05.07.2016, Umstrittene Zinswetten - Berater als Zeugen vor

Manuskript
Beitrag: Umstrittene Zinswetten –
Berater als Zeugen vor Gericht
Sendung vom 5. Juli 2016
von Eleni Klotsikas und Reinhard Laska
Anmoderation:
Über den Brexit ist eine andere Krise kurz aus dem Blick geraten,
dabei ist sie noch nicht zu Ende. Die Schuldenkrise betrifft nicht
nur Länder wie Griechenland, sondern auch deutsche
Kommunen. Denen hatten Banken, sogar Landesbanken,
hochspekulative Swap-Papiere andrehen lassen. Danach waren
die Schuldenberge häufig höher als zuvor. Bis heute wird vor
Gericht gestritten, ob die Kommunen falsch beraten wurden. Nur
sind ausgerechnet die Berater die einzigen Zeugen vor Gericht.
Falsche Zeugen? Fragen Eleni Klotsikas und Reinhard Laska.
Text:
Der Pforzheimer Oberbürgermeister kämpft um Millionen Euro.
Die hat seine Stadt bei windigen Bankgeschäften verloren.
O-Ton Gert Hager, SPD, Oberbürgermeister Pforzheim:
Da ist natürlich einerseits der geldliche Schaden, die vielen
Millionen, die weg sind. Aber natürlich ist es auch ein
Vertrauensschaden der Bürgerschaft, denn letztlich ist es ja
Geld der Steuerzahler, das hier weggeht. Und die Bürger und das kann ich nachvollziehen - haben keinerlei
Verständnis dafür, dass hier von den Banken aus mit
Steuergeldern gezockt wurde.
Pforzheim 2004. Die Stadt ist hochverschuldet, will etwas
dagegen tun. Die Deutsche Bank verspricht zu helfen, verkauft
der Kommune sogenannte Derivate. So sollten Zinsen gespart
werden. Angeblich eine sichere Sache - tatsächlich aber
Geschäfte mit großen Risiken.
O-Ton Gert Hager, SPD, Oberbürgermeister Pforzheim:
Der Schaden hätte in eine dreistellige Millionenhöhe
reinlaufen können. Wir sind mit 57 Millionen ausgestiegen,
wir haben unsere gesamten Rücklagen auflösen müssen.
Die Deutsche Bank weist jede Verantwortung zurück. Wenn die
Stadt die Papiere länger gehalten hätte, wären sogar Gewinne
angefallen, lässt sie wissen.
2010 schlägt die Staatsanwaltschaft zu. Das Rathaus wird
durchsucht, Akten beschlagnahmt. Im Visier der Ermittler vor
allem die ehemalige Kämmerin der Stadt. Der Vorwurf gegen sie:
schwere Untreue. Sie hatte versucht, die Verluste aus dem
Deutsche Bank-Geschäft bei einer amerikanischen Bank
auszugleichen. Das ging schief und riss die Stadt noch weiter
rein. Das, so beteuert die Kämmerin, habe sie nicht geahnt.
O-Ton Susanne Weishaar, ehemalige Stadtkämmerin
Pforzheim, am 20.4.2010:
Ich war sehr enttäuscht, ich war überrascht und ich konnte
es auch gar nicht gleich glauben, dass die Bank uns Dinge
verkauft, die sich so entwickeln könnten. Denn das war ja
ganz klar, als Kommune müssen wir vorsichtig umgehen,
sparsam umgehen mit den Geldern unserer Steuerzahler.
Seit sieben Jahren laufen die Ermittlungen gegen Susanne
Weishaar und weitere Mitarbeiter der Stadt. Die Kämmerin ist
zermürbt, sie muss eine langjährige Haftstrafe befürchten. Aus
Angst vor Nachteilen im Prozess will sie sich nicht mehr vor der
Kamera äußern - der Oberbürgermeister allerdings schon:
O-Ton Gert Hager, SPD, Oberbürgermeister Pforzheim:
Dass das sieben Jahre geht, ist sowohl für die Angeklagten
eine fast schon Unverschämtheit, als auch gegenüber der
Bürgerschaft. Auch die Bürgerschaft hat ein Recht drauf zu
wissen, wie das letztendlich juristisch ausgeht. Das geht gar
nicht.
Viele Privatbanken, aber auch öffentlich-rechtliche Institute,
streiten seit Jahren mit ihren Kunden vor Gericht wegen der
geplatzten Spekulationsgeschäfte. Oft geht es um Verluste aus
sogenannten Derivaten, angeblich zur Zinsabsicherung. Für die
Banken damals ein Verkaufsschlager, für deren Kunden meist
hochriskant.
Wir treffen eine Aussteigerin, die Bankerin will anonym bleiben.
Mit einer Schauspielerin machen wir deutlich, was sie berichtet.
Als Bankberater sei sie in der ganzen Republik unterwegs
gewesen. Jahrelang habe sie Zockerpapiere verkauft, erzählt sie.
Die Kunden hätten oft nicht verstanden, was sie da für Risiken
eingingen. Dafür sei sie extra geschult worden. Ein bankinterner
Coach habe sie regelmäßig trainiert. Damals liefen die Geschäfte
wie geschmiert.
Als die ersten Derivate platzen, ziehen viele Kunden vor Gericht,
wollen ihr Geld zurück. Doch dort werden heute oft die zu
wichtigen Zeugen, die damals die Papiere verkauft haben.
O-Ton Bankberaterin:
Wenn Sie nach wie vor Ihr Gehalt von der Bank beziehen,
wird Ihre Aussage ganz anders lauten, als wenn Sie frei sind
und direkt gesagt, die Wahrheit sagen können. Ich habe
immer wieder erlebt, dass viele Bankmitarbeiter im Sinne des
Arbeitgebers aussagen, nicht im Sinne des Kunden.
Nur wenn die Bankkunden nachweisen, dass sie falsch beraten
oder gar getäuscht wurden, kann eine Bank zu Schadenersatz
verurteilt werden. Ansonsten gehen die Kläger leer aus, bleiben
dazu auf Gerichts- und Anwaltskosten sitzen.
Ein weiterer Insider schildert, wie Verkäufer von ihren Banken auf
Prozesse vorbereitet werden.
O-Ton Bankberater:
Die Bank spricht natürlich mit Ihnen und da gibt es jemanden
vom sogenannten Beschwerdemanagement, der das Ganze
koordiniert. Dann natürlich ein Anwalt, ein externer Anwalt,
der die Bank vertritt. Vor Gericht kommt noch ein interner
Anwalt der Bank dazu, einer aus der Rechtstabteilung. Es ist
klar, die Prozesse sollen für die Bank gewonnen werden. Da
heißt es eben, Sie haben mit dem Kunden doch über alles
gesprochen, über die Risiken aufgeklärt, das bringen wir vor
Gericht schon durch.
So wird der freundliche Bankberater plötzlich zum Gegner. Dabei
wären solche Absprachen nicht nur moralisch fragwürdig,
sondern auch juristisch riskant.
O-Ton Jochen Weck, Rechtsanwalt:
Wenn ein Anwalt vor einer Zeugeneinvernahme dem Zeugen
Fragen vorgibt und auch die Antworten, ist das natürlich ein
versuchter Prozessbetrug. Das ist unzulässig. Er kann im
Vorfeld den Sachverhalt ermitteln, aber dem Zeugen keine
ihm genehmen Antworten in den Mund legen.
Ende März hat sich der Bundesgerichtshof mit der nordrheinwestfälischen Stadt Hückeswagen beschäftigt. Auch die hatte
hohe Verluste mit Derivaten gemacht. Die Richter verlangen: Die
Stadt müsse beweisen, dass sie damals von der Westdeutschen
Landesbank getäuscht wurde. Der Fall wurde zurück verwiesen
ans Oberlandesgericht Köln. Dort kommt es auch wieder auf die
Bankzeugen an und was sie sagen.
Hückeswagen. Für Bürgermeister Dietmar Persian geht es um
rund 20 Millionen Euro für seine Stadt.
O-Ton Dietmar Persian, Bürgermeister Hückeswagen:
Ich bin ganz zuversichtlich, dass auch festgestellt wird, dass
hier eindeutig nicht das Verschulden bei der Stadt liegt.
Dass es gut ausgeht für Hückeswagen, diesen Optimismus teilen
ehemalige Derivate-Verkäufer anderer Banken nicht, auch wenn
sie heute nicht mehr von ihren Produkten überzeugt sind.
O-Ton Bankberater:
Da kommt man ins Zweifeln im Nachhinein. Das ist natürlich,
man fragt sich, warum hat man dem Kunden das bloß
angeboten. Hätte man es doch lieber nicht gemacht. Und
dann müssen Sie aber vor Gericht sagen, dass alles in
Ordnung war.
Gegner vor Gericht ist die Abwicklungsbank der untergegangenen
Westdeutschen Landesbank, der WestLB. Sie liegt immer noch
mit zwei Dutzend Kommunen im Rechtsstreit. Sie hatte
Hückeswagen mit Derivat-Geschäften gelockt. So wie in
Pforzheim sollten dadurch die Schulden sinken. Und wie in
Pforzheim gab es in Hückeswagen Verluste in Millionenhöhe.
O-Ton Dietmar Persian, Bürgermeister Hückeswagen:
Es ist ja nicht irgendwer, der uns hier beraten hat, sondern
die WestLB aus der Sparkassenorganisation – also,
sozusagen unsere Bank. Deshalb haben wir da ja auch
besonders drauf vertraut, dass das, was man uns sagt, auch
richtig ist und nicht zum Schaden der Stadt ist. Das ist
natürlich besonders enttäuschend.
Verliert Hückeswagen, muss die Stadt einen zweistelligen
Millionenverlust verkraften - mit Folgen für alle Bürger. Auf dem
Spiel steht das Hallenbad, die Bibliothek würde wohl
geschlossen.
Das kleine Städtchen im bergischen Land ist nur eine von
Hunderten deutscher Kommunen, die mit Millionenschäden
wegen riskanter Bankversprechen kämpfen muss - bis heute. Und
kein Ende ist in Sicht.
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