Interviewtechnik zur Erfassung von

Interviewtechnik zur Erfassung von
Bindungsstörungssymptomen
Josephine D. Kliewer-Neumann, Ina Bovenschen, Inga C. Roland, Katrin Lang,
Gottfried Spangler und Katja Nowacki
Summary
Assessing Disturbances of Attachment Symptoms Using Interview Technique
Disturbances of attachment represent a clinically significant disorder and seriously impair
social behavioural functioning. To date there has been little research and valid diagnostic
methods are lacking. In the present study a German Version of the Disturbances of Attachment Interview developed by Smyke and Zeanah (1999) was used to assess disturbances of
attachment in a sample of foster children and the validity of the translation is investigated.
Furthermore, the Strengths and Difficulties Questionnaire (Goodman, 1997) was used to examine the discriminative validity. The results show a satisfying reliability and the scales of
attachment disorders declare the main of the variance. There is a weak association between
the disinhibited scale and hyperactivity in the SDQ. Overall the disinhibited disorder can be
distinguished from other behaviour patterns. Regarding the inhibited scale there are associations with all SDQ scales and the inhibited category seems harder to distinguish from other
deviant developmental issues. The method is evaluated as a qualified approach to the diagnosis of attachment disorders in the context of a multimethodical approach. Furthermore, the
findings suggest further examination of the construct of attachment disturbances.
Prax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 64/2015, 759-773
Keywords
disturbance of attachment interview – reactive attachment disorder – foster care – diagnostics
Zusammenfassung
Verursacht durch Fürsorgemängel sind Bindungsstörungen ernst zu nehmende psychische
Erkrankungen, die bislang noch wenig erforscht sind. Zur validen Erfassung fehlen insbesondere im deutschen Sprachraum überprüfte standardisierte Verfahren. In dieser Untersuchung
wird das Disturbances of Attachment Interview (DAI: Smyke u. Zeanah, 1999) übersetzt und
zur Validierung in einer Stichprobe von Pflegekindern und ihren Bezugspersonen durchgeführt. Die diskriminative Validität wird durch den zusätzlichen Einsatz des Strengths and
Difficulities Questionnaire (SDQ: Goodman, 1997) erfasst. Die Auswertungen ergaben eine
zufriedenstellende interne Konsistenz und eine hohe Varianzaufklärung durch die Störungsskalen. Zudem zeigte sich die disinhibierte Störungskategorie weitestgehend unabhängig von
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erfassten Verhaltensauffälligkeiten, während Zusammenhänge zwischen der inhibierten Kategorie und allen Verhaltensdimensionen des Fragebogens gefunden werden konnten. Somit
zeigte sich die enthemmte Störungskategorie deutlich diskriminativ von anderen Auffälligkeiten. Die gehemmte Form scheint jedoch schwerer von Verhaltensanomalien trennbar zu
sein, beziehungsweise mit Auffälligkeiten einher zu gehen. Insgesamt zeigen die Ergebnisse
das Instrument als eine geeignete Methode zur Erfassung von Bindungsstörungen im Rahmen eines multimethodischen Vorgehens und implizieren eine weitere Untersuchung des
Störungskonstrukts.
Schlagwörter
Bindungsstörungen – Diagnostik – Bindungsstörungsinterview – Pflegekinder
1
Hintergrund
Schon seit Beginn der Bindungsforschung wird eine sichere Bindungsbeziehung zu
primären Bezugspersonen als wichtiger protektiver Faktor für die kindliche Entwicklung betrachtet (Bowlby, 1952), während ein unsicheres Bindungsmuster als Risikofaktor für die Entwicklung bewertet wird (z. B. Greenberg, Speltz, DeKlyen, 1993;
Lewis, Feiring, McGuffog, Jaskir, 1984; McCartney, Owen, Booth, Clarke-Stewart,
Vandell, 2004). Ein unsicheres Bindungsmuster allein ist nicht pathologisch, doch
kann dysfunktionales und ungerichtetes Bindungsverhalten auch Symptom einer eigenständigen psychischen Störung sein und wird in den Diagnosesystemen ICD und
DSM als solche aufgeführt (van IJzendoorn u. Bakerman-Kranenburg, 2003).
1.1 Theoretischer Hintergrund der Bindungsstörungen
Die bisherige Forschung im Bereich Bindungsstörungen basiert fast ausschließlich auf
Verhaltensbeobachtungen an Kindern, die unter extremen Bedingungen in großen
Heimeinrichtungen aufwachsen (Chisholm, 1998; O’Connor, Bredenkamp, Rutter, and
the English and Romanian Adoptees Study Team, 1999; Smyke, Dumitrescu, Zeanah,
2002; Zeanah u. Smyke, 2008). Obgleich sich die Umstände dieser Untersuchungen
unterscheiden, wurde übereinstimmend infolge mangelhafter Fürsorgebedingungen
inadäquates Sozialverhalten festgestellt, welches sich insbesondere im Beisein fremder
Personen zeigt (O’Connor u. Zeanah, 2003). Die Befunde von Tizard und Rees (1975)
bilden hierbei die Grundlage für die klinische Kategorie der Bindungsstörungen. Die
meisten der untersuchten Kinder zeigten entweder emotionales Rückzugsverhalten
oder indiskriminierendes Verhalten mit einem hohen Maß an Kontaktaufnahme. Diese beiden Verhaltensmuster stellten die Grundlage für die erste Syndrombeschreibung im DSM-III dar. Bei nachfolgenden Auflagen wurde die Definition wiederholt
überarbeitet, das Grundkonzept jedoch bis zu der aktuellen Fassung des DSM-IV bePrax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 64: 759 – 773 (2015), ISSN: 0032-7034 (print), 2196-8225 (online)
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ziehungsweise DSM-5 und der ICD-10 erhalten. Die heutigen Definitionen der Bindungsstörung in beiden Manualen basieren folglich auf Befunden an Kindern, die in
großen Heimeinrichtungen aufgewachsen sind (Minde, 2003).
1.2 Aktuelle Definition der Bindungsstörung
Die klinische Kategorie umfasst einen inhibierten und einen disinhibierten Subtyp, die
im DSM-IV unter dem gemeinsamen Begriff „Reaktive Bindungsstörung“ aufgeführt
werden. Entsprechend der Subkategorien finden sich in der ICD-10 zwei Störungsbilder: Die reaktive Bindungsstörung des Kindesalters (F94.1), die dem inhibierten
Subtypus des DSM-IV entspricht, und die Bindungsstörung des Kindesalters mit Enthemmung (F94.2), die dem disinhibierten Subtypus entspricht. Das aktuelle DSM-5
katalogisiert beide Störungstypen getrennt, wobei die „Reaktive Bindungsstörung“
den gehemmten Subtyp umfasst und die enthemmte Störung unter dem Konzept einer enthemmten Störung des Sozialverhaltens gelistet ist. Übereinstimmend zeichnet
sich der inhibierte Störungstyp durch Zurückgezogenheit, Überwachsamkeit und ambivalenter oder sonderbarer Suche nach Nähe einer Bezugsperson aus. Im Gegensatz
dazu steht bei dem disinhibierten Typus indiskriminierendes Verhalten durch die
Suche nach Nähe und Kontakt zu jeder verfügbaren Bezugsperson im Vordergrund
(Boris, Zeanah, Larrieu, Scheeringa, Heller, 1998). Beiden Störungsbildern ist die
mangelnde Differenzierung bei der Suche oder Vermeidung von Kontakt und Nähe
gemein, das heißt, dass das gezeigte Beziehungsverhalten nicht personenspezifisch,
sondern generalisiert in Erscheinung tritt. Ein Ansatz, der neben der gehemmten und
der ungehemmten Form noch weitere Bindungsstörungskategorien beschreibt, wurde 1995 von Lieberman und Zeanah veröffentlicht. Die Autoren beschreiben mit der
„Störung der sicheren Basis“ eine Störung der Bindungsbeziehung, die sich durch Verhaltensweisen wie Selbstgefährdung, Ängstlichkeit oder Anklammern des Kindes an
die Bezugsperson manifestiert. Diese Kategorie beschreibt eine Störung innerhalb der
Beziehung zu einer bestimmten Bezugsperson und ist aktuell nicht in den Diagnosemanualen berücksichtigt (Boris u. Zeanah, 1999).
1.3 Ätiologische Faktoren
In der Syndrombeschreibung durch das DSM-IV ist die pathogene Fürsorge als Symptom der Bindungsstörung aufgeführt. Wiederholt werden die symptomatischen
Verhaltensmuster der Bindungsstörungen als Anpassungsleistung des Kindes an
seine pathogene Umwelt beschrieben (Minde, 2003). Einige Autoren betonen diesen
Adaptionscharakter und suggerieren die gezeigten Verhaltensweisen nicht als Störungssymptome zu klassifizieren, sondern als Reaktion auf erlebte Fürsorgemängel
(Balbernie, 2010). Andere Autoren betonen aber, dass die Symptome keinesfalls mit
funktionalem Sozialverhalten zu vereinbaren sind und eine deutliche Beeinträchtigung darstellen (van IJzendoorn u. Bakerman-Kranenburg, 2003).
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Als zentral für die Störungsgenese werden besonders aversive Erfahrungen wie
Misshandlung, Vernachlässigung und Missbrauch durch Bezugspersonen oder Beziehungsabbruch, beziehungsweise das Fehlen von Bezugspersonen angenommen
(Minnis, Marwick, Arthur, McLaughlin, 2006; Boris et al., 2004). Durch Studien mit
rumänischen Waisenkindern wurde vor allem der Zusammenhang zwischen institutioneller Erziehung und Bindungsstörungen wiederholt festgestellt (Chisholm, 1998;
Smyke et al., 2002; Zeanah, Smyke, Dumitrescu, 2002; Zeanah, Smyke, Koga, Carlson, 2005). Ein inkonsistentes Umfeld mit häufigen Betreuungswechseln erhöht so
die Auftretenswahrscheinlichkeit von Bindungsstörungen (Smyke et al., 2002). Verschiedene Arten der Fremdunterbringung stehen folglich in Zusammenhang mit der
Entwicklung von Bindungsstörungssymptomen. Risikogruppen sind neben Heimkindern (Smyke et al., 2002) auch Pflegekinder, bei denen Erfahrungen von Missbrauch
oder Vernachlässigung häufig Ursache für die Fremdunterbringung sind (Minnis et
al., 2006).
1.4 Störungsverlauf
Die beschriebenen Störungsbilder stellen ein erhebliches Entwicklungsrisiko dar:
Smyke et al. (2002) berichten Zusammenhänge zwischen Bindungsstörungssymptomatik und Verhaltensauffälligkeiten und Sprachverzögerungen. Rutter et al. (2007)
betonen zudem, dass neben Problemen mit Gleichaltrigen auch Aufmerksamkeitsprobleme und kognitive Einschränkungen mit Bindungsstörungssymptomen einhergehen können. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Störungskategorien
von anderen Auffälligkeiten diagnostisch abzugrenzen. Gleason et al. (2011) konnten so zeigen, dass beide Störungsformen sowohl voneinander als auch von anderen
Störungen distinkt sind. Während allgemein Konsens über die Symptomdarstellung
herrscht, gibt es verschiedene Befunde zu Überschneidungen oder Stabilität des gehemmten und enthemmten Störungsbildes (Minnis et al., 2009).
Der Verlauf von Bindungsstörungen ist wenig untersucht. Es zeigte sich, dass die
Symptome der inhibierten Störungskategorie durch eine Unterbringung in einer
stabilen familiären Umgebung (Pflegefamilie) reduzierbar sind (Chisholm, 1998;
Smyke et al., 2012). Die disinhibierten Symptome sind stabiler, doch stellen Smyke
et al. (2012) dar, dass eine Unterbringung in einer Pflegefamilie einen deutlich günstigeren Verlauf prognostiziert als eine Heimunterbringung. Personenindifferentes
Verhalten, das sowohl bei der enthemmten als auch bei der gehemmten Form der
Bindungsstörung vorkommen kann (Smyke et al., 2002), scheint resistenter als andere Symptome (Zeanah et al., 2002; Chisholm, 1998). Dieses Verhalten ist auch
nach langer Zeit stabil und kann noch im Jugendalter als Syndrom infolge früherer
deprivierter, institutionalisierter Fürsorge gefunden werden (Hodges u. Tizard,
1989; Rutter et al., 2007).
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1.5 Diagnostik von Bindungsstörungen
Die publizierten Diagnoseinstrumente zur Erfassung von Bindungsstörungssymptomen
basieren weitestgehend auf der Definition des DSM-IV. O’Connor und Zeanah (2003)
stellen dar, dass es insbesondere in den Bereichen Diagnostik und Intervention viele
Kontroversen gibt. Ein Goldstandard für die Diagnostik von Bindungsstörungen ist
bisher nicht gegeben (Boris et al., 2004). Die in der Forschung verwendeten Methoden
wurden bisher lediglich im angloamerikanischen Raum überprüft; dagegen liegen im
deutschsprachigen Raum kaum geeignete Methoden zur objektiven Diagnose der Störungssymptome vor. In der Praxis erfolgt die Diagnosestellung durch die klinische Beurteilung des Diagnostikers, womit die Qualität der Begutachtung von der jeweiligen
Vorerfahrung der Fachkraft abhängt. Auch in der Vielfalt internationaler Forschungsansätze gibt es kaum eine breit akzeptierte Messmethodik (Minde, 2003). Verschiedene
Autoren entwickelten unterschiedliche Messinstrumente zur Erfassung von Bindungsstörungen, die auf protokollierten Verhaltensbeobachtungen, Interview- oder Fragebogentechniken aufbauen. Die strukturierte Untersuchungssituation in der Fremden
Situation (Ainsworth, Blehar, Waters, Wall, 1978) wurde so unter anderem von Riley,
Atlas-Corbett und Lyons-Ruth (2005) verwendet, um indiskriminierendes Bindungsverhalten zu erfassen. Da diese Methode jedoch auf der impliziten Annahme gründet,
dass eine Bindungsbeziehung zwischen der Hauptbezugsperson und dem Kind besteht,
ist die Verwendung dieser in der Bindungsstörungsdiagnostik umstritten (O’Connor u.
Zeanah, 2003). Fragebogentechniken (z. B. Minnis, Rabe-Hesketh, Wolkind, 2002) sind
in der Nutzung hoch ökonomisch, doch ist fraglich, inwiefern die Befragten die relevanten Verhaltensweisen tatsächlich einzuschätzen wissen und inwieweit Aspekte der
sozialen Erwünschtheit eine Rolle spielen (O’Connor u. Zeanah, 2003). Ein Vorteil der
Interviewmethodik im Gegensatz zu Fragebögen liegt in der Möglichkeit, Informationen über den Verlauf der Symptomatik und den Kontext eventueller Auffälligkeiten
einzuholen. So können die relevanten Verhaltensweisen kontextbezogen bewertet und
Alltagssequenzen im Dialog objektiviert werden (O’Connor u. Zeanah, 2003). Ein ökonomisches Instrument ist das englischsprachige, halbstandardisierte Bindungsstörungsinterview (DAI: Disturbances of Attachment Interview; Smyke u. Zeanah, 1999), in dem
Bindungsstörungssymptome von drei beschriebenen Störungsbereichen (gehemmt,
enthemmt, Störung der sicheren Basis) abgefragt werden.
1.6 Ziel der Untersuchung
Für die vorliegende Untersuchung wurde in Anlehnung an das englische Interviewmanual ein deutschsprachiges Manual entwickelt. Die Qualität der Übersetzung wurde durch eine englischsprachige Übersetzerin kontrolliert. Mittels einer Stichprobe
aus einer störungsrelevanten Gruppe von Pflegekindern wird die Struktur des Interviews durch eine Faktorenanalyse auf Validität überprüft. Ziel der Studie ist, die von
Smyke und Zeanah (1999) gefundene Faktorenstruktur zu replizieren. Zudem soll die
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Diskriminanzvalidität geprüft werden, indem die Bindungsstörungssymptome in Zusammenhang mit anderen Verhaltensauffälligkeiten untersucht werden.
2
Methode
2.1 Stichprobe
Die Stichprobe besteht aus 50 Pflegefamilien, bei denen zum Erhebungszeitpunkt
mindestens ein Kind untergebracht war. Die Probanden wurden durch Kontakte zu
Pflegekinderdiensten der kommunalen Jugendämter im Raum Dortmund und Erlangen und zu Pflegeelterngruppen (PADO, Dortmund und Pfad, Erlangen) rekrutiert.
Die Pflegekinder waren zum Erhebungsdatum im Alter von 34 bis 104 Monaten (M =
68.32; SD = 19.29) und zu 48 % weiblich (n = 24), beziehungsweise zu 52 % männlich
(n = 26). Im Mittel lebten die Kinder seit 45.36 Monaten in der Pflegefamilie (Min.:
1, Max.: 95, SD = 26.06) und waren zum Vermittlungszeitpunkt zwischen 0 und 78
Monaten alt (M = 23.22, SD = 19.23). Vor der Unterbringung in der aktuellen Pflegefamilie waren 80 % der Kinder (n = 40) bereits in einer anderen Pflegefamilie oder
Einrichtung untergebracht. Die Muttersprache war bei allen Kindern Deutsch.
Mittels eines speziell konstruierten Fragebogens zur Erfassung von soziodemografischen Daten wurden bei den Pflegeeltern Besonderheiten in der Entwicklung des
Kindes, Gründe für die Inobhutnahme und Besonderheiten der familiären Situation
sowohl in der Herkunfts- als auch in der Pflegefamilie erfragt. Nach Angabe der Pflegeeltern wiesen 62 % der Pflegekinder (n = 31) Entwicklungsbesonderheiten auf. Am
häufigsten wurden hierbei Entwicklungsverzögerungen (im Bereich Sprachentwicklung oder Motorik) berichtet. Als Gründe für die Inobhutnahme wurden durch die
Pflegeeltern bei 24 % der Fälle Vernachlässigung angegeben. Am zweithäufigsten wurde angegeben, dass die Inobhutnahme auf Grund der psychischen Erkrankung eines
Elternteils erfolgt (14 %). Als weitere wichtige Gründe wurden die freiwillige Abgabe
(8 %) und körperliche Misshandlung (6 %) angegeben.
Betreut wurden die Kinder zu 60 % vorwiegend von der Pflegemutter. In 6 % der
Pflegefamilien übernahmen die Pflegeväter die Hauptbetreuung des Kindes und 34 %
der Pflegeeltern gaben an, sich zu gleichen Teilen um das Pflegekind zu kümmern. Es
wurde dann entsprechend jeweils die Hauptbezugsperson beziehungsweise eine der
Hauptbezugspersonen bezüglich möglicher Bindungsstörungssymptome des Pflegekindes interviewt.
2.3 Instrumente
Disturbances of Attachment Interview. Das von Smyke und Zeanah (1999) entwickelte Interview dient der Erfassung beider Formen der im DSM-IV aufgeführten
reaktiven Bindungsstörung (gehemmter und enthemmter Subtypus), sowie des
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Konzepts der „Störung der sicheren Basis“ (Liebermann u. Zeanah, 1995). Das Interview besteht aus zwölf Hauptfragen, die das Vorhandensein und die Ausprägung
verschiedener Symptome der Bindungsstörungen abklären. Für jedes der Items wird
auf einer dreistufigen Skala eingeschätzt, ob das beschriebene Verhaltensmuster
deutlich, manchmal oder selten gezeigt wird. Bezugnehmend auf die Auswertungen
von Smyke und Zeanah (1999) wird die Skala der inhibierten Bindungsstörung
durch einen Summenscore der Interviewitems 1, 2, 3, 4 und 5 gebildet, die Skala der
disinhibierten Störung durch die Items 1, 6, 7 und 8. Die Items 9 bis 12 dienen der
Abklärung der Störung der sicheren Basis (Eine Kurzbeschreibung der einzelnen
Items ist in Tabelle 1 abzulesen). Es ergeben sich somit dimensionale Werte für jede
Skala. Inhaltlich ist ein hoher Wert Hinweis auf das Vorliegen einer Störung. Zeanah
et al. (2002) schlagen vor, einen Cut-Off-Wert von 3 festzulegen: Ein Summenwert
von 3 oder mehr deutet somit darauf hin, dass eine Bindungsstörung in diesem Bereich vorliegt, womit auch eine kategoriale Einschätzung der Werte gegeben ist.
Tabelle 1: Kurzbeschreibung der Items des DAI
Item
Umgang mit unterschiedlichen
Personen
Verhalten bei Verletzungen
Reaktion auf Trost
Reziproke Interaktion
Emotionsregulation
Beschreibung
Hat das Kind eine bestimmte Bezugsperson, die es bevorzugt?
Sucht das Kind bevorzugt bei einer Bezugsperson Trost?
Lässt sich das Kind trösten?
Kommuniziert das Kind wechselseitig mit der Bezugsperson?
Reguliert das Kind seine Emotionen gut mit einer angemessenen Ausprägung von Traurigkeit?
Zurück-Versicherung
Versichert sich da Kind in unbekannter Umgebung bei der
(back-checking)
Bezugsperson zurück?
Zurückhaltung gegenüber Fremden Ist das Kind im Kontakt zu Fremden zunächst zurückhaltend?
Mitgehen mit Fremden
Würde das Kind mit einer fremden Person mitgehen?
Selbst gefährdendes Verhalten
Zeigt das Kind Selbstgefährdendes Verhalten in Gegenwart von
Bezugspersonen?
Exzessives Anklammern
Tendiert das Kind dazu sich anzuklammern, insbesondere in
Gegenwart von Fremden?
Ängstlichkeit, Gehemmtheit,
Ist das Kind ängstlich oder wachsam gegenüber Bezugspersonen?
Überwachung
Kontrollierendes Verhalten, nicht
Beschäftigt sich das Kind übermäßig mit dem Wohlergehen von
der kindlichen Rolle angemessen
Bezugspersonen?
Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ). Der SDQ (Goodman, 1997) ist ein
Screeninginstrument zur Erfassung von Verhaltensauffälligkeiten bei Kinder und
Jugendlichen im Alter von 4 bis 16 Jahren. Der Fragebogen wird von der zuständigen
Bezugsperson ausgefüllt, indem jede Verhaltensbeschreibung auf einer dreistufigen
Skala von nicht zutreffend bis eindeutig zutreffend beurteilt wird. Der SDQ besteht
aus 25 Items, die insgesamt fünf Skalen zuzuordnen sind: Emotionale Probleme,
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Hyperaktivität, Probleme im Umgang mit Gleichaltrigen, Verhaltensauffälligkeiten
und prosoziales Verhalten. Jede Skala wird aus je fünf Items gebildet und kann einen
Wert zwischen 0 und 10 annehmen. Zudem lässt sich aus den vier Problemskalen
ein Gesamtproblemwert bilden. Die Autoren empfehlen für jede der Skalen einen
Cutt-Off-Wert zur kategorialen Interpretation der Ergebnisse.
2.4 Durchführung
Die Interviews wurden in Räumlichkeiten der Universität Erlangen-Nürnberg
beziehungsweise der Fachhochschule Dortmund durchgeführt. Interviewt wurde die Hauptbezugsperson des Pflegekindes, während dieses im Nebenzimmer
an einer anderen Testung teilnahm. Die Durchführung erfolgte durch trainierte
Testleiter und die Dauer der Interviews betrug etwa 30 Minuten. Die Interviews
wurden, nachdem das Einverständnis der Probanden eingeholt worden war, mit
einem Audiogerät aufgezeichnet, anschließend transkribiert und per Codierung
anonymisiert. Des Weiteren wurde die Hauptbezugsperson gebeten, im Rahmen
der Untersuchung eine Einschätzung verschiedener Verhaltensmerkmale mittels
des SDQ vorzunehmen.
Auf Grund technischer Probleme war die Auswertung eines Interviews nicht möglich. Die restlichen Interviews wurden durch zwei unabhängige, trainierte1 Rater in
Anlehnung an Smyke und Zeanah (1999) ausgewertet. Die beiden Rater werten unabhängig voneinander alle Interviews der teilnehmenden Pflegeeltern aus. 30 % der
Interviews wurden doppelt ausgewertete und es ergaben sich Cohen’s Kappa für die
inhibierte Skala von .76, für die disinhibierte Skala von .80 und für die Secure Base
Distortion von .65.
2.5 Analysen
Die Berechnungen erfolgten mit dem Statistikprogram SPSS 20. Zur Beantwortung
der ersten Fragestellung wurde eine Faktorenanalyse berechnet, um zu erfassen,
welche Items statistisch zu Faktoren zusammengefasst werden können. Des Weiteren wurden Reliabilitätsanalysen für die einzelnen Faktoren berechnet. Zudem
wurden Korrelationskoeffizieten nach Pearson berechnet, um den Zusammenhang
zischen den Bindungsstörungskategorien und den Verhaltensskalen des SDQ zu bestimmen.
1 Zuvor trainierten die Auswerter an englischen Fällen der Forschungsgruppe um Isabel Soares,
Portugal und erreichten im Mittel eine Übereinstimmung von r = 0.8. Zudem bestand fachlicher
Austausch mit dem Labor von Carlo Schuengel in den Niederlanden, sodass schwierige Fälle mit
kompetenten Ansprechpartnern diskutiert wurden.
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3
Resultate
3.1 Deskriptive Befunde
DAI. In der dimensionalen Auswertung zeigten sich in der Stichprobe Symptome
aller erfassten Störungsformen. Insgesamt zeigten sieben Kinder (14 %) eine reaktive Bindungsstörung der einen oder anderen Form. In zwei Fällen lagen dabei Symptomauffälligkeiten beider Kategorien vor.
SDQ. Bei der Auswertung einzelnen Skalen zeigte sich, dass in der Stichprobe alle
erfassten Verhaltensauffälligkeiten vorkamen.
Die Mittelwerte und Häufigkeiten der Bindungsstörungssymptome und -diagnosen
sowie die Angaben zu Verhaltensauffälligkeiten sind in Tabelle 2 abgetragen.
Tabelle 2: Häufigkeit von Bindungsstörungssymptomen (DAI) und Verhaltensauffälligkeiten (SDQ)
M (SD)
DAI
SDQ
Gehemmte Bindungsstörung
Enthemmte Bindungsstörung
Störung der sicheren Basis
Gesamtproblemwert
Emotionale Probleme
Verhaltensauffälligkeiten
Hyperaktivität
Probleme mit Gleichaltrigen
Prosoziales Verhalten
0.67 (0.97)
1.08 (1.53)
0.71 (1.10)
11.49 (6.29)
2.55 (2.12)
2.98 (1.69)
4.10 (2.82)
1.86 (1.92)
6.69 (2.08)
Min Max
0
0
0
2
0
0
0
0
2
4
5
4
26
8
8
10
9
10
Unauff.
(%)
46 (92)
45 (90)
46 (96)
32 (65.3)
34 (69.4)
19 (38.8)
34 (69.4)
35 (71.4)
37 (75.5)
Grenzw.
(%)
4 (8.2)
8 (16.3)
10 (20.4)
4 (8.2)
7 (14.3)
5 (10.2)
Auffällig
(%)
4 (8)
5 (10)
4 (8)
13 (26.5)
7 (14.3)
20 (40.8)
11 (22.4)
7 (14.3)
7 (14.3)
3.2 Faktorenanalyse des Disturbances of Attachment Interviews
Zunächst wurde mittels einer Faktorenanalyse geprüft, welche Skalenstruktur die
Datenlage nahe legt. Es zeigte sich, dass Item 1 (welches sowohl für die Bewertung
der gehemmten als auch der enthemmten Störungsform dient) nicht distinktiv ist,
da es stets mit Null bewertet wurde. Auf Grund der fehlenden Varianz wurde dieses
Item aus der weiteren Analyse ausgeschlossen. Nach Varimax-Rotation ließen sich in
der Hauptkomponentenanalyse drei Faktoren extrahieren, die zusammen 57 % der
Varianz erklärten. Der erste Faktor erklärte 20,61 % der Varianz und die relevanten
Items zur Skala der enthemmten Bindungsstörung luden hypothesenkonform auf
diesen Faktor (vgl. Tab. 3). Der zweite Faktor erklärte einen Varianzanteil von 18,69
% und bildete Items für gehemmte Bindungsstörungssymptome ab. Allein Item 5
zeigte keine deutliche Ladung auf diesen Faktor. Item 2 dahingegen lud sowohl auf
den zweiten (inhaltlich relevanten) als auch auf den ersten Faktor, wobei die Ladung
im zweiten Fall sogar stärker ausfiel. Der dritte Faktor, mit einer Varianzaufklärung
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von 17,64 %, zeigte Ladungen der Items der Störung der sicheren Basis. Es zeigte sich
so eine Erklärung des Großteils der Varianz durch die drei Skalen, doch blieb ein
nicht unerheblicher Anteil nicht durch die drei Hauptskalen des Interviews erklärbar. Zudem war die Ladung der einzelnen Items weitestgehend erwartungsgemäß,
mit Ausnahme der Items 2 und 5, die nicht der Interviewstruktur entsprechend auf
den zweiten Faktor (enthemmte Bindungsstörungssymptome) luden.
Tabelle 3: Ladung der einzelnen Variablen auf die extrahierten Faktoren nach Varimax-Rotation
Item
Verhalten bei Verletzungen
Reaktion auf Trost
Reziproke Interaktion
Emotionsregulation
Zurück-Versicherung (back-checking)
Zurückhaltung gegenüber Fremden
Mitgehen mit Fremden
Selbst gefährdendes Verhalten
Exzessives Anklammern
Ängstlichkeit, Gehemmtheit, Überwachung
Kontrollierendes Verhalten, nicht der kindlichen Rolle angemessen
Faktor 1:
Faktor 2:
Faktor 3:
Enthemmtes
Gehemmtes
Störung der
Störungsmuster Störungsmuster sicheren Basis
.669
.478
-.043
.060
.875
.134
-.001
.786
-.243
.086
.198
.394
.838
.207
-.165
.949
.027
.034
.760
-.137
.311
-.038
-.107
.407
-.231
.281
.420
.081
.160
.739
.098
-.103
.682
3.3 Reliabilitätsanalyse
Um die Funktionalität des Instruments in der deutschen Übersetzung zu prüfen,
wurde anhand der vorliegenden Daten die interne Konsistenz der drei Hauptskalen
ermittelt. Für die Skala der inhibierten Bindungsstörung lag Cronbachs α bei .56.
Durch die Herausnahme von Item 5 wurde ein zufriedenstellender Wert von .72
erreicht. Die Skala der disinhibierten Störungssymptome hatte mit Cronbachs α =
.83 eine gute Reliabilität. Cronbachs α für die Skala der Störung der sicheren Basis
lag bei .42 und war damit nicht ausreichend.
3.4 Zusammenhang zwischen Bindungsstörungssymptomen und
Verhaltensauffälligkeiten
Zur Überprüfung der diskriminativen Validität wurden Korrelationskoeffizienten
zwischen der enthemmten und der gehemmten Skala des DAI und den Kategorien
des SDQ berechnet. (Die Resultate sind in Tabelle 4 abgetragen). Für die disinhibierte Skala ergab sich eine signifikante Korrelationen zu der Skala Hyperaktivität.
Hierdurch konnten etwa 8 % der gemeinsamen Varianz erklärt werden. Für die inPrax. Kinderpsychol. Kinderpsychiat. 64: 759 – 773 (2015), ISSN: 0032-7034 (print), 2196-8225 (online)
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hibierte Skala ergaben sich signifikante Korrelationen mit allen Skalen des SDQ. Die
größte Erklärung gemeinsamer Varianz lag hier bei etwa 31 %, die sich durch den
Gesamtproblemwert ergeben.
Tabelle 4: Korrelationskoeffizienten nach Pearson (r) zwischen den Kategorien des SDQ der enthemmten und der gehemmten Störungskategorie
Emotionale Auffälligkeiten
Verhaltensauffälligkeiten
Hyperaktivität
Probleme mit Gleichaltrigen
Prosoziales Verhalten
Gesamtproblemwert
Enthemmte Störungskategorie
-,265
-,104
,283*
-,217
-,018
-,056
Gehemmte Störungskategorie
,364*
,481**
,333*
,504**
,413*
,555**
** p < .001; * p < .05
4
Diskussion
Die Auswertungen zeigten, dass durch das DAI bei 14 % der Pflegekinder dieser Stichprobe eine Bindungsstörung diagnostiziert werden konnte. Weniger als 10 % der Pflegekinder zeigten Auffälligkeiten im Bereich einer Störung der sicheren Basis. Diese
Anteile sind vergleichbar mit den von Oosterman und Schuengel (2008) gefundenen
Häufigkeiten in einer Stichprobe von Pflegekindern. Es zeigten sich außerdem Verhaltensauffälligkeiten in allen Problembereichen des SDQ, sodass etwa ein Viertel der
Kinder im Gesamtproblemwert als auffällig beschrieben werden konnten.
4.1 Faktorenstruktur und diskriminative Validität
Die Ergebnisse der Faktorenanalyse zeigten, dass die Skalen „enthemmte Bindungsstörung“, „gehemmte Bindungsstörung“ und „Störung der sicheren Basis“ in den vorliegenden Daten repliziert werden konnten. Aus der Faktorenstruktur konnten drei
Faktoren ermittelt werden, die den drei von Smyke und Zeanah (1999) erfassten Störungsmustern entsprechen. Die relevanten Items standen weitestgehend im Zusammenhang mit den zu erfassenden Störungsdimensionen. Allein Item 1, das erfragt, ob
das Kind eine bevorzugte Bezugsperson hat, lud auf keiner der Faktoren. Item 2 hingegen, dass inhaltlich dem zweiten Faktor zuzuordnen wäre, lud auf beide Faktoren
und zeigte sogar eine größere Ladung für den ersten Faktor. Für die Bewertung der
gehemmten Form der Bindungsstörung scheint das trostsuchende Verhalten, wie hier
erfragt, nicht relevant zu sein, vielmehr scheinen die Verhaltensweisen wie die Reaktion auf Trost und die Möglichkeit zur reziproker Interaktion wesentlich. Zudem zeigte
sich, dass Item 5, das die Emotionsregulation erfragt, statistisch nicht sehr bedeutsam
für die gehemmte Bindungsstörungskategorie ist. Den Befunden zufolge können die
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Verhaltensweisen, die durch die Interviewitems 6, 7 und 8 erfragt werden, zur Skala
der enthemmten Bindungsstörung zusammengefasst werden. Wie durch Smyke und
Zeanah (1999) postuliert, sind so insbesondere Reaktionen auf fremde Personen und
Zurückversicherung bei Bezugspersonen wichtige Momente bei der Beurteilung einer
Bindungsstörung vom disinhibierten Typ. Auch bezüglich der Skala der Störung der
sicheren Basis entsprach die Itemstruktur den Erwartungen. Insgesamt entsprachen
die Auswertungen somit weitestgehend der durch die Autoren Smyke und Zeanah
(1999) vorgesehenen Struktur. Im Wesentlichen standen die beschriebenen Symptome
der beiden Störungstypen (enthemmt und gehemmt) also miteinander in dem erwarteten Zusammenhang und bildeten je eine Störungsgruppe, wobei die Itemstruktur
der enthemmten Form sich als statistisch robuster erwies.
Des Weiteren erwies sich das Instrument durch die Untersuchung der Reliabilität
in Bezug auf die Dimensionen der gehemmten und der enthemmten Störung auch
in der deutschen Übersetzung als zuverlässig. Erfreulicherweise zeigte sich eine hohe
Varianzaufklärung durch diese beiden Skalen. Die Störung der sicheren Basis konnte
in den vorhandenen Daten nicht in dieser Form repliziert werden.
In Bezug auf die disinhibierte Skala zeigten sich lediglich geringe Zusammenhänge
mit der Hyperaktivität. Darüber hinaus zeigte sich kein Zusammenhang zwischen enthemmten Störungssymptomen und Verhaltensauffälligkeiten, erfasst durch den SDQ. Die
diagnostischen Kriterien für die disinhibierte Störungskategorie scheinen so unabhängig
von anderen Verhaltensauffälligkeiten zu sein und stellen eine klinisch deutlich abgrenzbare Kategorie dar. Dieser Befund deckt sich mit dem von Gleason et al. (2011), die zeigen
konnten, dass sich die enthemmte Störungskategorie deutlich von anderen Konstrukten
unterscheidet. In Bezug auf die inhibierte Störungskategorie des DAI zeigten sich Zusammenhänge mit den Skalen des SDQ, wobei keiner der Zusammenhänge als stark
zu bezeichnen ist und so nicht von einer Überlappung der Konstrukte zu sprechen ist.
Möglicherweise ist ein Grund dafür die weniger deutliche Symptomausprägung der Kategorie auf Verhaltensebene. Während sich die disinhibierten Störungssymptome so deutlich auffällig für die Bezugspersonen präsentieren, zeigen sich die inhibierten Symptome
subtiler und sind so möglicherweise auch anfälliger für eine Interpretation in anderen
Verhaltenskategorien. Zudem können die Ergebnisse auch auf die höhere Einschränkung
durch die gehemmte Bindungsstörung hinweisen. Auch Gleason et al. (2011) fanden Zusammenhängen zwischen gehemmten Bindungsstörungssymptomen und anderen psychiatrischen Auffälligkeiten. Die Darstellung der gehemmten Störungskategorie stellt sich
insgesamt weniger eindeutig als die enthemmte Kategorie dar und geht möglicherweise
mit deutlicher Beeinträchtigung in verschiedenen Bereichen einher.
4.2 Stärken und Schwächen der Untersuchung
Die Stichprobe der Pflegekinder ist, wie einleitend erwähnt, eine für die Genese von
Bindungsstörungen vulnerable Gruppe. Boris et al. (2004) konnten bereits zeigen,
dass die Diagnose von Bindungsstörungen in Risikogruppen reliabel möglich ist.
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Trotz der eher geringen Größe der Stichprobe sprechen die gefundenen Werte für
eine zuverlässige Messung.
Die Beurteilung der gezeigten Verhaltensweisen stützte sich auf Auskünfte der Bezugspersonen der Kinder. In dieser Tatsache liegt ein möglicher Schwachpunkt. Bei
der Durchführung des Interviews fiel gelegentlich auf, dass die abgefragten Verhaltensweisen nicht unmittelbar verständlich für die Bezugspersonen waren. So kann es
zu Falscheinschätzungen seitens der befragten Person kommen. Zudem finden sich
individuelle Bewertungen bezüglich der Häufigkeit eines Verhaltens. Die Auswertung
der Interviewfragen basiert weitestgehend auf einer Einschätzung, ob das Verhalten
selten, gelegentlich oder oft gezeigt wird. Um dies zu bewerten zieht der Auswerter
die subjektive Aussage der Bezugsperson heran. Rutter et al. (2007) berichten allerdings, dass die Elterneinschätzung in Bezug auf disinhibiertes Verhalten mit den Beobachtungen objektiver Rater weitestgehend übereinstimmt und Elternberichte zur
Diagnose herangezogen werden können. Auch innerhalb der Fragebogenmethode zur
Verhaltenseinschätzung könnte es zu Ungenauigkeiten oder individuellen Verhaltensinterpretationen durch den Fremdbericht gekommen sein.
Fazit für die Praxis
Das Interviewmanual erwies sich in Bezug auf die enthemmte und die gehemmte
Störungskategorien als statistisch robust. Eine Anwendung des Instruments im
Rahmen einer sorgfältigen Diagnose erscheint somit sinnvoll. Die gefundenen
Limitierungen des Interviews sollten jedoch auch Anregung sein, die Diagnose
in der Praxis multimethodisch zu stellen und neben dem operationalisierten Fragen auch die klinische Beobachtung und weitere Informationen zur Krankheitsgeschichte einzubeziehen. Des Weiteren implizieren die aktualisierten klinischen
Richtlinien im DSM-5 eine kritische Prüfung der vorhandenen Instrumente und
die Weiterentwicklung methodischer Ansätze.
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Korrespondenzanschrift: Josephine Daniela Kliewer-Neumann, Fachhochschule Dortmund, Emil-Figge Straße 44, 44227 Dortmund; E-Mail: [email protected]
Josephine D. Kliewer-Neumann, Inga C. Roland und Katja Nowacki, Fachhochschule Dortmund; Ina Bovenschen, Katrin Lang und Gottfried Spangler, Universität Erlangen-Nürnberg
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