refugee health guidelines: malaria. Atlanta, GA, USA Centers for Disease Control and Prevention (2012) General refugee health guidelines. Atlanta, GA, USA Centers for Disease Control and Prevention (2012) Screening for HIV-infection during the domestic medical examination for newly arrived refugees. Atlanta, GA, USA ECDC (2016) Evidence-based guidance for the prevention of infectious diseases among newly arrived migrants in the EU/EEA. ECDC, Stockholm Ultraschnelle Bildgebung fürs Gehirn soll noch präziser werden Bildgebende Verfahren für das Gehirn sind entweder schnell oder detailliert. Wie diese Faktoren bei der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) kombiniert werden können, erforscht Prof. Dr. Jürgen Hennig, Wissenschaftlicher Direktor der Abteilung Medizinphysik des Universitätsklinikums Freiburg. Dafür wird er jetzt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen eines Reinhard-Koselleck-Projekts mit 1,5 Millionen Euro gefördert. Die Wissenschaftler um Prof. Hennig hatten vor wenigen Jahren eine Methode entwickelt, mit der fMRT-Messungen zur Untersuchung des Gehirns 25 Mal schneller als bislang möglich sind. Nun möchten die Forscher die räumliche Auflösung des Verfahrens verbessern, um so Veränderungen in Anatomie und Aktivität, etwa kurz nach einem Schlaganfall, „live“ beobachten zu können. Ein MRT-Helm ermöglicht schnelle Messungen Für die Darstellung anatomischer Strukturen im MRT wird bislang ein graduelles Magnetfeld benötigt. Dieser Gradient muss nach jeder Messung neu aufgebaut werden, was je nach gewünschter Auflösung einige Sekunden bis mehrere Minuten dauert. Schnelle Prozesse lassen sich daher schlecht darstellen. Vor wenigen Jahren hat das Team um Prof. Hennig einen Ansatz entwickelt, bei dem auf das graduelle Magnetfeld verzichtet wird und die MRTSignale direkt gemessen werden können. Kernstück der Methode ist ein Helm mit bis zu 95 kleinen Empfangsspulen. Das Signal einer Spule kann jeweils dem Hirnbereich direkt unter der Spule zugeordnet werden. amit ist es gelungen, eine Messung des gesamten Gehirns mit einer Auflösung von 3 Millimetern in einer Zehntelsekunde durchzuführen. In dem nun anlaufenden Projekt möchten die Forscher die Strukturen des Gehirns auf 2 Millimeter genau darzustellen. Außerdem möchten sie klären, ob die Methode schnell und präzise genug ist, um damit in Echtzeit Prothesen zu steuern. Bereits heute wird das Verfahren bei Epilepsie-Patienten zur Lokalisierung der Anfallsherde genutzt. 456 Der Internist 5 · 2016 Bislang müssen ihnen dafür in einer neurochirurgischen Operation Elektroden auf der Gehirnoberfläche implantiert werden. Die neue Messmethode könnte helfen, den Patienten diesen sehr aufwändigen Eingriff in Zukunft zu ersparen. Quelle: Universitätsklinikum Freiburg https://www.uniklinik-freiburg.de/de.html Internist DOI 10.1007/s00108-016-0054-6 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 Redaktion H. Lehnert, Lübeck E. Märker-Hermann, Wiesbaden J. Meyer, Mainz J. Mössner, Leipzig (Schriftleitung) A. Neubauer, Marburg 3 Punkte sammeln auf ... springermedizin.de/ eAkademie Teilnahmemöglichkeiten Diese Fortbildungseinheit steht Ihnen als e.CME und e.Tutorial in der Springer Medizin e.Akademie zur Verfügung. – e.CME: kostenfreie Teilnahme im Rahmen des jeweiligen Zeitschriftenabonnements – e.Tutorial: Teilnahme im Rahmen des e.Med-Abonnements Zertifizierung Diese Fortbildungseinheit ist mit 3 CMEPunkten zertifiziert von der Landesärztekammer Hessen und der Nordrheinischen Akademie für Ärztliche Fort- und Weiterbildung und damit auch für andere Ärztekammern anerkennungsfähig. Hinweis für Leser aus Österreich und der Schweiz Gemäß dem Diplom-Fortbildungs-Programm (DFP) der Österreichischen Ärztekammer werden die in der e.Akademie erworbenen CME-Punkte hierfür 1:1 als fachspezifische Fortbildung anerkannt. Der Internist ist zudem durch die Schweizerische Gesellschaft für Innere Medizin mit 0,5 Credits pro Modul anerkannt. Kontakt und weitere Informationen Springer-Verlag GmbH Springer Medizin Kundenservice Tel. 0800 77 80 777 E-Mail: [email protected] CME Zertifizierte Fortbildung A. Pulzer · S. Burger-Stritt · S. Hahner Medizinische Klinik und Poliklinik I, Schwerpunkt Endokrinologie und Diabetologie, Universitätsklinikum Würzburg, Würzburg, Deutschland Morbus Addison Primäre Nebenniereninsuffizienz Zusammenfassung Die Nebenniereninsuffizienz (NNI) ist eine seltene Erkrankung, die durch eine verminderte oder gänzlich fehlende Synthese von Nebennierenhormonen bedingt ist. Die primäre NNI, bei der die Ursache im Bereich der Nebenniere selbst liegt, ist von sekundären Formen zu differenzieren, bei denen übergeordnete Zentren der kortikotropen Achse betroffen sind. Hauptursache der primären NNI ist insbesondere in den Industrienationen der Morbus Addison. Dessen Prävalenz liegt bei etwa 11 pro 100.000 Einwohner. Aufgrund einer meist unspezifischen klinischen Symptomatik wird die Diagnose häufig verzögert gestellt. Die Diagnosesicherung erfolgt mittels ACTH-Stimulationstest. Therapeutische Maßnahmen beinhalten die Substitution der fehlenden adrenokortikalen Hormone. Darüber hinaus sind eine endokrinologische Anbindung sowie regelmäßige Schulungen zur Prävention von Nebennierenkrisen essenziell. Jeder Patient mit NNI-Insuffizienz sollte einen Notfallausweis und eine Notfallausrüstung mit sich führen. Schlüsselwörter Adrenokortikotropes Hormon · Hormonersatztherapie · Hydrokortison · Fludrokortison · Dehydroepiandrosteron Der Internist CME Lernziele Nach der Lektüre dieses Beitrags ... 4 sind Sie in der Lage, eine Nebenniereninsuffizienz zu erkennen. 4 kennen Sie die notwendigen differenzialdiagnostischen Schritte. 4 sind Sie mit der erforderlichen Substitutionstherapie vertraut. 4 wissen Sie, wie Sie Patienten mit einer Nebenniereninsuffizienz im Langzeitverlauf überwachen. 4 wissen Sie, was eine Nebennierenkrise ist und wie man ihr vorbeugt bzw. wie man sie behandelt. Hintergrund Der Morbus Addison ist eine primäre Erkrankung der Nebennierenrinde Der Morbus Addison ist eine seltene Erkrankung mit jedoch leicht steigender Prävalenz und Inzidenz Thomas Addison beschrieb 1855 erstmalig ein klinisches Syndrom, das sich u. a. durch eine Hyperpigmentierung der Haut sowie Trägheit äußert und durch eine Dysfunktion der Nebenniere verursacht wird [1]. Der durch eine Autoimmunadrenalitis bedingte Morbus Addison ist eine Erkrankung der Nebennierenrinde selbst, also eine primäre Nebenniereninsuffizienz (NNI). Abzugrenzen ist er von sekundären Formen, bei denen eine NNI durch einen Mangel an adrenokortikotropem Hormon (ACTH) als übergeordnetem Stimulationshormon entsteht, in der Regel bedingt durch eine Hypophyseninsuffizienz. Der Morbus Addison ist eine seltene Erkrankung mit jedoch leicht steigender Prävalenz und Inzidenz [2, 3]. So erhöhte sich gemäß einer aktuellen Analyse der Daten einer großen deutschen Krankenversicherung die Prävalenz der chronischen primären Nebennierenrindeninsuffizienz von etwa 8,2 pro 100.000 Einwohner im Jahr 2008 auf 8,7 pro 100.000 Einwohner im Jahr 2012. Bei Frauen war ein deutlicherer Anstieg zu beobachten als bei Männern [3]. Ätiologie und Pathogenese In den industrialisierten Ländern wird die primäre NNI überwiegend durch eine Autoimmunadrenalitis verursacht In Entwicklungsländern ist die im Rahmen einer Tuberkuloseinfektion auftretende infektiöse Adrenalitis weiterhin eine Hauptursache der primären NNI [4]; früher kam sie auch häufiger in Europa vor. In den industrialisierten Ländern wird die primäre NNI in über 80 % der Fälle durch eine Zerstörung aller drei Zonen der Nebennierenrinde infolge einer Autoimmunadrenalitis verursacht [1]. Aus der Autoimmundestruktion der Zonae glomerulosa, fasciculata und reticularis resultiert ein Defizit an Mineralokortikoiden (Aldosteron), Glukokortikoiden (Kortisol) und dem Androgen- und Östrogenvorläufersteroid Dehydroepiandrosteron (DHEA). Die Synthese der Addison’s disease. Primary adrenal insufficiency Abstract Adrenal insufficiency, a rare disorder which is characterized by the inadequate production or absence of adrenal hormones, may be classified as primary adrenal insufficiency in case of direct affection of the adrenal glands or secondary adrenal insufficiency, which is mostly due to pituitary or hypothalamic disease. Primary adrenal insufficiency affects 11 of 100,000 individuals. Clinical symptoms are mainly nonspecific and include fatigue, weight loss, and hypotension. The diagnostic test of choice is dynamic testing with synthetic ACTH. Patients suffering from chronic adrenal insufficiency require lifelong hormone supplementation. Education in dose adaption during physical and mental stress or emergency situations is essential to prevent life-threatening adrenal crises. Patients with adrenal insufficiency should carry an emergency card and emergency kit with them. Keywords Adrenocorticotropic hormone · Hormone replacement therapy · Hydrocortisone · Fludrocortisone · Dehydroepiandrosterone Der Internist CME Abb. 1 9 Hyperpigmentierung bei primärer Nebenniereninsuffizienz und Vitiligo (Quelle: Universitätsklinikum Würzburg) Mineralokortikoide wird überwiegend durch das Renin-Angiotensin-System reguliert, während durch das hypophysäre Hormon ACTH die Synthese der Glukokortikoide und des DHEA stimuliert wird. Neben einer verminderten Synthese adrenokortikaler Hormone besteht zusätzlich ein Adrenalindefizit, da die Adrenalinsynthese des Nebennierenmarks hoher lokaler Glukokortikoidkonzentrationen bedarf [5]. Die Autoimmunadrenalitis kann isoliert (40 %) oder auch im Rahmen eines polyglandulären Autoimmunsyndroms (autoimmun bedingtes polyglanduläres Syndrom [APS]; 60 %) auftreten. Am häufigsten ist das polyglanduläre Autoimmunsyndrom Typ 2 (APS Typ 2), bei dem eine primäre NNI u. a. mit Autoimmunthyreoiditis, Diabetes mellitus Typ 1, Vitiligo, primärer Gonadeninsuffizienz oder chronischer atrophischer Gastritis assoziiert sein kann. Der Erkrankungsgipfel liegt im Alter von 35 bis 40 Jahren. Es findet sich eine polygenetische Disposition, die in Verbindung mit weiteren Auslösefaktoren zur Manifestation eines Autoimmunprozesses führt [1]. Deutlich seltener findet sich bei einer Autoimmunadrenalitis ein APS Typ 1 mit autoimmuner Polyendokrinopathie, Candidiasis, ektodermaler Dystrophie (APECED) und Genmutation, das zusätzlich zum Morbus Addison durch einen Hypoparathyreoidismus, eine Hypoplasie des Zahnschmelzes, Nageldystrophie sowie eine chronische mukokutane Candidiasis gekennzeichnet ist [2]. Diese Erkrankung manifestiert sich im Kindesalter. Beim APS Typ 1 handelt es sich um eine autosomal-rezessive Erkrankung, verursacht durch eine Mutation im Autoimmuneregulator(AIRE)-Gen [2]. Weitere Ursachen einer primären NNI sind u. a. eine Infiltration der Nebenniere durch einen Tumor, eine Nebenniereneinblutung oder auch die bilaterale Adrenalektomie [1]. Eine tabellarische Darstellung zur Genese der primären NNI findet sich in . Tab. 1. Die Autoimmunadrenalitis kann isoliert oder im Rahmen eines polyglandulären Autoimmunsyndroms auftreten Das APS Typ 1 manifestiert sich im Kindesalter Klinische Manifestation Die klinische Manifestation des Morbus Addison ist weitgehend unspezifisch, weshalb sich die Diagnosestellung sehr häufig verzögert [6]. Unter anderem gehen Fehldiagnosen wie eine Anorexia nervosa oder eine konsumierende Tumorerkrankung voraus, aufgrund der Gewichtsabnahme und der abdominalen Beschwerdesymptomatik werden auch wiederholte gastroskopische Abklärungen durchgeführt. Klinisch im Vordergrund stehen eine ausgeprägte Müdigkeit und ein Leistungsdefizit. Weitere Symptome sind u. a. verminderter Appetit, Gewichtsverlust, Dehydratation, Hypotonie mit orthostatischer Dysregulation, abdominale Schmerzen, Gelenk- und Muskelschmerzen sowie eine Hypoglykämieneigung. Ein etwas spezifischeres Zeichen der primären NNI ist die Hyperpigmentierung (. Abb. 1), die sich nicht nur an den klassischen sonnenexponierten Stellen zeigt, sondern auch an den Handlinien, Mamillen und Schleimhäuten. Sie findet sich jedoch nur bei etwa 50–75 % der Patienten. Das Mineralokortikoiddefizit kann sich mit Salzhunger manifestieren [1]. Bei Frauen sind infolge des Androgendefizits ein Libidoverlust, trockene Haut und der Verlust der Sekundärbehaarung zu beobachten [7]. Aufgrund der weitgehend unspezifischen Klinik wird der Morbus Addison häufig verzögert diagnostiziert Ein etwas spezifischeres Zeichen der primären NNI ist die Hyperpigmentierung Das Mineralokortikoiddefizit kann sich mit Salzhunger manifestieren Diagnostik Entscheidend ist, dass die vorliegende, teilweise unspezifische, Symptomatik an die Differenzialdiagnose einer primären NNI denken lässt. Zur weiteren Abklärung der Verdachtsdiagnose erfolgt in erster Linie eine weiterführende laborchemische Diagnostik. Der Internist CME Tab. 1 Übersicht zur Genese der primären Nebenniereninsuffizienz [1] Autoimmun Isolierter Morbus Addison (30–40 %), polyglanduläres Autoimmunsyndrom Typ 1 (5–10 %), polyglanduläres Autoimmunsyndrom Typ 2 (etwa 60 %) Infektion Tuberkulose, Zytomegalie, „human immunodeficiency virus“ (HIV), Pilzinfektionen Kongenital Adrenoleukodystrophie (X-chromosomal-rezessiv), adrenogenitales Syndrom (z. B. Defekt der 21-Hydroxylase) Infiltration/Verdrängung der Nebennieren Bilaterale Metastasen, Hämochromatose, Histiozytose, Lymphom, Sarkoidose Hämorrhagie Thrombozytopenie, Antikoagulanzientherapie, Waterhouse-Friderichsen-Syndrom, Antiphospholipidsyndrom, Lupus erythematodes Operative Entfernung Bilaterale Adrenalektomie Medikamente Mitotan, Aminoglutethimid, Etomidat, Ketoconazol, Rifampicin Basalwerte von Kortisol, ACTH und DHEAS Basalwerte von Kortisol und ACTH ermöglichen bei einer primären NNI oftmals bereits eine Diagnosestellung Da Kortisol- und ACTH-Werte einer zirkadianen Rhythmik unterliegen und durch externe Faktoren wie Stress oder Schmerzen stark beeinflussbar sind, ist die reine Bestimmung von Basalwerten häufig nicht verlässlich. Sie ermöglicht aber bei einer primären NNI oftmals bereits eine Diagnosestellung. Ein basaler morgendlicher Kortisolwert < 5 μg/dl bei gleichzeitig erhöhtem Plasma-ACTH-Wert und niedriger Serumkonzentration von Dehydroepiandrosteronsulfat (DHEAS) hat einen hohen prädiktiven Wert für das Vorliegen einer NNI, während bei einem basalen Kortisolwert > 20 μg/dl von einer normalen Nebennierenrindenfunktion ausgegangen werden kann. ACTH-Stimulationstest Der Standardtest bei Verdacht auf Vorliegen einer NNI besteht in der dynamischen Testung mit einem ACTH-Stimulationstest Für die Differenzierung zwischen primärer und sekundärer NNI wird der basale Plasma-ACTH-Spiegel herangezogen Der Standardtest bei Verdacht auf Vorliegen einer NNI besteht in der dynamischen Testung mit einem ACTH-Stimulationstest (auch ACTH-Kurztest genannt). Es erfolgt die Bestimmung von Serumkortisol vor und 60 min nach intravenöser Verabreichung einer supraphysiologischen Menge von 1–24-ACTH, in der Regel werden 250 μg appliziert. Steigt das Serumkortisol 30–60 min nach Stimulation auf > 20 μg/dl (> 550 nmol/l) an, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer regelrechten Nebennierenfunktion ausgegangen werden. Die Durchführung des Tests kann zu jeder Tageszeit erfolgen. Für die Differenzierung zwischen primärer und sekundärer NNI wird der basale Plasma-ACTH-Spiegel herangezogen [8]. Bei einer primären NNI finden sich erhöhte Plasma-ACTH-Spiegel, die in der Regel um mehr als das 2-fache über der oberen Norm liegen. Bei sekundärer oder tertiärer NNI lassen sich dagegen erniedrigte oder niedrig normale Werte nachweisen [8, 9]. Weitere Untersuchungen Bei primärer NNI besteht ein Mineralokortikoiddefizit mit erniedrigten Serumaldosteronspiegeln bei gegenregulatorisch erhöhter Reninkonzentration im Plasma [9]. Mineralokortikoid- und Glukokortikoiddefizite führen häufig zu einer Hyponatriämie (in 70–80 % der Fälle) sowie Hyperkaliämie mit metabolischer Azidose, hin und wieder auch zu Hypoglykämien. Seltener können eine Hyperkalzämie, Eosinophilie oder Lymphozytose beobachtet werden. Autoantikörper gegen Nebennierenrindengewebe, meist gegen die 21-Hydroxylase, lassen sich bei Erstdiagnose eines Morbus Addison in etwa 90 % der Fälle nachweisen [10, 11]. Bei Nachweis eines Morbus Addison empfehlen sich aufgrund des erhöhten Risikos weiterer Autoimmunopathien die ergänzende Bestimmung von thyreoideastimulierendem Hormon (TSH), Nüchternglukose, Blutbild und Leberwerten sowie die Evaluation der Gonadenfunktion. Darüber hinaus muss bei Vorliegen einer entsprechenden Symptomatik an weitere Erkrankungen wie eine Sprue bzw. glutensensitive Enteropathie gedacht werden. Zudem sollte bei fehlendem Nachweis einer Autoimmungenese eine infektiöse Adrenalitis ausgeschlossen werden, insbesondere eine tuberkulöse Form (. Abb. 2; [8]). Der Internist CME Abb. 2 8 Übersicht überdie Diagnosefindungbei primärerNNI.ACTH Adrenokortikotropes Hormon;AK Antikörper; NNI Nebenniereninsuffizienz; Tbc Tuberkulose [7, 1] Hormonersatztherapie Glukokortikoidsubstitution Hydrokortison Für die Substitutionstherapie wird das Glukokortikoid Hydrokortison bevorzugt, chemisch entspricht es dem körpereigenen Kortisol. Klassische Hydrokortisontagesdosen liegen bei 15–25 mg. Die Dosis wird individuell angepasst. Im Einzelfall können in Abhängigkeit von Komedikation und individuellem Bedarf niedrigere Dosen ausreichen oder höhere Dosen vonnöten sein. Die Tagesdosis wird auf 2–3 Einzeldosen aufgeteilt, wobei zur Nachahmung der zirkadianen Rhythmik etwa 50–60 % der Dosis morgens eingenommen werden, beispielsweise nach dem Schema 10–5–5 oder 15–5–0 mg [7, 12]. Neuere Therapieansätze zielen daher darauf ab, dem physiologischen zirkadianen Profil näher zu kommen. Seit 2012 ist in Deutschland ein Hydrokortisonpräparat verfügbar, das eine duale Wirkstofffreisetzung aufweist und dadurch nach einmaliger morgendlicher Einnahme ein konstanteres Wirkprofil im Tagesverlauf ermöglicht. Daten kleiner Patientengruppen deuten auf ein verbessertes metabolisches Profil und eine verbesserte Lebensqualität hin, Daten zu größeren Kollektiven liegen derzeit noch nicht vor [13, 14]. Ein weiteres Hydrokortisonverzögerungspräparat befindet sich in der klinischen Testung [15]. Die Hydrokortisontagesdosis wird auf 2–3 Einzeldosen aufgeteilt und soll die zirkadiane Rhythmik nachahmen Prednisolon Ebenfalls in Form einer einmaligen morgendlichen Einnahme findet nach wie vor Prednisolon Anwendung. Dabei ist zu beachten, dass Prednisolon durch die längere und stärkere Wirkpotenz nur einmal morgens eingenommen wird; die klassische tägliche Dosis liegt bei 3–5 mg. Weiterhin weist Prednisolon im Vergleich zu Hydrokortison eine deutlich geringere mineralokortikoide Wirkung auf [1]. In Form einer einmaligen morgendlichen Einnahme findet nach wie vor Prednisolon Anwendung Überwachung der Therapie Die Überwachung der Substitutionstherapie erfolgt primär anhand klinischer Gesichtspunkte. Geachtet wird auf Zeichen einer Übersubstitution, z. B. Gewichtszunahme, gesteigerten Appetit und Schlafstörungen, bzw. auf Zeichen einer Untersubstitution, z. B. Appetitlosigkeit, Leistungsabfall und Müdigkeit [16]. Da die verfügbaren Substitutionstherapien nur grob die physiologische Situation nachahmen, ist die Bestimmung von Laborparametern zur Beurteilung der Substitu- Die Überwachung der Substitutionstherapie erfolgt primär anhand klinischer Gesichtspunkte Der Internist CME Tab. 2 Beispiele für Anpassungen der Substitutionsdosis von Hydrokortison [7, 1] Situation Dosisanpassung Zeitraum Längere sportliche Aktivität (z. B. Zusätzliche orale Einnahme von 5–10 mg Hylängerer Dauerlauf, mehrstündi- drokortison ge Wanderung) Etwa 30–60 min vor Beginn der geplanten Aktivität Starke psychische Belastung Zusätzliche orale Einnahme von 5–10 mg (z. B. Examensstress oder Trauer- Hydrokortison fall in der Familie) Kleinere operative Eingriffe (z. B. Zahnarzt) Zusätzliche Dosis am Morgen 1 h vor dem Eingriff, danach Dosisverdopplung für die nächsten 24 h Fieber > 38 °C Verdopplung der täglichen Hydrokortisondosis für den Zeitraum der Beschwerden Bis klinische Besserung erreicht wird; häufig sind 1–2 Tage ausreichend Fieber > 39 °C Verdreifachung für den Zeitraum der Beschwerden Bis klinische Besserung erreicht wird Größere Operation in IntubatiBeginn: 100 mg Hydrokortison im Bolus i. v.; onsnarkose, Trauma, Intensivbe- anschließend 200 mg/24 h kontinuierlich i. v. handlung, Entbindung oder 50 mg Hydrokortison alle 6 h i. v. (oder i. m.), bis orale Kostaufnahme wieder möglich ist Gastroenteritis mit persistierendem Erbrechen und/oder Diarrhö Solange die BeschwerSofortiger Bolus von 100 mg Hydrokortison, den bestehen dann 200 mg Hydrokortison/24 h als kontinuierliche Infusion oder häufige i. v.- oder i. m.-Boli (50 mg) alle 6 h Nebennierenkrise Solange die BeschwerSofortiger Bolus von 100 mg Hydrokortison, den bestehen dann 200 mg Hydrokortison/24 h als kontinuierliche Infusion oder häufige i. v.- oder i. m.-Boli (50 mg) alle 6 h tionstherapie wenig hilfreich. So weisen fast alle Patienten vor morgendlicher Einnahme ihres Glukokortikoidpräparats stark erhöhte ACTH-Plasmaspiegel auf, die kurz nach Einnahme rasch abfallen. Viele Patienten geben jedoch auch unter etablierter Substitutionstherapie Beschwerden wie Leistungsdefizite an, die nicht immer auf eine Untersubstitution zurückführbar sind. Eine Erhöhung der Substitutionsdosis sollte bei diesen Symptomen erfolgen, bedarf jedoch im Verlauf stets einer Reevaluation. Interaktionen Bei der Dosisfindung muss auch die Komedikation beachtet werden Sehr wichtig ist es, bei der Dosisfindung auch die Komedikation zu beachten. Über eine Beeinflussung von Cytochrom P450 3A4 (CYP3A4), dem Schlüsselenzym des Kortisolmetabolismus, können verschiedene Medikamente und Lebensmittel die Wirkung von Hydrokortison verstärken oder abschwächen. Verstärkend wirken beispielsweise Ritonavir, Diltiazem, Fluoxetin und Grapefruit. Einen abschwächenden Effekt haben Carbamazepin, Barbiturate, Rifampicin, Exenatid und Mitotan, in geringfügigem Maße auch Johanniskraut. Bei Patienten mit begleitendem Diabetes mellitus Typ 1 ist zu berücksichtigen, dass Kortisol den Glukosemetabolismus beeinflusst; meist ist der Tagesverlauf der Insulinsensitivität verändert. Beachtet werden müssen weiterhin das nächtlich ausgeprägtere Glukokortikoiddefizit und der noch geringere Insulinbedarf bei körperlicher Aktivität [17]. Anpassung bei Stress, Krankheit und Operationen In Krankheits- und Stresssituationen muss bei NNI die Substitutionsdosis vorübergehend erhöht werden Der Internist Akute Ereignisse wie körperlicher oder emotionaler Stress, entzündliche Erkrankungen oder Verletzungen erhöhen bei normaler Nebennierenfunktion die Kortisolsekretion rasch um ein Vielfaches. Bei vorliegender NNI ist der physiologisch schnelle Kortisolanstieg in Krankheitsund Stresssituationen nicht vorhanden. Daher muss die Substitutionsdosis vorübergehend erhöht werden (. Tab. 2; [18]). Bei Erbrechen, Diarrhö oder hohem Fieber muss eine parenterale Gabe von Hydrokortison erfolgen. Da davon auszugehen ist, dass oral eingenommene Glukokortikoide nicht oder nur CME unzureichend resorbiert werden, kann der Patient zur zeitlichen Überbrückung bis zum Eintreffen professioneller Hilfe selbst ein Kortisonpräparat i. m. injizieren, z. B. 100 mg Hydrokortison oder 50 mg Prednisolon. Dies sollte sich jeder Patient von seinem Arzt zeigen lassen. In einer aktuellen Studie war v. a. bei normalgewichtigen Patienten auch nach subkutaner Hydrokortisongabe ein rascher Kortisolanstieg zu beobachten, bei höherer Akzeptanz durch die Patienten [19]. Offiziell erfolgt die subkutane Applikation jedoch außerhalb der Zulassung. Nach Selbstbehandlung im Rahmen einer Akutsituation ist eine notfallmäßige ärztliche Vorstellung stets zusätzlich erforderlich. Mineralokortikoidtherapie Zum Ausgleich des Aldosterondefizits wird Fludrokortison (9α-Fluor-Kortisol) in morgendlicher Einzeldosis eingesetzt. Die übliche Tagesdosis beträgt 0,05–0,1 mg. Zielparameter sind ein Serumspiegel von Natrium und Kalium im Normbereich bei normotensiven Blutdruckwerten ohne orthostatische Hypotonie, periphere Ödemneigung oder Salzhunger. Die Plasmakonzentration von Renin liegt dabei meist an der oberen Grenze des Normbereichs. Der Bedarf an Fludrokortison ist relativ konstant. In bestimmten Situationen kann eine Dosiserhöhung jedoch notwendig werden, beispielsweise bei heißen Außentemperaturen oder in der Schwangerschaft. Symptome wie Salzhunger und orthostatische Hypotonie können auf eine Untersubstitution hinweisen, während periphere Ödeme durch eine Übersubstitution bedingt sein können [1, 9]. Der Bedarf an Fludrokortison zum Ausgleich des Aldosterondefizits ist in der Regel relativ konstant Therapie mit Dehydroepiandrosteron Patienten mit Morbus Addison weisen einen DHEA-Mangel auf. Dessen klinische Relevanz ist nur unvollständig verstanden. Während bei Männern die Hoden die Hauptandrogenquelle darstellen, stammt bei Frauen der überwiegende Teil der Androgene aus der Nebennierenrinde. Der DHEA-Mangel ist daher insbesondere bei Frauen klinisch auffällig. Allerdings weist DHEA auch neurosteroidale Funktionen auf, die sowohl bei Männern als auch bei Frauen relevant sind [20, 21]. Die Symptome umfassen Hauttrockenheit, einen Verlust der Sekundärbehaarung und eine verminderte Libido. Eine DHEA-Substitution kann die Symptomatik positiv beeinflussen [20]. Die Effekte sind meist nur moderat, interindividuell jedoch sehr variabel [22]. Ein probatorischer Einsatz von DHEA kann erwogen werden, wenn Beschwerden wie Libidoverlust, Energiemangel oder eine depressive Symptomatik trotz Optimierung der Glukokortikoid- und Mineralokortikoidsubstitution persistieren. Eine initiale morgendliche Einzeldosis von 25 mg DHEA ist in der Regel ausreichend, bei Nebenwirkungen kann und muss häufig weiter reduziert werden, z. B. auf 25 mg alle 2–3 Tage. Überwacht wird die Substitution einerseits durch klinische Evaluation von Zeichen einer Androgenwirkung (Zunahme des Hautfettgehalts, Akne, Hirsutismus und Alopezie). Andererseits werden in Laboruntersuchungen DHEAS, Androstendion und der freie Androgenindex bestimmt (Ziel: altersentsprechender Normbereich). Effekte sind oftmals erst nach mehreren Monaten zu beobachten, sodass sich eine Reevaluation erst nach etwa 6 Monaten empfiehlt [8]. Ein offiziell zugelassenes Präparat existiert nicht. Die Entscheidung zur Therapie ist fallabhängig und muss mit dem Patienten individuell besprochen werden. Die Kosten des Medikaments werden oftmals nicht von den Krankenkassen übernommen. Der DHEA-Mangel ist insbesondere bei Frauen klinisch auffällig Die Entscheidung zur DHEA-Substitution muss individuell getroffen werden Herausforderungen in der Langzeitbehandlung Trotz etablierter Standardsubstitutionstherapie berichten viele Patienten mit einer chronischen NNI von einer Verminderung ihrer allgemeinen Leistungsfähigkeit und Lebensqualität. So leiden einige Patienten mit NNI an vermehrter Müdigkeit und Erschöpfbarkeit, verminderter Vitalität sowie an Schlafstörungen [23]. Eine erhöhte Mortalität wurde in neueren Untersuchungen größerer Patientenkohorten dokumentiert. Es fand sich ein signifikant erhöhtes Risiko, an kardiovaskulären Ereignissen und insbesondere an Infekten zu versterben [24, 25]. Diese Ereignisse waren bei NNI-Patienten mit dem Auftreten von Nebennierenkrisen assoziiert, sodass der Prävention von Nebennierenkrisen eine entscheidende Rolle zukommt [18, 26]. Patienten mit NNI versterben signifikant häufiger an kardiovaskulären Ereignissen und insbesondere an Infekten Der Internist CME Abb. 3 8 Nebennierenkrisenauslösende Faktoren bei 46 Patienten. Das relative Risiko, an einem der Hauptkrisenauslöser (fieberhafter Infekt) zu versterben, ist um fast das 7-fache erhöht [26] Nebennierenkrise Nebennierenkrisen sind mit einer erhöhten Letalität assoziiert Jegliche Art von Belastung kann ein auslösender Faktor für eine krisenhafte Verschlechterung sein Eine Nebennierenkrise ist eine lebensbedrohliche Verschlechterung des Allgemeinzustands, bedingt durch ein Ungleichgewicht von Kortisolbedarf und Kortisolverfügbarkeit [18]. Symptomatisch stehen Hypotonie, Übelkeit und Erbrechen, massive Abgeschlagenheit, Hyponatriämie, Hypoglykämie und Hyperkaliämie im Vordergrund. Es kann zu einem akuten Kreislaufversagen kommen. Nebennierenkrisen treten mit einer Häufigkeit von 8–17 pro 100 Patientenjahre auf und sind mit einer erhöhten Letalität assoziiert [18, 26, 3]. Eine prospektive 2-Jahres-Beobachtungsstudie ergab eine nebennierenkrisenassoziierte Letalität von 0,5 pro 100 Patientenjahre, d. h., etwa jeder 200. Patient mit chronischer NNI verstirbt innerhalb der folgenden 12 Monate an einer Nebennierenkrise [26]. Die Krise kann im Rahmen der Erstmanifestation oder auch im Verlauf nach Diagnosestellung unter einer bestehenden Substitutionstherapie auftreten. Jegliche Art von Belastung kann einen auslösenden Faktor für eine krisenhafte Verschlechterung darstellen. Die häufigsten Ursachen umfassen allerdings fieberhafte und gastrointestinale Infekte (. Abb. 3). Prävention und Therapie der Nebennierenkrise Die Behandlung der Nebennierenkrise beinhaltet eine rasche Rehydratation und Verabreichung von Hydrokortison Der Internist Jeder Patient sollte stets einen Notfallausweis (. Abb. 4) und eine Notfallausrüstung mit sich führen, inklusive Hydrokortisonampulle für Injektionszwecke. Unnötige Verzögerungen einer notwendigen parenteralen Hydrokortisonapplikation müssen vermieden werden. Daher ist die wiederholte Schulung der Patienten und ihrer Angehörigen im Umgang mit Notfallsituationen eine wesentliche Säule der Prävention. Hierbei werden Informationen zur generellen Notwendigkeit der Substitutionstherapie und zurDosisanpassung in verschiedenenSituationenweitergegeben. Zudem wird eine Schulung in der parenteralen Eigeninjektion von Hydrokortison in Notfallsituationen zur Überbrückung der Zeit bis zur Gewährleistung professioneller Hilfe durchgeführt (. Tab. 2; [18]). Die Behandlung der Nebennierenkrise beinhaltet die rasche Rehydratation durch großzügige Volumensubstitution und die sofortige Verabreichung von 100 mg Hydrokortison i. v. als Bolus, gefolgt von einer kontinuierlichen Hydrokortisoninfusion (150–200 mg/24 h), alternativ die parenterale Gabe von 50 mg Hydrokortison in etwa 6-stündigen Zeitintervallen [18, 8]. Sobald eine klinische Stabilisierung erreicht wurde, kann die Dosis innerhalb von 24–72 h rasch wieder reduziert werden, je nach Zustand des Patienten ist auch ein Wechsel zur oralen Gabe möglich. Eine zusätzliche Mineralokortikoidgabe ist bei Hydrokortisontagesdosen über 50 mg aufgrund der mineralokortikoiden Wirkung des Hydrokortisons nicht notwendig. CME Abb. 4 8 Deutsche Version des europäischen Notfallausweises. (Adaptiert nach [27]) Informationen für Patienten, Angehörige und Ärzte finden sich u. a. auf der Internetseite der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (http://www.endokrinologie.net/krankheitenglukokortikoide.php). Therapie in der Schwangerschaft Frauen mit Morbus Addison haben eine etwas geringere Schwangerschaftsrate als Frauen mit gesunden Nebennieren. Ein leicht erhöhtes Risiko für Spontanaborte und Frühgeburtlichkeit wurde zudem berichtet [28, 29]. Generell verlaufen jedoch die meisten Schwangerschaften bei Patientinnen mit Morbus Addison komplikationslos. Die Serumkortisolkonzentrationen steigen physiologisch während der Schwangerschaft auf das 2- bis 3-fache der normalen Werte an. Auf dieser Basis und angesichts berichteter Nebennierenkrisen bei fehlender Dosiserhöhung wird eine Erhöhung der Hydrokortisondosis um etwa 50 % je nach klinischem Zustand empfohlen, spätestens aber ab dem dritten Trimenon [1, 12]. Aufgrund des Antimineralokortikoideffekts von Progesteron ist oft auch eine Erhöhung der Fludrokortisondosis erforderlich. Die Kontrolle erfolgt während der Schwangerschaft nicht anhand der Plasmakonzentration von Renin, sondern anhand der Serumelektrolyte und Blutdruckwerte. Während der Entbindung ist eine parenterale Hydrokortisonsubstitution erforderlich; ähnlich wie dies bei operativen Eingriffen empfohlen ist (. Tab. 2). Die meisten Schwangerschaften verlaufen bei Patientinnen mit Morbus Addison komplikationslos Spätestens ab dem dritten Trimenon sollte die Hydrokortisondosis erhöht werden Fazit für die Praxis 4 Zur Verdachtsdiagnose Morbus Addison führt am häufigsten ein Symptomkomplex aus Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust, Hypotonie und Hyperpigmentation. 4 Eine Diagnosesicherung erfolgt mittels ACTH-Stimulationstest. 4 Die Erkrankung ist nicht heilbar, jedoch durch lebenslange Substitution der fehlenden Hormone gut behandelbar. 4 Ein erhöhter Kortisolbedarf entsteht z. B. bei Infektionen oder psychischem Stress. Sobald Infektanzeichen wie Fieber auftreten, sollte die Dosis mindestens verdoppelt bis verdreifacht werden. Das gilt auch für kleinere Operationen. Der Internist CME 4 Größere Eingriffe, gastrointestinale oder schwerwiegende Infektionen (mit der Notwendigkeit einer stationären Überwachung) und Unfälle mit Fremdhilfe erfordern eine zügige parenterale Hydrokortisontherapie (mindestens 100–200 mg/Tag nach initialem Bolus). 4 Eine Gastroenteritis bedarf einer zeitnahen parenteralen Hydrokortisonapplikation. 4 Jeder Patient mit einer NNI sollte mit einem Notfallausweis und einer Notfallausrüstung ausgestattet sein. Korrespondenzadresse Prof. Dr. S. Hahner Medizinische Klinik und Poliklinik I, Schwerpunkt Endokrinologie und Diabetologie, Universitätsklinikum Würzburg Oberdürrbacher Str. 6, 97080 Würzburg, Deutschland [email protected] Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt. S. Hahner erhielt 2015 ein Vortragshonorar der Firma Shire. A. Pulzer und S. Burger-Stritt geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren. Literatur 1. Bancos I, Hahner S, Tomlinson J, Arlt W (2015) Diagnosis and management of adrenal insufficiency. Lancet Diabetes Endocrinol 3:216–226 2. Charmandari E, Nicolaides NC, Chrousos GP (2014) Adrenal insufficiency. Lancet 383:2152–2167 3. Meyer G, Neumann K, Badenhoop K, Linder R (2014) Increasing prevalence of Addison’s disease in German females: health insurance data 2008–2012. Eur J Endocrinol 170:367–373 4. Soule S (1999) Addison’s disease in Africa--a teaching hospital experience. Clin Endocrinol 50:115–120 5. Bornstein SR, Breidert M, EhrhartBornstein M, Kloos B, Scherbaum WA (1995) Plasma catecholamines in patients with Addison’s disease. Clin Endocrinol 42:215–218 6. 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Hypertonie, Hyperpigmentierung, Gewichtszunahme, Salzhunger. Exanthem, vermehrtes Schwitzen, Tremor, Durstgefühl. Unruhe, Hypotonie, Hyperpigmentierung, Gewichtszunahme. ? Sie betreuen einen Patienten mit Ver- o o o o ? Bei welcher Hauterscheinung in Kom- o o o o o bination mit einer Symptomatik, die mit einer Nebenniereninsuffizienz vereinbar ist, sollten Sie differenzialdiagnostisch auch an einen Morbus Addison denken? Café-au-lait-Flecken Vitiligo Petechien Teleangiektasien Ichthyosis dacht auf Nebenniereninsuffizienz, bei dem Sie einen basalen morgendlichen Kortisolspiegel von 3 μg/l messen. Das gleichzeitig gemessene ACTH zeigt erhöhte Werte, das Serum-DHEAS ist erniedrigt. Für welche Diagnose spricht dieser Befund am ehesten? Morbus Cushing Therapie mit Prednisolon Therapie mit Spironolacton Primäre Nebenniereninsuffizienz Phäochromozytom o dacht auf Nebenniereninsuffizienz, bei dem Sie im ACTH-Stimulationstest nach 60 min einen Anstieg des Serumkortisols auf 35 μg/dl messen. Der basale ACTH-Spiegel ist normal. Für welchen Befund sprechen die gemessenen Werte am ehesten? Primäre Nebenniereninsuffizienz Sekundäre Nebenniereninsuffizienz Tertiäre Nebenniereninsuffizienz Morbus Cushing Normalbefund ? Welche Aussage zur Prednisolonsubstitutionstherapie trifft zu? o Prednisolon unterscheidet sich nicht von Hydrokortison hinsichtlich der mineralokortikoiden Potenz. o Prednisolon unterscheidet sich nicht von Hydrokortison hinsichtlich der glukokortikoiden Potenz. o Prednisolon wird mehrmals täglich 1:1 zur Hydrokortisonsubstitutionstherapie substituiert. D Für Zeitschriftenabonnenten ist die Teilnahme am e.CME kostenfrei Der Internist o Prednisolon weist im Vergleich zu Hydrokortison eine deutlich höhere mineralokortikoide Wirkung auf. o Prednisolon weist eine längere Halbwertszeit und höhere glukokortikoide Potenz auf. ? Anhand welcher Parameter erfolgt die o o o o o Überwachung der basalen Kortisontagesdosis? Primär anhand klinischer Gesichtspunkte Anhand des morgendlichen PlasmaACTH-Werts Anhand von Speichelkortisolprofilen Anhand der Kortisolausscheidung im 24h-Sammelurin Anhand des abendlichen Plasma-ACTHWerts ? Bei Nachweis einer primären Neben- o o o o o niereninsuffizienz aufgrund einer autoimmun bedingten Adrenalitis empfiehlt sich routinemäßig folgende ergänzende Labordiagnostik: TSH, Nüchternglukose, Blutbild, Leberwerte TSH, Leberwerte, Gastroskopie, Abdomensonographie Nüchternglukose, Blutbild, Schilddrüsensonographie, Koloskopie TSH, Gonadenfunktion, Gastroskopie, Leberwerte Aldosteron, Renin, ACTH-Test, Computertomographie des Abdomens mit Kontrastmittel CME-Fragebogen ? Bei Ihnen stellt sich notfallmäßig ein o o o o o Patient mit Hypotonie (80/40 mmHg), Übelkeit und Erbrechen vor. Die begleitenden Angehörigen berichten über einen bekannten Morbus Addison. Wie sollte ihre initiale Therapie am ehesten aussehen? 0,05 mg Fludrokortison i. v. 25 mg DHEA i. v. 1000 mg Methylprednisolon i. v. 100 mg Hydrokortison i. v. 10 mg Prednisolon i. v. ? Welche Aussage trifft nicht zu? Eine ad- o o o o o äquate Nebennierenkrisenprävention beinhaltet ... das Mit-sich-Führen eines Notfallausweises. das Mit-sich-Führen eines Notfallsets (inklusive Hydrokortisonampulle). regelmäßige Schulungen von Patienten und ihrer Angehörigen. die rasche Initiierung einer parenteralen Glukokortikoidapplikation bei einer Gastroenteritis. die abendliche Einnahme von Hydrokortison, um das nächtliche Glukokortikoiddefizit abzudecken. Diese zertifizierte Fortbildung ist 12 Monate auf springermedizin.de/ eAkademie verfügbar. Dort erfahren Sie auch den genauen Teilnahmeschluss. Nach Ablauf des Zertifizierungszeitraums können Sie diese Fortbildung und den Fragebogen weitere 24 Monate nutzen. Der Internist Mitteilungen des BDI Internist 2016 · 57:470–478 DOI 10.1007/s00108-016-0066-2 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 Redaktion Dr. med. Hans-Friedrich Spies, Wiesbaden (v. i. S. d. P.) Korrespondenzadresse Berufsverband Deutscher Internisten e.V. Schöne Aussicht 5 65193 Wiesbaden Tel.: 0611 18133-0 Fax: 0611 18133-50 [email protected] www.bdi.de Inhalt 471 Editorial 472 Notfälle: Weg vom Tunnelblick 472 Entlassmedikation: Neue Regeln des G-BA 473 BDI unterstützt Studierende auch 2016 mit Stipendium 473 Der BDI-PraxisNavigator 474 Einladung zum 4. Trainingskurs „Mastertrainer BDC/BDI/ BVOU für die Strukturierte Facharztweiterbildung“ 475 Online-Fortbildung 476 3000 Tage www.internisten-im-netz.de Editorial DGIM und BDI müssen zusammen arbeiten Bei der Vertretung des Fachs Innere Medizin vertritt die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) überwiegend die Wissenschaft, während der Berufsverband Deutscher Internisten (BDI) die Aufgabe übernommen hat, die Interessen der Inneren Medizin im gesamtpolitischen Umfeld wahrzunehmen. Davon betroffen sind die Körperschaften, aber auch die Politik und die Kostenträger in unserem Gesundheitswesen. Diese seit Jahren gepflegte Aufgabenverteilung mit Trennung von Wissenschaft und Politik ist im heutigen gesundheitspolitischen Umfeld nicht mehr aufrecht zu erhalten. In unserem nahezu rein ökonomisch orientierten Gesundheitswesen spielen Qualitätsvorgaben eine zunehmend wichtige Rolle. Diese können nur mit wissenschaftlich gesicherten Daten rechtssicher erstellt werden. Dabei muss man feststellen, dass die Politik in ihren Gesetzen und Verordnungen diese belegten Daten nicht neutral, sondern gezielt als Argumentationshilfe für ihre ökonomischen Ziele benutzt. Der Missbrauch solcher Daten wird exemplarisch an dem Zweitmeinungsverfahren sichtbar. Gefördert wird es nur bei Leistungen, bei denen man aus ökonomischen Gründen eine unangemessene Mengenentwicklung vermutet. Dabei wird nicht die konservative Therapie, sondern ganz bewusst allein die operative Behandlung einem Zweitmeinungsverfahren unterzogen. Wissenschaftliche Daten sind immer dann besonders willkommen, wenn man sie für eine Kostendämpfung benutzen kann. Dies hat Folgen für das Verhältnis von DGIM und BDI. Die wissenschaftlichen Gesellschaff ten, vorweg die DGIM, müssen weiter unbeeinflusst von ökonomischen Zielen ihre Vorgaben einbringen und sollten sich in die politische Diskussion nicht direkt einmischen. Andererseits ist ohne wissenschaftliche Ergebnisse diese Diskussion nicht zu führen. Beide Gesellschaften, sowohl die wissenschaftliche als auch die berufspolitische, sind deshalb auf die Dauer zu einer Zusammenarbeit und Abstimmung bei den anstehenden Fragen im Interesse der Medizin mehr als verpflichtet. Die beiden Verbände müssen wieder mehr aufeinander zugehen. Wie dies z. B. bei der Muster-Weiterbildungsordnung oder beim Thema Choosing Wisely erfolgreich eingeübt wurde. Ihr Dr. med. Hans-Friedrich Spies Präsident des BDI e.V. Der Internist 5 · 2016 471 Mitteilungen des BDI Notfälle: Weg vom Tunnelblick Auch mit dem Krankenhausstrukturgesetz und den darin vorgesehenen Portalpraxen bleibt es dabei: Die Versorgungsebenen werden getrennt betrachtet und geplant. Dabei zeigt eine Studie, dass in der Notfallversorgung eine ganzheitliche Lösung gefragt wäre. Das Klinikum der Universität München hat über sein Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement die Notfallversorgung im Großraum München analysiert. Die Ergebnisse sind deshalb interessant, weil im Krankenhausstrukturgesetz die Notfallversorgung eine wichtige Rolle gespielt hat. Und die empfohlenen Portalpraxen an den Krankenhäusern zum Aufreger im vertragsärztlichen Umfeld geworden sind. Dabei geht es dem Bundesgesundheitsministerium um den Notfalldienst der Kassenärztlichen Vereinigungen, während die Studie in München den davon unabhängigen Rettungsdienst und die direkte Inanspruchnahme der Krankenhäuser durch Patienten untersucht. Diese Strukturen sind organisatorisch und fiskalisch streng von der Kassenärztlichen Notfallversorgung getrennt. Versorgungstechnisch und inhaltlich ergeben sich aber zahlreiche Berührungspunkte, die eine übergreifende Erörterung der Notfallversorgung sinnvoll erscheinen lassen. Die Analyse in der Stadt München beleuchtet somit nur einen Teil der Versorgungslandschaft. Anstieg von über 40 % Von 2005 bis 2014 hat sich die Patientenzahl, die mit Rettungswagen versorgt wurde, von 77 000 auf etwa 110 000 erhöht. Sie ist demzufolge um 41 % im Stadtgebiet und im Umland von München angestiegen. Als Ursache werden die Bevölkerungszunahme, aber auch das geänderte Verhalten der Bevölkerung bei Notfallsituationen angesehen. Die griffige Telefonnummer 112 tut hier sicher 472 Der Internist 5 · 2016 ihr Übriges. Bei den Rettungswagen wird zwischen Transporten mit und ohne notärztliches Personal unterschieden. Die Steigerung der Versorgungszahlen betrifft mit etwa 50 % überwiegend die Transporte mit Arzt. Die ohne ärztliche Begleitung haben sich nur um etwa 23 % erhöht. Bei der Belastung der Krankenhäuser geht es aber nicht nur um die Patienten aus den Rettungswagen, sondern auch um die direkte Inanspruchnahme der Notfallambulanzen. Nur etwa 20 % der Patienten kamen tatsächlich mit dem Rettungsdienst. Der Rest, also 80 % von 524 000 Notfällen, erschien direkt im Krankenhaus. Ein Drittel wurde stationär, zwei Drittel ambulant behandelt. Davon waren 71 % Erwachsene, 17 % Kinder und der Rest verteile sich auf spezialisierte Versorgungseinrichtungen von Augenkliniken über gynäkologische Notfälle bis hin zur Dermatologie. Durchschnittlich wurden in München und Umgebung täglich 110, nachts 15 bis 30 Notfallpatienten pro Stunde versorgt. Betrachtet man die Diagnosestatistik, so bestätigt sich eine besonders schwerwiegende Diagnose nur bei etwa 1,8 % der Patienten. Dabei geht es um 9500 Notfälle mit Diagnosen wie ST-Infarkt, Schlaganfall, schwere Traumata oder septische Krankheitsbilder. Differenziert man nach zeitkritischer Behandlungsnotwendigkeit, so sind 23 % betroffen. Bei 61 % der Patienten wird der medizinische Versorgungsaufwand als gering eingestuft. Es dürfte sich dabei überwiegend um ambulant behandelbare Bagatellerkrankungen handeln, die auch in Praxen oder im vertragsärztlichen Notfalldienst hätten behandelt werden können. Echte Notfälle oder Bagatell-Leiden? Wichtig ist das Lebensalter der Notfälle, denn über dem 70. Le- bensjahr steigt die Anzahl der Notfälle drastisch an. Dies betrifft auch den Anteil, der stationär aufgenommen werden muss. Interessant ist, dass die Zahl der am Krankenhaus erscheinenden Notfallpatienten, die zwischen 20 und 35 Jahre alt sind, unverhältnismäßig hoch ist. Und hier auch nur in einem sehr geringen Anteil eine stationäre Aufnahme benötigt wird. Die Analyse zeigt eine zunehmende Belastung der Krankenhäuser durch Notfälle, die zu 80 % unabhängig vom Rettungsdienst versorgt werden müssen. Hier fällt auf, dass die Bedeutung der Notfallversorgung über dem 70. Lebensjahr besonders hoch ist. Mehr Bagatellfälle scheinen in der Altersgruppe zwischen 20 und 35 Jahren vorzuliegen. Leider liegen die Zah- len aus der Notfallversorgung bei der Kassenärztlichen Vereinigung zum Vergleich nicht vor, weder über den vertragsärztlichen Notdienst, noch aus der direkten Notfallversorgung in den Praxen. Man sollte die Notfallversorgung der Bevölkerung und den dazu notwendigen Versorgungsaufwand in Zukunft unabhängig von der Versorgungsebene, aber auch von den Rettungsdienstträgern diskutieren und nach einer finanzierbaren und dennoch qualitativ guten Gesamtlösung suchen. Isolierte Betrachtungen aus dem Krankenhaus und der ambulanten Versorgung helfen auf die Dauer nicht mehr weiter. Dr. med. Hans-Friedrich Spies Präsident des BDI e.V. Entlassmedikation: Neue Regeln des G-BA Der Gesetzgeber hatte mit dem Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VSG) die Möglichkeit geschaffen, dass Krankenhäuser im Rahmen des Entlassmanagements ambulante Leistungen verordnen und Arbeitsunfähigkeit feststellen dürfen (§ 39 Abs. 1a SGB V). Bisher konnte es für die Patienten nach einer Entlassung aus dem Krankenhaus zu Versorgungslücken kommen. Beispielsweise, wenn die Patienten aufgrund ihrer körperlichen Verfassung nicht in der Lage waren, ihren behandelnden Arzt aufzusuchen oder wenn die Praxis nicht mehr geöffnet war. Diese Versorgungslücken werden nun geschlossen, indem auch Krankenhäuser Leistungen wie Heilmittel, Hilfsmittel, Soziotherapie, häusliche Krankenpflege und Arzneimittel verordnen oder auch eine Krankschreibung ausstellen dürfen. Dabei kann es sich aber immer nur um eine notwendige Überbrückung bis zu weiteren Veranlassungen durch den behandelnden Arzt handeln. Die wesentlichen Änderungen im Überblick: 55Vor einer Verordnung von Entlassmedikation hat nun der Klinikarzt zu prüfen, ob eine Verordnung überhaupt nötig ist, um den Versicherten unmittelbar nach der Entlassung mit Arzneimitteln zu versorgen. Das bedeutet, dass therapie-, indikationsund arzneimittelspezifische Aspekte zu berücksichtigen sind, um zu beurteilen, ob eine nahtlose Arzneimitteltherapie unmittelbar nach der Entlassung erforderlich ist (medizinische Aspekte). Daneben muss der Arzt prüfen, ob der Patient einen weiter behandelnden Arzt rechtzeitig erreichen kann. 55Die Neufassung der AM-RL weist auf die weiterhin zur Überbrückung von Wochenende oder Feiertag mögliche „Überbrückungsmedikation“ nach § 14 Abs. 7 Apothekengesetz hin, d. h. die unmittelbare Mitgabe von Arzneimitteln (im Gegensatz zur Verordnung von Arzneimitteln). Deutlich unterschieden wird nun zwischen der Verordnung von Entlassmedikation und der Mitgabe von Überbrückungsmedikation: Die Mitgabe von überbrückender Medikation soll demnach Vorrang gegenüber der Verordnung von Entlassmedikation haben, wenn die medikamentöse Behandlung durch die Reichweite der mitgegebenen Arzneimittel abgeschlossen werden kann. In diesem Fall wäre es unwirtschaftlich, Arzneimittel durch einen Krankenhausarzt zu verordnen – und damit nachrangig. Allerdings darf der Klinikarzt lediglich eine Packung mit dem kleinsten Größenkennzeichen gemäß Packungsgrößenverordnung (N1) verordnen. Sollte eine solche „Kleinstpackung“ (N1) nicht im Verkehr sein, kann er eine andere Packung verordnen, um Versorgungslücken zu vermeiden. Deren Packungsgröße darf jedoch eine „Kleinstpackung“ nicht überschreiten. 55In der AM-RL wird künftig zudem geregelt werden, dass das Krankenhaus die weiter behandelnden Vertragsärzte über die Entlassung des Patienten aus der Klinik rechtzeitig informieren muss. Diese Information umfasst auch die medikamentöse Therapie bei Entlassung, deren Dosierung und die im Rahmen des Entlassmanagements verordneten Arzneimittel. Dabei ist auch darzustellen, wenn eine vor der stationären Aufnahme bestandene Medikation geändert wird. Zudem hat der Klinikarzt darauf hinzu- weisen, wie lange von ihm verordnete Medikamente einzunehmen sind. 55Verordnungen im Rahmen des Entlassmanagements dürfen nach dem G-BA-Beschluss nur innerhalb von drei Werktagen – wozu auch ein Samstag zählt – eingelöst werden. Im Gegensatz dazu sind vom Vertragsarzt ausgestellte Verordnungen einen Monat lang gültig. Zudem ist die Verordnung von Entlassmedikation als „Verordnung nach § 39 Abs. 1a SGB V“ zu kennzeichnen. Dabei ist zu beachten, dass der Tag der Ausstellung der Verordnung bereits der erste Tag der Drei-Tages-Frist ist. 55Die übrigen in die Arzneimittelversorgung einbezogenen Produkte können für die Versorgung in einem Zeitraum von bis zu sieben Tagen verordnet werden. Dabei handelt es sich um Bilanzierte Diäten zur enteralen Ernährung, Stoffliche Medizinprodukte (beispielsweise Lutschtabletten), Verbandmittel und Harn- und Blutteststreifen. Ass. Jur. Christina Zastrow-Baldauf Justiziarin des Berufsverbandes Deutscher Internisten e. V. Schöne Aussicht 5, 65193 Wiesbaden Tel.: 0611 18133-17 Fax: 0611 18133-50 [email protected] BDI unterstützt Studierende auch 2016 mit Stipendium Förderung für Medizinstudierende bis 1000 Euro pro Semester möglich Einmal jährlich lobt der BDI ein Stipendium für Medizinstudenten aus. Hierfür können sich alle immatrikulierten Studierenden an deutschen Universitäten der Fachrichtung „Humanmedizin“ bewerben. Ein erfolgreicher Abschluss des Physikums ist dabei Voraussetzung. Wer sich also im „Klinischen Abschnitt“ des Studiums befindet und im bisherigen Studienverlauf gute bis sehr gute Leistungen erzielt hat sowie die berufliche Zukunft im Bereich „Innere Medizin“ sieht, sollte seine Chance nutzen! Eine BDI-interne Jury entscheidet über die Vergabe der Stipendien, deren Förderung jeweils zum Wintersemester eines Jahres beginnt. Das Stipendium teilt sich in Geld- und Sachleistungen auf. Die ersten drei Plätze sind mit 1000,00 Euro (1. Platz), 500,00 Euro (2. Platz) und 250,00 Euro (3. Platz) dotiert, die Plätze 4 und 5 erhalten ein iPad zur Unterstützung ihrer Studientätigkeit. Die Gewinner der Vorjahre sowie der Download des Anmeldeformulars sind auf www.bdi.de zu finden. Be- werbungsschluss ist der 30. Juni 2016. Bewerbungen müssen vollständig und fristgerecht eingegangen sein, um eine Chance zur Förderung zu erhalten. Die geförderten Studierenden müssen dabei semesterweise Leistungsnachweise erbringen. Der Maximalzeitraum für eine Förderung beträgt acht Semester, jedoch längstens zwei Semester über der Regelstudienzeit. Die Förderung endet jeweils mit Erlangen des Staatsexamens – unabhängig vom bisherigen Förderzeitraum. Die Verleihung der Stipendien-Urkunden findet im Rahmen der Eröffnungsfeier des Deutschen Internistentages am 16. 9. 2016 in Berlin statt. Die Anwesenheit der Stipendien-Gewinner wird zu diesem Anlass erwartet. Wir wünschen allen Bewerberinnen und Bewerbern viel Erfolg! Für Rückfragen wenden Sie sich bitte an Frau Eva Giese (Tel.: 0611 18133-44, E-Mail: egiese@ bdi.de) und Herrn Kai Wachowski (Tel.: 0611 18133-33, E-Mail: [email protected]). Der BDI-PraxisNavigator BDI präsentiert neue App rund um das Thema Niederlassung Der Berufsverband Deutscher Internisten e. V. (BDI) hat für seine Mitglieder eine neue, bislang einzigartige App entwickelt: Den BDI-PraxisNavigator. Dieser gibt Antworten auf Fragen zum Thema Niederlassung. Von der Praxisgründung bzw. Anstellung über die Praxisführung und -optimierung bis hin zur Praxisabgabe können sich BDI-Mitglieder über relevan- te Inhalte informieren, einschließlich der rechtlichen Rahmenbedingungen. Seit April 2016 ist die kostenlose App für iOS über den App Store und voraussichtlich im Mai 2016 auch für Android über den Google-Play-Store erhältlich. Für die volle Funktionalität ist eine BDI-Mitgliedschaft notwendig. Der Internist 5 · 2016 473 Mitteilungen des BDI Durch die übersichtliche und intuitive Benutzerführung ist eine komplikationslose Bedienung der App garantiert. Sie ist so angelegt, dass – je nach Lebenszyklus – alle relevanten Berufsfelder und Lebensabschnitte abgedeckt werden. So erhalten Internisten, die sich mit dem Gedanken tragen im ambulanten Bereich zu arbeiten, wertvolle Informationen und rechtliche Tipps, auf was hierbei zu achten ist. Bereits niedergelassene Internisten erfahren nützliche Hilfestellung in der Führung einer Praxis und der Optimierung der Arbeitsprozesse. Selbst die Möglichkeiten der Abgabe einer Praxis werden thematisiert. Auch stationär tätige Internisten, die sich über das Arbeiten im ambulanten Bereich informieren möchten, haben einen hohen Nutzen von dem Programm. Mit eingebunden ist z. B. der Zugang zum BDI Experten-Portal. Hier können Nutzer für individuelle Fragen mit Experten in Kontakt treten. Außerdem sind viele Checklisten, Musterverträge, BDI-Nachrichten oder eine Notizfunktion integriert. Der Download ist kostenfrei, den vollen Zugriff auf alle Inhalte der App erhalten allerdings ausschließlich BDI-Mitglieder. Der BDI-PraxisNavigator begleitet Internisten ein Leben lang. Formelle und fachliche Fragen werden einfach beantwortet. Die App ist ein Muss für jeden Internisten – und ein guter Grund, BDI-Mitglied zu werden. Auskünfte zum BDI-PraxisNavigator erteilt Ihnen gern Herr Sebastian Ruff, E-Mail: [email protected], Tel. 0611 18133-12. Neben dem neuen BDI-PraxisNavigator bietet der BDI seinen Mitgliedern auch die „BDI aktuell-App“, welche den einfachen Zugang zur Online-Ausgabe der Mitgliederzeitung „BDI aktuell“ beinhaltet, und die „Studis-App“ an, die Studierende der Humanmedizin durch das Praktische Jahr und die Famulatur führen. Mit der App „Mein Internist“ stellt der BDI seinen Mitgliedern ein Instrument zur Verfügung, das die Kommunikation mit Patienten enorm erleichtert. Alle BDI-Apps sind für iOS- und Android-Mobilgeräte entwickelt und in den gängigen Stores herunterzuladen. Einladung zum 4. Trainingskurs „Mastertrainer BDC/BDI/ BVOU für die Strukturierte Facharztweiterbildung“ Termin: 17. 6.–18. 6. 2016 Dozent: Prof. Dr. med. Marcus Siebolds Ort: Robert-Koch-Platz 9, 10115 Berlin Die Weiterentwicklung der Qualität im Bereich der Facharztweiterbildung ist ein zurzeit intensiv diskutiertes Thema. Neben den notwendigen strukturellen Veränderungen (Novellierung der 474 Der Internist 5 · 2016 Musterweiterbildungsordnung) geht es im Mastertrainer-Kurs um die Unterstützung in den Kliniken vor Ort. Die Berufsverbände der Chirurgen und Internisten (BDC und BDI) und nun auch der Orthopäden und Unfallchirurgen (BVOU) haben eine gemeinsame Initiative zur Weiterentwicklung der Facharztweiterbildung umgesetzt und bereits über 50 Mastertrainer ausgebil- det. Nun soll der 4. Trainingskurs beginnen, zu dem wir Sie herzlich einladen möchten. Hauptanliegen ist es, die in der Praxis tätigen Weiterbilder durch Mastertrainer auf die wichtigsten Instrumente der strukturierten Weiterbildung zu schulen und in Supervisionen kontinuierlich zu begleiten. Das Angebot richtet sich an alle, die in ihrer Klinik weiterbilden: 55Chefärztinnen und Chefärzte 55Oberärztinnen und Oberärzte 55Fachärztinnen und Fachärzte sowie alle Assistenten, die von Ihren Ermächtigten beauftragt sind, die Weiterbildung zu koordinieren. Das Mastertrainerkonzept Das Mastertrainermodell beschreibt ein klassisches Trainthe-Trainer-Konzept. Dabei werden Sie als erfahrener Weiterbilder in einem ersten Schritt zu Mastertrainern ausgebildet. Nach der Ausbildung sollen dann die Mastertrainer in ihren Abteilungen sechs Monate lang die erlernten Instrumente und Kompetenzen umsetzen. Diese Erfahrungsphase ist notwendig, um später eigene Erfahrungen in die Ausbildung der Weiterbilder einbringen zu können. Die erworbenen Kompetenzen können dann sowohl in der eigenen Klinik, bei der Schulung der eigenen Kollegen, als auch bei der Teilnahme an überregionalen Ausbildungsveranstaltungen für Weiterbilder, die der BDC und BDI durchführen werden, genutzt werden. Aufgaben und Arbeitsaufwand der Mastertrainer: 55Teilnahme an der Ausbildung zum Mastertrainer. 55Im Anschluss daran werden in der Regel zwei Supervisionen im Jahr angeboten, in denen aktuelle Probleme in der Trainerarbeit besprochen werden. Die Teilnahme ist optional. 55Ebenfalls optional: Mitarbeit bei der Durchführung von überregionalen Großveranstaltungen zur Ausbildung von interessierten Weiterbildern durch BDI, BDC und BVOU. 55Gemeinsam mit Prof. Siebolds, Dr. Ansorg und Prof. Denkinger: Zusammenarbeit bei der Verstetigung des Projektzuschnitts und Einbringen eigener Ideen der Mastertrainer für die Weiterentwicklung des Projektes. Wir würden uns sehr freuen, wenn wir Sie für diese neue Aufgabe gewinnen könnten. Nutzen Sie die Möglichkeit Ihre Weiterbildung in der Klinik so zu optimieren, dass Sie das Beste aus den schwierigen Bedingungen herausholen. Das Projekt wird davon leben, dass sich ausgewiesene Kliniker bereiterklären daran teilzunehmen. Weitere Informationen zum Kurs erhalten Sie gerne auf Anfrage bei Herrn Ruff von der BDI-Geschäftsstelle per E-Mail: [email protected]. Sie können sich bei ihm auch verbindlich für den Kurs anmelden. Kosten Mit freundlichen Grüßen Der Mastertrainerkurs, inkl. der Supervisionen, wird einmalig € 350,– für Nichtmitglieder und € 200,– für Mitglieder von BDI, BDC und BVOU kosten. Dr. Jörg Ansorg, BVOU e. V. Prof. Michael Denkinger, BDI e. V. Dr. Norbert Hennes, BDC e. V. Prof. Dr. Marcus Siebolds, Sysco GmbH Online-Fortbildung FortbildungsAkademie im Netz: CME-Punkte mit individueller Zeiteinteilung erwerben Ob zu Hause oder unterwegs, mittags oder abends – mit der„FortbildungsAkademie im Netz“ können CME-Punkte zeit- und ortsunabhängig online erworben werden. Die neue Webseite bietet innovative eLearning-Module für alle niedergelassenen Facharztgruppen. Auf der Webseite www.fortbildungsakademie-im-netz.de steht seit kurzem ein wachsendes Angebot an Online-Fortbildungen zur Verfügung. Speziell für Internisten wurden die Module „Hepatitis C“ und „Pulmonale Arterielle Hypertonie“ entwickelt. Interessant für die Fachärzte der Inneren Medizin ist darüber hinaus die Themenauswahl im interdisziplinären Fortbildungsbereich und das Angebot rund um das Thema „Impfen“. Derzeit stehen mehr als 30 verschiedene Module zur Verfügung, die von der Bayerischen Landesärztekammer in der Kategorie I zertifiziert wurden. Die Teilnahme an den Modulen ist für alle Ärzte kostenlos. Jeder Arzt kann sich bequem mit seinen DocCheck-Zugangsdaten anmelden, um das Fortbildungsangebot zu nutzen. Herausgeber der unabhängigen Online-Plattform ist die Monks Vertriebsgesellschaft. Online-Module für Internisten Autor des Moduls „Pulmonale Arterielle Hypertonie“ ist Prof. Jürgen Behr aus München. Das Modul erläutert die Inhalte der 2015 veröffentlichten Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) und der European Respiratory Society (ERS) zur Diagnose und Behandlung des Lungenhochdrucks. Neben Klassifikation und Epidemiologie der Pulmonalen Arteriellen Hypertonie (PAH) befasst sich das Modul mit den Krankheits- zeichen, der Diagnostik, dem Risikomanagement, der medikamentösen Therapie, invasiven Behandlungsoptionen und der Begleittherapie dieser seltenen Form des Lungenhochdrucks. Das Modul „Hepatitis C“ wurde mit Unterstützung von Prof. Thomas Berg aus Leipzig entwickelt. Dank der Entwicklung neuer Arzneistoffe ist eine Hepatitis C inzwischen in vielen Fällen heilbar. Daher informiert das Modul ausführlich über den Erreger der Hepatitis C, seine Verbreitung und Häufigkeit, die Übertragungswege sowie über Risikogruppen, Diagnostik, Krankheitsverlauf und Komplikationen, Prävention und medikamentöse Therapie. Interdisziplinäre Fortbildungen für Ärzte aller Fachrichtungen In Zusammenarbeit mit Prof. Martin Wehling aus Mannheim entstand das Modul „Arzneimittelwechselwirkungen“, das sich an Ärzte aller Fachrichtungen richtet. Das Modul befasst sich mit den theoretischen Grundlagen von Arzneimittelinteraktionen und stellt eine Vielzahl klinisch relevanter Arzneimittelwechselwirkungen vor. Pharmazeutische Wechselwirkungen werden dabei ebenso berücksichtigt wie pharmakokinetische und pharmakodynamische Interaktionen mit ihren verschiedenen Mechanismen. Weitere Themen des interdisziplinären Angebots sind „Impfungen gegen Meningokokken“, „Influenza“ oder „Aktive Impfberatung im Praxisalltag“. Darüber hinaus stehen vier reisemedizinische Online-Module und ein Impfkurs mit 18 in sich abgeschlossenen Fortbildungseinheiten zur Verfügung. Ein interaktiver Aufbau der Module ermöglicht den spiele- rischen Erwerb eines umfangreichen Detailwissens. Bei erfolgreichem Abschluss erhalten die Teilnehmer der Module jeweils 2–4 CME-Punkte. Das Fortbildungsangebot wird noch in diesem Jahr weiter ausgebaut. So stehen zwei Module zum Thema „Herzinsuffizienz“ kurz vor der Fertigstellung. Bis zum Jahresende soll ein Angebot zum Thema „Erkrankungen der Leber erkennen“ folgen. Innovatives eLearningKonzept für eine flexible Zeiteinteilung Ein innovatives eLearning-Konzept gewährleistet, dass jeder Teilnehmer jedes Modul erfolgreich abschließen kann. Dabei kann die Bearbeitung eines Moduls jederzeit unterbrochen und zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden – je nach verfügbarem Zeitfenster. Eine Übersicht über die gestarteten Fortbildungen, die noch nicht abgeschlossen wurden, kann unter dem Menüpunkt „Meine Fortbildungen“ eingesehen werden. Die Teilnahmebestätigung kann nach dem Abschluss eines Moduls aus dem Punktekonto direkt herunterla- den werden. Dort ist auch eine Druckversion aller abgeschlossenen Module verfügbar. Wer die Seite zum ersten Mal besucht, sollte unter dem Menüpunkt „Mein Profil“ einige persönliche Daten hinterlegen, damit die erworbenen CME-Punkte dem persönlichen Konto gutgeschrieben werden können. Außerdem sollte einer Übermittlung der Punkte an den EIV zur Speicherung bei der Bundeärztekammer zugestimmt werden. Online-Module regelmäßig aktualisiert Die Inhalte der Fortbildungsmodule werden mindestens einmal im Jahr von einem Experten aktualisiert und von zwei unabhängigen Gutachtern geprüft. Auf diese Weise stellt der Herausgeber die Neutralität und Aktualität des Angebots sicher. Für Rückfragen stehen ärztliche Tutoren zur Verfügung, die per Email kontaktiert werden können. Autorin Sabine Ritter Monks Vertriebsgesellschaft mbH Tegernseer Landstraße 138 81539 München Email: [email protected] Der Internist 5 · 2016 475 3000 Tage www.internisten-im-netz.de Die erfolgreichste Internetseite zur Inneren Medizin in Deutschland feiert Geburtstag Im Jahr 2007 startete auf Initiative von Dr. Wolfgang Wesiack und Dr. Wolf von Römer der Internetdienst auf www.internisten-im-netz.de. Die Idee war es, ein Informationsportal für Patienten, Angehörige und Interessierte ins Netz zu stellen, das seriöse und medizinische hochwertige Informationen zur Inneren Medizin anbietet. Neben aktuellen Nachrichten und tiefergehenden Informationen zu inneren Erkrankungen und Therapien haben Besucher der Seite auch die Möglichkeit, internistische Praxen in Wohnortnähe zu finden. Herausgegeben wird der Internetdienst vom Berufsverband Deutscher Internisten (BDI). Die Bilanz nach 8 Jahren ist hoch erfreulich. Jeden Monat nutzen inzwischen etwa 1,2 Million Besucher das Portal, um sich über Präventionsangebote, Erkrankungen, Therapien aber auch über Praxisangebote zu informieren – Tendenz stark steigend. Damit ist das BDI-Patientenportal das reichweitenstärkste Internetangebot zur Inneren Medizin im deutschsprachigen Raum. Inzwischen umfasst das Portal mehrere tausend Unterseiten und ist zur Referenzseite für viele andere Medien geworden, die über Themen zur Inneren Medizin berichten. Da alle Meldungen vom Verband freigegeben werden und die Website völlig werbefrei ist, greifen die Deutsche Presseagentur, sehr viele Tageszeitungen und Journale – wie beispielsweise die Öko-Test, Fokus, die Bild-Zeitung oder auch Krankenkassenmagazine – Veröffentlichungen von www.internisten-im-netz.de auf. Alle internistischen Praxen sollten bei Internisten-im-Netz registriert sein ©©Monks Ärzte-im-Netz GmbH Immer mehr Patienten und Patientinnen informieren sich heutzutage im Internet auch über Ärzte, Praxen und Kliniken. Und auch dabei ist die Seite www.internisten-im-netz.de häufig die erste Anlaufstelle. Etwa 35.000 Suchanfragen bei rund 120.000 Seitenaufrufen für Praxen gibt es – jeden Monat! Leider sind noch nicht alle niedergelassenen BDI-Mitglieder mit ihrer Praxis auf der Seite registriert. Um den Praxen, die noch nicht registriert 476 Der Internist 5 · 2016 ©©Monks Ärzte-im-Netz GmbH Mitteilungen des BDI sind, den Einstieg zu erleichtern, entfällt die Erstellungsgebühr im Rahmen einer Sonderaktion bei Anmeldungen bis zum 30. 6. 2016. Das entsprechende Anmeldeformular finden Sie auf der nächsten Seite. Für niedergelassene Internisten ist es nach der Registrierung auch möglich, die PraxisApp „Mein Internist“ zur direkten Kommunikation mit den Patienten gegen eine geringe Gebühr freischalten zu lassen. Informationen dazu, wie auch zur Homepageerstellung oder Registrierung erhalten Sie von unserem Dienstleister, der Monks Ärzte-im-Netz GmbH aus München. Nutzen Sie die Chance, um Ihre Praxis auf der erfolgreichsten Patientenseite zur Inneren Medizin in Deutschland zu präsentieren. Ihr Dr. Wolfgang Wesiack und Dr. Wolf von Römer S Überblick Anmeldung Jetzt ONLINE anmelden! www.bdi.de BDI-Veranstaltungen 2016 KongresseCME 31. Internationaler interdisziplinärer Seminarkongress Playa de Muro, Mallorca 30 22. 05. – 27. 05. 2016 65. Internationaler interdisziplinärer Seminarkongress Pörtschach am Wörthersee, Österreich vorauss. 30 28. 08. – 02. 09. 2016 9. Deutscher Internistentag Berlin beantragt 16. 09. 2016 Assistententag während des 9. Deutschen Internistentages Berlin beantragt 17. 09. 2016 39. Internationaler interdisziplinärer Seminarkongress Puerto de la Cruz, Teneriffa vorauss. 39 17. 11. – 25. 11. 2016 Kurse Intensivkurs Geriatrie – Update 2016 Wien, Österreich 16 10. 06. – 12. 06. 2016 Intensivkurs Pneumologie – Update 2016 Bonn vorauss. 16 17. 06. – 18. 06. 2016 Allgemeine Innere Medizin 2016 – Was ist neu? Berlin vorauss. 17 01. 07. – 03. 07. 2016 Intensivkurs Diabetologie – Update 2016 Wiesbaden 11 19. 08. – 20. 08. 2016 Intensivkurs Innere Medizin – Refresher zur Facharztpüfung Essen vorauss. 44 05. 09. – 10. 09. 2016 Echokardiographie Kompaktkurs Mainz vorauss. 16 16. 09. – 17. 09. 2016 Intensivkurs Stoffwechselerkrankungen/Endokrinologie – Update 2016 Florenz, Italien vorauss. 20 22. 09. – 25. 09. 2016 Farbdoppler-Echokardiographie-Refresherkurs München vorauss. 14 24. 09. – 25. 09. 2016 Intensivkurs Innere Medizin – Refresher zur Facharztprüfung Berlin vorauss. 45 10. 10. – 15. 10. 2016 Änderungen vorbehalten Weiterhin bieten wir zahlreiche Fort- und Weiterbildungsseminare im Bundesgebiet an. Informationen hierzu halten wir für Sie bereit. oo Intensivkurs Geriatrie – Update 2016 Wien, Österreich, 10. 06. – 12. 06. 2016, CME 16 Kursleitung: Kursort: Gebühr: Prof. Dr. med. Cornelius Bollheimer, Regensburg Prof. Dr. med. Jürgen Bauer, Oldenburg Billroth Haus Wien, Gesellschaft der Ärzte Wien, Frankgasse 8, 1090 Wien/Österreich € 297,00 Mitglied, € 540,00 Nichtmitglied oo Intensivkurs Pneumologie – Update 2016 Bonn, 17. 06. – 18. 06. 2016, CME vorauss. 16 Kursleitung: Kursort: Gebühr: PD Dr. med. Selcuk Tasci, Siegburg Nova Vita Residenz Bonn GmbH Noeggerathstraße 34, 53111 Bonn € 297,00 Mitglied, € 540,00 Nichtmitglied oo Allgemeine Innere Medizin 2016 – Was ist neu? Berlin, 01. 07. – 03. 07. 2016, CME vorauss. 17 Kursleitung: Prof. Dr. med. Bernhard Wörmann, Berlin Kursort:Kaiserin-Friedrich-Stiftung Robert-Koch-Platz 7, 10115 Berlin Gebühr: € 297,00 Mitglied, € 540,00 Nichtmitglied oo Intensivkurs Diabetologie – Update 2016 Wiesbaden, 19. 08. – 20. 08. 2016, CME 11 Kursleitung: Kursort: Gebühr: Dr. med. Cornelia Jaursch-Hancke, Wiesbaden PD Dr. med. Kornelia Konz, Wiesbaden DKD HELIOS Klinik Wiesbaden Aukammallee 33, 65191 Wiesbaden € 231,00 Mitglied, € 420,00 Nichtmitglied oo Intensivkurs Innere Medizin – Refresher zur Facharzprüfung Essen, 05. 09. – 10. 09. 2016, CME vorauss. 44 Hiermit melde ich mich verbindlich zu dem angekreuzten Kurs an: Kursleitung: Kursort: Gebühr: Prof. Dr. med. Guido Gerken, Essen Universitätsklinikum Essen Hufelandstr. 55, 45122 Essen € 429,00 Mitglied, € 780,00 Nichtmitglied oo Echokardiographie Kompaktkurs Titel: Mainz, 16. 09. – 17. 09. 2016, CME vorauss. 16 Vor- und Zuname: Kursleitung: Kursort: Anschrift (privat)*: Gebühr: Dr. med. Johannes Peter Tries, Mainz Katholisches Klinikum Mainz St. Vincenz und Elisabeth Hospital An der Goldgrube 11, 55131 Mainz € 297,00 Mitglied, € 540,00 Nichtmitglied oo 9. Deutscher Internistentag Berlin, 16. 09. 2016, CME beantragt Anschrift (dienstl.): EFN-Nr. (bitte angeben) (Einheitliche Fortbildungs-Nr. der LÄK) Kongressleitung: Kongressort: Gebühr: E-Mail (bitte angeben): oo Assistententag während des 9. Deutschen Internistentages Berlin, 17. 09. 2016, CME beantragt Telefon: Fax: oNichtmitglied Ich bin: oMitglied des BDI Hiermit erkenne ich die Teilnahmebedingungen des BDI an. Datum: Unterschrift: Bitte in Druckbuchstaben ausfüllen (* = wird für Ihre Teilnahmebescheinigung benötigt) Auf Wunsch senden wir Ihnen gerne weitere Programminformationen zu. S Prof. Dr. med. Petra-Maria Schumm-Draeger Karl Storz Besucher- und Schulungszentrum Scharnhorststr. 3, 10115 Berlin 77,00 Mitglied, € 140,00 Nichtmitglied Zu senden an: Berufsverband Deutscher Internisten e.V., Kongresse und Fortbildung Schöne Aussicht 5, 65193 Wiesbaden, Tel.: 0611 18133-21 und -22 Fax: 0611 18133-23, [email protected], www.bdi.de Kongressleitung: Prof. Dr. med. Michael Denkinger, Ulm Dr. med. Kevin Schulte, Kiel Kongressort: Karl Storz Besucher- und Schulungszentrum Scharnhorststr. 3, 10115 Berlin Gebühr: 77,00 Mitglied, € 140,00 Nichtmitglied oo Intensivkurs Stoffwechselerkrankungen/Endokrinologie – Update 2016 Florenz/Italien, 22. 09. 2016 – 25. 09. 2016, CME vorauss. 20 Kursleitung: Kursort: Gebühr: Prof. Dr. med. Petra-Maria Schumm-Draeger, München Prof. Dr. med. Armin Steinmetz, Andernach Grand Hotel Mediterraneo Lungarno del Tempio, 44, 50121 Florenz/Italien € 319,00 Mitglied, € 580,00 Mitglied Der Internist 5 · 2016 479 Mitteilungen des BDI 18. 00 – 19. 00 Uhr Dermatologie Hände als Wegweiser innerer und rheumatischer Erkrankungen Prof. Dr. med. Stephan Sollberg, Parchim 31. Internationaler interdiszi plinärer Seminarkongress für ärztliche Fortbildung Mallorca Playa de Muro/Alcudia: 22. – 27. 05. 2016 Kongress- Prof. Dr. med. Reinhard Büchsel, Berlin leitung Prof. Dr. med. Reinhard Fünfstück, Weimar Kongressort Hotel Be Live Grand Palace de Muro Ctra. Alcudia-Artà, S/N E-07458 Playa de Muro, Baleares Schwerpunkt- Rheumatologie, Infektionskrankheiten und themen klinische Pharmakologie Sonntag, 22. 05. 2016 17. 00 – 18. 00 Uhr Eröffnung Eröffnungsvortrag Doping im Sport: Gesundheitliche Folgen für die Athleten Prof. Dr. med. Dr. h.c. Eberhard Nieschlag, Münster Montag, 23. 05. 2016 09. 00 – 10. 00 Uhr Kardiologie Praxisrelevante Neuigkeiten in der kardiovaskulären Therapie Teil I Prof. Dr. med. Peter Baumgart, Münster 10. 00 – 11. 45 Uhr Rheumatologie 1. Neue Targets – Neue Medikamente 2. Klinische Studien in der Rheuma tologie – Wie richtig verstehen und was im Alltag anwenden? Dr. med. Rieke Alten, Berlin 12. 00 – 13. 00 Uhr Andrologie Hypogonadismus des Mannes: aktuelle Aspekte Prof. Dr. med. Dr. h.c. Eberhard Nieschlag, Münster 13. 00 – 16. 00 Uhr Pause 16. 00 – 17. 00 Uhr Diabetologie Typ 2 Diabetes – Was ist neu? Was bleibt? Was ist überholt? Schwerpunkt Therapie Dr. med. Cornelia Jaursch-Hancke, Wiesbaden 17. 00 – 18. 00 Uhr Dermatologie Psoriasis vulgaris – eine Systemkrankheit! Prof. Dr. med. Stephan Sollberg, Parchim 18. 00 – 19. 00 Uhr Gastroenterologie Helicobacter pylori – Neue Leitlinie 480 Der Internist 5 · 2016 Prof. Dr. med. Joachim Labenz, Siegen 20. 30 – 21. 30 Uhr Wirtschaftliches Verordnen unter den aktuellen gesetzlichen und vertraglichen Rahmenbedingungen Dr. med. Johannes Knollmeyer, Frankfurt a.M Dienstag, 24. 05. 2016 09. 00 – 10. 00 Uhr Kardiologie Praxisrelevante Neuigkeiten in der kardiovaskulären Therapie Teil II Prof. Dr. med. Peter Baumgart, Münster 10. 00 – 11. 45 Uhr Infektiologie 1. Erkrankungen bei Reisenden, Migranten und Flüchtlingen 2. Update Impfungen Prof. Dr. med. Thomas Löscher, München 12. 00 – 13. 00 Uhr Gastroenterologie Das Mikrobiom des Darms Prof. Dr. med. Joachim Labenz, Siegen 13. 00 – 16. 00 Uhr Pause 16. 00 – 17. 00 Uhr Diabetologie Typ 2 Diabetes – Was ist neu? Was bleibt? Was ist überholt? Schwerpunkt Folgekrankheiten, Sonderfälle Dr. med. Cornelia Jaursch-Hancke, Wiesbaden 17. 00 – 18. 00 Uhr Angiologie Vaskulitis: Klassifikation, Diagnostik und Therapie PD Dr. med. Thomas Schwarz, Freiburg i. Brsg. 20. 30 – 21. 30 Uhr Arzt & Recht Medizinischer Standard, Aufklärung, Dokumentation und Organisation im Lichte des Patientenrechtegesetzes – prakt. Erfahrungen / Bedeutung von Leitlinien RA Rolf-Werner Bock, Berlin Mittwoch, 25. 05. 2016 09. 00 – 10. 00 Uhr Hypertensiologie Der hypertensive Notfall Prof. Dr. med. Gerd Bönner, Freiburg i. Brsg. 12. 00 – 13. 00 Uhr Hepatologie Die aktuelle antivirale Therapie der Hepatitis B + C: Ausheilung für alle? Prof. Dr. med. Guido Gerken, Essen 13. 00 – 16. 00 Uhr Pause 16. 00 – 17. 00 Uhr Sportmedizin Sport und Medikamente – Alternativen, Ergänzungen, Interaktionen Univ. Prof. Dr. med. Klaus Völker, Münster 17. 00 – 18. 00 Uhr Neurologie Polyneuropathie: was ist relevant für den Praktiker Prof. Dr. med. Dirk Sander, Feldafing 18. 00 – 19. 00 Uhr Pneumologie COPD-Therapie 2016 – Update PD Dr. med. Selcuk Tasci, Siegburg 10. 00 – 11. 45 Uhr Klinische Pharmakologie 1. Arzneimittel-Dosierung bei eingeschränkter Nierenfunktion 2. Klinisch-phamakologische Prinzipien der Arzneimitteltherapie Prof. Dr. med. Bernd Drewelow, Rostock Freitag, 27. 05. 2016 12. 00 – 13. 00 Uhr Gastroenterologie Nahrungsmittelunverträglichkeiten, -intoleranz und -allergie Prof. Dr. med. Reinhard Büchsel, Berlin 09. 00 – 10. 00 Uhr Kardiologie Vorhofflimmern / Update Rhythmologie Prof. Dr. med. Bernd-Dieter Gonska, Karlsruhe 13. 00 – 16. 00 Uhr Pause 10. 00 – 11. 45 Uhr Infektiologie 1. Haut- und Weichgewebe infektionen 2. Gastrointestinale Infektionen Prof. Dr. med. Bernhard R. Ruf, Leipzig 16. 00 – 17. 00 Uhr Angiologie Venöse Thrombose: Ursachen, aktuelle Therapie Prof. Dr. med. Thomas Schwarz, Freiburg i. Brsg 17. 00 – 18. 00 Uhr Sportmedizin Sport bei Rheuma und Arthrose Univ. Prof. Dr. med. Klaus Völker, Münster 18. 00 – 19. 00 Uhr Nephrologie Harnwegsinfektionen bei Patienten im höheren Lebensalter Prof. Dr. med. Reinhard Fünfstück, Weimar 20. 30 – 21. 30 Uhr Die neue GOÄ Dr. med. Wolfgang Grebe, Frankenberg Donnerstag, 26. 05. 2016 09. 00 – 10. 00 Uhr Kardiologie Update Herzinsuffizienz Prof. Dr. med. Bernd-Dieter Gonska, Karlsruhe 10. 00 – 11. 45 Uhr Rheumatologie 1. Gicht, Eisenspeicherkrankheit 2. Spondylarthritis Prof. Dr. med. Michael Ausser winkler, Villach 20. 30 – 21. 30 Uhr Gesundheitscoach Dr. med. Wolfgang Grebe, Frankenberg 12. 00 – 13. 00 Uhr Hepatologie Autoimmunerkrankungen der Leber einschließlich Überlappungssyndrome: Diagnostik und Therapie Prof. Dr. med. Guido Gerken, Essen 13. 00 – 16. 00 Uhr Pause 16. 00 – 17. 00 Uhr Hypertensiologie Welches Therapieziel bei welchem Patienten Prof. Dr. med. Gerd Bönner, Freiburg i. Brsg. 17. 00 – 18. 00 Uhr Neurologie Update Schlaganfall: Neues in Diagnostik und Therapie Prof. Dr. med. Dirk Sander, Feldafing 18. 00 – 19. 00 Uhr Pneumologie Behandlung ambulanter Atemwegsinfektionen – neues aus der Leitlinie PD Dr. med. Selcuk Tasci, Siegburg Ende des Kongresses Änderungen vorbehalten 31. Internationaler interdisziplinärer Seminarkongress für ärztliche Fortbildung CME: Mallorca Playa de Muro/Alcudia: 22. – 27. 05. 2016 Schwerpunktthemen: Rheumatologie, Infektionskrankheiten und klinische Pharmakologie Kongressleitung: Prof. Dr. med. Reinhard Büchsel, Berlin Prof. Dr. med. Reinhard Fünfstück, Weimar Kongressort: Hotel Be Live Grand Palace de Muro Ctra. Alcudia-Artà, S/N E-07458 Playa de Muro, Baleares Dieser Kongress wird mit 30 Fortbildungspunkten der Kategorie B von der Hessischen Landesärztekammer zertifiziert, mit 50-DFP Punkten von der österreichischen Ärztekammer approbiert sowie mit 40-Credits von der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin anerkannt. Kongresskarte: Mitglieder € 253,00 Nichtmitglieder € 460,00 Med. Assistenzpers.: Mitglieder € 220,00 Nichtmitglieder € 220,00 Tageskarte: Mitglieder € 88,00 Nichtmitglieder € 160,00 Anmeldung/Kursübersicht Berufsverband Deutscher Internisten e.V., Kongresse und Fortbildung, Schöne Aussicht 5, 65193 Wiesbaden, www.bdi.de, [email protected], Tel. 0611 18133-21 /22, Fax: -23 Hiermit melde ich mich verbindlich zum Seminarkongress und zu dem/den angekreuzten Kurs/en an. Es gelten die Teilnahmebedingungen des BDI e.V. o Ich bin Mitglied im BDI o Nichtmitglied Name, Vorname Anschrift/Stempel EFN (bitte unbedingt angeben) o o o Datum, Unterschrift E-Mail (bitte angeben) Mitglieder (€) 253,– 220,– 88,– Kongresskarte Med. AssistenzpersonaI Tageskarte (Datum angeben) _________________________________ Nichtmitglieder (€) 460,– Inkl. Abstract-CD zum Kongress 220,– 160,– Kurse können nur in Verbindung mit einer Kongresskarte bzw. entsprechenden Tageskarten gebucht werden. Kurse Datum Uhrzeit Mitglieder (€) Nichtmitglieder (€) Kursleiter Raum I o Ultraschall-Refresherkurs/Sonographie Abdomen CME: 12; DFP: 12 o Workshop Ernährungsmedizin CME: 8; DFP: 8 o Doppler-Duplex-Sonographie-Refresherkurs (der supraaortalen Gefäße) CME: 8; DFP: 8 23. – 24. 05. 2016 10. 00 – 13. 00 115,50 210,-- Prof. Dr. med. Gebhard Mathis/ Rankweil und 23. 05. 2016 16. 00 – 19. 00 24. 05. 2016 und 25. 05. 2016 16. 00 – 19. 00 10. 00 – 13. 00 kostenfrei kostenfrei Dr. med. Hardy Walle/Kirkel 27. 05. 2016 10. 00 – 13. 00 und 16. 00 – 19. 00 82,50 150,-- Dr. med. Susanne Karasch/Köln o Ärzte im Ruhestand, arbeitslose Mediziner sowie Ärzte im Erziehungsurlaub erhalten bis auf Widerruf die Gebührensätze für Mitglieder. (Bitte Bescheinigung beilegen) o Für Assistenzärzte in Weiterbildung, die BDI e.V.-Mitglied sind, ist die Kongresskarte kostenfrei erhältlich! (Bescheinigung vom Arbeitgeber beilegen) Änderungen vorbehalten hhh Jetzt ONLINE anmelden! www.bdi.de ggg Der Internist 5 · 2016 481 Mitteilungen des BDI Intensivkurs Geriatrie – Update 2016 Intensivkurs Pneumologie – Update 2016 Wien: 10. – 12. 06. 2016 Bonn: 17. – 18. 06. 2016 Kursleitung: Prof. Dr. med. Cornelius Bollheimer, Regensburg Prof. Dr. med. Jürgen Bauer, Oldenburg Kursort: Billroth Haus Wien Gesellschaft der Ärzte Wien Frankgasse 8 1090 Wien, Österreich Zeit: Freitag, 10. 06. 2016 15. 00 – 18. 15 Uhr Samstag, 11. 06. 2016 09. 00 – 16. 30 Uhr Sonntag, 12. 06. 2016 09. 00 – 12. 30 Uhr Veranstalter: Berufsverband Deutscher Internisten e. V. CME: Dieser Kurs wird mit 16 Fortbildungspunkten (Kategorie A) von der Landesärztekammer Hessen zertifiziert und mit 16 DFP-Punkten von der österreichischen Ärztekammer approbiert! Teilnahme- BDI-Mitglied € 297,00 gebühr: Nichtmitglied € 540,00 Information Berufsverband Deutscher Internisten e.V. und Kongresse und Fortbildung Anmeldung:Schöne Aussicht 5, 65193 Wiesbaden Tel.: 0611 18133-21 / 22, Fax: 0611 18133-23 [email protected], www.bdi.de Kursleitung: PD Dr. med. Selcuk Tasci, Siegburg Kursort: Collegium Leoninum Alte Kirche Nova Vita Residenz Bonn GmbH Noeggerathstr. 34, 53111 Bonn Zeit: Freitag, 17. 06. 2016 09. 30 – 17. 30 Uhr Samstag, 18. 06. 2016 09. 00 – 17. 00 Uhr CME: Dieser Kurs wird mit vorauss. 16 Fortbildungspunk ten (Kategorie A) von der Landesärztekammer Nordrhein zertifiziert. Teilnahme- BDI-Mitglied € 297,00 gebühr: Nichtmitglied € 540,00 Information Diese Veranstaltung findet in Kooperation mit der und Akademie der DGP statt. Anmeldung: Berufsverband Deutscher Internisten e.V. Freitag, 10. 06. 2016 15. 00 – 16. 30 Uhr Standards und Perspektiven des geriatrischen Assessments - Refresher Dr. med. Walter Swoboda, Marktheidenfeld 16. 30 – 16. 45 Uhr Pause 16. 45 – 18. 15 Uhr Update Sarkopenie, Kachexie und Frailty Innovationen bei Diagnostik und Therapie Prof. Dr. med. Jürgen Bauer, Oldenburg Samstag, 11. 06. 2016 09. 00 – 10. 30 Uhr S3-Leitlinien Demenz – Altbekanntes und Neues Prof. Dr. med. Andreas H. Jacobs, Bonn 10. 30 – 10. 45 Uhr Pause 10. 45 – 12. 15 Uhr Neurogeriatrisches Update 2016 PD Dr. med. Marija Djukic, Göttingen 12. 15 – 13. 00 Uhr Pause 13. 00 – 14. 30 Uhr Praktische Schmerztherapie in der Geriatrie Dr. med. Corinna Drebenstedt, Friesoythe 14. 30 – 15. 00 Uhr Pause 15. 00 – 15. 45 Uhr Osteoporosebehandlung – Geriatrie spezifisch Prof. Dr. med. Cornelius Bollheimer, Regensburg 15. 45 – 16. 30 Uhr Diabetesbehandlung – Geriatrie spezifisch Prof. Dr. med. Cornelius Bollheimer, Regensburg Sonntag, 12. 06. 2016 09. 00 – 10. 30 Uhr Gerontokardiologisches Update 2016 Behandlung der Herzinsuffizienz im Alter Prof. Dr. med. Ursula Müller-Werdan, Berlin 10. 30 – 11. 00 Uhr Pause 11. 00 – 12. 30 Uhr Anämie im Alter Dr. med. Gabriele Röhrig-Herzog, Köln - Änderungen vorbehalten - 482 Der Internist 5 · 2016 Freitag, 17. 06. 2016 Samstag, 18. 06. 2016 09. 30 – 10. 15 Uhr Lungenembolie – praktisches Assessment, Guidelines, Therapien Prof. Dr. med. Dirk Skowasch, Bonn 09. 00 – 09. 45 Uhr „Warm-up“ – DD der Dyspnoe, LUFU und mehr… Prof. Dr. med. F. Joachim Meyer, München 10. 15 – 11. 00 Uhr Pulmonale Hypertonie – Deutsches Konsensupdate 2016 Prof. Dr. med. Dirk Skowasch, Bonn 11. 00 – 11. 15 Uhr Pause 11. 15 – 12. 00 Uhr Thorakale Bildgebung – was, wann, wie? PD Dr. med. Hilmar Kühl, Kamp- Lintfort 12. 00 – 12. 45 Uhr DD der Interstitiellen Lungenerkrankungen – die Rolle der Radiologie PD Dr. med. Hilmar Kühl, Kamp- Lintfort 12. 45 – 14. 00 Uhr Pause 14. 00 – 14. 45 Uhr Molekulare Diagnostik des Bronchial-Ca. – was kann die personalisierte Medizin schon heute leisten? Prof. Dr. med. Reinhard Büttner, Köln 14. 45 – 15. 30 Uhr Was ist neu in der Therapie des A. bronchiale? Prof. Dr. med. Andrea Koch, Bochum 15. 30 – 16. 00 Uhr Pause 16. 00 – 16. 45 Uhr Respiratorische Insuffizienz – akut vs. chronisch Prof. Dr. med. Wolfram Windisch, Köln 16. 45 – 17. 30 Uhr NIV bei akuter und chronisch respiratorischer Insuffizienz Prof. Dr. med. Wolfram Windisch, Köln 09. 45 – 10. 30 Uhr COPD Update 2016 Prof. Dr. med. F. Joachim Meyer, München 10. 30 – 11. 00 Uhr Pause 11. 00 – 11. 45 Uhr Strukturierte Facharztausbildung Pneumologie – wie geht’s (noch) besser? Dr. med. Ortrud Karg, München 11. 45 – 12. 30 Uhr Effektive Behandlung der Schlafapnoe – CPAP forever? PD Dr. med. Wolfgang Galetke, Köln 12. 30 – 13. 30 Uhr Pause 13. 30 – 14. 15 Uhr Diagnostisches Workup bei V.a. Bronchial-Ca. PD Dr. med. Selcuk Tasci, Siegburg 14. 15 – 15. 00 Uhr Stadiengerechte Therapie des Bronchial-Ca. Prof. Dr. med. Harald Schäfer, Völklingen 15. 00 – 15. 30 Uhr Pause 15. 30 – 16. 15 Uhr Rationales Workup der Interstitiellen Lungenerkrankung (ILD) Prof. Dr. med. Santiago Ewig, Bochum 16. 15 – 17. 00 Uhr Aktuelle Leitlinie CAP/Atemwegsinfektionen/Impfung Prof. Dr. med. Santiago Ewig, Bochum Änderungen vorbehalten Allgemeine Innere Medizin 2016 – Was ist neu? Intensivkurs Diabetologie – Update 2016 Berlin: Wiesbaden: 19. – 20. 08. 2016 01. – 03. 06. 2016 Kursleitung: Kursort: Zeit: CME: Prof. Dr. med. Bernhard Wörmann, Berlin Kaiserin-Friedrich-Stiftung, Hörsaal Robert-Koch-Platz 7, 10115 Berlin (Mitte) Freitag, 01. 07. 2016 16. 00 – 19. 30 Uhr Samstag, 02. 07. 2016 09. 00 – 17. 30 Uhr Sonntag, 03. 07. 2016 09. 00 – 12. 30 Uhr Dieser Kurs wird mit vorauss. 17 Fortbildungs punkten (Kategorie A) von der Ärztekammer Berlin zertifiziert. Teilnahme- BDI-Mitglied € 297,00 gebühr: Nichtmitglied € 540,00 Information Berufsverband Deutscher Internisten e.V. und Kongresse und Fortbildung Anmeldung: Schöne Aussicht 5, 65193 Wiesbaden Tel.: 0611 18133-21 / 22, Fax: 0611 18133-23 [email protected], www.bdi.de Kursleitung: Kursort: Zeit: CME: Dr. med. Cornelia Jaursch-Hancke, Wiesbaden PD Dr. med. Kornelia Konz, Wiesbaden DKD HELIOS Klinik Wiesbaden, Aukammallee 33, 65191 Wiesbaden Freitag, 19. 08. 2016 15. 00 – 18. 30 Uhr Samstag, 20. 08. 2016 09. 00 – 15. 45 Uhr Dieser Kurs wird mit 11 Fortbildungspunkten (Kategorie A) von der Landesärztekammer Hessen zertifiziert. Der VDBD zertifiziert diesen Kurs mit vorauss. 11,5 Punkten. Die DMP Anerkennung liegt vor. Teilnahme- BDI-Mitglied € 231,00 gebühr: Nichtmitglied € 420,00 Information Berufsverband Deutscher Internisten e.V. und Kongresse und Fortbildung Anmeldung: Schöne Aussicht 5, 65193 Wiesbaden Tel.: 0611 18133-21 / 22, Fax: 0611 18133-23 Freitag, 01. 07. 2016 12.30 – 13.15 Uhr Mittagspause 16.00 – 17.30 Uhr Endokrinologie/ Schilddrüsenerkrankungen Schwerpunktthemen: Knoten Hypothyreose Schilddrüsenkarzinom PD Dr. med. Onno E. Janssen, Hamburg 13.15 – 14.45 Uhr Hämatologie/Onkologie Schwerpunktthemen: Eisenmangel/Eisenmangelanämie Multiples Myelom Melanom Prof. Dr. med. Bernhard Wörmann, Berlin Freitag, 19. 08. 2016 Samstag, 20. 08. 2016 Moderation: Dr. med. Cornelia Jaursch-Hancke, Wiesbaden Moderation: PD Dr. med. Kornelia Konz, Wiesbaden 14.45 – 15.15 Uhr Pause 15. 00 – 15. 15 Uhr Begrüßung Dr. med. Cornelia Jaursch-Hancke, Wiesbaden 09. 00 – 10. 00 Uhr Orale antihyperglykämische Therapie Prof. Dr. med. Martin Pfohl, Duisburg 15. 15 – 16. 00 Uhr Wie gefährlich sind Hypoglykämien? PD Dr. med. Kornelia Konz, Wiesbaden 10. 00 – 10. 30 Uhr 17.30 – 18.00 Uhr Pause 18.00 – 19.30 Uhr Hämostaseologie/Angiologie Schwerpunktthemen: Leitlinien Venöse Thrombembolien Neue orale Antikoagulanzien Antidote Dr. med. Robert Klamroth, Berlin Samstag, 02. 07. 2016 15.15 – 16.45 Uhr Rheumatologie Schwerpunktthemen: Diagnostik/Risikopersonen Basismedikation Neue Medikamente NN Sonntag, 03. 07. 2016 09.00 – 10.30 Uhr Gastroenterologie Schwerpunktthemen: Kolorektales Karzinom – Früherkennung Refluxkrankheit Hepatitis? Prof. Dr. med. Frank Kolligs, Berlin 09.00 – 10.30 Uhr Immunologie Schwerpunktthemen: Immundefekte im Erwachsenenalter Dr. med. Leif Hanitsch, Berlin Chronisches Fatigue-Syndrom – eine Autoimmunerkrankung? Prof. Dr. med. Carmen Scheibenbogen, Berlin 10.30 – 11.00 Uhr Pause 10.30 – 11.00 Uhr Pause 11.00 – 12.30 Uhr Kardiologie Schwerpunktthemen: Koronare Herzkrankheit Optimale medikamentöse Therapie Herzrhythmusstörungen Prof. Dr. med. Carsten Tschöpe, Berlin 11.00 – 12.30 Uhr Hypertonie Schwerpunktthemen: Normwerte Medikamentöse Standardtherapie Interventionelle Therapie Prof. Dr. med. Reinhard Fünfstück, Weimar Änderungen vorbehalten 16. 00 – 17. 00 Uhr Neue Technologien in der Diabetologie – wirklich hilfreich? Prof. Dr. Lutz Heinemann, Düsseldorf 17. 00 – 17. 30 Uhr Pause 17. 30 – 18. 30 Uhr Diabetische Nephropathie – Update 2016 Prof. Dr. med. Frank Strutz, Wiesbaden Kaffeepause 10. 30 – 11. 30 Uhr Insulintherapie – Update 2016 Dr. med. Cornelia Jaursch-Hancke, Wiesbaden 11. 30 – 12. 15 Uhr Diabetes und Depression – Update 2016 Prof. Dr. Frank Petrak, Wiesbaden 12. 15 – 13. 30 Uhr Mittagspause 13. 30 – 14. 30 Uhr Das diabetische Fußsyndrom – eine der schwersten Komplikationen Dr. med. Michael Eckhard, Bad Nauheim 14. 30 – 15. 30 Uhr Interaktive Falldiskussion Dr. med. Cornelia Jaursch-Hancke, Wiesbaden PD Dr. med. Kornelia Konz, Wiesbaden 15. 30 -15. 45 Uhr Zusammenfassung und Verabschiedung PD Dr. med. Kornelia Konz, Wiesbaden Änderungen vorbehalten Der Internist 5 · 2016 483 Mitteilungen des BDI 65. Internationaler, interdiszi plinäre Seminarkongress für ärztliche Fortbildung Pörtschach am Wörthersee/Österreich: 28. 08. – 02. 09. 2016 Kongress- leitung: Kongressort: Prof. Dr. med. Andreas Tromm, Hattingen Prof. Dr. med. Bernhard Wörmann, Berlin Congress Center Wörthersee Hauptstr. 203 , 9210 Pörtschach a. Wörthersee/ Österreich Schwerpunkt- Krankheiten des Herzens und der Atemorgane, themen: Hämatologie CME: vorauss. 30 Kongresskarte: Mitglied € 253,00 Nichtmitglied € 460,00 Med. Assistenz- personal: Mitglied € 220,00 Nichtmitglied € 220,00 Tageskarte: Mitglied € 88,00 Nichtmitglied € 160,00 Information Berufsverband Deutscher Internisten e.V. und Kongresse und Fortbildung Anmeldung: Schöne Aussicht 5, 65193 Wiesbaden Tel.: 0611 18133-21 / 22, Fax: 0611 18133-23 [email protected], www.bdi.de Intensivkurs Innere Medizin: Refresherkurs zur Facharztprüfung Essen: 05. – 10. 09. 2016 Kursleitung: Prof. Dr. med. Guido Gerken, Essen Kursort: Universitätsklinikum Essen, Hörsaal im Operativen Zentrum II, Hufelandstr. 55, 45122 Essen Zeit: Montag, 05. 09. 2016 09. 00 – 18. 15 Uhr Dienstag bis Donnerstag, 06. – 08. 09. 2016 08. 15 – 18. 00 Uhr Freitag, 09. 09. 2016 08. 15 – 17. 00 Uhr Samstag, 10. 09. 2016 08. 15 – 12. 30 Uhr CME: Dieser Kurs wird mit vorauss. 44 Fortbildungspunk ten (Kategorie A) von der Landesärztekammer Nordrhein zertifiziert! Teilnahme- € 429,00 Mitglied gebühr: € 780,00 Nichtmitglied Information Berufsverband Deutscher Internisten e.V. und Kongresse und Fortbildung Anmeldung: Schöne Aussicht 5, 65193 Wiesbaden Tel.: 0611 18133-21 / 22, Fax: 0611 18133-23 [email protected], www.bdi.de 484 Der Internist 5 · 2016 Farbdoppler-Echokardio graphie-Refresherkurs München: 24. – 25. 09. 2016 Kursleitung: Kursort: Zeit: CME: PD Dr. med. Werner Zwehl, München Deutsches Museum, Kerschensteiner Kolleg Museumsinsel 1, 80538 München Samstag, 25. 06. 2016 09. 00 – 17. 30 Uhr Sonntag, 26. 06. 2016 09. 00 – 13. 00 Uhr Dieser Kurs wird mit 14 Fortbildungspunkten (Kategorie C) von der Bayerischen Landesärzte kammer zertifiziert! Teilnahme- BDI-Mitglied € 231,00 gebühr: Nichtmitglied € 420,00 Information Berufsverband Deutscher Internisten e.V. und Kongresse und Fortbildung Anmeldung: Schöne Aussicht 5, 65193 Wiesbaden Tel.: 0611 18133-21 / 22, Fax: 0611 18133-23 [email protected], www.bdi.de Intensivkurs Stoffwechselerkrankungen/ Endokrinologie Florenz/Italien: 22. 09. – 25. 09. 2016 Kursleitung: Kursort: Zeit: CME: Prof. Dr. med. Petra-Maria Schumm-Draeger Prof. Dr. med. Armin Steinmetz, Andernach Grand Hotel Mediterraneo Lungarno del Tempio, 44, 50121 Firenze/Florenz Donnerstag, 22. 09. 2016 15.00 – 18.30 Uhr Freitag, 23. 09. 2016 09.00 – 15.00 Uhr Samstag, 24. 09. 2016 09.00 – 15.00 Uhr Sonntag, 25. 09. 2016 09.00 – 12.30 Uhr Dieser Kurs wird mit vorauss. 20 Fortbildungspunk ten (Kategorie A) von der Landesärztekammer Hessen und von der Akademie der DGE zertifiziert sowie mit vorauss. 16,5 Credits von der Schweizeri schen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin anerkannt! Teilnahme- € 319,00 BDI Mitglied gebühr: € 580,00 Nichtmitglied Information Berufsverband Deutscher Internisten e. V. und Kongresse und Fortbildung Anmeldung: Schöne Aussicht 5, 65193 Wiesbaden Tel.: 0611 18133-21 / 22, Fax: 0611 18133-23 [email protected], www.bdi.de Mitteilungen der DGIM Internist 2016 · 57:485–494 DOI 10.1007/s00108-016-0070-6 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 Redaktion Prof. Dr. Dr. h. c. Ulrich R. Fölsch (v. i. S. d. P.) Korrespondenzadresse Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM) Irenenstraße 1 D-65189 Wiesbaden Tel. 0611/205 8040-0 Fax 0611/205 8040-46 [email protected] App Prof. Martin Halle, Ärztlicher Direktor des Zentrums für Prävention und Sportmedizin in Inhalt 485 Sport-App „DocFit“ 485DGIM-Nachwuchsförderung 486 Bündnis JUNGE ÄRZTE (BJÄ) tagt am 5. 3. 2016 in Berlin 488 MEDICA EDUCATION CONFERENCE 2016 490 Neue Medien: Apps 492 Veranstaltungen unter der Schirmherrschaft der DGIM Sport-App „DocFit“ Bewegung ist die beste Medizin und sollte viel öfter „verschrieben“ werden – auch bei chronischen Krankheiten wie COPD und Herzschwäche. Dies ist eine der Botschaften des 122. Internistenkongresses. Training als Therapie kann derjenige am besten empfehlen, der es auch selbst nutzt. Grund genug für die DGIM, eine Sport-App speziell für Ärzte entwickeln zu lassen. Vorgestellt wurde sie im Rahmen des sportlichen Rahmenprogramms auf dem 122. Internistenkongress. Der Trainingsplan ist auf 12 Wochen angelegt. Das Programm ist mit einfachen und kurzen Übungen bewusst niederschwellig gehalten – und vom Leistungsniveau her auch für niedrigere Einstiegslevel geeignet. In der höchsten Stufe gibt es 55 Minuten Intervalltraining. Montags und dienstags, wenn die Praxen besonders voll sind, sind kürzere Einheiten vorgesehen. Konzipiert hat die Sport- München. Sie ist ab sofort gratis für Apple und Android im AppStore abrufbar. DGIM-Nachwuchsförderung Facharzt und Habilitation: Neues Curriculum der DGIM Die Anforderungen an wissenschaftlich tätige Weiterbildungsassistentinnen und Weiterbildungsassistenten haben in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen. Dies gilt sowohl für die klinischen als auch für die wissenschaftlichen Aspekte. Mit ihrem Curriculum Clinician Scientist entwirft die DGIM eine Struktur für die Weiterbildung und Forschung in Innerer Medizin mit dem Ziel der Habilitation. Das Curriculum begleitet Ärzte in der Weiterbildung über acht Jahre. Es soll die Attraktivität des klinisch-wissenschaftlichen Karrierewegs steigern, um exzellenten Nachwuchs zu finden und zu fördern. Ziel ist es, die klinische und wissenschaftliche Ausbildung zu verbessern, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Kongresspräsident Gerd Hasenfuß aus Göttingen hat das neue Curriculum beim 122. Internistenkongress erstmals vorgestellt. Abrufbar ist es unter www.dgim.de. Der Internist 5 · 2016 485 Mitteilungen der DGIM DGIM [aspire]: Neuer Newsletter für Junge Internisten Mit einem neuen Newsletter spricht die DGIM seit Anfang April 2016 gezielt junge Internisten und den medizinischen Nachwuchs an. Der Newsletter informiert über aktuelle Angebote der DGIM für junge Mediziner, von Preisausschreiben über Mentorenprogramme und Stipendien bis hin zu Aktivitäten der Jungen Internisten. Drei Mal jährlich erreicht der Newsletter alle Mitglieder der Fach- gesellschaft bis zum Alter von 40 Jahren. Die Verbreitung erfolgt digital – der Newsletter ist dank spezieller Programmierung auch von Smartphones und Tablets abrufbar. Für die Inhalte zeigen sich die Jungen Internisten und deren Sprecher Dr. med. Matthias Raspe und Dr. med. Alexis Müller-Marbach als Nachwuchsorganisation der Fachgesellschaft verantwortlich. Bündnis JUNGE ÄRZTE (BJÄ) tagt am 5. 3. 2016 in Berlin stand des BJÄ-Satellitensymposiums beim kommenden Deutschen Ärztetag im Mai 2016 auf der Agenda. Als neues Mitglied wurde die „Junge Radioonkologie“ (Nachwuchsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie) einstimmig in das BJÄ aufgenommen. Schließlich wurden Ideen, Konzepte und ©©DGIM Am Samstag, dem 5. 3. 2016, fand ein Meeting des Bündis JUNGE ÄRZTE (BJÄ) in den Räumen der Berliner Dependance der DGIM in Berlin statt. Zu Beginn wurden die Aktivitäten innerhalb der einzelnen Nachwuchsgruppen vorgestellt und diskutiert. Im Anschluss stand der derzeitige Planungs- 8 Die Teilnehmer des Meetings des Bündnis JUNGE ÄRZTE (BJÄ) am 5. 3. 2016 in Berlin 486 Der Internist 5 · 2016 Kooperationen für die zukünftige Arbeit vorgestellt und kritisch besprochen. Das nächste Treffen ist für den Herbst dieses Jahres geplant. Im BJÄ haben sich im November 2013 eine Vielzahl von Nachwuchsgruppen deutscher medizinischer Fachgesellschaften und Berufsverbände mit dem Ziel zusammen geschlossen, die Stimmen junger Ärztinnen und Ärzte zu bündeln und deren Interessen gemeinsam zu vertreten (www.bjae.de). Derzeit sind die Nachwuchsgruppenvertreter von insgesamt 18 Gesellschaften und Verbänden Teil des BJÄ. Die Jungen Internisten der DGIM sind von Anfang an im BJÄ vertreten und haben wesentliche Impulse zur Gründung des Bündnisses gegeben. Neben dem regelmäßigen Erfahrungsaustausch hat das BJÄ in den letzten Jahren in bisher drei Positionspapieren Stellung zu Themen genommen, die für Junge Ärztinnen und Ärzte in Deutschland von besonderer Relevanz sind. Die drei Positionspapiere beschäftigen sich mit den Spannungsfeldern Arbeitsverdichtung, Forschung sowie Beruf und Familie (abrufbar unter der Rubrik „Presse & Veröffentlichungen“ der Homepage des BJÄ). Ein weiterer Schwerpunkt in der Arbeit des BJÄ ist die Ausrichtung von Symposien, um auf die eigenen Themen aufmerksam zu machen und mit Entscheidungsträgern aus unterschiedlichsten Bereichen unseres Gesundheitssystems in Kontakt zu kommen. Im April 2015 wurde aus diesem Antrieb in Berlin gemeinsam mit dem Marburger Bund, der Bundesvertretung der Medizinstudierenden (bvmd) und der Jungen Allgemeinmedizin Deutschland (JADE) ein erfolgreiches Symposium mit dem Titel „Deutschland wird älter! Was tun, damit die Ärzte nicht ausgehen?“ abgehalten. Sechs Kernthesen wurden nach dem Symposium als sogenannte „Berliner Thesen“ veröffentlicht. Im Rahmen des 119. Deutschen Ärztetages im Mai 2016 in Hamburg wird das BJÄ erstmals Gelegenheit haben, im Rahmen eines Satellitensymposiums ein eigenes Programm mit prominenten Teilnehmern zu diskutieren. Als Themenkomplexe sind „Arztsein in Zeiten der Arbeitsverdichtung“, „Kind und Klinik – geht nicht, gibt’s nicht“ und „Fortschritt in Not – medizinische Forschung in Zeiten des DRG-Systems“ vorgesehen (Informationen zu diesem Symposium unter www.dgim.de; die DGIM vergibt zehn Reisestipendien). Bei Interesse an der Arbeit des BJÄ bitten wir um eine Kontaktaufnahme unter info@ bjae.de. Die Jungen Internisten der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin stehen unter [email protected] gerne für Anfragen zur Verfügung. Dr. med. Matthias Raspe Stellv. Sprecher der Jungen Internisten der DGIM Dr. med. Alexis Müller-Marbach Ehemaliger Sprecher des Bündnis JUNGE ÄRZTE Sprecher der Jungen Internisten der DGIM Mitteilungen der DGIM MEDICA EDUCATION CONFERENCE 2016 Symposien für Niedergelassene, „Medicine meets Technology“ und Kurse mit internationalem Zertifikat reich und kompakt vorgestellt. Für Niedergelassene bietet dieser Tag beispielsweise ein „Update Allgemeinchirurgie“ sowie ein Symposium zu „Transplantationsmedizin“. Bei „Medicine meets Technology“ stehen u. a. „Advances in musculosketal tissue engineering“ und „The TAVI Story“ auf dem Programm, als Kurs* findet „Advanced Trauma Life Support I“ statt. Der Dienstag widmet sich der Bildgebung und Interventionellen Verfahren wie zum Beispiel der Magnetresonanztomografie, Sonografie sowie der interventionellen Schlaganfallbehandlung. Zum Kursangebot gehören „Teleradiologie“ und „Abdomen Bildgebung“ „Hands on: Acute Vascular Intervention – Technical Challenges“ und „Acquisitions in Cardiac Imaging – State of the Art“. Des Weiteren gibt es Kurse rund um „Medicine meets Technology“ „Advanced Trauma Life Support II“ sowie die Basisausbildung Notfallsonografie DEGUM und ein Sonografie Refresher Kurs. ©©Messe Düsseldorf/ctillmann Symposien für niedergelassene Ärzte, englischsprachige Veranstaltungen unter dem Motto „Medicine meets Technology“ und deutschsprachige Kurse mit teils internationalem Zertifikat: Diese drei Programmstränge ziehen sich durch die vier Tage der MEDICA EDUCATION CONFERENCE. Jeder Konferenztag widmet sich dabei einem Fokusthema. Die Fokusthemen in diesem Jahr sind: Neue operative Techniken in der Chirurgie (Montag, 14. November 2016), Bildgebung und Interventionelle Verfahren (Dienstag, 15. November 2016), Innere Medizin: Zukunftstechnologien und Remote Patient Management (Mittwoch, 16. November 2016), Diagnostik: Innere Medizin, Labormedizin, Toxikologie und Hygiene (Donnerstag, 17. November 2016). Am Montag, dem ersten Tag der Konferenz, liegt der Schwerpunkt auf Neuen operativen Techniken in der Chirurgie. Neben Innovationen und Zukunftsvisionen werden auch aktuelle Standards operativer Methoden abwechslungs- 8 Die MEDICA EDUCATION CONFERENCE bietet in diesem Jahr Kurse mit internationalem Zertifikat 488 Der Internist 5 · 2016 Unter der Überschrift Innere Medizin: Zukunftstechnologien und Remote Patient Management steht der dritte Konferenztag. Was leistet Telemedizin bei chronischen Erkrankungen? Wie können „Wearables“ zur Überwachung von Krankheiten eingesetzt werden? Experten stellen sich am Mittwoch unter anderem diesen Fragen. Bei „Medicine meets Technology“ geht es beispielsweise um „Diabetology und Wearables“ oder um „Remote Patient Management“. In den Symposien für Niedergelassene stehen u. a. ein Update in Hypertonie und Ernährungsmedizin auf dem Programm. Am letzten Tag der Veranstaltung konzentriert sich das wissenschaftliche Programm auf die Diagnostik in der Inneren Medizin, Labormedizin, Toxikologie und Hygiene. Die zielgerichtete Bestimmung von Laborparametern, die richtige Interpretation und die Verbindung mit den individuellen klinischen Symptomen bestimmen den Verlauf vieler Erkrankungen ganz wesentlich. In den Symposien für niedergelassene Mediziner geht es u. a. um „Sinnvolle Labordiagnostik: Leber, Niere, Gefäße“ oder „Management der Infektionsprävention“. „Nucleotides as Biomar- kers“ und „Workflow driven hospital and clinical Engineering“ sind beispielsweise Veranstaltungen zu „Medicine meets Technology“. „Labordiagnostik in der Tropenmedizin“ und „Advanced cardiac life support I“ runden das Kursprogramm* ab. Für alle Symposien und Veranstaltungen der MEDICA EDUCATION CONFERENCE ist eine CME-Zertifizierung beantragt, die Kurse sind teils selbst international zertifiziert. * Die Teilnehmerzahl der Kurse ist begrenzt. Die Teilnahme ist kostenpflichtig und bedarf einer separaten Anmeldung. D Save the date MEDICA EDUCATION CONFERENCE 2016 14. bis 17. November 2016, Messe Düsseldorf Mitteilungen der DGIM Neue Medien Apps Neben zwei universellen Apps aus den Bereichen News und Sprache möchten wir Ihnen in dieser Ausgabe unsere neue für Sie entwickelte „DGIM-DocFit“-App vorstellen. Gerne nehmen wir Ihr Feedback so- wie Vorschläge und App-Tipps entgegen: Senden Sie uns einfach eine Mail an [email protected]. Jan Kempf [email protected] Auszubildender IT-System-Kaufmann Die DGIM-App-Tipps für Apple- und Android-Smartphones DGIM - DocFit Linguee Tagesschau Beschreibung Nützlich Besonderes Fakten Fazit Die „DGIM – DocFit“-App „ wurde auf dem 122. Internistenkongress im letzten Monat bereits vorgestellt. Ihnen steht hiermit ein speziell für Ärzte konzipiertes Fitnessprogramm zur Verfügung. Die in Zusammenarbeit mit dem Leiter der Sportmedizin München erbaute App, stellt Ihnen einen 12-wöchigen Trainingsplan zur Verfügung, der sowohl für Anfänger als auch für Fortgeschrittene geeignet ist. Die verschiedenen Übungen aus den Bereichen Warm-Up, Kardio- und Krafttraining werden durch eindeutige Grafiken und beschreibende Texte sehr gut erklärt. Der Einstieg fällt somit sehr leicht und es kann sofort losgelegt werden. Speicher: 11,5 MB Version: 1.0 Sprache: Deutsch Kategorie: Fitness Registrierung: Nein Die App leitet Sie hervorragend durch ein 12-wöchiges Fitnessprogramm und ist auf Ärzte und deren Arbeitstalltag ausgerichtet. Probieren Sie aus, wie sich wenige Minuten Sport pro Tag positiv auf Ihren Körper auswirken. Die Übersetzungsoftware ist aktuell vor allem auf die englische Sprache ausgerichtet und hat hier eine Vielzahl von redaktionell aufbereiteten Wörterbüchern zu bieten. Aber auch die Übersetzung in andere Sprachen befindet sich im Aufbau und wird verbessert. Die verschiedenen Sprachpakete können auf Ihr Smartphone heruntergeladen werden, sodass Sie beispielsweise auch im Ausland ohne stetigen Internetzugang jederzeit auf Ihre Übersetzungen zugreifen können. Linguee übersetzt im Gegensatz zu vielen anderen Apps dieser Sparte nicht nur einzelne Worte, sondern kann auch mit zusammenhängenden Wortgruppen sehr gut umgehen. Speicher: 35,1 MB Version: 2.2.0 Sprache: Deutsch Kategorie: Nützlich Registrierung: Nein Mit dieser App ist der Satz „Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau“ für Sie auch unterwegs und nicht nur vor dem Fernseher um 20:15 Uhr zutreffend. Die App bietet Berichte und Informationen in gewohnter Qualität. Die Push-Funktion der App informiert Sie brandaktuell über wichtige Ereignisse in Deutschland und der ganzen Welt. Der Internist 5 · 2016 Preis: Gratis Sehr gut aufgebaute App, die ihre Stärke vor allem in der Möglichkeit hat, sie offline nutzen zu können. Vor allem für die DeutschEnglisch-Übersetzung sehr zu empfehlen. Zusatz: Auch mit der Apple Watch nutzbar. Bildnachweis: © Fotolia.de, ARD-aktuell, DGIM e.V., Linguee 490 Preis: Gratis Darüber hinaus haben Sie die Möglichkeit, sich Videos wie die „Tagesschau in 100 Sekunden“ oder den Live-Stream des Morgenmagazins anzusehen. Speicher: 10,8 MB Version: 1.8 Sprache: Deutsch Kategorie: News Registrierung: Nein Preis: Gratis Die App kombiniert die bereits vorhandenen fürs Fernsehen erstellten Beiträge und Videos mit einer für Smartphone optimierten kurzen und gezielten Berichterstattung. Der Internist 5 · 2016 491 Mitteilungen der DGIM Veranstaltungen unter der Schirmherrschaft der DGIM 11. Fortbildungs-Kurs zum Präventivmediziner der Deutschen Akademie für Präventivmedizin e. V. (DAPM) 15th European Congress of Internal Medicine 2016 Ort der Veranstaltung Ort der Veranstaltung Amsterdam, Niederlande Kiedrich im Rheingau Schirmherrschaft DGIM Schirmherrschaft DGIM Ermäßigung für DGIM-Mitglieder Termin 17. 06.–25. 06. 2016 Termin 02. 09.–03. 09. 2016 Veranstalter Deutsche Akademie für Präventivmedizin e.V:, Rüdesheim Veranstalter European Federation of Internal Medicine (EFIM) Wissenschaftliche Organisation Dr. med. Johannes Scholl, Rüdesheim Dr. med. Michael Schneider, Ingelheim Wissenschaftliche Organisation EFIM Hauptthemen Exzellenz in der Präventivmedizin – praxisorientierte Fortbildung von Ärzten für Ärzte Hauptthemen Connecting with the patient Info und Anmeldung www.akaprev.de Info und Anmeldung www.ecim2016.org 7. Frankfurter Gerinnungssymposium Kardio-Intermezzo 2016 Ort der Veranstaltung Frankfurt Ort der Veranstaltung Bad Kissingen Termin 02.09.–03.09.2016 Termin 23. 09.–24. 09. 2016 Veranstalter Kongress- und Messebüro Lentzsch GmbH Veranstalter Herz- und Gefässklinik Bad Neustadt a. d. Saale Wissenschaftliche Organisation Prof. Dr. Edelgard Lindhoff-Last Prof. Dr. Rupert M. Bauersachs Prof. Dr. Viola Hach-Wunderle Wissenschaftliche Organisation Prof. Dr. med. S. Kerber Prof. Dr. med. T. Deneke Prof. Dr. med. A. Diegeler PD. Dr. med. M. Dinkel Hauptthemen Relevanz klinischer Risikofaktoren versus Labordiagnostik bei arteriellen und venösen Thrombosen, Innovationen in der Therapie von Fettstoffwechselstörungen zur Verhinderung vaskulärer Ereignisse, Grundlagenforschung und distale Venenthrombosen und Phlebitiden. Hauptthemen Die Rettungskette von der Präklinik, über die innerklinische Akutversorgung bis zur Intensivmedizin bei kardiovaskulären Patienten Info und Anmeldung www.gerinnungssymposium-frankfurt.de Info und Anmeldung http://www.kardio-intermezzo.de/ Schirmherrschaft DGIM Ermäßigung für DGIM-Mitglieder 492 Der Internist 5 · 2016 Schirmherrschaft DGIM Ermäßigung für DGIM-Mitglieder Schirmherrschaft DGIM Bad Segeberg 05. 09.–10. 09. 2016 Klinikum Südstadt Rostock Südring 81 18059 Rostock Akademie für med. Fort- und Weiterbildung der Landesärztekammer Schleswig-Holstein Bad Segeberg Leitung Prof. Dr. med. Dierk Werner Dr. Anke Gottschall Gebühr für Ausbildungsassistenten 350,00 € Fachärzte 400,00 € Mitglieder DGIM, GdI M-V, BDI: Ausbildungsassistenten 250,00 € Fachärzte 300,00 € Dresden 05.09.–09.09.2016 Anmeldung/Organisation Dr. Anke Gottschall Telefon: 0172 1304699 E-Mail: [email protected] Leitung Prof. Dr. med. Heiner Mönig, Kiel Gebühr für Nichtmitglieder 610,00 € DGIM-Mitglieder 560,00 € Halle 19. 09.–23. 09. 2016 Anmeldung/Organisation Städt. Klinikum Dresden-Friedrichstadt III. Medizin. Klinik Kathrin Bunk Friedrichstraße 41 01067 Dresden Telefon: 0351 4801138 Telefax: 0351 4801139 E-Mail: [email protected] Gebühr für Nichtmitglieder 400,00 € DGIM- u. BDI-Mitgl. 360,00 € ermäßigte Gebühr bei Arbeitslosigkeit /während Elternzeit 200,00 € (gilt nur für Mitglieder der LÄK Thüringen) Gebühr für Regulär 380,00 € DGIM-Mitglieder 350,00 € Teilnehmer Universitätsklinik Halle 150,00 € Schirmherrschaft DGIM Universitätsklinikum Jena Erlanger Allee 101 07747 Jena Leitung Prof. Dr. med. C. Schulze Prof. Dr. med. A. Hochhaus Prof. Dr. med. G. Wolf Prof. Dr. med. A. Stallmach Dr. med. C. Schmidt Anmeldung/Organisation Steffi Schneider Landesärztekammer Thüringen Akademie für ärztliche Fort- und Weiterbildung Im Semmicht 33 07751 Jena-Maua Telefon: 03641 614-143 Telefax: 03641 614-149 E-Mail: schneider.akademie@ laek-thueringen.de Home: www.laek-thueringen.de Schirmherrschaft DGIM Universitätsklinikum Halle (Saale) Department für Innere Medizin Ernst-Grube-Straße 40 06120 Halle/Saale Leitung Dr. med. Wollschläger Prof. Dr. med. Schellong Dr. med. L. Unger Jena 05.09.–09.09.2016 Anmeldung/Organisation Akademie für med. Fort- und Weiterbildung der LÄK Schleswig-Holstein Susanne Müller Esmarchstr. 4 23795 Bad Segeberg Telefon: 04551 803-762 Telefax: 04551 803-751 E-Mail: [email protected] Schirmherrschaft DGIM Städt. Klinikum Dresden-Friedrichstadt Friedrichstraße 41 01067 Dresden Gebühr für Nichtmitglieder 400,00 € Mitgl. d. Sächs. Gesellschaft für Innere Medizin oder der DGIM 380,00 € Schirmherrschaft DGIM Intensivkurse Innere Medizin Rostock 30.05.–03.06.2016 MÜNCHEN – Klinikum rechts der Isar 10.10.–14.10.2016 Leitung PD Dr. B. Schmidt Prof. Dr. P. Michl Prof. Dr. M. Girndt Prof. Dr. S. Frantz Prof. Dr. C. Müller-Tidow Anmeldung/Organisation Universitätsklinikum Halle (Saale) Department für Innere Medizin Ernst-Grube-Straße 40 06120 Halle/Saale Sekretariat Klinik für Innere Medizin I: Telefon: 0345 557-4978 oder -3238 Telefax: 0345 557-4974 E-Mail [email protected] Schirmherrschaft DGIM Klinikum rechts der Isar Hörsaal B Ismaninger Straße 22 81675 München Leitung Prof. Dr. med. R. M. Schmid Prof. Dr. med. Ch. Peschel Prof. Dr. med. K.-L. Laugwitz Gebühr für Nichtmitglieder 440,00 € DGIM- und BDI-Mitglieder 400,00 € Anmeldung/Organisation PD Dr. med. Bruno Neu Klinikum rechts der Isar II. Medizinische Klinik Christiane Sachs Telefon: 089 4140-2252 Telefax: 089 4140-7287 E-Mail: [email protected] Home: www.med2.med.tu-muenchen.de Änderungen und Irrtümer vorbehalten, es gelten die Angaben des jeweiligen Veranstalters. Weitere Informationen unter: http://www.dgim.de/Fortbildung/IntensivkurseInnereMedizin/tabid/333/Default.aspx Der Internist 5 · 2016 493 Kasuistiken Internist 2016 · 57:495–501 DOI 10.1007/s00108-016-0025-y Online publiziert: 19. Februar 2016 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 Redaktion H. Haller, Hannover (Schriftleitung) B. Salzberger, Regensburg C. Sieber, Nürnberg Anamnese Wir berichten über einen 39-jährigen Patienten, der uns im November 2014 zur weiteren Abklärung von seit einigen Wochen bestehenden und zunehmenden Unterbauchschmerzen zugewiesen wurde. Der Patient war 6 Jahre zuvor aufgrund eines Rektumkarzinoms der mittleren Etage nach neoadjuvanter Radiochemotherapie (insgesamt 50,4 Gy; 5-Fluoruracil/Oxaliplatin) einer tiefen anterioren Rektumresektion unterzogen worden [ypT3 ypN2 (LK 5/49) R0 V0 G2]. Anschließend wurden 8 Zyklen einer adjuvanten Chemotherapie nach MOSAIK-Schema mit 5-Fluoruracil und A. Jarosch1 · M. Tiller1 · H. Rohrbach2 · T. Leimbach1 · W. Schepp1 1 Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Gastroenterologische Onkologie, Klinikum Bogenhausen, Akademisches Lehrkrankenhaus der Technischen Universität München, Städtisches Klinikum München GmbH, München, Deutschland 2 Institut für Pathologie, Klinikum Bogenhausen, Akademisches Lehrkrankenhaus der Technischen Universität München, Städtisches Klinikum München GmbH, München, Deutschland Sekundäre retroperitoneale Fibrose nach Rektumkarzinom bei einem 39-jährigen Mann Oxaliplatin ergänzt. Die seitdem durchgeführten Nachsorgeuntersuchungen waren unauffällig, die weitere internistische Vorgeschichte war blande. Körperlicher Befund Der Patient präsentierte sich in gutem Allgemein- und Ernährungszustand. Die Größe betrug 187 cm, das Gewicht 89 kg. Der kardiopulmonale Befund war unauffällig, die Narben des Ports, der Längslaparotomie sowie des Ileostomas nach Rückverlagerung waren reizlos. Eine Hernie war nicht palpabel. Über allen 4 Quadranten waren regelrechte Darmgeräusche auskultierbar, ohne Anhalt für Aszites oder Resistenzen. Die digital-rektale Untersuchung ergab keine Auffälligkeiten. Auch die sonstige körperliche und die orientierende neurologische Untersuchung erbrachten keine wegweisenden Befunde. Laborbefunde In der Laboruntersuchung waren folgende Werte initial verändert: Hämoglobin 12,9 mg/dl (Norm: 13,5–17,5 mg/dl), C-reaktives Protein (CRP) 99 mg/l (< 5 mg/l). Die restlichen internistischen Routineparameter waren normwertig. Der Serumspiegel des Tumormarkers karzinoembryonales Antigen (CEA) war Abb. 1 8 Magnetresonanztomographie. a Unauffälliger Befund (Januar 2014). b Periaortale Weichteilvermehrung (Pfeil; November 2014) Der Internist 5 · 2016 495 Kasuistiken Abb. 2 8 Periaortales Weichgewebe mit chronischer, z. T. auch fibroseartiger Entzündung. Kerne blau (Hämatoxylin), Zytoplasma rot (Eosin). (HE-Färbung, a Vergr. 100:1. b Vergr. 400:1) Abb. 3 8 Immunhistochemie. a Der Plasmazellmarker CD138 war deutlich positiv. b Daneben zeigten sich auch reichlich IgG4-positive Plasmazellen. (Vergr. 400:1) innerhalb von 10 Monaten von 2,8 auf 5,3 μg/l angestiegen (Norm: < 3 μg/l; Wert bei Erstdiagnose: 3,6 μg/l). Das Kohlenhydratantigen (CA) 19-9 und das prostataspezifische Antigen (PSA) waren normwertig. Sonographie des Abdomens Bei eingeschränkter Beurteilbarkeit fand sich sonographisch kein eindeutiges Schmerzkorrelat. Ileokoloskopie Die Ileokoloskopie nach tiefer anteriorer Rektumresektion war unauffällig. 496 Der Internist 5 · 2016 Magnetresonanztomographie des Oberbauchs Die Befunde der Magnetresonanztomographie (MRT) sind in . Abb. 1 dargestellt. Es fand sich ein bekanntes Hämangiom im Segment VI der Leber. Erkennbar war eine neu aufgetretene Weichteilvermehrung, die periaortal unmittelbar unterhalb des Nierenarterienabgangs begann und bis zur Bifurkation reichte. Vorläufige Differenzialdiagnosen 1 4 Unklare Weichteilvermehrung periaortal; differenzialdiagnostisch waren eine retroperitoneale Fi- brose, Lymphknotenmetastasen oder ein genuines Lymphom als unabhängige Zweiterkrankung in Betracht zu ziehen. Histologie einer computertomographisch gesteuerten Biopsie Die histologischen Befunde sind in . Abb. 2 dargestellt. In einem Stanzzylinder aus dem Bereich des periaortalen Weichgewebes zeigte sich eine chronische, z. T. auch fibromatoseartige Entzündung. Aus dem hier gewonnenen Material ergaben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte für Malignität. Zusammenfassung · Abstract Immunhistochemie 1 Die Ergebnisse der immunhistochemischen Untersuchung sind in . Abb. 3 zu sehen. Es fanden sich kleinherdige Zellen, die positiv mit den Antikörpern KL-1 und Lu-5 reagierten. Der Antikörper CD3 zeigte reichlich T-Lymphozyten, CD20 in geringerer Anzahl B-Lymphozyten. Vereinzelt fanden sich auch CD23-positive Keimzentrumsstrukturen, CD30 war dagegen negativ. Der Plasmazellmarker CD138 war deutlich positiv, κ- und λ-Leichtketten in etwa gleicher Verteilung. Daneben zeigten sich auch reichlich IgG4-positive Plasmazellen, etwa 10 pro Hauptgesichtsfeld (HPF). Unter Einbeziehung der immunhistochemischen Ergebnisse sprachen die Befunde für eine IgG4-assoziierte retroperitoneale Fibrose (RF), auch wenn aufgrund der Anzahl der IgG4-positiven Zellen die histologischen Kriterien formal nicht erfüllt wurden (Verhältnis von IgG4- zu IgG-positiven Zellen > 40 % oder > 30 IgG4-positive Plasmazellen pro HPF). Vorläufige Differenzialdiagnosen 2 4 Retroperitoneale Fibrose, Differenzialdiagnosen: nach Radiochemotherapie oder bei IgG4assoziierter Erkrankung (histologische Kriterien nicht erfüllt) IgG4 im Serum Die IgG4-Bestimmung im Serum erbrachte mit 0,483 g/l ein normwertiges Ergebnis (Norm: 0,030–2,000 g/l). Ein stoffwechselaktiver Lymphknoten war im Bereich des linken Truncus pulmonalis erkennbar. Periaortal fand sich eine entzündliche Weichteilvermehrung – unterhalb der Nierenhili bis auf Höhe der Iliakalarterien – mit zirkulär vermehrter Tracer-Aufnahme, wobei eine Mitbeteiligung der Aortenwand wahrscheinlich war. Ein Lokalrezidiv wurde nicht nachgewiesen. Histologie einer computertomographisch gesteuerten Punktion der Lungenrundherde In einem Stanzzylinder aus dem linken Lungenunterlappen fanden sich Infiltrate eines mittelgroßzelligen, z. T. nekrotischzerfallendenmäßig pleomorphzelligen Karzinoms mit Tumornekrosen, vereinbar mit Infiltraten eines Adenokarzinoms. Immunhistochemie 2 Zur Differenzierung zwischen einem primären pulmonalen Adenokarzinom und einer Metastase des zuvor diagnostizierten kolorektalen Karzinoms wurde das gewonnene Tumorgewebe vom linken Lungenunterlappen immunhistochemisch analysiert. Hierbei zeigten die Tumorzellen eine kräftige Reaktion mit den Antikörpern gegen CK20 und CDX2-88. Keine Reaktion zeigte sich dagegen mit den Antikörpern gegen den thyreoidalen Transkriptionsfaktor 1 (TTF-1) und Napsin A. Abschließend handelte es sich somit um eine Adenokarzinommetastase des vorbekannten kolorektalen Karzinoms. Endgültige Diagnose Fluordesoxyglukose-Positronenemissionstomographie/ Computertomographie Die Befunde der FluordesoxyglukosePositronenemissionstomographie/Computertomographie (FDG-PET/CT) sind in . Abb. 4 und 5 gezeigt. Bei Zustand nach tiefer anteriorer Rektumresektion aufgrund eines Rektumkarzinoms fanden sich multiple stoffwechselaktive Rundherde im rechten Lungenoberlappen sowie in den Unterlappen beidseits. 4 Paraneoplastisch bedingte, sekundäre retroperitoneale Fibrose bei metachronen Lungenmetastasen eines Rektumkarzinoms Internist 2016 · 57:495–501 DOI 10.1007/s00108-016-0025-y © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 A. Jarosch · M. Tiller · H. Rohrbach · T. Leimbach · W. Schepp Sekundäre retroperitoneale Fibrose nach Rektumkarzinom bei einem 39-jährigen Mann Zusammenfassung Ein 39-jähriger Patient war vor 6 Jahren aufgrund eines Rektumkarzinoms in kurativer Intention mit einer tiefen anterioren Rektumresektion und perioperativen Radiochemotherapie behandelt worden. Alle Nachsorgeuntersuchungen verliefen seitdem unauffällig. Nun stellte er sich mit seit einigen Wochen bestehenden Unterbauchschmerzen vor. Als Schmerzursache zeigte sich eine retroperitoneale Fibrose, die paraneoplastisch durch eine metachrone pulmonale Metastasierung des Rektumkarzinoms bedingt war. Schlüsselwörter Paraneoplastische retroperitoneale Fibrose · Sekundäre retroperitoneale Fibrose · IgG4-assoziierte Erkrankung · Unterbauchschmerzen · Prednisolon Secondary retroperitoneal fibrosis in a 39-year-old man after rectal cancer Abstract A 39-year-old man had been treated for rectal cancer 6 years ago by lower anterior resection of the rectum and perioperative radiochemotherapy. Since then follow-up had been unremarkable but now the patient presented with unspecific lower abdominal pain. The cause of the pain was identified as paraneoplastic retroperitoneal fibrosis secondary to metachronous pulmonary metastases of the rectal cancer. Keywords Retroperitoneal fibrosis, paraneoplastic · Retroperitoneal fibrosis, secondary · IgG4-related disease · Abdominal pain · Prednisolone Therapie und Verlauf Nach Abschluss der Diagnostik wurde bei unserem Patienten die histologisch gesicherte Diagnose einer sekundären RF bei metachroner Lungenmetastasierung des früheren Rektumkarzinoms gestellt, Der Internist 5 · 2016 497 Kasuistiken Abb. 4 8 Fluordesoxyglukose-Positronenemissionstomographie. Periaortal entzündliche Weichteilvermehrung (Pfeile) Abb. 5 8 a Fluordesoxyglukose-Positronenemissionstomographie. b Computertomographie. Stoffwechselaktive Rundherde im rechten Oberlappen sowie in den Unterlappen beidseits (Pfeile) 498 Der Internist 5 · 2016 Tab. 1 Ursachen für eine sekundäre retroperitoneale Fibrose. (Modifiziert nach [1, 3]) Ursachen Beispiele Medikamente Analgetika, β-Blocker, Biologika (Infliximab, Etanercept), Bromocriptin, Ergotamin, Hydralazin, Methyldopa, Methysergid, Pergolid, Phenacetin Maligne Erkrankungen Paraneoplastisch bei Hodgkin- und Non-Hodgkin-Lymphomen, Karzinoiden, Kolon-, Magen-, Mamma- oder Prostatakarzinomen, Sarkomen Infektionen Aktinomykose, Histoplasmose, Tuberkulose Strahlentherapie Radio-/Radiochemotherapie bei Kolonkarzinom, Pankreaskarzinom, Seminom Chirurgische Eingriffe Entfernung eines Aortenaneurysmas, Kolektomie, Hysterektomie, Lymphadenektomie Andere Ursachen Amyloidose, Asbestexposition, Erdheim-Chester-Erkrankung, Histiozytose, Tabakrauch, Trauma wobei eine IgG4-assoziierte Erkrankung sich nicht sichern ließ. In der Vorgeschichte waren die Nachsorgeuntersuchungen nach Rektumresektion stets unauffällig geblieben, so auch letztmals 10 Monate früher im Januar 2014. Damals war in einer MRT des Abdomens kein Hinweis auf ein Rezidiv, Metastasen oder eine RF aufgefallen (. Abb. 1a). Auch bei der aktuellen Vorstellung fiel im Vergleich zur Voruntersuchung lediglich ein minimaler Anstieg des Tumormarkers CEA auf. Aufgrund der RF begannen wir eine Therapie mit Prednisolon in einer Dosierung von 1 mg/kgKG (Tagesdosis 80 mg), worauf sich die Beschwerden des Patienten rasch zurückbildeten. Das CRP lag bereits 2 Wochen nach Therapiebeginn im Normbereich. Im weiteren Verlauf konnte die Prednisolondosis reduziert werden, zuletzt betrug sie 20 mg/Tag. Gleichzeitig erfolgte die Diskussion des Falls in unserer interdisziplinären Tumorkonferenz, in der die Einleitung einer palliativen Chemotherapie empfohlen wurde. In der CT-Kontrolle nach Abschluss des ersten Chemotherapiezyklus zeigte sich sowohl ein Rückgang der retroperitonealen Gewebsmasse als auch der Metastasen. und früher Morbus Ormond genannt wurde, ist eine entzündliche Gewebsvermehrung, die neben der Aorta häufig auch andere abdominale Organe oder die Ureteren ummanteln kann [1]. Bei dieser seltenen Erkrankung unterscheidet man idiopathische von sekundären Formen, wobei mehr als zwei Drittel der Fälle auf die idiopathische Form zurückzuführen sind. Die Inzidenz der idiopathischen RF wird in der Literatur recht unterschiedlich angegeben, höchstens jedoch mit 1,3 pro 100.000 Einwohner, wobei das mittlere Erkrankungsalter zwischen 50 und 60 Jahren liegt und Männer 2- bis 3-mal häufiger erkranken [2]. Hinsichtlich der sekundären Form existieren keine verlässlichen Daten über Inzidenz und Prävalenz [3]. Als Ursache der sekundären RF sind mittlerweile zahlreiche Auslöser beschrieben worden. Dazu gehören neben größeren chirurgischen Eingriffen, Strahlentherapie, Infektionserkrankungen, Asbest- oder Tabakrauchexposition und diversen Medikamenten auch verschiedene maligne Erkrankungen, z. B. Karzinoide, Hodgkin- und Non-Hodgkin-Lymphome, aber eben auch Magenoder Kolonkarzinome (. Tab. 1). Pathogenese Diskussion Idiopathische und sekundäre Formen der retroperitonealen Fibrose Charakteristisch für die RF, die auch als chronische Periaortitis bezeichnet wird Die Pathogenese der RF ist letztlich noch nicht eindeutig geklärt, jedoch finden sich aktuell zwei unterschiedliche Theorien: Die historisch ältere beschreibt die RF als eine überschießende lokale Entzündungsreaktion auf die fortgeschrittene aortale Atherosklerose [4]. Da die RF allerdings auch andere Gefäßabschnitte befallen kann, welche üblicherweise nicht von einer Atherosklerose betroffen sind, wird in neuerer Zeit die Hypothese favorisiert, dass v. a. die idiopathische RF als Manifestation einer systemischen Autoimmunerkrankung zu werten ist. Zusammenhang mit IgG4assoziierten Erkrankungen Da sich häufig auch erhöhte IgG4-Serumspiegel und IgG4-produzierende Plasmazellen nachweisen lassen, liegt der Verdacht nahe, dass die idiopathische RF zum Formenkreis der IgG4-assoziierten Erkrankungen zählt [5]. Bei den IgG4-assoziierten Erkrankungen handelt es sich um verschiedene, häufig systemische entzündliche Erkrankungen, die eine gemeinsame Pathologie sowie Serologie aufweisen und klinische Merkmale gemeinsam haben. Als deren Hauptvertreter wird die IgG4-positive Autoimmunpankreatitis angesehen, jedoch können neben dem Pankreas als Hauptmanifestationsortzahlreiche andere Organe betroffen sein, so auch das Retroperitoneum und die Aorta [5]. Charakteristisch sind u. a. eine tumorähnliche Schwellung der betroffenen Organe und der Nachweis von IgG4-positiven Plasmazellen [6], was besonders anfangs auch in unserem Fall eine IgG4-assoziierte Erkrankung als Ursache der RF wahrscheinlich erscheinen ließ. Wichtig sind daher die Einhaltung strikter histopathologischer Kriterien und eine umfangreiche weiterführende Diagnostik. Histopathologische Kriterien sind ein Verhältnis von IgG4- zu IgGpositiven Zellen > 40 % oder > 30 IgG4positive Plasmazellen pro HPF [7, 8]. Wie wichtig deren Einhaltung ist, zeigt neben unserem Fallbeispiel auch eine Fallstudie an 12 Patienten, welche die Beziehung von IgG4 sowohl zur idiopathischen als auch zur sekundären RF untersuchte. Während in 5 von 6 Fällen der idiopathischen Form ein Zusammenhang nachweisbar war, gelang lediglich in 2 von 6 Fällen der sekundären RF ein histologischer Nachweis von IgG4-positiven Plasmazellen. Interessanterweise erhielten diese beiden Patienten analog zu unserem Fallbeispiel zuvor eine Radiochemotherapie und erfüllten letztlich Der Internist 5 · 2016 499 Kasuistiken die harten diagnostischen Kriterien einer IgG4-assoziierten Erkrankung nicht [8]. Symptomatik und Diagnostik Unabhängig von der Ätiologie ist eine RF klinisch meist nur schwer zu erkennen, da ihre Symptome für gewöhnlich unspezifisch sind. Mitunter klagen die Patienten auch über dumpfe abdominale Schmerzen, Rückenschmerzen, allgemeines Unwohlsein, Fieber oder Gewichtsverlust [1]. Die häufigste Komplikation ist eine Einschränkung der Nierenfunktion bis hin zum Nierenversagen durch die Obstruktion eines oder beider Ureteren, was sich klinisch in kolikartigen Flankenschmerzen äußert und weswegen stets eine Proteinurie ausgeschlossen und das Urinsediment untersucht werden sollte [3]. Auch laborchemisch finden sich keine RF-spezifischen Parameter. Leukozyten, CRP und Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit geben Hinweise auf eine entzündliche Aktivität und können als Verlaufsparameter unter Therapie genutzt werden. Ein erhöhter SerumIgG4-Spiegel kann auf eine IgG4-assoziierte RF hinweisen, allerdings findet sich dieser lediglich bei 60–70 % der Patienten mit IgG4-assoziierten Erkrankungen. Zur Diagnosefindung eignen sich primär die verschiedenen bildgebenden Verfahren wie Ultraschall, CT oder MRT. Als kostengünstigste und am einfachsten verfügbare Untersuchung steht hier initial meist die Ultraschalldiagnostik, die ihren Stellenwert v. a. durch den Ausschluss einer Hydronephrose erlangt. Der konkrete Verdacht auf eine RF ergibt sich dann zumeist aus der CT- oder MRT-Untersuchung, welche die retroperitoneale bzw. periaortale Gewebsvermehrung sichtbar macht [1]. Wie auch unser Fallbeispiel zeigt, liegt der Vorteil von ergänzenden nuklearmedizinischen Methoden wie der PET darin, dass sie die entzündliche Aktivität des ganzen Körpers sichtbar machen. Entsprechend kann die FDG-PET nicht nur zum Verlaufsmonitoring genutzt werden, sondern dient im Rahmen der Diagnosefindung auch dazu, andere Entzündungsherde aufzudecken. Dabei detektiert sie nicht nur weitere befalle- 500 Der Internist 5 · 2016 ne Gefäßabschnitte oder beispielsweise im Rahmen einer IgG4-assoziierten Erkrankung zusätzlich betroffene Organe, sondern auch okkulte neoplastische und infektiöse Prozesse, die eine RF verursachen oder mit ihr assoziiert sein können [9]. Trotz dieser Vorteile werden die Kosten einer PET/CT bei dieser Indikation in Deutschland zurzeit nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet. Zur finalen Diagnosefindung sollte immer eine histologische Sicherung angestrebt werden, da etwa Lymphome initial auch auf eine Steroidtherapie ansprechen und somit anderweitig behandelbare Erkrankungen sonst nicht oder zu spät erkannt werden könnten [1–3, 10]. le 3 Monate empfohlen [15]. Bei einer sekundären RF erscheint eine CT-Kontrolle wie in unserem Fall frühestens nach 3 Monaten bzw. nach Abschluss der Therapie der Grunderkrankung sinnvoll. Zusammenfassend zeigt unser Fallbeispiel, dass die RF eine seltene Ursache für Unterbauchschmerzen sein kann und immer eine erweiterte Umfelddiagnostik nach sich ziehen sollte. Etwa ein Drittel aller Fälle sind sekundäre Formen. Wie bei unserem Patienten können sie den ersten Hinweis auf ein Rezidiv oder einen Tumorprogress geben. Ein histologischer Nachweis von IgG4-positiven Plasmazellen schließt dabei eine sekundäre Ursache nicht aus. Fazit für die Praxis Therapie 4 Die Symptome einer RF sind unspezi- Als Erstlinientherapie der RF gilt unabhängig von der Genese die Glukokortikoidtherapie. Die Dosierung sollte anfangs 1 mg/kgKG täglich betragen, maximal jedoch 80 mg Prednisolon. Innerhalb des ersten Monats wird eine klinische und laborchemische Reevaluation der Therapie empfohlen. Bei einem guten Ansprechen kann die Dosierung über 3–4 Monate auf eine Erhaltungsdosis von 5–10 mg gesenkt werden, die für weitere 6–9 Monate aufrechterhalten werden sollte [3]. Bei Patienten mit Kontraindikationen gegen Prednisolon steht alternativ Tamoxifen zur Verfügung, auch wenn hierunter im Vergleich zu Prednisolon häufiger Rückfälle beobachtet werden [11]. Im Falle einer therapierefraktären idiopathischen RF oder eines Rückfalls kann die Prednisolontherapie zusätzlich um Methotrexat [12] oder Mycophenolatmofetil [13] erweitert werden. Darüber hinaus steht mit Rituximab ein effektives Zweitlinientherapeutikum zur Verfügung [6]. Im Falle sekundärer Formen der RF steht die Therapie der Grunderkrankung im Vordergrund, dies nicht zuletzt, da auch bei malignen Ursachen spontane Heilungen der RF nach erfolgreicher Tumortherapie beschrieben wurden [14]. Bezüglich der bildgebenden Kontrollen, z. B. mittels CT, finden sich in der Literatur wenig eindeutige Maßgaben. Im Falle der idiopathischen RF wird eine erste CT-Kontrolle nach einem, dann al- 4 4 4 4 4 4 fisch. Nicht selten fehlen sie gänzlich oder fallen erst durch sekundäre Symptome des Harnstaus und der Nierenerkrankung auf. Die häufigste Form ist die idiopathische RF, jedoch kann sie sekundär auch durch Medikamente, Infektionen, maligne Erkrankungen, chirurgische Eingriffe, Bestrahlung, Rauchen oder Asbestexposition ausgelöst werden bzw. in Form einer IgG4assoziierten Erkrankung auftreten. Ein histologischer IgG4-Nachweis schließt eine sekundäre Ursache der RF nicht aus, entscheidend sind die absolute Anzahl an IgG4-positiven Plasmazellen pro HPF sowie das Verhältnis von IgG4- zu IgG-positiven Zellen. Die Diagnostik erfolgt primär durch bildgebende Verfahren und sollte durch eine Biopsie gesichert werden. Leukozyten und CRP können als Verlaufsparameter dienen. Bei Diagnose einer RF sollte unbedingt ein umfangreicher Ausschluss sekundärer Ursachen erfolgen. Die Therapie der Wahl ist unabhängig von der Genese eine Steroidtherapie mit Prednisolon. Bei einer sekundären RF muss eine Behandlung der Grunderkrankung erfolgen. Lesetipp Korrespondenzadresse Dr. med. A. Jarosch Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Gastroenterologische Onkologie, Klinikum Bogenhausen, Akademisches Lehrkrankenhaus der Technischen Universität München, Städtisches Klinikum München GmbH Englschalkinger Str. 77, 81925 München, Deutschland [email protected] Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt. A. Jarosch, M. Tiller, H. Rohrbach, T. Leimbach und W. Schepp geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. AllePatienten, dieüberBildmaterialoderanderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts zu identifizieren sind, haben hierzu ihre schriftliche Einwilligung gegeben. Im Falle von nicht mündigen Patienten liegt die Einwilligung eines Erziehungsberechtigten oder des gesetzlich bestellten Betreuers vor. Literatur 1. Vaglio A, Salvarani C, Buzio C (2006) Retroperitoneal fibrosis. Lancet 367(9506):241–251 2. van Bommel EF et al (2009) Idiopathic retroperitoneal fibrosis: prospective evaluation of incidence and clinicoradiologic presentation. 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Januar 2016 ® Hirntod Seit Juli 2015 gelten für die Hirntoddiagnostik die neuen Richtlinien der Bundesärztekammer in ihrer 4. Fortschreibung. Der Focus der Zeitschrift Der Nervenarzt wurde daher in der Ausgabe 02/2016 auf den Schwerpunkt „Hirntod“ gerichtet. Sie erhalten Informationen über die neuen Richtlinien und einen Überblick über den Stand der Diskussion zu diesem sensiblen Thema, das für alle Ärzte bei der Arbeit im Klinikalltag eine wichtige Rolle spielt. 4 Kommentar zur Stellungnahme des Ethikrates 4 Vierte Fortschreibung der Richtlinie zur Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls. Verfahrensabläufe und Neuerungen 4 EEG und Evozierte Potentiale zum Irreversibilitätsnachweis der klinischen Ausfallssymptome des Gehirns 4 Angiographische Verfahren zur Feststellung des zerebralen Zirkulationsstillstandes 4 Organspende nach Herz- und Kreislauftod Bestellen Sie diese Ausgabe zum Preis von 39,– EUR (zzgl. Versandkosten) bei Springer Customer Service Center Kundenservice Zeitschriften Haberstr. 7 69126 Heidelberg Tel.: +49 6221-345-4303 Fax: +49 6221-345-4229 E-Mail: [email protected] Suchen Sie noch mehr zum Thema? Mit e.Med, dem Online-Paket von Springer Medizin, können Sie schnell und komfortabel in über 600 medizinischen Fachzeitschriften recherchieren. Weitere Infos unter springermedizin.de/eMed. Der Internist 5 · 2016 501 Arzneimitteltherapie Internist 2016 · 57:502–507 DOI 10.1007/s00108-016-0039-5 Online publiziert: 14. April 2016 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 Redaktion M. Wehling, Mannheim In Deutschland leben Anfang 2016 geschätzt etwa 5 Mio. Erwachsene mit Diabetes mellitus Typ 2 [8]. Mit der zunehmenden Lebenserwartung und der besseren individualisierten Diabetesbehandlung wird diese Zahl in den nächsten Jahren sicherlich weiter anwachsen. Die höchste Prävalenz des Typ-2-Diabetes findet sich bisher in der Alterskohorte zwischen 70 und 80 Jahren, etwa 2–3 Mio. Menschen [27]. Nicht allein das chronologische Alter, sondern Multimorbidität, multiple Funktionsstörungen und Gebrechlichkeit machen den älteren Menschen zum geriatrischen Patienten. Die Multimorbidität bedingt dann oft leichtfertig den Griff zur Multimedikation. Nach dem Arzneimittelreport der Barmer GEK [7] nehmen über 80-Jährige im Schnitt 7–8 Medikamente ein. Menschen sind stärker »durchÄltere medikamentöse Wechselund Nebenwirkungen gefährdet Bereits vor 10 Jahren wurde gezeigt, wie man durch ein Vorgehen, dass sich starr an Leitlinien orientiert, dem geriatrischen Patienten mit Multimorbidität extremen Schaden zufügen kann [2]. Ältere Menschen sind aufgrund der pharmakodynamischen und -kinetischen Besonderheiten stärker gefährdet, durch Wechsel- und Nebenwirkungen zu Schaden zu kommen. Dies gilt natürlich besonders für die Therapie des metabolischen Syndroms, in der nicht nur verschiedene orale antihyperglykämische Wirkstoffe verabreicht werden, sondern 502 Der Internist 5 · 2016 A. Zeyfang1,2 1 2 AGAPLESION Bethesda Krankenhaus Stuttgart, Stuttgart, Deutschland Institut für Epidemiologie, Universität Ulm, Ulm, Deutschland Individualisierte Diabetestherapie bei älteren Menschen auch diverse weitere Pharmaka zur Behandlung der Begleit- und Folgeerkrankungen. Die Zahl der medikamentösen Interaktionen lässt sich leicht berechnen (. Abb. 1). Bereits bei 7 Medikamenten kommt man auf 21 Wechselwirkungsmöglichkeiten. Die Besonderheiten beim älteren Menschen gaben Anlass, viele verschiedene Listen potenziell ungeeigneter Medikamente zu erstellen; die älteste ist die Beers-Liste, die 1991 entwickelt und in den Folgejahren fortgeschrieben wurde. Auch Stopp-Start-Kriterien sowie die PRISCUS-Liste aus dem deutschsprachigen Raum [10] geben Empfehlungen zum Medikamenteneinsatz beim älteren Patienten. Eine konsensusbasierte Liste von deutschsprachigen Experten der Altersmedizin ist die Fit-forthe-Aged(FORTA)-Liste, deren Empfehlungsgrade von A bis D in diesem Beitrag wiedergegeben werden [12]. Dabei spielen nicht nur pharmakologische Überlegungen eine Rolle, auch Besonderheiten des Älteren bezüglich des altersspezifischen Nebenwirkungspotenzials (Schwindel, Stürze oder komplexe Einnahmevorschriften) werden in dieser Empfehlung berücksichtigt [22]. Eine Injektionstherapie »erfordert ausreichende sensorische und motorische Fähigkeiten Bevor eine Pharmakotherapie beim Älteren wirken kann, müssen die Wirkstoffe zunächst in den Körper gelangen. Das ist nicht immer einfach. Eine besondere Herausforderung sind im Bereich der Diabetestherapie alle Vorgehensweisen, die aufeinerInjektionbasieren, da hierfür besondere sensorische und motorische Fähigkeiten intakt sein müssen. Noch schwieriger sind für viele ältere Menschen komplexe Vorgaben, bei denen beispielsweise anhand von selbstgemessenen Blutzuckerwerten, zugeführten Kohlehydraten und einem Berechnungsalgorithmus die Insulindosen selbst errechnet werden müssen. Wird eine Therapie beim älteren Menschen begonnen und gar noch mit dem Patienten im Rahmen von Schulungsmaßnahmen besprochen, zeigt sich im Vergleich zu jüngeren Menschen gerade bei der Diabetestherapie eine höhere Compliance der Älteren [6]. Je nach Augenmaß des verordnenden Arztes kann dies ein Vor- oder Nachteil sein. Überlegungen zur individualisierten Diabetestherapie Beim älteren Menschen spielen Wechselwirkungen zwischen den sog. geriatrischen Syndromen und der chronischen Erkrankung Diabetes eine wesentliche Rolle. So wirkt sich beispielsweise die kognitive Leistungsminderung bis hin zur Demenz ganz besonders stark auf die Diabetesbehandlung und die Selbstmanagementfähigkeiten aus [20]. Unterzuckerungen treten bei Menschen mit kognitiven Einschränkungen signifikant häufiger auf [4]. Umgekehrt bewirken schwere Hypoglykämien nach heutigem Kenntnisstand ein signifikant häufigeres Auftreten von späterer Demenz. 2 i = (n – n) / 2 Abb. 1 8 Interaktionen in Abhängigkeit von der Anzahl der Medikamente. Sieben Medikamente ergeben beispielsweise 21 Interaktionspaare, die zu überprüfen sind. i Anzahl der Interaktionspaare; n Anzahl der Medikamente. (Nach [15]) Somit stellt sich in der Arzneimitteltherapie eine prinzipielle Sicherheitsfrage, die den Einsatz von Medikationen mit potenziellem Hypoglykämierisiko im Entscheidungsalgorithmus sehr weit nach unten verschiebt. Überlegungen bezüglich des Einsatzes von oralen antidiabetischen Medikationen oder injektionsbedürftigen Therapien sind im Entscheidungsprozess wichtig. Hilfreich ist es, den älteren Menschen einer Funktionsgruppe zuzuordnen, wie etwa in der Praxisleitlinie zu Diabetes im Alter beschrieben ist (. Infobox 1; [25]). Unterzuckerungen treten »bei kognitiven Einschränkungen signifikant häufiger auf Auf das Vorliegen von geriatrischen Syndromen können die Patienten mithilfe der Testverfahren des sog. geriatrischen Assessments gescreent werden [24], u. a. auch in Bezug auf Depression, Demenz, Seh- und Hörstörungen. Einfache Untersuchungen eigenen sich auch für die internistische und diabetologische Sprechstunde. Ein besonderes Augenmerk sollte vor dem Einsatz von Injektionstherapien auf Visus, Feinmotorik und Kognition gelegt werden, wenn eine Selbstinjektion geplant wird. Hier kann mit dem sog. Geldzähltest innerhalb weniger Minuten die Fähigkeit zur Selbsttherapie objektiviert werden. Anhand dieses Tests lässt sich mit einem guten prädiktiven Wert vorhersagen, welcher Patient in der Lage sein wird, seine Insulintherapie sicher und selbstständig durchzuführen [28]. Individuelle Therapie – individuelle Ziele Für eine individualisierte Diabetestherapie sind zunächst individualisierte Zie- Infobox 1 Einteilung älterer Menschen mit Diabetes in Funktionsgruppen 4 Guter funktioneller Status („go go“) 4 Eingeschränkter funktioneller Status („slow go“) 4 Extrem eingeschränkter funktioneller Status („no go“) le erforderlich. Wie häufig in der Altersmedizin steht hier nicht die reine Verlängerung der Lebenszeit im Vordergrund, sondern eine Verbesserung der Lebensqualität im verbliebenen Lebenszeitraum. Dies ist keinesfalls als Entschuldigung für eine fatalistische Vorgehensweise zu verstehen, sondern richtet eher das Augenmerk auf aktuelle Verbesserungen der Lebenssituation des älteren Patienten, weniger dagegen auf langfristige Ansätze derprimärenodersekundären Prävention. Individuelle Ziele haben dabei die höchste Priorität, diese sind mit dem Patienten zu besprechen und abzustimmen. Auch der Zeitaufwand, der für eine bestimmte Therapieform jeden Tag erbracht werden muss, und die Angst, mit einer Therapie nicht zurechtzukommen, sollten im Gespräch mit dem Patienten offen thematisiert werden. Letztlich spielt der Aspekt Sicherheit beim älteren Menschen eine sehr wichtige Rolle. Dies gilt nicht nur in Bezug auf Neben- und Wechselwirkungen der Therapie, gerade bei der Insulintherapie ist auch die Hypoglykämiegefahr von wesentlicher Bedeutung. In einer Stellungnahme der International Association of Gerontology and Geriatrics (IAGG; [21]) finden sich diesbezüglich einige prägnante Aussagen (. Infobox 2). Glibenclamid und Glimepirid Für den Einsatz von Glibenclamid sprach lange Zeit der günstige Preis, der Effekt auf den Surrogatparameter Hämoglobin A1c (HbA1c) sowie die höchste Empfehlung im Disease-ManagementProgramm Typ-2-Diabetes. Erst langsam wird klar, dass die hohe Rate an Hypoglykämien – besonders bei Glibenclamid – den Einsatz von Sulfonylharnstoffen älterer Generation obsolet Infobox 2 Merksätze zur Therapiesicherheit aus der Stellungnahme der International Association of Gerontology and Geriatrics (IAGG; [21]) 4 Kein Beginn einer medikamentösen Diabetestherapie unter einem regelhaft erhöhten Nüchternblutzucker von 7 mmol/l: „nicht unter 7“ (126 mg/dl) 4 Zur Reduktion des Hypoglykämierisikos sollte kein Patient einen Nüchternglukosewert < 6,0 mmol/l aufweisen: „nicht unter 6“ (108 mg/dl) 4 Niedrige Blutglukosewerte < 5,0 mmol/l sollten streng vermieden werden: „niemals unter 5“ (90 mg/dl) macht; auch der fehlende klinische Vorteil im Hinblick auf kardiovaskuläre Endpunkte und der Wegfall des Nutzens der Metformintherapie bei Zugabe von Sulfonylharnstoffen [17] sprechen deutlich gegen den Einsatz. Auch Glimepirid oder andere Sulfonylharnstoffe scheinen gegenüber Glibenclamid keine Vorteile aufzuweisen [13]. Die kurz wirksamen Glinide können auch bei Niereninsuffizienz eingesetzt werden, sind aber wegen des hohen Preises, der geringen Wirksamkeit und der erforderlichen Mehrfachgabe ebenfalls wenig geeignet. Metformin Metformin ist ein altbewährter Wirkstoff. Seit mehr als 50 Jahren im Einsatz hat es mit den üblichen Pendelbewegungen zwischenhochgelobtund verteufelteinen hohen Stellenwert in der Diabetestherapie des Menschen im mittleren Lebensalter erreicht, besonders bei Adipositas. Auch im Alter spielen Adipositas und Insulinresistenz oft noch eine wesentliche Rolle. Hier wird Metformin als orales Antidiabetikum ohne Hypoglykämierisiko erfolgreich zur Blutzuckersenkung eingesetzt. Durch pleiotrope Effekte auf Blutfette und Blutgerinnung senkt es zusätzlich auch das kardiovaskuläre Risiko [23]. Gefährlich wird es, wenn Kontraindikationen nicht beachtet werden, z. B. wenn es bei einer hochgradigen Niereninsuffizienz zur Kumulation kommt. Neu ist die Zulassung bis zu einer Kreatininclearance von 45 ml/min bei BeschränDer Internist 5 · 2016 503 Zusammenfassung · Abstract kung der Maximaldosis auf 1 g/Tag. Diese sinnvolle Maßnahme im Einklang mit anderen Ländern soll nicht überspielen, dass Metformin zwar potent, aber auch gefährlich ist. Eine Empfehlung zum vorübergehenden Absetzen bei jedweder schwereren Erkrankung, Intervention oder Kontrastmittelgabe sollte selbstverständlich immer durch den Arzt erfolgen. Auch bei ungewolltem Gewichtsverlust oder Gebrechlichkeit muss Metformin durch eine anabolere Therapieform ersetzt werden. Glitazone Auch bei den Glitazonen sind seit ihrer Erstzulassung im Jahr 2000 Pendelbewegungen sichtbar. Während die Peroxisomal-proliferator-activated-receptorγ(PPAR-γ)-Agonisten zunächst auch bei älteren Menschen zum Einsatz kamen, fand sich mit der Kontraindikation Herzinsuffizienz rasch eine Limitation für den Einsatz in dieser Gruppe von Patienten. Nachdem Rosiglitazon wegen kardiovaskulärer Nebenwirkungen bei uns die Zulassung verloren hat und nur noch Pioglitazon eingesetzt werden darf, ist ein pleiotroper Nebeneffekt des Wirkstoffs gerade für den älteren Menschen wieder in den Vordergrund gerückt. Der langjährige Einsatz von Pioglitazon scheint sich positiv in puncto Senkung des Demenzrisikos auszuwirken [9]. Internist 2016 · 57:502–507 DOI 10.1007/s00108-016-0039-5 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 A. Zeyfang Individualisierte Diabetestherapie bei älteren Menschen Zusammenfassung Hintergrund. Eine große Zahl älterer Menschen mit Diabetes ist multimorbid, gebrechlich oder in den Funktionen eingeschränkt. Polypharmakotherapie ist leider eher die Regel und riskant. Insbesondere der Einsatz von antihyperglykämischen Therapien muss vor dem Hintergrund der Gefahren durch Hypoglykämien gründlich abgewogen werden. Ziel. Besonderheiten des älteren Menschen mit Diabetes und die hierdurch bedingten Besonderheiten der individualisierten Pharmakotherapie sollen diskutiert werden. Datenlage und Schlussfolgerung. Vor- und Nachteile von oralen Antidiabetika, Insulinen und Substanzen mit neuen Wirkprinzipien, wie Gliflozinen, werden dargestellt; die Eignung bei Älteren wird diskutiert. Sowohl ältere orale Therapeutika wie Metformin als auch neue Substanzgruppen wie Gliptine bieten Vorteile in dieser Patientengruppe. Injektionstherapien mit Inkretinmimetika und neue Insuline können bei wohlüberlegtem Einsatz das Therapiespektrum ebenfalls erweitern. Schlüsselwörter Geriatrische Syndrome · Dipeptidylpeptidase4-Inhibitoren · Metformin · Insuline · Komorbidität Individualized diabetes therapy in older persons Abstract Background. A majority of older people with type 2 diabetes are multimorbid, frail or have limitations in functions. Polypharmacotherapy is unfortunately a frequent occurrence and dangerous. In particular the administration of antihyperglycemic therapy must be carefully weighed up against the risks associated with hypoglycemia. Aim. The conditions and characteristics of older persons with diabetes are highlighted with respect to the use of individualized therapy of diabetes. Results and conclusion. The advantages and disadvantages of oral antidiabetic agents, insulins and substances with novel active principles, such as gliflozin drugs are discussed. Established oral therapeutic drugs, such as metformin as well as the new substance groups, such as gliptins are advantageous in this patient group. Injectionbased therapies with glucagon-like peptide 1 (GLP-1) mimetics and the new insulins can also expand the spectrum of therapy if they are prudently used. Keywords Geriatric syndromes · Dipeptidyl peptidase 4 inhibitors · Metformin · Insulins · Comorbidity Dipeptidylpeptidase-4-Hemmer Die Stoffgruppe der Dipeptidylpeptidase-4(DPP-4)-Hemmer ist inzwischen eine der am stärksten favorisierten Medikamentengruppen zur antihyperglykämischen Therapie bei älteren Menschen. Dies kommt u. a. dadurch zustande, dass die Anwendung sehr sicher und die Kumulations- und Hypoglykämiegefahr gering ist, auch bei Kombination mit anderen oralen Antidiabetika – abgesehen von Sulfonylharnstoffen. Die Einmalgabe in Monotherapie oder die 2-mal tägliche Gabe beispielsweise in Kombination mit Metformin macht die Compliance leicht [25]. Da der Einsatz einiger Gliptine in reduzierter Dosierung bis hin zur Niereninsuffizienz möglich ist, liegt die Anwendung dieser besonders nebenwir- 504 Der Internist 5 · 2016 kungsarmen Medikamentengruppe im hohen Lebensalter nahe. Sitagliptin und Saxagliptin sind in Deutschland verfügbar, auch in Kombination mit Metformin und anderen Wirkstoffen. Gliflozine Zuletzt wurde die antihyperglykämische Medikamentengruppe der Gliflozine auf den Markt gebracht. Ihre Vorzüge liegen in einer ebenfalls fehlenden Hypoglykämiegefahr und in einem leicht katabolen Effekt durch Glukoseverlust mit dem Urin bei leichtem diuretischem Effekt. Die Wirkstoffe Dapagliflozin und Empagliflozin sind noch auf dem deutschen Markt, während andere Substanzen be- reits nicht mehr erhältlich sind. Zuletzt wurde für Empagliflozin ein besonderer Nutzen in Bezug auf die Senkung der kardiovaskulären Ereignisrate gezeigt [29]. Ob dies ein Gruppeneffekt ist, ist noch nicht klar. Ein Nachteil der Gliflozine liegt im Wirkmechanismus der Natrium-Glukose-Kotransporter-2(SGLT-2)Hemmung begründet, die nur bei guter Nierenfunktion ausreichend zum Tragen kommt. Bei Einschränkungen der Nierenfunktion nimmt auch die Wirkung der Stoffgruppe ab. Die Hauptnebenwirkung besteht in Urogenitalinfekten durch Glukosurie. Sie hängt stark von individuellen Gegebenheiten wie Hygiene oder Harninkontinenz ab und könnte theoretisch im Alter stärker ins Gewicht fallen. Tab. 1 Bewertung der antihyperglykämischen Behandlung nach FORTA 2012 [12] bei Diabetes mellitus Typ 2 und erwartete Tendenz bei der Neuauflage 2016 Stoffklasse/Substanz FORTA-Kategorie Zukünftige 2012 Beurteilung Insulin und Insulinanaloga A ↓ (B) Sulfonylharnstoffe der dritten Generation (z. B. Glimepirid) A ↓↓ (C) Sulfonylharnstoffe der ersten Generation (z. B. Glibenclamid) B ↓↓ (D) Metformin B = (B) Acarbose B ↓ (C) Glinide (z. B. Nateglinid) C = (C) DPP-4-Hemmer C ↑↑ (A) GLP-1-Analoga C ↑ (B) – Pioglitazon C = (C) – Rosiglitazon D = (D) PPAR-γ-Liganden DPP-4 Dipeptidylpeptidase 4; FORTA Fit for the Aged; GLP-1 „glucagon-like peptide 1“; PPAR-γ „peroxisomal proliferator-activated receptor γ“ Die Beurteilung der antihyperglykämischen Therapie nach FORTA und die Tendenzen der zukünftigen Beurteilung sind in . Tab. 1 zusammengefasst. Insulintherapie In verschiedenen Leitlinien für Typ2-Diabetes wird für den Beginn der pharmakologischen Therapie Metformin oder ein Sulfonylharnstoff empfohlen [11]. Wahlweise kann man dann eine Zweifach- bzw. Dreifachtherapie mit oralen Antidiabetika wählen oder direkt auf Insulin umsteigen. Das Vorgehen bei älteren Menschen sollte sich an den Vorlieben des Patienten ausrichten. Alternativ zu 3 verschiedenen oralen Antidiabetika ist eine relativ frühzeitige Umstellung auf das Hormon Insulin möglich. Mit geeigneten Schulungsmaßnahmen, einfachen Schemata und unter Vermeidung einer Hypoglykämiegefahr kann eine sichere Behandlung mit dem natürlichsten Wirkstoff durchgeführt werden. Die zunehmende Nieren»insuffizienz ist ein typisches Therapieproblem bei Älteren Viele ältere Menschen mit Typ-2-Diabetes zeigen mit zunehmendem Alter und zunehmender Krankheitsdauer eine immer ausgeprägtere Insulinsekretionsschwäche. Speziell geriatrische Patienten mit Diabetes weisen häufig schon initial ein nahezu normales Körpergewicht bzw. sogar Untergewicht und Mangelernährung auf, damit steht bei ihnen primär ein Insulinmangel im Vordergrund. Die zunehmende Niereninsuffizienz ist ebenfalls ein typisches Problem des Alters. Damit fallen wichtige orale Therapieoptionen bei Typ-2-Diabetes aus. Die Zahl der Patienten mit schlankem Habitus, bei denen sich noch im Alter ein Typ-1-Diabetes manifestiert („latent autoimmune diabetes in adults“ [LADA]), scheint ebenfalls nicht unerheblich zu sein [14]. Auch nimmt erfreulicherweise die Zahl der Menschen zu, die mit einem Typ-1-Diabetes alt werden. Oft stellt sich deshalb im Therapiealgorithmus bei Diabetes im Alter früh die Frage nach der Insulingabe unter Abwägung des Hypoglykämierisikos. Klassische Insuline Zu den klassischen kurz wirksamen Humaninsulinen und den verzögerten NPH-Insulinen lässt sich generell feststellen, dass diese in den letzten Jahren eher seltener zum Einsatz gekommen sind [26]. Dies hängt sicher mit der Notwendigkeit zusammen, Protaminverzögerte Insuline zu mischen, zudem mit der Gefahr von Hypoglykämien in Hier steht eine Anzeige. K Arzneimitteltherapie der Zeit zwischen Injektion und Nahrungseinnahme sowie mit den relativ starren Injektions- und Essenszeiten. Dennoch sind auch diese Therapieformen immer noch verbreitet. Analoga Die kurz wirksamen Analoga erweisen sich beispielsweise durch den fehlenden Spritz-Ess-Abstand als vorteilhaft. Ein weiterer Pluspunkt ist die Möglichkeit, das Insulin bei unterschiedlicher Essensmenge auch postprandial zu injizieren. Auch lang wirksame Analoga wie Insulin glargin oder detemir sind von Vorteil. So kann beispielsweise Insulin glargin als morgendliches, lang wirksames Insulin gespritzt werden und damit im Gegensatz zu einem NPH-Insulin zur Schlafenszeit eine morgendliche Einmalspritze beim Älteren ermöglichen. Die meisten älteren Patienten mit Diabetes mellitus wünschen sich „so wenig Insulinspritzen, wie möglich“ [18]. Diese Therapieform kann auch ein externer Pflegedienst unproblematisch verrichten. EinenbesonderenVorteil diesbezüglich bietet Insulin degludec, das aufgrund seiner besonderen Kettenstruktur eine Variation des Spritzzeitpunkts um bis zu 4 h bietet. Kein Pflegedienst kommt jeden Tag auf die Minute pünktlich. Leider wurde durch das Verfahren nach dem Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) der Vertrieb in Deutschland unwirtschaftlich, ab 2016 wurde er daher eingestellt. Konzentrierte Analoga U-200-Insuline Die kurz wirksamen U-200-Analoga bieten beim älteren Menschen potenzielle Vorteile, z. B. den etwas günstigeren Preis und die geringere Einstichfrequenz bei hoher Insulindosis sowie die Vermeidung von Lipohypertrophien. Liegt eine Insulinresistenz vor, kann bei Mengen von über 60 Einheiten eine Verbesserung der Lebensqualität bewirkt werden, da das Teilen der Insulininjektion wegfällt. Neben den üblichen Injektionsproblemen, wie einem zu seltenen Nadelwechsel, unbemerkten Defekt des Pens oder zu frühen Herausziehen der Nadel, 506 Der Internist 5 · 2016 ist die Lipohypertrophie durch Nichtwechseln der Insulinspritzstellen bei älteren Menschen mit Insulintherapie oft Ursache ungeklärter Stoffwechselschwankungen. Auch viele Patienten mit Insulintherapie, die von einem Pflegedienst versorgt werden, haben Lipohypertrophien. So besteht immer noch ein hoher Bedarf an Diabetesschulungen für das Fachpersonal [5]. U-300-Insuline Die lang wirksamen U-300-Analoga gehen neben den o. g. Vorteilen und einer längeren Haltbarkeit des Pens auch mit einer geringeren Hypoglykämiegefahr einher [1]. Dies ist von großer Relevanz, gerade in der Nacht, da ältere Menschen die Hypoglykämien oft nicht spüren [3]. Sowohl bei U-200- als auch bei U-300Insulinen muss stets bedacht werden, dass sie für den Patienten aufgrund der geringeren Zuzahlung günstiger sind – ein nicht nur im Alter wichtiger Faktor für eine gute Compliance. Inkretinmimetika Die Inkretinmimetika müssen wie Insulin gespritzt werden. Der große Vorteil der bedarfsgemäßen Insulinfreisetzung ohne relevante Hypoglykämiegefahr in der Monotherapie bei gleichzeitiger Gewichtsabnahme spielt bei adipösen und auch älteren Menschen durchaus eine Rolle. Oft ist aber im höheren Lebensalter bereits eine katabole Situation vorhanden. Nicht nur der Einsatz von Metformin, sondern auch der von Inkretinmimetika ist dann nicht wirklich sinnvoll. Die Verabreichungsform, v. a. die Frequenz der Injektion, ist bei den Mimetika höchst unterschiedlich. Das erste Mimetikum, Exenatid, musste 2-mal täglich gegeben werden. Inzwischen gibt es retardierte Präparate, die man 1-mal wöchentlich appliziert. Liraglutid wird 1-mal täglich injiziert. Prinzipiell ist es für ältere Menschen immer ein Vorteil, weniger häufig Injektionen durchzuführen, insbesondere wenn diese von Dritten vorgenommen werden müssen. Hier sind 1-mal wöchentlich gegebene Präparate wie Dulaglutid von Vorteil. Kombinationstherapien Die Kombination aus Insulintherapie und oralen Antidiabetika, meist mit einem lang wirksamen Analogon in der basal unterstützten oralen Therapie (BOT), ist bei älteren Menschen sehr verbreitet und oft gut akzeptiert [16]. Durch die Einführung neuer Medikamentengruppen wie der Gliptine und Gliflozine entsteht die Situation, dass vor Zugabe von Insulin oder Umstieg auf eine Insulinmonotherapie auch eine orale Dreifachkombination mit relativ geringer Hypoglykämiegefahr durchgeführt werden kann. Beispielsweise wurde der Zusatz von Dapagliflozin zu Metformin plus Saxagliptin untersucht [19]. Hier zeigte sich bei sehr geringer Hypoglykämierate eine Absenkung des HbA1c um fast 1,5 %. Der Verzicht auf eine früh begonnene Insulintherapie wird allerdings um den Preis einer Dreifachkombination mit all den möglichen Nebenwirkungen erkauft. Neue Festkombinationen, wie Insulin Degludec plus Liraglutid, sind auch für den älteren Menschen möglich und bei Insulinresistenz und Übergewicht durchaus sinnvoll. Die Kombination von »Wirkstoffen fördert die Compliance Möglicherweise kommt auch bald die 1-mal wöchentliche Insulinapplikation, ggf. in Kombination mit der 1-mal wöchentlichen Gabe eines Mimetikums. Das würde eine Fremdinjektion beim älteren Patienten natürlich erleichtern. Grundsätzlich bringt die Kombination von Wirkstoffen eine Verbesserung der Compliance und möglicherweise auch der Lebensqualität mit sich, denn wer täglich 10 Medikamente morgens, mittags oder abends zu sich nimmt, braucht in aller Regel nichts mehr zu essen. Und Essen ist doch die Erotik des Alters. Fazit für die Praxis 4 Ältere Menschen mit Diabetes lau- fen aufgrund ihrer Multimorbidität Gefahr, zu viele und teilweise ungeeignete Medikamente zu erhalten. 4 Während Sulfonylharnstoffe und Glitazone eher ungeeignet sind, haben neue Antidiabetika wie Gliptine, neue Insuline und Mimetika, weniger auch die Gliflozine ein Anwendungspotenzial bei Älteren. 4 Anhand des Funktionszustands („go go“, „slow go“, „no go“) und der Fähigkeit zur Selbstinjektion lassen sich geeignete, individualisierte Therapieformen identifizieren, v. a. bezüglich der Insulintherapie. 4 Die individualisierte Therapie im Alter bietet neue Möglichkeiten durch neue Therapieoptionen. Eine sorgfältige Prüfung im Hinblick auf Neben- und Wechselwirkungen sowie in Bezug auf die Praktikabilität im Alter ist erforderlich. Korrespondenzadresse Dr. med. Dr. Univ. Rom. A. Zeyfang AGAPLESION Bethesda Krankenhaus Stuttgart Hohenheimerstr. 21, 70184 Stuttgart, Deutschland [email protected] Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt. A. Zeyfang hat Vorträge für Berlin-Chemie AG, Lilly, Novo Nordisk und SanofiAventis gehalten. Er hat Forschungsunterstützung von Berlin-Chemie AG erhalten und ist Berater für BerlinChemie AG und Sanofi-Aventis. Dieser Beitrag beinhaltet keine vom Autor durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren. Literatur 1. Becker RHA, Dahmen R, Bergmann K et al (2015) New insulin glargine 300 Units. mL-1 provides a more even activity profile and prolonged glycemic control at steady state compared with insulin glargine 100 Units. mL-1. Diabetes Care 38:637–643 2. Boyd CM, Darer J, Boult C et al (2005) Clinical practice guidelines and quality of care for older patients with multiple comorbid diseases: implications for pay for performance. JAMA 294:716–724 3. 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Weihrauch, Düsseldorf T. Lewalter1 · S. Nitschmann2 1 Klinik für Kardiologie und Internistische Intensivmedizin, Peter Osypka Herzzentrum, Kliniken Dr. Müller München, München, Deutschland 2 Lippetal, Deutschland Effektivität und Sicherheit transvenös implantierter drahtloser Herzschrittmacher LEADLESS-II-Studie Originalliteratur Reddy VY et al. for the LEADLESS II Study Investigators (2015) Percutaneous implantation of an entirely intracardiac leadless pacemaker. N Engl J Med 373:1125–1135 Einschlusskriterien 4 Trikuspidalklappenersatz mittels eines transvenösen Katheters via V. femoralis im rechten Ventrikel platziert. Nach Schrittmacherimplantation und vor Krankenhausentlassung wurde die Schrittmacherlage und -funktion mithilfe einer Thoraxröntgenaufnahme und eines 12-Kanal-EKG überprüft. Follow-up-Untersuchungen erfolgten nach 2 und 6 Wochen sowie 3 und 6 Monaten und anschließend halbjährlich. 4 Pulmonale Hypertonie 4 Bereits implantierter Herzschrittma- Ergebnisse 4 Patienten, die einen permanenten 1-Kammer-Schrittmacher benötigen, z. B. bei Vorhofflimmern mit atrioventrikulärem (AV) oder bifaszikulärem Block, Sinusbradykardie, Synkopen Jedes Jahr wird fast 1 Mio. Menschen ein Herzschrittmacher implantiert. Komplikationen treten bei etwa 10 % der Schrittmacherpatienten auf; häufig kommt es zu Problemen mit dem transvenösen Draht des Schrittmachers, der chirurgischen Implantationstasche oder dem Pulsgenerator per se. Die im Folgenden vorgestellte Studie prüft die Effektivität und klinische Sicherheit eines 42 mm langen, maximal 6 mm dicken unabhängigen, drahtlosen Herzschrittmachers mit einer Batterie-Elektronik-Elektroden-Kombination, der interventionell transfemoral im rechten Ventrikel platziert wird. Ausschlusskriterien Zusammenfassung der Studie 4 Keine schrittmacherassoziierten cher oder Defibrillator 4 Kardio- oder gefäßchirurgischer Eingriff 30 Tage vor Studienbeginn Endpunkte Primärer Effektivitätsendpunkt: 4 Kombiniert: Pacing-Schwelle von ≤ 2,0 V nach 0,4 s und SensingAmplitude der R-Welle ≥ 5,0 mV bzw. ein Wert nicht unterhalb des Implantationswerts Primärer Sicherheitsendpunkt: S. Nitschmann Nebenwirkungen in den ersten 6 Monaten nach Implantation In die LEADLESS-II-Studie werden weiterhin Patienten eingeschlossen. Nachfolgend werden die Ergebnisse einer geplantenInterimsanalyse vorgestellt, indie die ersten 300 Patienten eingingen, die ein 6-monatiges Follow-up beendet hatten (Primärkohorte), und alle Patienten, die bis Juni2015 indie Studie eingeschlossen worden waren (Gesamtkohorte). Das Durchschnittsalter der Patienten der Gesamtkohorte beträgt knapp 76 Jahre, wobei 62 % der Studienteilnehmer Männer sind. Häufigste Indikation für die Schrittmacherimplantation war Vorhofflimmern mit AV-Block. Lippetal, Deutschland Sekundärer Endpunkt: Studiendesign 4 Nebenwirkungen in den ersten 6 Monaten nach Implantation Interimsanalyse einer prospektiven, nichtrandomisierten Multicenterstudie an 56 Zentren in 3 Ländern mit einem durchschnittlichen Follow-up-Zeitraum von 6,9 Monaten 508 Der Internist 5 · 2016 Methodik Bis Juni 2015 wurden 526 Patienten in die Studie eingeschlossen. Bei diesen wurde der Leadless-Herzschrittmacher Take home message Die LEADLESS-II-Studie ist ein Meilenstein bei der Weiterentwicklung der Herzschrittmachertherapie hin zu einer lokalen elektrodenlosen Technik, wobei eine sichere Implantation (v. a. Vermeidung von Perforationen) Voraussetzung für die breite Anwendung ist. Tab. 1 Analyse der schrittmacherassoziierten Ereignisse Ereignis Primärkohorte (n = 300) Gesamtkohorte (n = 526) Ereignisse Patienten Ereignis- Ereignisse Patienten Ereignisrate (%) rate (%) Kardiale Perforation 4 4 1,3 8 8 1,5 Vaskuläre Komplikationen 4 4 1,3 6 6 1,1 Arrhythmie bei Implantation 2 2 0,7 4 4 0,8 Schrittmacherentfernung 5 5 1,7 6 6 1,1 Schrittmachermigration 0 0 2 2 0,4 Schwellenerhöhung mit Neuimplantation 4 4 1,3 4 4 0,8 Andere 3 3 1,0 10 10 1,9 Gesamt 22 20 6,7 40 34 6,5 Die Schrittmacherimplantation war bei 504 der 526 Patienten erfolgreich, bei 70 % waren keine Repositionierungen nach der Implantation notwendig. Die Interventionszeit betrug 29 ± 18 min, die Durchleuchtungszeit 14 ± 9 min. Die Krankenhausaufenthaltsdauer variierte zwischen 0 und 33 Tagen und betrug durchschnittlich 1,1 Tage. Den primären Effektivitätsendpunkt erreichten 270 der 300 Patienten der Primärkohorte. Bei 11 Patienten war die Implantation nicht erfolgreich, sodass 270 der 289 Patienten mit erfolgreicher Schrittmacherimplantation den primären Endpunkt erreichten. Bei 4 Patienten wurde die Pacing-Schwelle nicht erreicht, bei 16 die Sensing-Amplitude. Den primären Sicherheitsendpunkt erreichten 280 der 300 Patienten der Primärkohorte. Bei den 20 Patienten traten 22 schrittmacherassoziierte Ereignisse innerhalb der 6-monatigen Follow-upZeit auf (. Tab. 1), wobei die schrittmacherassoziierte Ereignisrate mit zunehmender Erfahrung des Interventionalisten mit dem Herzschrittmacher sank: von 6,8 % während der ersten 10 Implantationen auf 3,6 % bei nachfolgenden Implantationen. Kommentar Prof. Dr. med. T. Lewalter Klinik für Kardiologie und Internistische Intensivmedizin, Peter Osypka Herzzentrum, Kliniken Dr. Müller München, München, Deutschland Die LEADLESS-II-Studie markiert einen Meilenstein in der Weiterentwicklung der Herzschrittmachertherapie: In einer multizentrischen und großen Kohorte mit 526 Patienten ist es gelungen, das neue Konzept der elektrodenlosen rechtsventrikulären Stimulation mit adäquater Effizienz und zumindest akzeptabler Sicherheit anzuwenden. Diese Untersuchung stärkt mich in meiner Annahme, dass – zumindest im Bereich der unifokalen ventrikulären oder atrialen Stimulation – in wenigen Jahren das klassische Konzept der Schrittmachertherapie vom elektrodenlosen Konzept abgelöst werden wird. Ich möchte aber keinesfalls die noch bestehenden Schwachpunkte des elektrodenlosen Konzepts verschweigen, deren Lösung eine Grundvoraussetzung für eine breite Anwendung darstellt: So sollte natürlich die Schrittmacherdislokationsrate extrem gering sein; in der Studie wurden 6 „device dislodgements“ innerhalb der ersten 2 Wochen identifiziert; alle Geräte konnten in perkutaner Technik geborgen werden. Hier ist zu hoffen, dass über eine größere Implantationserfahrung und Verbesserung der Fixierungsmechanismen eine geringe Rate erreicht werden kann. Betrachtet man die 289 Patienten, bei denen das Gerät implantiert werden konnte, der primäre Effizienzendpunkt aber nicht erreicht wurde, dann bestand das Problem überwiegend in der Signalamplitude und weniger in der akuten Reizschwelle. Auch hier sollte es über eine veränderte Implantationstechnik (vermehrt im Septum?) und technische Verbesserungen gut möglich sein, v. a. das Wahrnehmungsverhalten des Schrittmachers zu verbessern. Für die Praxis wichtig ist die Tatsache, dass sich im Verlauf nach 6 Monaten die mittlere Reizschwelle wie auch die R-WellenSignalamplitude signifikant verbesserte. Nun zu dem wohl kritischsten Punkt der neuen Technik: In der Studie kam es bei 4 Patienten zu einer Perforation mit Tamponade. Bereits im Vorfeld der Studie waren in Deutschland 2 letal verlaufene Perforationen mit Tamponade berichtet worden. Dies ist eine kaum tolerable Bilanz – letale Verläufe sollte es bei einer VVI-Implantation (VVI: ventrikuläres Pacing, ventrikuläres Sensing, inhibierter Modus) nicht geben. Dies hat ja in der Vergangenheit dazu geführt, dass die Anwendung des elektrodenlosen Schrittmachers der Fa. St. Jude in Deutschland gestoppt wurde. Nach Überarbeitung wird die Implantationstechnik nun 2016 – mit entsprechender Vorsicht – in ausgesuchten erfahrenen Zentren mit kardiochirurgischem Backup wieder eingesetzt. Es muss nun zweifelsfrei gezeigt werden, dass nach Training und unter Einsatz einer beispielsweise septalen Implantationstechnik derartige schwere Perforationen eine absolute Seltenheit sind. Zusammenfassend möchte ich anführen, dass die LEADLESS-II-Studie ganz wesentlich die Weiterentwicklung der Herzschrittmachertherapie hin zu einer lokalen elektrodenlosen Technik markiert, die dadurch, dass sie auf eine klassische Elektrode verzichtet, auch alle möglichen Nachteile der Elektrode vermeiden kann, so etwa eine Erwärmung in der Magnetresonanztomographie, eine Elektrodendislokation und Frakturen. Eine breite Anwendung des elektrodenlosen Schrittmachers setzt allerdings voraus, dass ein sicherer Weg der Implantation gefunden wird, sodass Der Internist 5 · 2016 509 Klinische Studien implantationsbedingte kardiale Perforationen eine Rarität darstellen. Korrespondenzadresse Prof. Dr. med. T. Lewalter Klinik für Kardiologie und Internistische Intensivmedizin, Peter Osypka Herzzentrum, Kliniken Dr. Müller München Am Isarkanal 36, 81379 München, Deutschland [email protected] Einhaltung ethischer Richtlinien Interessenkonflikt. T. Lewalter und S. Nitschmann geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren. Hier steht eine Anzeige K Medizin aktuell Internist 2016 · 57:511–516 DOI 10.1007/s00108-016-0043-9 Online publiziert: 27. April 2016 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 V. J. J. Schettler1 · J. Ringel2 · S. Jacob3 · U. Julius4 · R. Klingel5 · F. Heigl6 · E. Roeseler7 · P. Grützmacher8 · Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) · Verband Deutsche Nierenzentren (DN) 1 Nephrologisches Zentrum Göttingen GbR, Göttingen, Deutschland Dialysezentrum Potsdam, Potsdam, Deutschland 3 Praxis für Prävention und Therapie, Villingen-Schwenningen, Deutschland 4 Medizinische Klinik und Poliklinik III, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Technische Universität Dresden, Dresden, Deutschland 5 Apherese ForschungsInstitut, Köln, Deutschland 6 Medizinisches Versorgungszentrum Kempten-Allgäu, Kempten, Deutschland 7 Zentrum für Nieren-, Hochdruck- und Stoffwechselerkrankungen, Hannover, Deutschland 8 Medizinische Klinik II, Agaplesion Markus Krankenhaus, Frankfurt, Deutschland 2 Therapiealgorithmus zur Lipoproteinapherese und PCSK9Inhibition bei schwerer Hypercholesterinämie oder isolierter Lipoprotein(a)Hyperlipoproteinämie Der kausale Zusammenhang zwischen einer Erhöhung von ApolipoproteinB(ApoB)-haltigen Partikeln wie Lowdensity-Lipoprotein (LDL) oder Lipoprotein(a) (Lp[a]) und kardiovaskulären Ereignissen (Entwicklung von Atherosklerose und den damit verbundenen Folgeerkrankungen wie Herzinfarkten, Schlaganfällen oder peripheren arteriellen Verschlusskrankheiten) ist heute unstrittig [1, 2]. In der aktuellen Metaanalyse der Cholesterol Treatment Trialists’ (CTT) Collaboration führte eine Absenkung des LDL-Cholesterins (LDL-C) durch Statine um jeweils 40 mg/dl (1,0 mmol/l) zur Reduktion weiterer Gefäßereignisse um 22 % bzw. der Gesamtmortalität um 10 % über alle Subgruppen hinweg [3]. In der Die Autoren weisen darauf hin, dass dieser Leitfaden den aktuellen Kenntnisstand widerspiegelt und unter Berücksichtigung kommender Publikationen und Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) weiterer Präzisierungen bedarf. IMPROVE-IT-Studie konnten durch eine Kombination von Simvastatin mit dem Nichtstatin Ezetimib zusätzlich kardiovaskuläre Ereignisse verhindert werden [4]. Gerade die IMPROVEIT-Studie unterstützt die allgemeine Forderung der europäischen Fachgesellschaften, Risikofaktoren wie das LDL-C unter Anwendung eines Zielwertkonzepts zu behandeln (Leitlinie der European Society of Cardiology und European Atherosclerosis Society; [4, 5]). Für den Zielwert bei sehr hohem Risiko, d. h. einen LDL-C-Wert < 70 mg/dl (1,8 mmol/l), ist bekannt, dass atherosklerotische Plaques stabilisiert werden bzw. dass dadurch ein Voranschreiten der inflammatorischen Gefäßprozesse zumindest aufgehalten werden kann [6, 7]. Ein sehr hohes Risiko besteht bei dokumentierter kardiovaskulärer Erkrankung, bei Patienten mit Typ-2Diabetes, bei Patienten mit Typ-1-Diabetes und Organschäden, bei Patienten mit einer chronischen Nierenerkran- kung und glomerulären Filtrationsrate < 60 ml/min/1,73 m² sowie bei Patienten mit einem rechnerischen 10-JahresRisiko ≥ 10 % auf der Basis von SCORE [5]. Für erhöhte Lp(a)-Konzentrationen ist u. a. aus der Copenhagen City Heart Study (CCHS) bekannt, dass ab einer Lp(a)-Konzentration > 50 mg/dl das kardiovaskuläre Risiko deutlich steigt [8, 9]. Der für das European Atherosclerosis Society Consensus Panel formulierte „erwünschte“ Lp(a)-Wert von 50 mg/dl kann allerdings gegenwärtig nicht als den LDL-Zielwerten gleichwertige Empfehlung interpretiert werden. Die Problematik der Laboranalytik von Lp(a) ist an anderer Stelle erörtert worden und nicht Gegenstand dieses Positionspapiers [10]. Wir verweisen ergänzend auf den aktuellen Review von Marcovina u. Albers [11]. Die Arbeitsgruppe Apherese der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGf N) und des Verbands Deutsche Der Internist 5 · 2016 511 Medizin aktuell Nierenzentren (VDN) bestätigt unter Berücksichtigung der prinzipiellen Laborproblematik bei der Messung von Lp(a) und in Einklang mit der Indikationsregelung zur Lipoproteinapherese (LA) des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) die klinische Relevanz des Grenzwerts > 60 mg/dl (> 120 nmol/l) im Kontext der individuellen Bewertung des kardiovaskulären Risikos, insbesondere im Hinblick auf die Indikationsstellung der LA [12]. Sofern LDL-C bzw. Lp(a) als Risikofaktor für vorliegende kardiovaskuläre Ereignisse diagnostiziert werden konnte, ist neben der Einleitung einer spezifischen lipidsenkenden Therapie zusätzlich eine Stratifizierung aller arteriellen Gefäßsysteme zu empfehlen, um das Ausmaß der atherosklerotischen Läsionen zu erfassen. Die lipidsenkende Therapie muss bei progredienter Gefäßerkrankung mit kardiovaskulären Ereignissen unter Beachtung aktueller Leitlinien für LDL-C zielwertorientiert sein und bei Lp(a) den Schwellenwert individuell beachten. Vor einer intensiveren »lipidsenkenden Therapie muss das Gesamtrisiko eingeschätzt werden. Vor dem Beginn einer intensiveren lipidsenkenden Therapie mit PCSK9-Inhibitoren oder LA muss das Gesamtrisiko des Patienten eingeschätzt werden. Dazu gehört die Erfassung der Familienanamnese (kardiovaskuläre Ereignisse vor dem 60. Lebensjahr bei Verwandten ersten Grades), eines Diabetes mellitus (Diabetiker sind besonders arteriosklerosegefährdet), einer Hypertonie sowie einer Niereninsuffizienz. Auch eine Affektion mehrerer arterieller Gefäßgebiete (Karotiden, Aorta, Koronarien, Beingefäße) weist auf einen hohen Gefährdungsgrad hin. Gerade bei Patienten mit sehr hohem Gesamtrisiko ist die Erreichung von niedrigeren LDL-C- und Lp(a)-Werten zwingend erforderlich [5]. Doch wie geht man weiter vor, wenn die LDL-C-Zielwerte nicht erreicht wer- 512 Der Internist 5 · 2016 den und/oder Lp(a) den Schwellenwert überschreitet? LA-Verfahren kommen unter Berücksichtigung der aktuellen Leitlinien bei Patienten mit schwerer Fettstoffwechselstörung (LDL-C > 100 mg/dl [> 2,6 mmol/l] und/oder Lp[a] > 60 mg/dl [> 120 nmol/l]) und progredienten kardiovaskulären Erkrankungen zum Einsatz, wenn diätetische und medikamentöse Maßnahmen zuvor ausgeschöpft worden sind (G-BA). Die LA-Verfahren können LDL-C und Lp(a) um mindestens 60 % absenken. An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass die Indikation zur Lp(a)-Hyperlipoproteinämie (Lp(a)-HLP) nicht auf der Grundlage eines stattgehabten Ereignisses erfolgt. Anhand des medianen Alters erhielten die Patienten der Pro(a)LiFe-Studie im 49. Lebensjahr die Diagnose einer kardiovaskulären Erkrankung, 0,6 Jahre später folgte das erste Ereignis, 2,3 Jahre später das zweite Ereignis. Während der folgenden 4,7 Jahre wurden die Patienten aufgrund eines trotz wirksamer LDL-C-senkender Therapie besonders progredienten Krankheitsverlaufs auffällig und begannen nach Beendigung eines z. T. langwierigen Antragsverfahrens die chronische LA [13]. Neue lipidsenkende Medikamente wie Proprotein-convertase-subtilisin/kexin-type-9Inhibitoren (PCSK9-I), z. B. PCSK9Antikörper (PCSK9-AK), erreichen bei bestimmten Patientengruppen bezüglich der LDL-C-Absenkung vergleichbare Absenkungsraten, u. a. sogar als additiver Effekt bei bereits bestehender Statinmedikation. Angesichts dieser Erweiterung der therapeutischen Möglichkeiten zur Lipidsenkung muss der differenzialtherapeutische Einsatz von PCSK9-I und der LA definiert werden. Effektivität der PCSK9-Inhibitoren und Lipoproteinapherese Gemeinsam deutliche Effekte auf LDL – unterschiedliche Effekte auf Lp(a) In sehr kurzer Zeit konnte in groß angelegten randomisierten, prospektiven Studienprogrammen (PROFICIO, ODYSSEY, SPIRE) gezeigt werden, dass durch eine antikörperinduzierte Hemmung von PCSK9 bestehende kardiovaskuläre Risikofaktoren abgesenkt werden können: LDL-C um bis zu 70 %, Lp(a) um bis zu 30 % [14]. Allerdings fällt bei zunehmend höheren Lp(a)-Konzentrationen (Lp[a] > 60 mg/dl [> 120 nmol/l]) die Absenkungsrate auf nur noch 16 % ab [11]. Die Absenkungsrate von LDL-C bei der homozygoten familiären Hypercholesterinämie beträgt im Mittel weniger als 25 %. Bei etwa 20 % der Patienten werden trotz PCSK9-I-Therapie die Zielwerte des LDL-C von < 100 mg/dl (< 2,6 mmol/l) bzw. < 70 mg/dl (< 1,8 mmol/l) nicht erreicht, weil entweder die Ausgangswerte zu hoch sind oder das individuelle Ansprechen nicht ausreicht [15]. Im Vergleich dazu werden mithilfe der LA für LDL-C akute Absenkungsraten in der gleichen Höhe und für Lp(a) deutlich bessere Absenkungsraten von mindestens 70 % erreicht. Zusätzlich lassen sich im Rahmen von LA-Behandlungen „pleiotrope Effekte“ beobachten, die z. B. durch die zusätzliche Entfernung von Fibrinogen zu einer verbesserten Perfusion am Herzen führen oder durch die Entfernung von oxidierten Lipiden sowie Metalloproteinasen eine zusätzliche Plaquestabilisierung induzieren können [16–18]. PCSK9-I können im Vergleich zu einer LA die LDL-C-Konzentration ebenfalls sehr gut und anders als die LA sehr konstant absenken. Bezüglich der Absenkung der Lp(a)-Konzentration ist die LA im Vergleich zu den PCSK9-I effektiver. Ausmaß und Konstanz der Reduktion von LDL-Cholesterin PCSK9-AK halten die LDL-C-Konzentration auf dem durch die Gabe individuell resultierenden sehr niedrigen Niveau konstant. Dagegen steigt das LDL-C bzw. Lp(a) je nach LA-Behandlungsintervall auf ein im Vergleich zum Therapieanfang zwar niedrigeres Niveau an, dieses entspricht aber nicht den initialen Absenkungsraten (Sägezahnphänomen). Verträglichkeit/Nebenwirkungen Seit Ende der 1980er-Jahre konnte bei allen LA-Verfahren eine sehr gute Verträg- Paentenkollekv: • Familiäre Hypercholesterinämien (FH), schwer therapierbare Hypercholesterinämien • Paenten mit progredienter PAVK, CVK, KHK; die mit bildgebenden Verfahren atherosklerosche Veränderungen zeigen, die zu weiteren kardiovaskulären Ereignissen disponieren. Lipidstatus und Risikoprofil: • Cholesterin, Triglyzeride, LDL-C, HDL-C, Lp(a), Fibrinogen, CRP • CV-Allgemeine Risikofaktoren (Bluthochdruck, Diabetes, Adipositas, Rauchen, familiäre Belastung) Effekve Stangabe Zielwerterreichung nach der European Society of Cardiology (Kontrolle in ca. 6 Wochen): Zielwert erreicht ? Falls ja, Fortsetzung dieser Therapie! Intensivierung der lipidsenkenden Therapie + - + - = Ezemibe, Colesevelam, Omega-3 FS, Fibrate…. = PCSK9-Inhibitor (PCSK9-I) vs. Lipoproteinapherese (LA) Zielwert erreicht ? Wenn LDL-C > 100 mg/dl (2,6 mmol/l) + Lp(a) < 60 mg/dl (120 nmol/l) PCSK9-I Gabe B e d i n g u n g e n + - Fortsetzung dieser Therapie zusätzlich LA Wenn LDL-C > 100 mg/dl (2,6 mmol/l) + Lp(a) > 60 mg/dl (120 nmol/l) LA Fortsetzung dieser Therapie + - zusätzlich PCSK9-I Gabe, sofern LDL-C > 100 mg/dl (2,6 mmol/l) bleibt Wenn LDL-C < 70 mg/dl (1,8 mmol/l) + Lp(a) > 60 mg/dl (120 nmol/l) LA Fortsetzung dieser Therapie lichkeit, Sicherheit und Nebenwirkungsarmut im Vergleich zu der Statintherapie nachgewiesen werden, dies auch im Hinblick auf psychische Belastungen [19, 20]. Während unter der Statintherapie bei etwa 5–10 % der behandelten Patienten, manche Publikationen berichten von bis zu 20 %, Nebenwirkungen wie Myopathien, z. T. mit Kreatinkinaseerhöhungen, auftreten können, lassen sich unter der LA-Therapie bei nur 3–5 % der behandelten Patienten Nebenwirkungen finden. Dabei haben Punktionsprobleme bei den zu behandelnden Patienten einen + Anteil von etwa 1,5–2 %. Auch bei der PCSK9-AK-Therapie zeigten die bisherigen Studienergebnisse mit sehr großen Fallzahlen (> 50.000 Patienten) eine gute Verträglichkeit (etwa 4–5 % der Fälle mit Nebenwirkungen). In den bisherigen Studien wurde v. a. von den Symptomen einer Nasopharyngitis berichtet (etwa 2–3 %). Dennoch liegen hier noch keine Langzeitdaten wie bei der LA vor. Abb. 1 9 Therapiealgorithmus für hypercholesterinämische Patienten mit sehr hohem kardiovaskulärem Risiko. CRP C-reaktives Protein; CVK zerebrovaskuläre Krankheit; HDL-C High-density-Lipoprotein-Cholesterin; KHK koronare Herzkrankheit; LDL-C Low-densityLipoprotein-Cholesterin; LA Lipoproteinapherese; Lp(a) Lipoprotein(a); PAVK periphere arterielle Verschlusskrankheit; PCSK9 „proprotein convertase subtilisin/kexin type 9“; PCSK9-I PCSK9-Inhibitor. (Nach: Leitlinie der European Society of Cardiology und European Atherosclerosis Society [5]) Effekte auf „major coronary events“ (MACE) Schon früh konnte bei Patienten mit therapieresistenter, heterozygoter oder homozygoter Hypercholesterinämie durch den Einsatz von LA-Verfahren gezeigt werden, dass sich die kardiovaskulären Ereignisse („major coronary events“ [MACE]) bei den betroffenen Patienten bereits nach kurzer regelmäßiger LABehandlungszeit deutlich reduzierten [21–24]. Besonders eindrucksvoll sind diese Effekte auf die MACE-Rate bei Der Internist 5 · 2016 513 Medizin aktuell den Patienten, die mindestens im wöchentlichen Intervall mit LA-Verfahren behandelt werden [25]. Weiterhin konnte in Pro(a)LiFe, einer der letzten LA-Studien, gezeigt werden, dass die MACE innerhalb des ersten Behandlungsjahrs bei Patienten mit Lp(a)Erhöhung um mindestens 78 % zurückgingen und nach bisherigen Studiendaten bei Fortsetzung der LA auch auf diesem niedrigen Niveau bleiben [13] – hiermit wurden die vorherigen Ergebnisse von Jäger et al. [26] mit prospektivem Design bestätigt. Ergänzend dazu konnte auch eine bessere MACE-Reduktion bei Patienten mit kombinierter schwerer LDLC- und Lp(a)-Erhöhung als bei Patienten mit schwerer Hypercholesterinämie unter jeweils chronischer LA gefunden werden [27]. Die MACE-Rate wird bei chronisch mit den LA-Verfahren behandelten Patienten sowohl bei LDLC- als auch bei Lp(a)-Erhöhungen sehr rasch reduziert. Erste endgültige Studienergebnisse bezüglich der MACE-Reduktion stehen bei den PCSK9-AK noch aus und können für Evolocumab wahrscheinlich entsprechend der registrierten Studienplanung Mitte des Jahres 2016 bewertet werden. Erste Hinweise auf eine MACEReduktion gab es bereits in den Studien OSLER-1/OSLER-2 sowie ODYSSEY LONG TERM [28, 29]. Allerdings erfolgte hier zunächst eine Analyse unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit, nicht unter dem der Wirksamkeit. Patienten wurden unter Berücksichtigung des LDL-C, aber nicht des Lp(a) eingeschlossen. Indikation zur PCSK9-Inhibitorbzw. LipoproteinaphereseTherapie Grundsätzlich sind vor dem Einsatz einer PCSK9-I- bzw. LA-Therapie die bisherigen lipidsenkenden Maßnahmen wie eine fettmodifizierte Diät, der Einsatz eines Statins und eine ergänzende lipidsenkende Medikation maximal auszuschöpfen (. Abb. 1). Sollten Nebenwirkungen z. B. bei der Gabe eines Statins auftreten (etwa 5–10 % der Statintherapie), sind diese als unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu melden. Gerade 514 Der Internist 5 · 2016 im Hinblick auf die zeitaufwendige Diagnostik der Statinunverträglichkeit sollten aktuelle Empfehlungen berücksichtigt werden [30, 31]. Werden die Zielwerte nach den aktuellen Leitlinien bei einem Patienten mit einem hohen Atheroskleroserisiko oder außergewöhnlichen Progress von kardiovaskulären Erkrankungen nicht erreicht, können PCSK9-I wie PCSK9-AK und/oder LA wie folgt zum Einsatz kommen (. Abb. 1). Liegt bei einem Patienten nur ein unzureichend abgesenktes LDL-C trotz maximal lipidsenkender Therapie vor (LDL-C > 100 mg/dl [> 2,6 mmol/l] + Lp[a] < 60 mg/dl [< 120 nmol/l]; Lp[a] im Normbereich]), könnte zunächst der PCSK9-I zum Einsatz kommen, da das LDL-C sehr effektiv durch eine Kombination aus einer Statin- und PCSK9-ITherapie abgesenkt werden kann. Bisher liegen noch keine Langzeit- und Endpunktdaten aus Studien vor, die derzeit einen allgemeinen Einsatz empfehlen könnten. Bei Patienten, die mehrfache kardiovaskuläre Ereignisse durchgemacht haben (z. B. mehrere Myokardinfarkte, mehrfache Stentimplantationen in die Koronarien oder ausgeprägte Mikrozirkulationsstörungen), sollte die LA-Behandlung bevorzugt werden, da derartige Patienten in den bisherigen PCSK9-I-Studien nicht ausreichend berücksichtigt worden sind und die LA sich gerade in dieser Situation als besonders effektiv auch in der Reduktion zukünftiger kardiovaskulärer Ereignisse erwiesen hat. Auch muss bei Patienten mit homozygoter oder „schwerer“ heterozygoter Ausprägung der Hypercholesterinämie die Statin/PCSK9-I-Therapie weiterhin durch eine zusätzliche LA ergänzt werden, wenn die Patienten nicht die Zielwerte erreichen (. Abb. 1). Allerdings könnte es mit diesem weiteren lipidsenkenden Therapieansatz unter Kombination von Statin, LA und PCSK9-AK gelingen, das LDL-C dauerhaft in den Zielbereich von < 70 mg/dl abzusenken. Die Verzögerung oder Verhinderung des Progresses der kardiovaskulären Erkrankung ist zu erwarten, muss aber noch mit Studien- oder Registerdaten belegt werden. In Deutschland unstrittig ist der Einsatz der LA-Therapie bei Patienten mit homozygoter Ausprägung einer Hypercholesterinämie, da diese Patienten, sofern sie nicht rechtzeitig therapiert werden, z. B. an den Folgen eines frühen Herzinfarkts versterben werden [5]. Diese Patienten müssen begleitend zur LA zusätzlich mit einer maximal verträglichen lipidsenkenden Therapie behandelt werden [5]. Da auch PCSK9-I bei diesen Patienten zusätzlich LDL-C reduzieren konnten [32], ist der Einsatz dieser Medikation neben der bereits bestehenden lipidsenkenden Medikation und LATherapie zu empfehlen [33], um die bestehende LDL-C-Last und damit das kardiovaskuläre Risiko abzusenken [34]. Unstrittig ist der Einsatz der »Lipoproteinapherese bei homozygoter Hypercholesterinämie Bei Patienten mit Lp(a)-Erhöhung ist der absenkende Effekt durch PCSK9-I, wenn überhaupt, bei sehr hohen Konzentrationen (Lp[a] > 60 mg/dl [> 120 nmol/l]) relativ gering. Es bleibt unklar, ob PCSK9-I im Gegensatz zur LA die multiplen proatherosklerotischen/-thrombotischen Eigenschaften mit beeinflussen können. Aufgrund dieser Erkenntnisse sollten nach heutigem Wissensstand Patienten mit durch Lp(a) verursachten progredienten kardiovaskulären Ereignissen nur mit der LA behandelt werden. Bevor die Diagnose der isolierten Lp(a)-Erhöhung gestellt werden kann, ist eine meist begleitende Hypercholesterinämie zielwertorientiert zu behandeln. Hierbei kann der PCSK9-I zum Einsatz und der zusätzlich Lp(a)senkende Effekt zum Tragen kommen (. Abb. 1). Beachtenswert ist auch, dass PCSK9-I „nur“ LDL-C effektiv absenken, während die LA-Behandlungen zusätzliche „pleiotrope Effekte“ (bei PCSK9-I unbekannt) haben. Diese Effekte stabilisieren bzw. vermindern zusätzlich atherosklerotische Läsionen und subendotheliale Inflammationsprozesse [17, 25, 35]. Prinzipiell wäre wie bei der LA auch für die PCSK9-I-Therapie eine auf Bun- desländerebene installierte Lipidkommission ähnlich der Apheresekommission der Kassenärztlichen Vereinigung anzustreben, um den sachgerechten Einsatz der PCSK9-I-Therapie bei betroffenen Patienten sicherzustellen und für einen geeigneten Zeitraum zu prüfen. Korrespondenzadresse PD Dr. med. V. J. J. Schettler Nephrologisches Zentrum Göttingen GbR Göttingen, Deutschland [email protected] Einhaltung ethischer Richtlinien Fazit für die Praxis 4 Unter Berücksichtigung aktueller 4 4 4 4 Leitlinien müssen für Patienten mit schwer einstellbarer Hypercholesterinämie als Voraussetzung für den Einsatz von PCSK9-I oder LA alle bisherigen lipidsenkenden Maßnahmen vorher ausgeschöpft und auch gut dokumentiert sein. Nebenwirkungen von Statinen wie Myopathien sind dem BfArM anzuzeigen. Eindeutig ist das therapeutische Vorgehen bei Patienten mit homozygoter Ausprägung einer familiären Hypercholesterinämie: Neben der LA sollten zur Verbesserung der LDLC-Absenkung PCSK9-I zum Einsatz kommen. Bei Patienten mit heterozygoter Ausprägung einer familiären Hypercholesterinämie können die LA oder PCSK9-I zum Einsatz kommen, wenn neben einer ausgeprägten LDL-C-Erhöhung kardiovaskuläre Affektionen bestehen oder wenn sich in bildgebenden Verfahren atherosklerotische Veränderungen zeigen, die zu einem kardiovaskulären Ereignis disponieren, und dabei eine ungenügende LDL-C-Absenkung besteht (LDL-C > 100 mg/dl [> 2,6 mmol/l]). Bei Patienten mit erhöhter Lp(a)Konzentration (Lp[a] > 60 mg/dl [> 120 nmol/l]) und kardiovaskulären Affektionen sollte primär mit LAVerfahren therapiert werden. Bestehen neben der Lp(a)-Erhöhung noch unzureichend therapierte erhöhte LDL-C-Konzentrationen (LDL-C > 100 mg/dl [> 2,6 mmol/l]), können PCSK9-I das lipidsenkende Konzept ergänzen. Interessenkonflikt. V.J.J. Schettler hat Forschungsunterstützung und Vortragshonorare von den Firmen Fresenius Medical Care AG, B.Braun-Avitum AG, Amgen GmbH, Sanofi-Aventis GmbH erhalten. R. Klingel hat Drittmittelgelder für Forschungsprojekte der Firmen Asahi Kasei Medical und Diamed GmbH erhalten. U. Julius erhielt Honorare von Amgen GmbH, SanofiAventis GmbH, Fresenius Medical Care AG, Kaneka Pharma Europe N.V., Chiesi GmbH, Aegerion Pharmaceuticals. F. Heigl erhielt Referentenhonorare von B.Braun-Avitum AG, Diamed Medizintechnik GmbH, Fresenius Medical Care AG. J. Ringel, S. Jacob, E. Roeseler und P. Grützmacher geben an, dass sie keine finanziellen Verbindungen mit einer Firma haben, deren Produkt in dem Artikel eine wichtige Rolle spielt (oder mit einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt betreibt). Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren. Literatur 1. 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April 2016 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 L. Dittmann Springer-Verlag GmbH, Heidelberg, Deutschland Bester Fortbildungsbeitrag 2015 prämiert Springer CME-Award geht an Rheumatologin Prämierte Arbeit Holle JU (2015) ANCA-assoziierte Vaskulitiden. Internist 56:41–52 Der Fortbildungsbeitrag „ANCAassoziierte Vaskulitiden“ von Frau PD Dr. J.U. Holle wurde von unseren Lesern zum besten Beitrag der Rubrik CME Zertifizierte Fortbildung des Jahres 2015 gewählt. Eine hohe Teilnehmerzahl von knapp 2400 sowie eine durchschnittliche Vergabe von 4,7 von 5 möglichen Bewertungspunkten zeichnen den Beitrag von Frau PD Dr. J.U. Holle als besten seines Jahrgangs aus. Die Herausgeber und der Verlag freuen sich über diese Wahl. Jedes Jahr wird der Springer CMEAward Der Internist für den besten Fortbildungsbeitrag vergeben. Am 11. April wurde die Auszeichnung auf dem 122. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin im Rahmen einer Preisträgersitzung verliehen. Die Preisträgerin Die Preisträgerin Frau PD Dr. J.U. Holle (. Abb. 1) ist Fachärztin für Innere Medizin und internistische Rheumatologie. Sie studierte Humanmedizin an der Christian-Albrechts-Universität, Kiel, und nahm im Anschluss ihre klinische Ausbildung an der Poliklinik für Rheumatologie, UKSH, Lübeck sowie an der University of Birmingham auf. Nach ihrer Facharztanerkennung arbeitete sie als Oberärztin für Rheuma- tologie und Immunologie am Klinikum Bad Bramstedt. Ihre Habilitation schloss sie 2011 ab und übernahm dann im Oktober 2012 die Leitung der Vaskulitisklinik, Bad Bramstedt. Ab 2014 leitete sie dann, gemeinsam mit Herr Professor Frank Moosig, die Gesamtklinik für Rheumatologie und Immunologie bis sie sich Anfang 2016 am Rheumazentrum Schleswig-Holstein Mitte, Neumünster, niederließ. Schon früh beschäftigte sich Frau PD Dr. Holle mit Vaskulitiden, insbesondere mit antineutrophilen zytoplasmatischen Antikörpern (ANCA) assoziierten Vaskulitiden (AAV). So erhielt sie bereits 2006 den 1. Preis des Young Investigator’s Award der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) für ihre Forschungsarbeit im Bereich der Granulomatose mit Polyangiitis (GPA), der häufigsten Form der AAV. Während ihrer Habilitation untersuchte Frau PD Dr. Holle neue Aspekte zu Verlaufsformen, Biomarkern, genetischen Risikofaktoren und Prognose der Granulomatose mit Polyangiitis. Ihre Arbeit wurde mit dem Rudolf-Schön-Preis der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) ausgezeichnet. Neben ihrer wissenschaftlichen und klinischen Arbeit engagierte sich Frau PD Dr. Holle über viele Jahre im Arbeitskreis Vaskulitis für Patienten und Angehörige im Klinikum Bad Bramstedt. Sie ist Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) und ist dort im wissenschaftlichen Beirat sowie in der DGIM e.Akademie aktiv. Als Gutachterin ist Frau PD Dr. Holle für diverse wissenschaftliche Journale tätig und begutachtet Manuskripte für beispielsweise Annals of the Rheumatic Diseases, Rheumatology oder die Zeitschrift für Rheumatologie. Die prämierte Arbeit Leser des CME-Beitrags von Frau PD Dr. Holle werden über AAV, eine rheumatologische Systemerkrankung, umfangreich und übersichtlich informiert. Zunächst wird die Klassifikation der AAV erläutert und die verschiedenen möglichen Organmanifestationen beschrieben. Da die AAV häufig durch einen lebensbedrohlichen Verlauf mit Multiorganbeteiligung gekennzeichnet ist, spielt eine frühzeitige Diagnostik eine wichtige Rolle. Der Beitrag von Frau PD Dr. Holle erklärt hier das nötige systematische Vorgehen zur Erfassung der Organbeteiligungen, des Schweregrads sowie der Aktivität. Der Leser erhält dann einen Überblick über die aktuellen Therapieempfehlungen. Diese beruhen größtenteils auf randomisierten kontrollierten Studien, die in Abhängigkeit von Stadium und Aktivität der Erkrankung durchgeführt wurden. Neben Glukokortikoiden werden konventionelle Immunsuppressiva besprochen und das Biologikum Rituximab als neue Therapieoption vorgestellt. Definition und Klassifikation Unter dem Begriff AAV werden die GPA, die mikroskopische Polyangiitis (MPA) sowie die eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA) zusammengefasst. Hiervon tritt in Westeuropa, mit einer Inzidenz von 6–12/Mio./Jahr, die GPA am Der Internist 5 · 2016 517 In eigener Sache Abb. 1 8 Priv.-Doz. Dr. Julia Holle häufigsten auf. Gemeinsam ist den AAV die Vaskulitis kleiner bis mittelgroßer Gefäße (Polyangiitis). Handelt es sich bei der MPA um eine reine Vaskulitis, treten bei GPA und EGPA außerdem granulomatöse Entzündungen auf. Bei der EGPA ist darüber hinaus noch eine Eosinophilie charakteristisch. Diese Klassifikation dient lediglich der Differenzierung der primär systemischen Vaskulitiden und stellt kein Diagnosekriterium dar. Krankheitsstadien und klinische Manifestation Die verschiedenen Krankheitsstadien der AVV sind durch die European League Against Rheumatism (EULAR) definiert und bilden die Grundlage der stadienadaptierten Therapie. Im frühsystemischen Stadium treten nichtlebensbedrohende Vaskulitismanifestationen auf, der Test auf ANCA ist in der Regel negativ. In den systemischen Stadien weisen fast alle Patienten eine ausgeprägte B-Symptomatik auf. Häufig werden muskuloskelettale Symptome wie Arthralgien, Arthritiden und Myalgien festgestellt. In der generalisierten Phase sind lebensbedrohliche Organmanifestationen charakteristisch und die Patienten sind meist ANCApositiv. Typische Manifestationen sind hier die alveoläre Hämorrhagie und die nekrotisierende Glomerulonephritis. Das schwere Stadium ist durch Organversagen und hier insbesondere Nierenversagen definiert. Über 90 % der GPA-Patienten zeigen Manifestationen im HNO-Trakt, wie typischerweise eine blutig-borkige Rhinitis und Sinusitis. Weitere typische Komplikationen sind eine Reduktion des Hör- 518 Der Internist 5 · 2016 vermögens sowie pulmonale Raumforderungen, die oft mit zentralen Einschmelzungen einhergehen. Die EGPA manifestiert sich initial häufig mit einem therapierefraktären Asthma sowie einer polypösen Sinusitis und einer peripheren Eosinophilie. ANCA-positive EGPA-Patienten weisen häufiger typische Vaskulitismanifestationen, wie eine pulmonale Kapillaritis oder Glomerulonephritis, auf. ANCA-negative EGPA-Patienten neigen häufiger zu Herzbeteiligungen, was als prognostisch ungünstig anzusehen ist. Die MPA stellt eine reine Vaskulitis dar. Als typische Manifestationen sind die alveoläre Hämorrhagie sowie Lungenfibrose zu nennen. Diagnostik und Staging Bei der Anamnese sollten sämtlich Organe auf eine mögliche Beteiligung untersucht werden. Laborchemisch sind die serologischen Entzündungsparameter, das Blutbild und die Retentionsparameter zu erheben sowie ein ANCA-Test durchzuführen. Bei allen AAV sollte eine weiterführende Diagnostik bezüglich einer möglichen pulmonalen und renalen Beteiligung erfolgen. Liegt ein Verdacht auf eine GPA vor, sollte auf granulomatöse Veränderungen der Nasennebenhöhlen, eine seltene meningeale Beteiligung oder eine zerebrale Kleingefäßvaskulitis untersucht werden. Bei Verdacht auf EGPA sollte eine kardiologische Abklärung erfolgen. Stadienabhängige Therapie Die European Vasculitis Society (EUVAS) hat mittlerweile für fast alle Krankheitsstadien bei GPA und MPA randomisierte kontrollierte Studien durchgeführt, die heute als Grundlage für die Therapie herangezogen werden. Bei aktiver Erkrankung erfolgt zunächst eine Remissionsinduktion, die für etwa 3–4 Monate durchgeführt wird. Anschließend erhält der Patient eine remissionserhaltende Therapie, die für eine Dauer von mindestens 18 Monaten empfohlen wird. Glukokortikoide stellen eine essenzielle Säule der Therapie dar. Die Therapie der GPA und MPA erfolgt in Abhängigkeit der Schwere der Manifestation mit Methotrexat (MTX) oder mit Cyclophosphamid plus Glukokortikoid. Im generalisierten Stadium erfolgt die Remissionsinduktion entweder mit Cyclophosphamid oder mit dem monoklonalen CD20-Antikörper Rituximab. Hat sich die Remission eingestellt, sollte der Patient auf eine remissionserhaltende Therapie mit Azathioprin oder MTX umgestellt werden. Bei der EGPA richtet sich die Therapieempfehlung nach der Prognose. Als prognostisch ungünstig anzusehen ist eine Beteiligung von ZNS, Gastrointestinaltrakt, Herz und Niere. Liegt eine gute Prognose vor sollte eine additive Therapie mit Azathioprin oder MTX empfohlen werden. Patienten mit schlechter Prognose sollten zur Remissionsinduktion neben einer Glukokortikoidtherapie eine Cyclophosphamidbolustherapie erhalten. Kontrollierte Studien zu remissionserhaltenden Therapien liegen bei der EGPA nicht vor. Prognose Seit der Einführung der immunsuppressiven Therapie hat sich das Langzeitüberleben von AAV-Patienten kontinuierlich verbessert. So zeigen einige Kohortenstudien sowohl für GPA/MPA als auch für die EGPA fallende Mortalitätsraten. Jedoch ist vor allem im ersten Jahr die Mortalität bei AAV-Patienten mit etwa 11 % deutlich erhöht. Hierbei machen Infektionen unter der remissionsinduzierenden Therapie mit etwa 50 % die Haupttodesursache aus. Die häufig angewandte starke Immunsuppression wird hier als mögliche Ursache diskutiert. Korrespondenzadresse L. Dittmann Springer-Verlag GmbH Tiergartenstr. 17, 69121 Heidelberg, Deutschland [email protected]
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