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Demokratie auf dem Prüfstand
Die Folgen der Aufhebung der Bundespräsidenten-Stichwahl
Andreas Kovar
Marco Schreuder
Walter Osztovics
Heimo Gradischnig
1. Juli 2016
Kovar & Partners GmbH, Dorotheergassse 7, 1010 Wien, Österreich
T: +43 1 522 9220, F: +43 1 522 9220-22, [email protected], www.publicaffairs.cc
Kovar & Partners
Aufhebung der Bundespräsidenten-Stichwahl
Vertrauensverlust in staatliche Institutionen
Die längerfristig gefährlichste Folgewirkung des VfGH-Urteils liegt im Vertrauensverlust in die
Funktionstüchtigkeit der Exekutive und staatlicher Institutionen, die damit einhergeht, auch
wenn der VfGH selbst alles unternommen hat den Rechtsstaat und die Demokratie zu
schützen. Wie der VfGH in beschämender Detailliertheit ausführte, gab es ein breites
systematisches Versagen bei der Durchführung der Stichwahl zum Amt des
Bundespräsidenten. Der VfGH spricht wörtlich von „Fehlern bei der Vollziehung“ und regt
ausdrücklich „Information und Schulungen der Wahlbeisitzer“ an. Schon im Verlauf des
Verfahrens hat sich dutzendfach gezeigt, dass die Wahlbehörden in vielen österreichischen
Bezirken die Regeln nur schlampig einhalten, dass der größere Teil der Beisitzer und
Beobachter gar nicht weiß, welche formalen Vorschriften einzuhalten sind und welchem Zweck
diese dienen. Der mit Abstand wichtigste Vorgang in jeder Demokratie, nämlich die Wahl, wird
offenkundig in einer Weise durchgeführt, die der Bedeutung und Tragweite des Geschehens in
keiner Weise angemessen ist.
Das Versagen der staatlichen Institutionen in diesem Fall ist nicht nur international blamabel,
sondern wird nur noch bedenklicher, wenn es in größeren Zusammenhang gestellt wird.
Tatsächlich handelt es sich nämlich bereits um das dritte innerhalb weniger Jahre, bei dem der
Staat den Bürgerinnen und Bürgern vorgeführt hat, dass er völlig unerwartet mit Situationen
nicht fertig wird, in denen man eigentlich klagloses Funktionieren erwarten würde.
Das erste Beispiel ist das Versagen bei der Aufarbeitung des Hypo-Skandals. Das schlimmste
und auslösende Versagen lag hier natürlich bei der damaligen Kärntner Landesregierung,
konkret in der kriminellen Sorglosigkeit eines mittlerweile verstorbenen Landeshauptmanns
und der mangelnden Kontrolle durch sämtliche anderen Institutionen. Doch wurde im Zuge
der Aufarbeitung im Untersuchungsausschuss sichtbar, dass bei der Rettung und späteren
Abwicklung Fehlentscheidungen getroffen wurden, die in Summe zu finanziellen Belastungen
für den Staatshaushalt führten. Die politischen Entscheidungsträger und ihre Beraterstäbe
waren mit der Situation sichtlich überfordert.
Noch schlimmer fällt das Urteil rückblickend auf die sogenannte Flüchtlingskrise des Winters
2015/2016 aus. Warum hat ein Flüchtlingsstrom zur politischen Krise geführt, der weder
unerwartet auftrat noch in seinem Umfang außergewöhnlich war? Bei früheren
Flüchtlingsbewegungen, etwa aus dem ehemaligen Jugoslawien (vor allem während des
Bosnienkriegs 1992 bis 1995) oder nach der Polenkrise 1981, kamen in manchen Zeiträumen
wesentlich mehr Asylsuchende. Dass der Krieg in Syrien und der Zerfall der nordafrikanischen
Staaten Flüchtlinge erzeugt, war ebenfalls seit Jahren zu beobachten. Warum wurde dann
monatelang der Eindruck vermitteln, dass Österreich diesmal unter dem Ansturm
zusammenbricht? Wer immer in diesen Monaten mit Asylwerbern zu tun hatte, dem wurde
rasch klar, dass die mangelnde Kooperation zwischen Bundes- und Landesbehörden Schuld am
Gesamtversagen war, ausgelöst letztlich durch eine in dieser Frage handlungsunfähige und
handlungsunwillige Regierung, die keinen politischen Willen zur raschen Lösung der vielen
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aufgetretenen Probleme erkennen ließ. Das Staatsversagen war umso klarer sichtbar, als
daneben viele zivilgesellschaftliche Initiativen hervorragend funktionierten, von Caritas, Rotem
Kreuz und SOS Kinderdorf bis zu kleinen privaten Engagements. Sie alle schafften es meist
klaglos, ein Minimum an Unterbringung und Betreuung zu organisieren – sofern sie nicht durch
die Bürokratie behindert wurden.
Diese Form des Staatsversagens geht tiefer als die übliche Kritik an Bürokratie und politischem
Stillstand. Österreich hat innerhalb kurzer Zeit demonstriert, dass es in drei entscheidenden
Politikbereichen – Finanzsystem; Sicherheit und Menschenrechte; Demokratie – das
ordnungsgemäße Funktionieren nicht sicherstellen kann. Dieser Erosion der Kernaufgaben des
Staates müssen die politisch Verantwortlichen energisch entgegenwirken. Das von allen
tagespolitischen Spekulationen unberührte, hochprofessionelle Auftreten des VfGH und sein
unerbittliches Verdikt gegen Schlampereien sind bereits wichtige und richtige Schritte in diese
Richtung.
Empfehlungen
(1) Eine der wichtigsten Aufgaben für die politische Führung in diesem Land – damit ist die
Regierung ebenso gemeint wie die Parlamentsparteien und die Sozialpartner – besteht
darin, das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit ebendieses Staates wiederherzustellen. Es
geht nicht so sehr darum, komplexe Probleme rasch von der Tagesordnung zu nehmen,
indem scheinbare Lösungen präsentiert werden, sondern neues Vertrauen aufzubauen,
dass dieser Staat Institutionen, Regeln und Führungspersönlichkeiten besitzt, die zur
Lösung von Problemen taugen.
(2) Für Unternehmen und zivilgesellschaftliche Organisationen gilt umgekehrt, dass eigenes
Engagement auch in Zukunft stärker gefragt sein wird. Das betrifft das Engagement für
konkrete Lösungen von konkreten Problemen abseits der offiziellen Institutionen.
(3) Interessenvertretung statt Wutbürger-Attitüde: Wer bestimmte Veränderungen will,
sollte sich nicht mit Protest gegen die Zustände begnügen, auch wenn solche Aktionen auf
den ersten Blick spektakulär und wirkungsvoll aussehen. Nötig ist viel mehr das klare
Formulieren von Positionen und da systematische, langfristiges Einwirken auf politische
Prozesse und Institutionen.
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