InnoVisions - Neue Maßstäbe in der Bewegungssimulation

Drahtseilakt
Neue Maßstäbe in der Bewegungssimulation
© Fraunhofer IUK — Interview mit Dipl.-Ing. Philipp Miermeister zum Seilroboter
30. Juni 2016 — Sich in einer Halle schnell und exakt von einem Punkt zum
anderen zu bewegen ist kein Problem. Wer das glaubt, denkt in der Regel nur in
zwei Dimensionen. Die exakte Bewegung im dreidimensionalen Raum ist eine hoch
komplexe Angelegenheit, der sich das Fraunhofer IPA mit Hilfe von Seilen und
Algorithmen nun punktgenau nähert. Im Interview erklärt Philipp Miermeister die
Forschungen zu diesem »Drahtseilakt«.
Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA
hat unter der Leitung des Tübinger Max-Planck-Instituts für biologische
Kybernetik (MPI) einen Seilroboter mitentwickelt. Das hört sich eigentlich nicht
sonderlich spektakulär an.
Warten Sie, bis Sie drinsitzen! Der Seilroboter ist als erster weltweit in der Lage,
Menschen im dreidimensionalen Raum schnell und exakt zu positionieren: Auf Knopfdruck
wird eine gitterartige Carbon-Kabine und ihr Insasse mit hoher Geschwindigkeit zu einem
vorher exakt bestimmten Punkt gebracht. Dafür steht ein fast 500 PS starker Motor zur
Verfügung. Zudem lässt sich die Kabine in unterschiedliche Schräglagen steuern. In
Verbindung beispielsweise mit unserem Virtual Reality-System lassen sich so absolut
realistische Flug- oder Fahrsimulationen durchführen. Für rund eine Sekunde ist sogar
Schwerelosigkeit möglich.
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Das hört sich so an, als müssten sich auch die Besitzer von Fahrgeschäften auf
Volksfesten für die Forschungen des Fraunhofer IPA interessieren.
Es ist in der Tat so, dass zum Beispiel Entwickler von Spielen an unserer Arbeit Interesse
haben. Ähnliches gilt für Veranstalter, bei deren Angeboten Menschen stark beschleunigt
und die Beschleunigung sicher abgebremst werden sollen. Aber es geht in erster Linie um
professionelle Ausbildungen durch Flugsimulationen. Etwa für die Ausbildung von
Hubschrauberpiloten. Unser Ziel ist jedoch vor allem, Seilroboter zur Unterstützung der
Industrie anzubieten. Denken Sie beispielsweise an das Umstapeln von Objekten in der
Lagerhaltung oder an die Wartung von Flugzeugen. In Ansätzen werden dabei zwar bereits
konventionelle Seilroboter eingesetzt, wir übertreffen die Leistungsfähigkeit dieser
Systeme aber deutlich.
Aber ihr Seilroboter ist im Moment noch ein Seilsimulator?
Das wird auch so bleiben, denn wir wollen ja die Möglichkeiten erforschen und kein
marktfertiges Produkt entwickeln. Aber auch so erreichen wir Beschleunigungen bis zum
1,5-fachen der Erdbeschleunigung. Beim Bremsen werden mittlerweile Werte von bis zu
14 G erreicht. So können wir beispielsweise den Crash gegen eine Wand simulieren. Und
das bei einem überschaubaren Arbeitsraum von 5 mal 8 mal 5 Metern. Außerdem sind wir
sehr flexibel. Wir können beispielsweise die Seile an anderen Stellen befestigen. So
können wir unsere Tests an unterschiedliche Szenarien anpassen.
Im Unterschied zu Ihrem Testraum dürften die Seile etwa in realen Flugzeughallen
oder bei der Lagerung von Objekten ziemlich stören.
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Natürlich können sogar gefährliche Situationen entstehen, wenn sich Mitarbeiter in der
Nähe der Seilsysteme bewegen. Wir gehen aber davon aus, dass entweder die Halle für
diese Systeme reserviert ist oder nur Roboter in der Umgebung arbeiten. Aber diese
Seilrobotersysteme können auch eine wichtige Ergänzung für die Arbeiter am Boden sein.
Denken Sie an die Seil-Kamerasysteme bei Fußballübertragungen. Diese arbeiten in
einem Raum, der von den Menschen nicht genutzt wird.
Wo liegen im Moment die gravierendsten Probleme bei der Weiterentwicklung?
Es fängt auf der Ebene der Regelungs- und Steuerungstechnik an. Problematisch sind
beispielsweise Schwingungen, die an einer Stelle erzeugt und auf die anderen Seile
übertragen werden. Wie bei einer Gitarrensaite bleibt das System eine gewisse Zeit in
Schwingung und erschwert das exakte Arbeiten in der Kabine. Ein anderes Problem ist der
Arbeitsraum. Denn er ist stark abhängig von der Konfiguration der Seile und wir müssen
die Frage beantworten, welche Aufhängung für beispielsweise die Simulation einer 500
Meter langen Beschleunigung auf einer Startbahn die beste ist, wenn wir real nur fünf
Meter zur Verfügung haben. Dafür müssen wir den Raum sozusagen komprimieren oder
auch Anteile der Beschleunigung weglassen.
Sind Sie selbst schon »Fahrgast« gewesen?
Oh ja. Auch wenn ich für die Entwicklung des Bewegungssimulators mitverantwortlich bin
und die Zahlen kenne. Man merkt erst beim Drinsitzen, wieviel Power das System hat.
(aku)
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