Instanzen-Philosophie - Kapitel 2: Spekulatives Denken Abschnitt 2.2a Postmoderne - Versuch einer Klärung In der Einleitung zu den ersten drei Aufsätzen im bereits erwähnten Buch 'Nachmetaphysisches Denken'1, in denen es erklärtermassen um die Zurückweisung metaphysischer Denkmuster geht, bleibt der Duktus der Ausführungen so unklar, dass man nicht mehr weiss • ob Habermas was er Rückkehr des metaphysischen Denkens nennt (auch wenn nicht feststeht, dass es je ausgewandert wäre) als Beitrag zur Postmoderne, d.h. als eine Erscheinung des Abschieds von einem nicht explizit angegebenen nicht-metaphysischmodernen Denken verstanden haben wissen will, • oder ob er einem modernen Denken überhaupt erst auf die Beine helfen zu müssen glaubt, und dazu störende Einflüsse eines noch nicht verabschiedeten metaphysischen Denkens abschirmen will. Was er über Brüche zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Malerei, Musik2 und Literatur schreibt3, spricht dafür, dass er einen entsprechenden analogen bzw. geistesverwandten Bruch in der Philosophie vermisst, spricht also für die zweite Variante. Dass er aber weiter unten dann auf eine post-moderne Architektur und eine alternde Moderne zu sprechen kommt, könnte im Gegenteil darauf hindeuten, dass er eine von ihm übersensibel wahrgenommene Verstärkung metaphysischer Überlegungen nicht als fehlenden und nachzuholenden Aufbruch der Philosophie in die Moderne deutet, sondern als Zeichen nachlassender Virulenz der Moderne, was für die erste Variante sprechen würde. Ich verspüre kein Bedürfnis, hier eine Entscheidung zu treffen, d.h. mich an der Unklarheit von Habermasens Text abzuarbeiten, zumal ich seine Vorstellung von Moderne und Postmoderne, soweit ich ihn verstehe, nicht teile. Für mich gibt es kein Problem mit der Postmoderne, wie ich sie verstehe, nämlich als aufgeklärte, gleichsam zweite (man könnte auch sagen eigentliche) Moderne. Unter der ersten Moderne verstehe ich das Abschütteln der katholisch-imperialen in die Lebenspraxis eingreifenden, d.h. mit Machtentfaltung, Pomp und Prunk ins Weltliche ausgreifenden Sinndeutungs-Hoheit, jedoch zunächst keine Abkehr von der christlichen Glaubensordnung. Diese erste Moderne gewann dann aber eine Eigendynamik, der das Religiöse überhaupt zum Opfer fiel. Die erste Moderne bedeutete zuletzt radikale Säkularisierung und entsprechende radikale Autonomie für den Menschen. Die damit verbundene allmählich zum Vorschein kommende LebensFeindlichkeit führt , seit einigen Jahrzehnten bis in unsere Tage zu einer anhaltenden Besinnung auf das, was eigentlich mit einer Moderne verbunden ist, die lebensfreundlich bleibt, was doch ein 1 Jürgen Habrmas: Nachmetaphysisches Denken, Suhrkamp, Ffm, 1988 In der Musik besteht der Bruch übrigens nicht, wie Habermas schreibt, im Übergang von der Oktave zum Zwölftonsystem, sondern von der tonal-harmonischen Ordnung zu einer nicht-tonalen seriellen Ordnung − in den markantesten Ausprägungen −, wobei die Reihe ('Serie') von Werk zu Werk vom Komponisten frei bestimmt werden kann; es muss zuletzt keine Zwölfton-Reihe mehr sein, sondern irgendeine N-Ton-Reihe, wobei N eine ganze Zahl ist, die freilich nur so gross sein darf, dass das Material noch handhabbar ist. Für N>12 wird dies problematisch, da dann das Register als Parameter bereits in die Reihe eingehen muss, jedenfalls solange man an der 'wohltemperierten Halbton-Stimmung' festhält; bei Vierteltonsystemen kann N problemlos>12 sein. 3 Habermas überght in seiner Aufzählung denn für die Wissenschaft wohl wichtigsten Bruch, nämlich die Katastrophe der klassischen Pysik, insbesondere der Mechanik im Bereich atomarer Naturerscheinungen, eine Katastrophe, die ein radikales Umdenken auslöste, das der Phaysik ein neues Profil gab, das der Quantentheorie. IKm Zentrum des neuen Denkens steht seither ein universelles Ausschliessungs-Prinzip, formuliert in der sog. Heisenbergschen Unschärferelation oder, formal äquivalent im Bohrschen Komplementarritäts-Prinzip. Ich erwähne das ausführlich, weil mit der Instanzen-Philosophie ein völlig ana.loges Ausschliessungs-Prinzip in die Metaphysik Einzug hält. Ich nenne es Ontologische Unschärferelation oder alternativ Ontologisches Komplementär-Prinzip. Unschärferelation und Komplementarität betreffen in der Ontologie die Vorstellung von (metaphysisch) Seiendem und dessen Bestimmung. 2 unaufgebbares Desiderat zu sein scheint. Und so kehrt denn das Bewusstsein für die unverzichtbare, immer schon gegebene niemals aufkündbare Urbindung an eine Lebenswelt oder ein DA-SEIN zurück, das Anlass ist für die Ausbildung einer neuen, zweiten, aufgeklärten Moderne, die nicht mehr wie die erste über das Ziel hinausschiesst und mit den Auswüchsen der Religionssysteme das Religiöse überhaupt abstösst. Die Postmoderne ist - so verstanden - lediglich die Korrektur einer ins extreme Abseits geratenen (eben ersten) Moderne. Die Moderne als solche wird in dieser Lesart von der Postmoderne nicht im geringsten bedroht. Es ist allerdings fraglich, ob alle Protagonisten der Postmoderne diese geistige Strömung so verstehen wie ich sie hier deute. Oder - wie ich sagen würde - ob sich die Postmoderne überhaupt selbst versteht. Für das spekulativ-metaphysische Denken heisst dies: Es ist keineswegs ausgemacht, dass es der Moderne schadet; es kann ihr ebenso gut zu der Aufklärung verhelfen, die zum Übergang in die zweite, eigentliche (schon immer gemeinte) Moderne benötigt wird. Ich schliesse mich der zweiten Lesart an: Ich bin begründbar der Ansicht, dass die Aporien der ersten Moderne4, die in der Postmoderne getilgt sein sollen, zu einem beträchtlichen Teil auf eine hilflose Einstellung zur Metaphysik dieser 'Früh-Moderne' zurück gehen, dass also jede Postmodrne einen Paradigmawechsel mit sich bringen muss, der die Bedingungen festlegt, unter denen Metaphysik in der Moderne Existenzberechtigung nicht er-, sondern be-hält. In diesem Punkt stimme ich mit Habermas insofern überein, als auch er eine Postmoderne nur zu akzeptieren scheint, wenn sie einen hinreichenden Paradigmawechsel bringt, weg von der klassischen Bewusstseins-(Subjekt-/Reflexions-) Philosophie. Habermas schlägt auch gleich ein neues Paradigma vor: nämlich - wenig verwunderlich - sein eigenes sprachpragmatisch (naturalistisch an Mead angelehntes Konzept einer kommunikativen (im Gegensatz zur subjektzentrierten) Vernunft, in der "das Paradigma der Erkenntnis von Gegenständen durch das Paradigma der Verständigung zwischen sprach-und handlungsfähigen Subjekten abgelöst werden muss"5 Das Paradigma, das ich mit der Instanzen-Philosophie in Gestalt des mit ihr verbundenen Ontologischen Ausschliessungs-Prinzips vorschlage, greift in die Metaphysik selbst ein und nimmt noch einmal den Kantschen Impuls für eine Vernunft-Kritik auf, beschneidet jedoch die Möglichkeit von Erfahrung durch eine ganz andere, zu Kants Zeit noch schlechthin undenkbare Bedingung, eben die im Ontologischen Komplementär-Prinzip gefasste, der Quantenphysik denkverwandte Ausschluss-Bedingung in Bezug auf Vorstellung und Bestimmung metaphysischer Inhalte. 4 gemeint ist die von Habermas thematisierte "Aporetik widersprüchlicher Selbstthematisierungen des sich erkennenden Subjekts" 5 J. Habermas: Der philosophische Diskurs der Moderne, suhrkamp, stw 749, Ffm, 1988 (Erstdruck 1983), p.345
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