Statement - Dr. Jens Baas

Statement Dr. Jens Baas,
Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse
zur Vorstellung des TK-Gesundheitsreports 2016
am 29. Juni 2016 in Berlin
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Der Themenschwerpunkt unseres Gesundheitsreports widmet sich in diesem Jahr den 30bis 44-Jährigen. Nachdem wir uns im vergangenen Jahr um die Studierenden und jüngeren
Erwerbspersonen gekümmert haben, ist das vielleicht naheliegend, hat aber auch noch einen
anderen Grund.
Bei vielen beginnt mit dem vierten Lebensjahrzehnt eine Lebensphase, in der sie auf vielen
Hochzeiten gleichzeitig tanzen (müssen). Frauen sind statistisch gesehen 29,5 Jahre alt,
wenn sie ihr erstes Kind bekommen, fünf Jahre älter als 1980. Auch die Erwerbsquote der
Frauen ist in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen. Zwei Drittel der Frauen zwischen 15
und 65 Jahren sind erwerbstätig. Viele müssen also Familie und Beruf in Einklang bringen.
Und Familie bedeutet oftmals nicht nur, sich um die Kinder zu kümmern. In vielen Haushalten
gibt es auch pflegebedürftige Eltern und Großeltern. Der Großteil der Pflege in Deutschland
ist privat organisiert. Seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, sind es in den allermeisten
Fällen die nicht berufstätigen Hausfrauen, die sich, nachdem die Kinder aus dem Haus sind,
auch um die Eltern kümmern.
Sandwichgeneration zwischen Kindern und Karriere
Da Frauen heute erfreulicherweise größtenteils berufstätig sind und sich damit auch die
Aufgabenteilung zwischen Männern und Frauen verändert hat, haben wir es hier mit einer
Sandwichgeneration zu tun, deren Frauen und Männer viele Verpflichtungen haben. Denn
auch im Beruf werden in dieser Zeit oftmals entscheidende Weichen gestellt, viele
engagieren sich zudem ehrenamtlich, bauen Häuser etc.
Deshalb werfen wir heute einen genaueren Blick auf diese Generation Ü-30, auf ihre
berufliche und familiäre Situation, um zu schauen, welche gesundheitlichen Belastungen,
aber vor allem auch Ressourcen sich daraus ergeben.
Familienversicherung und Fehlzeiten
Als Krankenkasse erhalten wir nur über die Familienversicherung Informationen zur
familiären Situation unserer Versicherten. Das heißt, wir schauen, wer mitversicherte Kinder
bzw. Partner hat, und können dies mit den Daten zu Krankschreibungen und
Arzneimittelverordnungen korrelieren. Da die Kinder nur bei einem Elternteil mitversichert
sind, gibt es dazu leider keine ganz eindeutige und vollständige Datenbasis. Da unsere
Auswertung inzwischen aber erfreulicherweise insgesamt auf einer sehr großen Basis beruht
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- die TK versichert mittlerweile fast 4,6 Millionen Erwerbspersonen, davon 1,6 Millionen in der
Altersgruppe zwischen 30 und 44 Jahren - zeigen uns die Daten dennoch wichtige Trends.
Ein gutes Drittel der Ü-30-Jährigen hat mindestens ein Kind mitversichert, im Durchschnitt
sind es 1,6 Kinder. Bei Frauen ist der Anteil der mit familienversicherten Kindern mit knapp 40
Prozent übrigens deutlich höher als bei Männern, von denen in der betrachteten Altersgruppe
nur 27 Prozent mitversicherte Kinder haben. Fast jede/r Achte in dieser Altersgruppe hat
2015 ein Kind bekommen, so dass wir allein auf diesem Weg im vergangenen Jahr 64.000
neue Versicherte gewinnen konnten.
Regional gibt es übrigens große Unterschiede. In den neuen Bundesländern ist der Anteil der
Frauen mit mitversicherten Kindern wesentlich größer. In Brandenburg haben knapp 62
Prozent der Frauen, aber nur ein Fünftel der Männer familienversicherte Kinder, in den alten
Bundesländern ist diese Diskrepanz wesentlich kleiner. In Hessen haben nur 30 Prozent der
Frauen, aber auch nur knapp 36 Prozent der Männer familienversicherte Kinder. Dies hängt
vermutlich damit zusammen, dass die klassische Rollenverteilung, bei der das
Haupteinkommen vom Mann eingebracht wird, im Westen verbreiteter ist.
Mit Sicherheit Familie, seltener befristet, aber häufiger in Teilzeit beschäftigt
Auch frühere TK-Gesundheitsberichte haben gezeigt, dass finanzielle Unsicherheit ein
relevanter Faktor ist, wenn es um die psychische Belastung geht. Beschäftigte in Zeitarbeit
oder mit befristeten Arbeitsverträgen sind stärker von psychischen Störungen betroffen, was
zu einem großen Teil auf ihre finanzielle Situation zurückzuführen ist.
Der aktuelle Report zeigt, dass jeder Fünfte der 30- bis 44-Jährigen befristet beschäftigt ist.
Diejenigen mit Kind sind dabei unterdurchschnittlich oft in befristeten Arbeitsverhältnissen.
Allerdings können wir aus den Daten nicht ablesen, ob Beschäftigte in einem unbefristeten
Arbeitsverhältnis eher geneigt sind, eine Familie zu gründen, oder ob diejenigen mit Familie
seltener befristete Jobs annehmen.
Relativ hoch ist dagegen der Anteil der Teilzeitbeschäftigten. In der Sandwichgeneration
arbeiten mehr als vier von zehn Frauen (42,7 Prozent), aber nur jeder elfte Mann (8,7
Prozent) in Teilzeit.
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Und während bei Frauen die Teilzeitquote mit der Anzahl der Kinder steigt, ist der Anteil der
Teilzeit arbeitenden Männer ohne Kind größer als derer mit Kind. Dies lässt vermuten, dass
die Familienarbeit doch noch zu einem größeren Anteil bei den Frauen liegt und Männer eher
für den Hauptanteil des Familieneinkommens verantwortlich sind.
Krankschreibungen: Eltern fehlen bis 40 mehr, ab 40 weniger
Frauen sind erfahrungsgemäß mehr krankgeschrieben als Männer. Da erzähle ich Ihnen
nichts Neues, das ist seit Beginn der TK-Gesundheitsberichterstattung so. Im letzten Jahr
fehlten TK-Erwerbspersonen durchschnittlich 15,4 Tage. Die Sandwichgeneration zwischen
30 und 44 liegt mit 12,3 Tagen unter dem Durchschnitt. Frauen sind aber auch hier mit 14
Tagen pro Kopf deutlich mehr krankgeschrieben als Männer, die im Schnitt 10,3 Tage fehlten.
Erwerbspersonen mit familienversicherten Kindern sind mit 14,3 Tagen statistisch gesehen
gut zwei Tage weniger krankgeschrieben als diejenigen ohne Kinder mit 16,5 Tagen.
Der Effekt zeigt sich aber erst ab dem 40. Lebensjahr. Bis dahin sind Eltern mehr
krankgeschrieben. Ab dem 40. Lebensjahr dreht sich der Effekt um, und die Elternteile fehlen
weniger.
Eltern mit höherem Stresslevel, aber psychisch gesünder
Man kann also vermuten, dass Familie nicht nur eine Mehrbelastung ist, sondern auch
entlastend im Sinne einer Gesundheitsressource positiv wirkt. Unsere Umfragen der letzten
Jahre bestätigen dies. Auch in unserer letzten Stress-Studie lag der Stresspegel in der
Sandwichgeneration mit 80 Prozent zwar höher als in allen anderen Altersgruppen, Familie
und Freunde spielen für sie aber auch als Ausgleich gegen den Stress eine wichtigere Rolle
als bei allen anderen. Drei Viertel von ihnen nannten Familie und Freunde als Stresskiller, im
Durchschnitt der Bevölkerung sagten dies 62 Prozent.
Stressbedingte Krankschreibungen wie psychische Störungen spielen im mittleren
Erwerbsalter eine große Rolle. Insgesamt waren die 30- bis 44-Jährigen 2015 im Schnitt 2,4
Tage aufgrund von Depressionen, Belastungsstörungen etc. krankgeschrieben. Kein anderes
Diagnosekapitel verursachte in dieser Altersgruppe so viele Fehltage. Frauen sind mit gut
drei Tagen deutlich mehr betroffen als Männer mit 1,7 Tagen pro Kopf. Allerdings: Die
psychisch bedingten Fehlzeiten fallen bei Beschäftigten mit familienversicherten Kindern pro
Kopf etwa 0,3 Tage geringer aus als bei denen ohne Kinder.
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Gesundheitsmanagement heißt auch Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Wenn Unternehmen dafür sorgen, dass ihre Beschäftigten Familie und Beruf in Einklang
bringen können, ist das also nicht nur Kosmetik für ihre Arbeitgebermarke, sondern ein
Beitrag zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement. Die Digitalisierung hat die Arbeitswelt
sicherlich beschleunigt und verlangt vielen mehr Flexibilität ab. Sie sorgt dafür, dass die
Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen, bietet aber auch viele neue Chancen,
die es zu nutzen gilt. Mobile Kommunikation, Videokonferenzen etc helfen uns, von überall zu
arbeiten. Betriebe, die ihren Beschäftigten die Möglichkeit bieten, ihre Arbeit und ihre privaten
Verpflichtungen - dabei geht es nicht nur um Familie - in Einklang zu bringen, werden mit
engagierten, motivierten und gesunden Mitarbeitern belohnt. Das halte ich für eine sinnvolle
Investition.
Langzeitstudie aus dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement
Wir stellen Ihnen heute noch eine zweite Studie vor, die uns hierzu ebenfalls interessante
Ergebnisse liefert: unsere Studie "Job & Gesundheit" (JuGS), die analysiert hat, wie es
Deutschlands Beschäftigten in ihrem Job geht.
Die Krankschreibungen und Arzneimitteldaten aus dem Gesundheitsreport geben uns
Informationen über die ärztlich dokumentierten Beschwerden von Beschäftigten und ALG IEmpfängern. Die Art der Beschäftigung hat auf die gesundheitliche Situation und den
Krankenstand großen Einfluss - daneben spielt natürlich auch der Lebensstil außerhalb der
Arbeit eine große Rolle.
In der JuGS geht es ausschließlich darum, wie Beschäftigte ihre Arbeitssituation einschätzen.
Unsere TK-Berater für Betriebliches Gesundheitsmanagement, die bundesweit in den
Unternehmen im Einsatz sind, arbeiten seit vielen Jahren mit dem Analysetool "Gesund in die
Zukunft". Es ist ein Fragebogen, mit dem wir untersuchen können, welche gesundheitlichen
Ressourcen und Belastungen die Beschäftigten eines Betriebes haben - und in welchem
Ausmaß. Für die Studie haben wir fast 9.000 Fragebögen aus zwölf Jahren ausgewertet, so
dass wir erstmals auch Informationen bekommen, wie sich Belastungen in der Arbeitswelt in
dieser Zeit verändert haben.
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So geht’s den Beschäftigten
Gefragt wie es ihnen insgesamt geht, bezeichnete nur die Hälfte der Befragten den eigenen
Gesundheitszustand als gut oder sehr gut, ein gutes Drittel ist zufrieden und 15 Prozent, also
mehr als jeder Siebte, fühlt sich weniger gut oder sogar schlecht.
Immerhin: Sieben von zehn Befragten sind mit ihrer Jobsituation insgesamt zufrieden.
Ebenso wie die Familie und gute sozialen Bindungen am Arbeitsplatz ist auch Zufriedenheit
eine wichtige Gesundheitsressource. Sie wirkt positiv und ausgleichend - zum Beispiel in
stressigen Phasen. Und diese werden offenbar häufiger. Laut der Studie steigt der
Belastungslevel. Wir haben die zwölf Jahre, in denen wir die Befragungen machen, zu zwei
Befragungszeiträumen zusammengefasst. Und es zeigt sich, dass in der ersten Phase von
2002 bis 2009 nur drei von zehn Befragten angaben, dass sie ihre Arbeit auch nach
Feierabend stresst, im späteren Zeitraum der Jahre 2010 bis 2015 sagte das schon knapp
die Hälfte der Befragten (47,2 Prozent). Auch hier kann Familie übrigens als
Gesundheitsressource wirken. Denn viele Beschäftigte können nach Feierabend schneller
abschalten, wenn Zuhause bereits Kinder warten.
Gesunde Führung bringt hohe Rendite
Deshalb ist es wichtig, bei Themen wie Betrieblichem Gesundheitsmanagement und Arbeit
4.0 nicht nur darüber zu sprechen, was Beschäftigte krank macht, sondern auch darüber,
welche Ressourcen wir fördern können, damit sie lange gesund arbeiten können. Dabei geht
es um viel mehr als ergonomische Arbeitsplätze und flexible Arbeitszeiten. Es geht um gute
Strukturen, einen transparenten Informationsfluss, darum, die Mitarbeiter einzubeziehen, und
vor allem um Wertschätzung. Viele Führungskräfte fürchten, dass es teuer wird, wenn sie
sich um die Gesundheit ihres Teams kümmern. Wie die Studie zeigt, kann man aber auch
eine hohe Gesundheitsrendite erzielen, in dem man in Führung investiert.
Die Beschäftigten geben ihren Vorgesetzten zwar sehr gute Noten, wenn es um die
Sachkompetenz geht - Handlungsbedarf besteht aber bei Fragen der Mitarbeiterorientierung.
Mangelnde Wertschätzung belastet etwa ein Viertel der Beschäftigten. Weitere Themen sind
die Fähigkeit, Mitarbeiter zu motivieren und Teams zu entwickeln.
Zu den Ergebnissen wir Ihnen Frau Dr. Voermans, die Leiterin unseres
Gesundheitsmanagements, gleich noch etwas mehr sagen, nachdem Herr Dr. Grobe den
Gesundheitsreport vorgestellt hat.
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