15 < Prof. Dr. Nils Jansen SchuldR BT2 BereicherungsR Fall 02

unirep Schuldrecht BT 2 – SS 2016
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SchuldR BT2 BereicherungsR Fall 02 – Lösung
Lösungshinweise
E könnte einen Anspruch gegen H auf Wertersatz i.H.v. 5000 € haben.
I.
§§ 678, 677
Ein möglicher Anspruch des E aus §§ 678, 677 scheitert jedenfalls am fehlenden Fremdgeschäftsführungswillen des H, vgl. § 687 I: Es ist von der Gutgläubigkeit des H auszugehen, da im Sachverhalt keine Umstände ersichtlich sind, die für eine Bösgläubigkeit
des H sprechen könnten (vgl. § 932 II). H wollte daher ein Eigengeschäft führen.
Wegen der Gutgläubigkeit des H scheidet auch ein Anspruch aus §§ 687 II, 678, 677 aus.
II.
§§ 989, 990 I, 90a S. 3
1.
Vindikationslage
Erste Voraussetzung eines Anspruchs nach den §§ 989 f. ist eine Vindikationslage
zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses, also bei der Verarbeitung der Tiere
zu Wurstprodukten.
Fraglich ist also das Eigentum des E. Ursprünglich war E Eigentümer der Tiere. Er
könnte sein Eigentum durch die Veräußerung von D an H verloren haben. Ein wirksamer Eigentumsübergang nach den §§ 929 S. 1, 90a S. 3 scheitert indes daran,
dass D nicht berechtigt, insbesondere nicht von E ermächtigt (§ 185) war, über die
Tiere zu verfügen. Zwar kommt auch ein Erwerb vom Nichtberechtigten nach
§§ 929 S. 1, 932, 90a S. 3 in Betracht, weil H mangels gegenteiliger Anhaltspunkte
im Sachverhalt gutgläubig i.S.d. § 932 II war. Jedoch scheitert dieser Erwerb an
§ 935 I, weil die Bullen dem E gestohlen, also abhandengekommen, waren. H hat
also aufgrund der Verfügung des D kein Eigentum an den Bullen erworben. Zum
Zeitpunkt der Verarbeitung war E deshalb noch Eigentümer. Ein etwaiger späterer
Eigentumserwerb durch Verarbeitung ist dabei für die §§ 989 f. irrelevant, weil es
für diese Vorschriften allein auf den Zeitpunkt der Schädigung ankommt. Als diese
– die Verarbeitung der Bullen zu Würsten – begann, war E noch deren Eigentümer.
H war kraft Sachherrschaft unmittelbarer Besitzer (§ 854 I) und dem E gegenüber
nicht i.S.d. § 986 zum Besitz berechtigt, denn eine mögliche Berechtigung des H
aus dem Kaufvertrag kann nur dem D gegenüber eine Wirkung entfalten.
2.
Bösgläubigkeit des H
Da H bei Erwerb des Besitzes im Hinblick auf sein Besitzrecht gutgläubig i.S.d.
§ 990 I war (und auch nicht verklagt i.S.d. §§ 989 BGB, 261 I, 253 I ZPO), muss ein
Anspruch aus §§ 989, 990 I jedoch ausscheiden.
III.
§§ 951 I 1, 812 I 1, 2. Alt., 90a S. 3
1.
Anwendbarkeit
Nicht unproblematisch ist bereits, ob § 951 überhaupt neben den Vorschriften des
EBV anwendbar ist. Grundsätzlich stellen die §§ 987 ff. nämlich eine abschließende Sonderregelung dar, die die Anwendung anderer Ansprüche, wie der §§ 812 ff.
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und der §§ 823 ff., ausschließt. Denn bei einem Rückgriff auf derartige allgemeine
Anspruchsgrundlagen würde die differenzierte Regelung der §§ 987 ff. gegenstandslos. Allerdings kann die Ausschlusswirkung der §§ 987 ff. nicht weiter als der
Regelungsbereich dieser Vorschriften gehen. Dieser ist jedoch, wie auch
§ 993 I a.E. zeigt, auf Ansprüche auf Nutzungsherausgabe sowie auf Verwendungs- und Schadensersatz beschränkt, während es hier um einen Bereicherungsausgleich für den Verlust der Sachsubstanz als solcher geht. Dieses Regelungsproblem wird weder von den Nutzungsherausgabevorschriften, noch von den
Schadensersatzregeln der §§ 987 ff. erfasst. Schließlich schützen die Regelungen
der §§ 987 ff. den Besitzer auch nicht davor, die gestohlene Sache nach § 985 an
den Eigentümer herauszugeben. § 951 muss deshalb auch dann anwendbar sein,
wenn ein EBV besteht29.
2.
Rechtsverlust infolge der §§ 946 ff., 90a S. 3
E müsste einen Rechtsverlust infolge der §§ 946 ff., 90a S. 3 erlitten haben. In
Frage kommt § 950 I 1, denn die Verarbeitung von Tieren zu Wurstprodukten bedeutet nach allgemeiner Verkehrsauffassung die Herstellung einer neuen Sache.
Dabei darf auch davon ausgegangen werden, dass der Wert der Verarbeitung (also
der Wert der Wurstwaren abzüglich des Werts der Bullen) nicht erheblich geringer
war als der ursprüngliche Wert der Tiere. Schließlich war H als Inhaber der Fabrik
auch Herr des Verarbeitungsvorgangs und damit Hersteller i.S.d. § 95030. E hat
folglich sein Eigentum an den Tieren an H verloren.
3.
Rechtsfolge
§ 951 I verweist auf das Bereicherungsrecht, jedenfalls aber auf die Eingriffskondiktion. Dabei handelt es sich um eine Rechtsgrundverweisung, da die §§ 946 ff.
lediglich sachenrechtliche Zuordnungen treffen ohne das Behaltendürfen der zu
Eigentum erworbenen Sachen zu regeln. Es kommt daher auf die Voraussetzungen eines Bereicherungsanspruchs an.
Hinweis: Ob § 951 I nur auf die Eingriffskondiktion verweist, oder auch auf
die Leistungskondiktion, ist umstritten (vgl. zur Diskussion Palandt/Bassenge, BGB, 75. Aufl. 2016, § 951, Rn. 2; Soergel/Henssler,
BGB, 13. Aufl. 2002, § 951, Rn. 4: kein Verweis auf die Leistungskondiktion). Im vorliegenden Fall braucht der Streit freilich nicht entschieden zu
werden, weil zwischen E und H ohnehin nur eine Nichtleistungskondiktion
in Betracht kommt.
Der Streit wird aber auch sonst normalerweise keine praktischen Auswirkungen haben. Denn auch die Ansicht, die § 951 nur auf die Nichtleistungskondiktion bezieht, lässt eine Leistungskondiktion des ursprünglichen
Eigentümers gegen den Erwerber zu: Die Leistungskondiktion ist dann
nämlich selbständig, also ohne die Verweisung des § 951, anwendbar. Ein
Unterschied kann sich allenfalls daraus ergeben, dass die Beschränkung
29
Statt aller Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 25. Aufl. 2015, Rn. 597 ff. m.w.N.
30
Vgl. dazu Palandt/Bassenge, BGB, 75. Aufl. 2016, § 950, Rn. 6 ff.
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des § 951 I 2 auf Wertersatz ihrem Wortlaut nach nur dann gilt, wenn die
Leistungskondiktion über § 951 zur Anwendung kommt. Siehe aber dazu
auch Staudinger/Gursky, BGB, Neubearbeitung 2011, § 951, Rn. 2, der
dann § 951 I 2 analog anwenden will (Rn. 2 a.E. m.w.N.) – darauf muss
man erst einmal kommen …
4.
Voraussetzungen des § 812 I 1, 2. Alt.
H hat Eigentum an den aus den Bullen hergestellten Wurstwaren erlangt. Dies geschah auch auf Kosten des E, also durch einen Eingriff in den Zuweisungsgehalt
eines fremden Rechts. Denn die Verwertung der Sachsubstanz ist nach § 903 dem
Eigentümer vorbehalten.
a)
Vorrangige Leistungsbeziehung?
Allerdings könnte hier eine Leistungsbeziehung zwischen H und D entgegenstehen. Der Rückgriff auf die Eingriffskondiktion ist grundsätzlich ausgeschlossen, wenn gleichzeitig eine Leistungskonstellation vorliegt: Vermögensgegenstände, die dem Empfänger geleistet wurden, können nur im Wege der Leistungskondiktion zurückgefordert werden. Dieser Grundsatz gewährleistet eine Rückabwicklung entlang der ursprünglich vereinbarten Leistungsbeziehungen. Denn nur so lassen sich zentrale Grundsätze einer gerechten Rückabwicklung – die Erhaltung eigener Einwendungen, der Schutz
vor fremden Einwendungen sowie eine angemessene Verteilung des Insolvenzrisikos – umsetzen31.
Hinweis: Zur Begründung dieses Grundsatzes (Subsidiaritätsprinzip oder
Vorrang der Leistungsbeziehung) lassen sich zudem auch der Wortlaut
des § 812 I 1 („oder in sonstiger Weise“, also nicht durch Leistung) und das
Regelungsmodell des § 816 I heranziehen; zum Ganzen Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 25. Aufl. 2015, Rn. 666 ff.
Was dieser Grundsatz im Einzelnen bedeutet, ist jedoch – insbesondere bei
Dreipersonenverhältnissen – umstritten.
Nach einer Ansicht ist dafür auf die Person des Bereicherungsgläubigers abzustellen. Danach ist die Eingriffskondiktion immer dann ausgeschlossen,
wenn der Bereicherungsgläubiger den Kondiktionsgegenstand durch Leistung in den Verkehr gebracht hat. Nach dieser Ansicht stünde einer Eingriffskondiktion des E gegen den H hier also nichts entgegen, weil die Tiere
dem E abhandengekommen sind (oben 2.a), also nicht infolge seiner Leistung in den Verkehr gelangt sind.
Überwiegend wird für den Subsidiaritätsgrundsatz jedoch auf die Person des
Bereicherungsschuldners abgestellt. Es soll also darauf ankommen, ob dieser davon ausgehen darf, den betreffenden Vermögensgegenstand durch
31
Zur Rückabwicklung in Dreiecksverhältnissen insbesondere Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 13. Aufl. 1994, § 70
(S. 197 ff., 246 ff.); Canaris hat mit früheren Arbeiten die Wertungsgrundlagen der heute herrschenden Meinung
herausgearbeitet.
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die Leistung eines anderen erhalten zu haben. Für diese vertrauensschützende Wertung spreche nicht zuletzt der – zumindest analog anwendbare –
Gedanke der §§ 133, 157. Denn wenn der Erwerber von einer Leistung des
Dritten ausgehen dürfe, sei er vor einer direkten Inanspruchnahme mittels
einer Eingriffskondiktion zu schützen; der Inhaber des verletzten Rechts
müsse sich an den Dritten, den Eingreifenden, halten. Demnach käme es
hier also darauf an, ob der H das „erlangte Etwas“ aus seiner Sicht durch eine Leistung des D erhalten hat.
Dies ist hier fraglich: Einerseits hat H durch Leistung des D den Besitz an
den Tieren erlangt, nicht aber das Eigentum. Denn der Eigentumsübergang
ist kraft Gesetzes erfolgt, und zwar nicht aufgrund des Verhaltens des D,
sondern aufgrund der von H ausgeführten Verarbeitung. Hinsichtlich des Eigentums an den Tieren, um das es hier kondiktionsrechtlich letztlich geht,
liegt also keine Leistung des D vor. Deshalb, so lässt sich argumentieren,
greift auch der Subsidiaritätsgrundsatz nicht ein. Danach kann E also von H
im Wege der Eingriffskondiktion das aufgrund der Verarbeitung Erlangte, also den Wert der Würste, kondizieren.
Andererseits lässt sich geltend machen, dass dem H erst aufgrund der Besitzverschaffung durch D, also aufgrund einer Leistung, die Möglichkeit gegeben worden ist, die Sache zu verarbeiten und auf diese Weise nach § 950
Eigentum an den Wurstwaren zu erwerben. Bei einer solchen Betrachtungsweise würde der Eigentumserwerb als Folge einer Leistung des D beurteilt,
so dass eine Eingriffskondiktion des E gegen H ausgeschlossen wäre.
b)
Kondiktionsrecht und gutgläubiger Erwerb
Freilich kann der Subsidiaritätsgrundsatz in keinem Fall schematisch angewendet werden; das Ergebnis seiner Anwendung ist stets mit anderen gesetzlichen Wertungen, insbesondere mit denen des Sachenrechts, abzugleichen. Hier lässt sich nämlich aus den §§ 932, 935 einerseits und aus § 816
andererseits schließen, dass der Erwerber einer Sache diese nur im Falle
sachenrechtlich wirksamen (§§ 932 ff., 935), entgeltlichen (§ 816) Erwerbs
endgültig behalten darf. Soweit ein wirksamer rechtsgeschäftlicher Erwerb
ausgeschlossen ist, besteht deshalb kein Grund, einen etwaigen gesetzlichen Erwerb nach den §§ 946 ff. als kondiktionsfest zu beurteilen – § 951
stellt das noch einmal klar. Bis zur Verarbeitung von H hätte E die Bullen
herausverlangen können; die untergegangene Vindikation setzt sich in der
Eingriffskondiktion fort. In derartigen Fällen verdient der Erwerber nach den
Wertentscheidungen des BGB also keinen Schutz vor einer Eingriffskondiktion.
c)
Zwischenergebnis
Vorliegend bedeutet das, dass die Eingriffskondiktion zulässig sein muss,
selbst wenn man von einem Eigentumserwerb aufgrund einer Leistung des
D ausgehen will. Denn da die Tiere dem E abhandengekommen waren, verdient H den Schutz des Subsidiaritätsgrundsatzes nicht, so dass die Eingriffskondiktion des E nicht verdrängt wird. Da auch der Vertrag zwischen H
und D dem E gegenüber keine Wirkung entfaltet und da die §§ 946 ff. ohnehin keinen Rechtsgrund i.S.d. Bereicherungsrechts begründen, hat der H
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sein Eigentum an den Würsten rechtsgrundlos erlangt. Der Tatbestand der
§§ 951 I, 812 I 1, 2. Alt. ist folglich erfüllt.
d)
Der Inhalt des Anspruchs
E kann von H gemäß §§ 951 I, 812 I 1, 2. Alt. Vergütung in Geld verlangen.
Nach § 818 II ist dabei der objektive Verkehrswert des erlangten Bullen im
Zeitpunkt der Verarbeitung maßgeblich (5000 €)32. Fraglich ist nur, ob H sich
darauf berufen kann, dass er durch die Zahlung des Kaufpreises an D i.S.d.
§ 818 III entreichert sei. Auch dafür muss freilich entscheidend sein, dass
der Bereicherungsanspruch aus den §§ 951, 812 als ein sog. Rechtsfortwirkungsanspruch an die Stelle der Vindikation getreten ist. Vor der Verarbeitung hätte der H aber dem E die Tiere herausgeben müssen, ohne diesem
Anspruch gegenüber den gezahlten Kaufpreis in Abzug bringen zu können.
Die Verarbeitung kann insoweit seine Rechtsposition nicht verbessert haben.
H kann daher keine Entreicherung geltend machen.
Hinweis: Ein weiteres Argument dafür besteht darin, dass H gegen „seinen“ Verkäufer D vertragliche Ansprüche aus §§ 437, 435, 280 ff. haben
kann. Er soll sich deshalb an den Vertragspartner halten, den er sich ausgesucht hat und die entsprechenden Risiken (Insolvenz, Einreden) tragen;
vgl. Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, 25. Aufl. 2015, Rn. 725.
5.
Ergebnis
E kann von dem H nach §§ 951 I, 812 I 1, 2. Alt., 818 II Zahlung von 5.000 € verlangen, ohne dass dieser sich wegen des gezahlten Kaufpreises auf Entreicherung
berufen könnte.
IV.
§ 816 I 1
Ein Anspruch auf Wertersatz könnte sich auch aus §§ 816 I 1, 818 II ergeben. Dieser ist
im Umkehrschluss aus § 993 I a.E. auch anwendbar (vgl. oben). Jedoch fehlt es tatbestandlich an einer Verfügung: Die Verarbeitung der Jungbullen ist Realakt und keine Verfügung.
V.
§ 823 I
Ansprüche aus §§ 823 ff. wegen der rechtswidrigen Verarbeitung der Tiere sind durch die
vorrangigen §§ 987 ff. ausgeschlossen, weil zwischen dem E und H ein EigentümerBesitzer-Verhältnis bestand. Anders als bei § 951 geht es bei § 823 nämlich nicht um den
Bereicherungsausgleich für die Verwertung der Sachsubstanz, sondern um Schadensersatz für die Unmöglichkeit der Herausgabe. Diese Frage wird aber von den §§ 989 ff. abschließend geregelt, wie sich aus § 993 I a.E. ergibt.
32
Vgl. zum Umfang des Anspruchs Staudinger/Gursky, BGB, Neubearbeitung 2011, § 951, Rn. 31 ff.
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