Detaillierter Hintergrund zur EEG

HINTERGRUND VOM 8. JULI 2016
» GRÜNE BEWERTUNG DER EEG-NOVELLE
Bundesregierung und Koalition haben mit vereinten Kräften die EEG-Novelle durchgedrückt.
Nach dem Motto „Augen zu und durch“ haben CDU/CSU und SPD dem federführenden Wirtschaftsausschuss 20 Minuten vor Sitzungsbeginn einen 412 Seiten dicken Änderungsantrag zur
Beschlussfassung auf den Tisch geknallt. Bundeswirtschaftsminister Gabriel wiederholte seine
Leier von der Marktintegration der Erneuerbaren, den angeblichen Netzengpässen und diffamierte erneut Betreiber von Ökostromanlagen als jene, die sich auf Kosten der Allgemeinheit
die Taschen voller Geld stopften. Auf diesem Niveau war an eine fachlich fundierte Beratung
des Gesetzes nicht zu denken. Die grüne Bundestagsfraktion hat sich wegen des unwürdigen
Verfahrens an der Abstimmung nicht beteiligt und Beschwerde bei Bundestagspräsident Lammert eingelegt.
Für die Energiewende ist das schwarz-rote Machwerk ein enormer Rückschritt. Unsere Kritik
richtet sich dabei vor allem auf folgende verfehlten Weichenstellungen:
1. Bürokratie würgt Ökostrom ab
Nach der Klimavereinbarung von Paris war es nur schwer vorstellbar, dass der Ökostromausbau in Deutschland um mehr als die Hälfte gegenüber dem Trend der letzten Jahre abgebremst wird. Genau das aber hat diese Koalition jetzt durchgesetzt. Mit hochbürokratischen
Ausschreibungsmodellen und sage und schreibe 10 Ausbaudeckeln rückt sie der Energiewende
zur Leibe – je 2 für Windkraft an Land, auf See und für die Bioenergie, dazu noch 3 Deckel für
Fotovoltaik und der „Oberdeckel“ von 45 Prozent Ökostromanteil bis 2025. Wer so vorgeht,
der will den Ökostromausbau nicht gestalten, der will ihn abwürgen.
2. Bürgerenergien werden aus dem Markt gedrängt
Die Novelle geht gerade denen an den Kragen, die bislang mit der Garant für den Erfolg der
Energiewende sind: Den Bürgerenergien. Die vielerorts gegründeten Energiegenossenschaften
drohen weiter zurückgedrängt zu werden. Denn das Ausschreibungsverfahren bringt für sie
enorm viel Papierkram und viel Ungewissheit. Das Investitionskapital für Windparks zu bekommen wird schwieriger und voraussichtlich auch teurer, die Unsicherheit, ob man im Ausschreibungskampf letztlich zum Zuge kommt, dürfte viele Bürger*innen ebenso abschrecken
wie die drohenden Strafzahlungen, wenn ein Zuschlag zwar erteilt wird, das Projekt aber
nicht realisiert werden kann, etwa weil Naturschutzvorgaben dagegen sprechen. In letzter Minute wurden noch ein paar Sonderregelungen für Energiegenossenschaften ins Gesetz geschrieben. Dies ändert aber nichts daran, dass die Bürgerenergien harten Zeiten entgegengehen und die Energiewende in die Hand der Energiewirtschaft wandert, die die Erneuerbaren
jahrelang bekämpft haben.
3. Verbraucher zahlen drauf für noch mehr Industrieprivilegien
Wie immer wurde bei der EEG-Novelle auch diesmal um die Kosten geschachert. Und wie immer geht die Industrie als Gewinner vom Platz. Schwarz-Rot hat auf den letzten Drücker die
Anforderungen für Industrieprivilegien abgesenkt. Das Ganze gibt es ohne jegliche Gegenleistung – etwa in Form von Effizienzmaßnahmen. Ab jetzt können also noch mehr Unternehmen
sich vor der EEG-Umlage drücken. Zahlen müssen dafür die Verbraucher. Allein diese erneute
Ausweitung des Kreises privilegierter Unternehmen kostet die Bürgerinnen und Bürger sowie
kleine und mittlere Unternehmen knapp 1 Milliarde Euro jährlich. Soviel zur Mär, die Bundesregierung wolle die Kosten des EEG senken.
WESENTLICHE INHALTE DER NOVELLE
Der Ausbaukorridor von 40 bis 45 Prozent Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch im Jahr 2025 wird beibehalten. Dieser, bereits 2014 eingeführte Deckel birgt jede Menge Sprengstoff. Im letzten Jahr deckte Ökostrom bereits ein Drittel des
Stromverbrauchs ab. In den kommenden zehn Jahren dürfte der Ausbau folglich jährlich
nur maximal 1,2 Prozentpunkte mehr Ökostromanteile erbringen nach über 3 Prozentpunkten pro Jahr in den letzten fünf Jahren. Gegenüber dem Zeitraum 2010-2015 wäre
das ein Einbruch des Ausbautempos von über 60 Prozent.
Für jede Ökostromtechnologie sollen verbindliche Obergrenzen für die jährliche Ausschreibungsmenge eingeführt werden.
Wind an Land: 2.800 MW brutto und ab 2020 2.900 MW brutto (das heißt inklusive
Repowering)
Wind auf See: 500 MW (2021-2022), 700 MW (2023-2025), 840 MW (2026-2030)
Solaranlagen (betrifft Anlagen > 750 kW): 600 MW
Biomasse: 150 MW in 2017 bis 2019 und 200 MW in 2020 bis 2022
Die Vergütungshöhen sollen ab dem Jahr 2018 bei Windkraftanlagen, großen Solar- und
Biomasseanlagen über Ausschreibungen ermittelt werden. Der Bundestag wird dann nur
noch die Vergütungshöhen für kleine PV-Anlagen (< 0,75 MW), Geothermie und Wasserkraftwerke festlegen.
Es wird ein Pilotvorhaben für technologieoffene Ausschreibungen geben. Das heißt konkret, Wind- und Solarkraft beteiligen sich gemeinsam an einer Ausschreibung. Zum Zuge
kommt die preiswerteste Technik. Es ist zu befürchten, dass damit bereits die nächste
EEG-Reform vorbereitet wird. Als Konsequenz würde der Ökostromzubau sich dann wohl
voll und ganz auf die besonders preiswerte Windkraft an Land beschränken. Wir brauchen aber einen klugen Mix aus allen Erneuerbaren Energien.
Für Windprojekte an Land, die nach altem EEG vergütet werden und zwischen dem 1.
März und bis zum 1. August 2017 ans Netz gehen, wird die Vergütung monatlich um
1,05 Prozent gekürzt.
Kleine Solaranlagen (unter 0,75 MW) sind von den Ausschreibungen ausgenommen. Für
Windkraftanlagen, die von lokal verankerten Genossenschaften geplant werden, gelten
besondere Ausschreibungsbedingungen. Sie müssen zum Beispiel im Unterschied zu anderen Bietern keine Genehmigung ihrer Anlage vorlegen, sondern können diese teure
Vorleistung nachreichen, wenn sie den Zuschlag erhalten haben.
Biomassebestandsanlagen aller Größenklassen können sich über die Ausschreibungen
um eine Anschlussfinanzierung bewerben. Dabei müssen allerdings auch kleine Bestandsanlagen unter 150 Kilowatt (kW) mit großen Neuanlagen konkurrieren. Die kleinen
Anlagen haben damit nur auf dem Papier eine Chance auf eine Anschlussfinanzierung, in
07/2016 | Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion | HINTERGRUND VOM 8. JULI 2016
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der Realität wird diese Regelung keine Bedeutung haben und die kleinen Bestandsanlagen werden verschwinden. Neue kleine Biomasseanlagen unter 150 kW Leistung können
hingegen weiterhin eine Einspeisevergütung erhalten.
Obwohl der Ausbau der Photovoltaik auf Dächern in den letzten drei Jahren massiv eingebrochen ist, will die Bundesregierung an der 2014 eingeführten EEG-Umlage auf den
Eigenverbrauch von Ökostrom festhalten anstatt neue Impulse für den Ausbau der Solarenergie zu setzen.
Der Kreis der von der EEG-Umlage weitgehend befreiten Unternehmen wird ausgeweitet.
Künftig genügt es, wenn die Energiekosten 14 statt bisher 17 Prozent der Bruttowertschöpfung ausmachen, um 80 Prozent der EEG-Umlage erlassen zu bekommen. Dadurch
wird die EEG-Umlage für Normalkunden um knapp 1 Milliarde Euro steigen.
Erstmals soll Nordhessen und weite Teile Norddeutschlands zu einem sogenannten Netzengpassgebiet erklärt werden, in dem der jährliche Ausbau von Windkraftanlagen noch
zusätzlich eingeschränkt wird.
Ebenfalls neu eingeführt werden so genannte „zuschaltbare Lasten“. Sie sollen vermeiden, dass Windkraftanlagen wegen Netzüberlastung abgeschaltet werden müssen. Der
Strom soll dann, zum Beispiel die Wärmeversorgung über Wärmenetze unterstützen. So
würden Strom- und Wärmemarkt miteinander verbunden („Sektorkopplung“). Die zuschaltbaren Lasten sind jedoch auf 2.000 MW begrenzt, zudem gilt die Regelung nur in
den Netzengpassgebieten.
Die Bundesregierung wird zum Erlass einer Verordnung für Mieterstrommodelle ermächtigt. Wann und ob diese kommt bzw. wie sie konkret aussehen soll, ist aber völlig unklar.
GRÜNE BEWERTUNG
Die EEG-Novelle ist eine Absage der Großen Koalition an die selbstgesteckten Klimaschutzziele.
Statt den auf der Pariser Klimaschutzkonferenz eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen und Ökostrom schneller auszubauen, vollzieht die Bundesregierung eine Vollbremsung
beim Ökostromausbau.
Das Gesetz ist eine politisch motivierte Schikane, die Menschen und Unternehmen davon abhalten soll, sich weiter für Energiewende und Klimaschutz zu engagieren. Denn nichts anderes
passiert gerade im Land. Nachdem durch die letzten EEG-Novellen schon die Solarindustrie
zerlegt und die Bioenergien ausgebremst wurden, droht nun auch die Windkraftbranche auszubluten. Viele der heute rund 150.000 Arbeitsplätze in der Windbranche sind dadurch gefährdet.
Der strikte Ökostrom-Deckel verhindert zudem Investitionen in die dringend erforderliche
Sektorkopplung, sprich: die intelligente Vernetzung von Strom-, Wärme- und E-Mobilität.
Denn es wird in Deutschland künftig schlichtweg nicht genug Ökostrom erzeugt werden, um
auch den Wärmemarkt zu bedienen und Fahrzeuge damit zu betreiben. Ob die Einführung von
maximal 2.000 MW zuschaltbarer Lasten hier etwas bewirkt, bleibt abzuwarten. Ebenso ist zu
hinterfragen, ob die Bundesregierung von der neuen Möglichkeit zum Erlass einer Verordnung
zum Mieterstrom Gebrauch machen wird. Bislang stand das Bundeswirtschaftsministerium
solche Modellen stets ablehnend gegenüber.
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Die von Schwarz-Rot vorgebrachten Beweggründe für die EEG-Novelle werden von uns aus
folgenden Gründen nicht geteilt:
•
Die EU-Kommission ermöglicht es, dass Windkraftanlagen mit einer Leistung von bis zu
18 Megawatt (MW) von der Ausschreibungspflicht befreit werden können. Im Gesetzentwurf wird die Grenze jedoch bei 0,75 MW gezogen.
•
Die vorgebliche Kostensenkung ist ein leeres Versprechen. Denn zum einen erhöhen
Ausschreibungen die finanziellen Risiken, so dass die Banken entsprechend Risikoaufschläge für Kredite erhöhen werden und der Ökostrom teurer statt billiger wird. Zum
anderen werden noch mehr Unternehmen zu Lasten der anderen Stromverbraucher von
der EEG-Umlage befreit. Die ungerechte Kostenverteilung zwischen Industrie sowie Mittelstand und Privathaushalten wird also noch verstärkt.
•
Bei den Stromnetzen spielt Schwarz-Rot mit gezinkten Karten. Die steigenden Kosten
des Stromnetzbetriebs schiebt die Bundesregierung ohne jede substanzielle Analyse der
Windenergie in die Schuhe und begründet damit die Reduktion des Ausbauziels. Dass
Atom- und Kohlestrom, zum Beispiel aus den Kraftwerken Brokdorf und Moorburg, die
Netze verstopfen, bleibt ebenso unberücksichtigt wie die Tatsache, dass wichtige Netzausbaumaßnahmen wie die Thüringer Strombrücke sowie die West- und die Ostküstenleitung in Schleswig-Holstein bald in Betrieb gehen und für Entlastung sorgen werden.
Das Ausbremsen der Windenergie ist also eine Therapie, der keine ernsthafte Diagnose
über die tatsächlichen Ursachen zugrunde liegt. Die Einschränkung des Windkraftzubaus in "Netzengpassgebieten" ist letztlich Gabriels Energiewende-Bankrotterklärung.
Denn er begründet das Ausbremsen der Windenergie mit seiner eigenen Unfähigkeit
den Stromnetzausbau voranzubringen. Der Netzausbau muss sich aber weiterhin am
Ausbau der Erneuerbaren orientieren und nicht umgekehrt.
WAS WIR WOLLEN
Die EEG-Novelle ist inakzeptabel, denn sie fährt die Energiewende vor die Wand. Das mit der
heißen Nadel gestrickte und mit enormen Zeitdruck durchgedrückte Gesetz zeigt einmal mehr:
Diese Regierung kann es nicht!
Unsere Forderungen im Einzelnen:
•
Die Begrenzung des Ausbaus von Ökostrom auf 40 bis 45 Prozent bis 2025 beziehungsweise 55 Prozent bis 60 Prozent bis 2035 sind ebenso zu streichen wie die Obergrenze
von 52 Gigawatt (GW) für den Ausbau von Solarstromanlagen.
•
Beim Ausbau von Windkraft an Land sind jährlich mindestens 2.500 MW (netto), beim
Ausbau von Solarstrom jährlich mindestens 5.000 MW anzupeilen;
•
Die Akteursvielfalt beim Ausbau erneuerbarer Energien ist zu sichern und die Möglichkeiten im EU-Recht zur Befreiung von der Ausschreibungspflicht vollständig auszuschöpfen.
•
Die zusätzliche Degression in Höhe von 1,05 Prozent monatlich bei Windkraftprojekten,
die vom 1. März bis zum 1. August 2017 ans Netz gehen, ist ersatzlos zu streichen.
•
Die Vorrangregelung für Strom aus erneuerbaren Energien im Stromnetz ist in allen Bereichen durchzusetzen und Netzengpässe - etwa im Zuge des verzögerten Netzausbau zu vermeiden durch das Herunterfahren von Kohlekraftwerken beziehungsweise das
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Überführen von Ökostrom-Überschüssen über die Sektorkopplung in eine sinnvolle
Nutzung im industriellen, Wärme- oder Verkehrsbereich.
•
Die Besondere Ausgleichsregelung soll auf tatsächlich energie- und außenhandelsintensive Unternehmen beschränkt und dazu eine Regelung analog zur EU-Strompreiskompensationsliste umgesetzt werden, in der die EU-Kommission 15 Branchen benannt hat, die als wirklich strom- und außenhandelsintensiv anerkannt sind.
•
Als Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Besonderen Ausgleichsregelung soll
künftig die konkrete Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen gelten. Dabei sind die
bereits erreichten Erfolge zu berücksichtigen. Zur Grundlage für die Gewährung der Besonderen Ausgleichsregelung sollen Energieeffizienz-Kennzahlen und Benchmarks angelegt werden.
•
Die Eigenstromreglung soll im EEG nach Klimaschutzgesichtspunkten ausgerichtet werden und dazu
• Eigenstrom aus erneuerbaren Energien sowie aus hocheffizienter Kraft-Wärme-Kopplung wieder von der EEG-Umlage befreit werden.
• Mieterstrommodelle, bei denen die lokale Versorgung von Mietshäusern mit umweltfreundlichem Strom zum Beispiel aus Solaranlagen ohne Inanspruchnahme des öffentlich Stromnetzes erfolgt, sollen dem Eigenstrom aus erneuerbaren Energien und
KWK gleichgestellt und ebenfalls von der EEG-Umlage befreit werden.
•
•
Eigenstromverbrauch konventioneller Kraftwerke soll dagegen grundsätzlich mit der
EEG-Umlage belastet werden.
Die künftige Finanzierung von Strom aus Biomasse soll stärker auf den Umbau bestehender Biomasseanlagen ausgerichtet werden. Diese sollen eine Anschlussfinanzierung erhalten, sofern sie auf einen effizienten, flexiblen und nachhaltigen Betrieb umgerüstet
werden und der Anbau von Energiepflanzen nachhaltig erfolgt. Die Menge der Stromerzeugung aus Biomasse wollen wir dabei auf dem heutigen Stand erhalten.
Wir brauchen nach der Bundestagswahl 2017 ein neues EEG, das Klimaschutz und Energiewende endlich wieder ernst nimmt.
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