wirtschaft D ie Ampel schaltet auf Grün und Markus Kreisel steigt aufs Gas. Das Fahrzeug schießt über die Kreuzung. Seine Passagiere, die es tief in die Sitze presst, brechen ob der Überraschung in leicht hysterisches Gelächter aus. Von 0 auf 60 km/h in 2,6 Sekunden – das erlebt man nicht alle Tage. Schon gar nicht bei einem Škoda Yeti. Der Geländewagen mit Allradantrieb steht üblicherweise für andere Qualitäten. Tempobolzern galt er bisher nicht als Fahrzeug erster Wahl. Der Magen sendet Signale, dass er es gerne ein bisschen gemächlicher angegangen wäre. Im Fond schmunzelt Philipp Kreisel still in sich hinein. Solche Scherze treiben die Brüder offenkundig öfter. Es bereitet ihnen sichtlich Vergnügen, ihre Mitfahrer als Elektroauto-Debütanten zu entlarven. Noch ein paar solcher Beschleunigungsmanöver und es könnte unappetitlich werden. Markus Kreisel gelobt Besserung. Ohnehin haben die Brüder derzeit eigentlich Besseres zu tun, als durch das beschauliche Freistadt zu kurven. Mit ihrer Kreisel Electric GmbH haben sie die Kleinstadt im nördlichen Oberösterreich zu einem Hotspot der Elektromobilität gemacht. Die internationale Autoindustrie gibt sich hier die Klinke in die Hand, um die Akkutechnologie in Augenschein zu nehmen. „Wir haben so viele Aufträge, wir sind komplett ausgebucht. Und jeden Tag kommen neue Anfragen“, sagt Markus. Es ist schon erstaunlich: Drei Brüder aus dem tiefsten Mühlviertel, Amateure zumal, wollen etwas geschafft haben, was den Ingenieuren in den hochdotierten Entwicklungsabteilungen der Autokonzerne bisher nicht gelungen ist: Batteriesysteme, die deutlich kleiner und leichter sind als alles, was derzeit am Markt ist. Und das bei größeren Reichweiten und schnelleren Ladezeiten. Dabei hatten die Brüder laut eigenem Bekunden bis vor vier Jahren von Elektroautos keine Ahnung. Bis sich Kreisel senior, hiesiger Red-Zac-Elektrohändler, einen strombetriebenen Renault Fluence zulegte. Von seinen Söhnen wurde er belächelt. Aber nur so lange, bis die sich selbst hinters Lenkrad setzten. „Da haben wir gemerkt, das ist ein Wahnsinn. Der zieht ja besser weg als ein 350-PS-Sportwagen“, erzählt Markus. Die Brüder hatten Feuer gefangen. Doch ein bereits georderter Tesla wurde wieder abbestellt: „Wir sind regional verbunden aufgewachsen. Ich wollte nicht, dass das Geld nach Amerika geht“, so der 37-Jährige. Wirkliche Alternativen zum Superstar aller E-Autos gab es aber nicht. Auch wenn die großen Hersteller für ihre Strommodelle rund 200 Kilometer 40 profil 16 • 18. April 2016 Gebrüder Kreisel Markus (li), Philipp (unten) und Johann (verhindert) „zeichnen sich durch Einfallsreichtum aus“. Batterie-Brüder Sie wollten nur spielen: Als Hobby bastelten drei Brüder aus dem tiefsten Mühlviertel ein Elektroauto. Nun mischen sie mit einer revolutionären Akkutechnologie die Branche auf. Sogar einen Daniell Porsche haben sie beeindruckt. Von Christina Hiptmayr Fotos: Michael Rausch-Schott Reichweite angeben, in der Praxis halten die meisten nur 100 bis 150 Kilometer durch. Neben dem Preis das größte Manko der E-Autos. Also selber machen. Die Brüder entledigten einen Audi A2 von Motor, Getriebe und Auspuffanlage und bestückten ihn stattdessen mit Elektromotor, Batterien, Wechselrichter und Steuerelektronik. „Wir haben nach der Arbeit daran herumgebastelt. Nach sieben Abenden war das Auto fahrbereit“, behauptet Markus. Ende 2012 war das. Und weil die Sache so überraschend einfach ging, folgte das nächste Projekt, ein Porsche 911 Carrera S. Das Ergebnis mit 400 Kilometern Reichweite, einer Motorleistung von 200 Kilowatt und einer Ladedauer von nur zweieinhalb Stunden erregte das Interesse der Industrie. Bis dahin war alles nur Spaß, ein Hobby. Doch nun tat sich plötzlich ein Geschäftsmodell auf. Dass der 911er später abbrennt, tut dem Ruf des Trios keinen Abbruch mehr. Doch was können die Brüder, was die millionenschweren Entwicklungsabteilungen der Konzerne nicht können? Sie seien einfach mit Hausverstand an die Sache herangegangen, meint Markus Kreisel. Sein älterer Bruder Johann, ein Elektroniker, sei ein Tüftler, der sich überall hineintigere. Und der 26-jährige Philipp, gelernter Maschinenbauer, schlichtweg ein Genie. Damit sind die Rollen perfekt verteilt: Der für das Marketing zuständige Markus weiß, wie er Unternehmen und Produkte verkauft. „Das hat Hand und Fuß, was die machen“, meint Manfred Schrödl, Vorstand des Instituts für Energiesysteme und elektrische Antriebe an der TU Wien. „Man kann sogar sagen, sie übertreffen Tesla.“ Während die großen Hersteller flache Zellen in ihren Elektroautos einbauen, haben sich die Kreisel-Brüder (ebenso wie Tesla) für Rundzellen entschieden. Die gibt es seit über 30 Jahren und sind beispielsweise in jeder VHS-Kamera und in jedem akkubetriebenen Staubsauger zu finden. Runde Zellen sind zwar schwieriger zu verbauen als flache, haben aber eine höhere Energiedichte. „Unsere Kernkompetenz ist die Batterieverbindungstechnik“, sagt Markus Kreisel. Während Tesla die Zellen durch Schweißen miteinander verbindet, werden sie in Freistadt per Laser zusammengefügt. Dadurch soll die nutzbare Kapazität gesteigert werden. Ein entscheidender Schritt dürfte dem Trio auch in Sachen Thermomanagement gelungen sein. Die Zellen schwimmen in einer Flüssigkeit, die für Kühlung und Beheizung der Batterien sorgt. „Wohlfühltemperatur“, nennt Kreisel das. Damit erhöhe sich die Reichweite an kalten Winter- oder heißen Sommertagen ebenso wie die Lebensdauer der Zellen. Und Schnellladungen können batterieschonender durchgeführt werden. „Nach 300.000 Kilometern haben wir immer noch 80 Prozent Restkapazität in der Batterie“, behauptet Kreisel. Dass es sich hiebei nicht um bloßen PRSprech handelt, bestätigen Sachkenner: „Auch wenn es sich aktuell nur um prototypische Entwicklungen handelt, so ist die Konstruktion des Batteriepacks unter den Gesichtspunkten Leichtbau und Temperierung sehr interessant“, sagt Bernd Günther, Abteilungsleiter Energiesystemanalyse beim Fraunhofer-Institut in Bremen. Die von Kreisel angegebene Energiedichte (200 Wattstunden pro Kilogramm) stelle wirklich einen Spitzenwert dar. „Das Kühlkonzept und die Anordnung der Zellen sind sehr innovativ“, ergänzt Schrödl. In der Werkstatt in Sichtweite der mittelalterlichen Altstadt herrscht emsige Betriebsamkeit. Zwei Dutzend Leute beschäftigen die Kreisels mittlerweile. Vor und in der Halle stehen Fahrzeuge herum, die es so eigentlich gar nicht geben dürfte. Nicht nur der schnittige Škoda Yeti, der seinem Besitzer alle Ehre macht. War er doch eine Auftragsarbeit für Daniell Porsche, seines Zeichens Urenkel des großen Autokonstrukteurs Ferdinand. „Die Kreisels zeichnen sich durch Fleiß und Einfallsreichtum aus, und sie liefern ein hohes Niveau an Qualität“, streut Porsche den Brüdern Rosen. Daneben hat das Trio unter anderen auch einen 3er BMW, einen VW Caddy, einen Mercedes Sprinter und das aktuelle Meisterstück – einen Porsche Panamera – elektrifiziert. Fahrzeuge, die in den offiziellen Prospekten der Hersteller vergeblich gesucht werden. „Wir haben das gemacht, um zu beweisen, was wir draufhaben. Hätten wir bloß eine Batterie hergezeigt, hätte uns niemand geglaubt“, sagt Markus Kreisel. Die Taktik scheint aufgegangen zu sein. „Ich habe den Yeti in das Škoda-Stammwerk und danach zu Volkswagen gebracht. Dort hat man sich das Fahrzeug sehr genau angesehen“, erzählt Daniell Porsche, als Škoda-Aufsichtsrat und VW-Aktionär ein einflussreicher Mann. „Da dürfte sich bald eine Zusammenarbeit ergeben“, so Porsche. Generell läuft es bei den Kreisels derzeit richtig gut. Das erste Wirtschaftsjahr positiv abgeschlossen. Aufträge aus Asien, von Boots-, Flugzeug- und Traktorenherstellern füllen die Bücher. Weil der derzeitige Standort bereits aus allen Nähten platzt, soll demnächst mit dem Bau eines neuen Entwicklungszentrums begonnen werden. Dort sollen 40 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Für die strukturschwache Gegend ein echter Gewinn. n 18. April 2016 • profil 16 41
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