SWR2 Glauben KIRCHE DER FREIHEIT

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ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Glauben
KIRCHE DER FREIHEIT
ZEHN JAHRE EKD-REFORMPROZESS
VON HOLGER GOHLA
SENDUNG 26.06.2016 / 12.05 UHR
Redaktion Religion, Kirche und Gesellschaft
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KdF Atmo 1 (0:17) – Strickleitern [ca. 0:10, dann unterm Text ausblenden]
Bernadette Hörder hantiert mit einer frisch erstellten Strickleiter. Ihre Kollegin
Ulrike Israel und sie bereiten gerade die Installation „Lebensleiter“ vor. Doch
statt im Atelier arbeiten die beiden freischaffenden Künstlerinnen im
Gemeindehaus der evangelischen Stadtkirche in Karlsruhe. Flüchtlinge und
Ehrenamtliche haben die Leitersprossen gemeinsam gesägt und
angestrichen.
KdF OT 01 (0:16) Assoziationen Lebensleitern
Assoziieren können sie damit Vieles. Es ist formal eine interessante Sache, aber
auch inhaltlich: Wo geht es hin mit Deutschland, wo geht es hin mit den
Flüchtlingen? Welche Träume gehen wir nach und werden die sich erfüllen.
Die Strickleitern, später bis zu 17 Meter lang, symbolisieren Unsicherheit, stehen
aber auch für die Stufen des Lebens.
Jarmil ist aus Gambia geflohen. Der 20 Jahre alte Fliesenleger arbeitet gerne
mit bei diesem Projekt.
KdF OT 02 (0:23) Jarmil aus Gambia
Many kind of Nationals. It is Syrians, Irakiens …
Viele Nationen sind hier: Syrer, Iraker, Gambier, oder, oder. Alle mussten
fliehen. Es ist ein sehr wichtiger Schritt für uns. Wir sind sehr glücklich hier, ich
hoffe, alle anderen auch.
I hope everybody is really happy going here.
Gambia habe ein diktatorisches Regime. Jetzt hofft er auf eine positive
Zukunft. Jeweils ein Flüchtling und eine ehrenamtliche Person arbeiten
zusammen. Zu ihnen gehört Helga Löw.
KdF OT 03 (0:20) Ehrenamtliche Helga Löw 1
Ich hab‘ die Sprossen gestrichen mit weißer Farbe an zwei Nachmittagen.
Jetzt lerne ich gerade mit einem Jungen ein bisschen Deutsch Lesen und
Sprechen. Wir haben auch miteinander gesungen, und dann fing der
Afrikaner selber an zu singen und ein anderer fing an zu tanzen. Es ergab sich
so eins aus dem anderen.
Ganz nebenbei erfährt Helga Löw auch etwas über das Schicksal der
Flüchtlinge.
KdF OT 04 (0:20) Ehrenamtliche Helga Löw 2
Der Ibrahim, mit dem ich hier die Sprossen gestrichen hab‘, der ist übers
Mittelmeer gekommen. Und er hat seine Eltern und seine Familie noch in
Gambia, und man kann sich manches vorstellen und vielleicht gar nicht
wirklich vorstellen, wenn man so was nicht erlebt hat.
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Wenige Wochen später schweben 17 Strickleitern im hohen Raum der
Evangelischen Stadtkirche. Pfarrer Dirk Keller geht im Gottesdienst auf ihre
Bedeutung ein.
KdF OT 05 (0:20) Keller/Lebensleitern
Es gibt Menschen unter uns, deren Lebensleiter hat noch keinen Ort. Die
haben noch keinen Anker im Leben, weil sie an ihrem bisherigen Ort alles
hinterlassen mussten. Der Boden ist verbrannt, da steht keine Leiter mehr für
sie. Auf der Suche nach einem neuen Ort, wo die Lebensleiter neu aufgebaut
werden kann. Und es sind Menschen unter uns, die sagen: Wir haben hier in
unserer Stadt, unserem Leben Leitern, die wir begehen können und wir sind
bereit, unsere Lebensleiter anderen anzubieten, damit sie einen Weg bei uns
hier ins Leben finden.
Fahan aus dem Iran singt in diesem Gottesdienst über seine Erfahrungen.
KdF Atmo Fahan aus dem Iran (Gitarre) (ca. 0:15/0:20)
In der Predigt spricht Dirk Keller vom Segen, der miteinander erlebt werden
kann, wenn Menschen sich auf Augenhöhe begegnen.
Öffentlichkeitswirksame Aktionen wie das Projekt „Lebensleiter“ gehören für
den Pfarrer mitten in der Stadt heute dazu.
KdF OT 06 (0:21) Keller/Citykirche
Die Menschen, die hier wohnen, erreiche ich nicht wie früher über Taufe,
Konfirmation und Trauung. Das war kirchliche Arbeit in der Tradition, gut in
Begegnung. Das ist hier in der Innenstadt nicht mehr so möglich. Das heißt, ich
muss ganz neue Wege finden, um Menschen zu interessieren. Und es müssen
halt öffentlichkeitswirksame Aktionen sein, damit wir auf der Straße, am
Marktplatz beachtet werden als Kirche.
Zu besonderen Gottesdiensten kommen einige Hundert, jedoch nur ein
geringer Teil der eigenen 2.600 Mitglieder. Die Konzentration auf wichtige
Aufgaben begrüßt der Karlsruher Stadtkirchenpfarrer.
Hier stimmt Dirk Keller dem so genannten Impulspapier zu, das die
Evangelische Kirche in Deutschland Anfang Juli 2006 unter dem Titel „Kirche
der Freiheit“ veröffentlichte. Es plädiert beispielsweise für
Schwerpunktaufgaben. Ganz nach dem Motto, keine Gemeinde müsse
künftig mehr alles anbieten.
Die 110 Seiten sind eine kritische Bestandsaufnahme und nahmen vor zehn
Jahren auch den Gottesdienst neu in den Blick. Pfarrer Dirk Keller:
KdF OT 07 (0:21) Keller/Gottesdienst
3
Der Gottesdienst ist das Forum in unserer Kirche, in dem wir die größte
Öffentlichkeit erreichen. Da muss gut gelesen sein, da müssen die richtigen
Blumen stehen und die richtige Predigt am richtigen Ort sein. Und der Impuls
kam ganz stark von „Kirche der Freiheit“ über dieses Qualitätszentrum, das ja
bis heute besteht in unserer Kirche.
Atmo 3_Klosterlied (0:48) (ab ca. 0:15 Refrain „Jesus Christ …“ ca. 0:20?)
Dieses Kompetenzzentrum gehört zu den vier Einrichtungen, die die EKD als
Folge des Reformpapiers gegründet hat. Es soll die Qualität der Gottesdienste
fördern und ist ins Michaeliskloster Hildesheim integriert.
Natürlich wirken Gottesdienste per se, sagt Direktor Jochen Arnold, selbst
Theologe und Musiker. Dennoch unterscheidet er drei Kriterien, an denen gut
gearbeitet werden kann. Erstens als Grundanforderung: Stimmen
beispielsweise äußere Faktoren wie Raum und Licht oder Absprachen der
Beteiligten? Sind zweitens als Leistungsanforderung Lieder und Predigt
handwerklich gut vorbereitet?
KdF OT 07.2 (0:23) Arnold/Grundkriterien
Und dann gibt es noch die Begeisterungsfaktoren. Das sind die Punkte eines
Gottesdienstes, an die man sich nach Jahren noch dran erinnert, wo magic
moments entstanden sind, wo man spürt: Hier hat mich was in besonderer
Weise berührt. Das kann der Händedruck eines Nachbarn oder einer
Nachbarin beim Abendmahl sein, ein schönes Wort, ein kleiner Ohrwurm, den
ich mitnehme in den Alltag, der mich einfach total erreicht. Und vieles mehr.
In einem Workshop erarbeiten Pfarrerinnen und Pfarrer gerade, wie sie
zeitgemäß über das Thema Reformation predigen. Kathrin Oxen, Leiterin des
zweiten Zentrums, nämlich für evangelische Predigtkultur in Wittenberg, regt
beispielsweise an:
KdF OT 08 (0:29) Oxen/Anrede
Wenn’s um Zuspruch geht, dann ist das eine ganz starke Form, die
unglaublich wirksam ist, wenn Sie ‚Du‘ sagen oder ‚Ihr‘. Das ist auch eine
biblische Sprachform, die in jedem Psalm vorkommt, die wir uns in der Predigt
aber scheuen einzusetzen. Und wenn Sie dann anfangen mit ‚Sie‘, dann
schaffen Sie wieder so eine komische Distanz. Man muss es dosieren, also ich
passe auch immer auf. Aber für die Schlusspassage ist das auf jeden Fall ein
ganz geeignetes Mittel.
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Zudem sei es wichtig, in einer Predigt stets authentisch zu sein. Nach dieser
Einführung folgt die Aufgabe an die Teilnehmenden, in nur 20 Minuten einen
kleinen Predigtausschnitt zu erarbeiten und anschließend vorzutragen.
KdF OT 10 (0:52) Predigtausschnitt
Erschöpft steht er in der Tür. Er hat kaum etwas gegessen, wenig geschlafen,
die letzten Tage und Nächte hat er durchgearbeitet. Groß und gewaltig ist
seine Aufgabe, die er sich vorgenommen hat. Er kämpft um jedes einzelne
Wort, ringt um jede Formulierung, alle, alle sollen es verstehen können.
Manchmal zweifelt er, ob die Aufgabe für ihn zu groß ist, ob er sich selbst
überfordert. Aber dann, dann kann er nicht anders. Immer wieder liest er den
alten Urtext. Der hebräische Text fällt ihm schwerer als der Griechische. Und
doch macht er wunderbare, einzigartige Entdeckungen. Diese alten Worte
wirken auf ihn befreiend, trösten, stärken. Sie gelten nicht nur für ihn, sondern
für alle Menschen.
Frank Mertin aus Deutsch Evern bei Lüneburg beschreibt, wie Martin Luther
auf der Wartburg die Bibel übersetzt. Der Pfarrer einer Martinus-Kirche nimmt
gerne wichtige Impulse für seine Gemeindearbeit mit, nicht nur für das
anstehende Reformationsjubiläum:
KdF OT 11 (0:14) Pfr Mertin
Vor allem ist mir nochmal deutlich geworden die emotionale Ansprache, das
Arbeiten mit Bildern; weniger das Lehrhafte, was wir so vom Studium her
mitbekommen haben. Ja, neue Worte, neue Bilder zu finden, um Menschen
emotional anzusprechen.
Die insgesamt vier Kompetenzzentren der EKD befassen sich seit 2009 zudem
mit Predigtkultur, zeitgemäßer Mission sowie Führungs- und
Leitungskompetenzen. Sie sind das nachhaltigste Signal des Reformprozesses.
Den Anstoß dazu gab der damalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche
in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber. Unter seiner Leitung beauftragte der
Rat der EKD, das oberste beschlussfassende Gremium zwischen den jährlichen
Synoden, ein Expertenteam.
Dieses analysierte und prognostizierte die demografische wie wirtschaftliche
Entwicklung bis ins Jahr 2030. Aber es nahm auch die inhaltliche Arbeit unter
die Lupe, vor allem ihre Qualität und Wirkungen. Altbischof Wolfgang Huber
erinnert an die Ausgangslage:
KdF OT 12 (0:35) Huber/Ausgangslage
Wir wollen selber das Heft des Handelns, soweit die Kirche von Menschen
gestaltet wird, in der Hand behalten, wir wollen nicht Getriebene sein von
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Entwicklungen, sondern wir wollen diese Entwicklungen selber steuern. Sehr
wohl wissend, dass Gottes Geist wirkt, wo und wann er immer will, sehr wohl
wissend, dass die Kirche eine Schöpfung des Worts und nicht eine Schöpfung
von menschlichen Planungen ist
, waren wir doch davon überzeugt und
ich bleibe auch heute davon überzeugt, dass die Antwort auf dieses göttliche
Wort auch darin besteht, dass wir Kirche verantwortlich gestalten.
Vier Grundmotive sollten kirchliches Handeln in Zukunft bestimmen:
Erstens: Geistliche Profilierung statt undeutlicher Aktivität.
Vor zehn Jahren kursierte der Slogan: „Wo evangelisch drauf steht, muss auch
evangelisch drin sein.“
Zweitens: Schwerpunktsetzung statt Vollständigkeit.
Nicht jede Gemeinde müsse alles leisten.
Drittens Beweglichkeit in den Formen statt Klammern an Strukturen.
Also weg vom so genannten Einheitsbrei hin zu gemeinsamen Zielen, die auf
unterschiedliche Weise erreicht werden dürfen.
Und viertens: Außenorientierung statt Selbstgenügsamkeit.
Das heißt über den Rand der eigenen Gemeinde weit hinausschauen und
auch die Menschen, die keine Kirchenmitglieder sind, und deren Leben
wahrnehmen.
Das Grundanliegen fasst der Münchener Wirtschaftsexperte Peter Barrenstein,
der damals das Impulspapier „Kirche der Freiheit“ mit erarbeitet hat, so
zusammen.
KdF OT 13 (0:15) Barrenstein/Grundanliegen
Wir möchten gerne den christlichen Glauben bedeutsamer machen in
unserer Gesellschaft. Also diesen Trend der Säkularisierung, den Trend, der
viele Mitglieder aus der Kirche herausgebracht hat, stoppen oder, das war
natürlich da sehr anspruchsvoll, sogar drehen.
Das 110 Seiten starke Papier löste damals in Teilen der evangelischen
Christenheit große Irritationen aus. Beispielsweise die Vorgabe, die Zahl der
Landeskirchen von 23 auf bis zu acht zu reduzieren. Zehn Jahre später gibt es
durch Fusionen immerhin drei Landeskirchen weniger und auch einige
diakonische Werke haben sich zusammengeschlossen.
Doch vor allem das explizit genannte Ziel, die Zahl der
Gottesdienstbesucher von 4 auf 10 Prozent zu erhöhen, nahmen viele
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Pfarrerinnen und Pfarrer als Kritik an ihrer Arbeit wahr. Auch das 2006
ausgegebene, sehr plakative Motto „Wachsen gegen den Trend“ war sehr
missverständlich, sagt Pfarrer Andreas Kahnt, Vorsitzender des Deutschen
Pfarrvereins:
KdF OT 14 (0:14) Kahnt/Kritik
Durch diese Idee ‚Wachsen gegen den Trend‘ wurde im Grunde genommen
ihnen gesagt: Leute, strengt Euch mal ordentlich an, Ihr seid schlecht. Und das
war das Bedenkliche und das war das Entwürdigende im Grunde genommen
gegenüber einem ganzen Berufsstand.
Kirche könne eben nicht wie ein Konzern geführt werden. Letztlich gehe es, so
Andreas Kahnt, um die Vermittlung des Glaubens. Der Vorsitzende des
Deutschen Pfarrvereins vertritt rund 21.000 der insgesamt 24.000 Pfarrerinnen
und Pfarrer.
Während Peter Barrenstein, damals Mitglied der EKD-Synode und
Unternehmensberater bei McKinsey, das Arbeiten mit so genannten
Messzahlen verteidigt, um vergleichen zu können, verweist Altbischof
Wolfgang Huber nicht nur darauf, dass sich der Beruf des Pfarrers in den
vergangenen zehn Jahren durchaus verändert habe. Der profilierte Theologe
macht zugleich deutlich:
KdF OT 15 (0:40) Huber/Pfarrer-Kritik
Dass die Art und Weise, in der wir diese Hoffnung auf Veränderungsprozesse
eingebracht haben, mit einer Kritik am damals aktuellen Zustand verbunden
war, die Pfarrerinnen und Pfarrer als kränkend und verletzend empfunden
haben, das habe ich natürlich in diesen zehn Jahren seitdem auch besser
verstanden. Und ich wünsch‘ mir seitdem Formen für einen solchen
Reformprozess, die den Veränderungsbedarf so artikulieren, dass man ihm
nicht ausweichen kann, aber trotzdem diese Beschreibung des
Veränderungsbedarfs nicht als demotivierend, sondern als motivierend
empfindet. Aber das ist ein bisschen die Quadratur des Kreises.
Auch sonst glich der vor zehn Jahren angestoßene Reformprozess der
Quadratur eines Kreises. Denn die Autoren des Impulspapiers wollten eine
Finanz- und Verwaltungsreform initiieren, zugleich eine Qualitätsoffensive
starten und dazu noch eine geistliche Erneuerung in den Landeskirchen und
Gemeinden bewirken.
Bei allen Schwierigkeiten, die teilweise noch heute bestehen, hat sich
das Bewusstsein für Qualität verändert, sagt EKD-Vizepräsident Thies
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Gundlach. Er leitet im Kirchenamt in Hannover die Hauptabteilung II,
kirchliche Handlungsfelder und Bildung.
KdF OT 16 (0:12) Gundlach/Qualität
Man kann vor allem mit der Frage nach der Qualität unserer Arbeit nicht
aufhören. Es geht jetzt darum, den ursprünglichen Impuls so zu aktualisieren,
dass es wirklich auch hilfreich ist für die Arbeit vor Ort. Man wundert sich so ein
bisschen, wie das vorher ohne dergleichen ging.
Inzwischen sei es üblich, viele Themen und Herausforderungen gemeinsam zu
diskutieren, auch mit Hilfe der eingerichteten Kompetenzzentren. Diese sollen
in den kommenden Jahren weiterentwickelt werden. Dabei geht es in Zukunft
auch um die Relevanz kirchlicher Arbeit.
KdF OT 17 (0:14) Pompe/Relevanz
Die meisten Leute fragen Sie: ‚Ist das, wovon Ihr redet, eigentlich relevant für
mein Leben? Hat das mit meinem Alltag zu tun, mit meiner Gegenwart,
meiner Zukunft? Hilft mir das in den Klippen, an denen ich stehe oder so.
Wenn Ihr da etwas anbietet, dann bin ich dran interessiert.‘
So fasst Hans-Hermann Pompe, Leiter des EKD-Zentrums für Mission in der
Region, seine Erfahrungen zusammen. Deshalb müsse sich seine Kirche heute
folgender Grundsatzfrage stellen:
KdF OT 18 (0:08) Pompe/Relevanz
Schaffen wir den Sprung, dass wir von einer erwartenden und anbietenden
Kirche hinkommen zu einer, die hingeht, mit den Menschen lebt und dort ist,
wo sie sind?
Das bedeutet für viele Ortspfarrer auch, einen Mentalitätswechsel zu
vollziehen.
KdF OT 19 (0:21) Pompe/Region
Für mich ist das eine faszinierende Entdeckung, dass regionales Denken, also
nicht nur geografisch, sondern auch sozial oder digital, dass das den Freiraum
für die Mission erheblich verbreitert und vergrößert. Das ist für einen
Gemeindepfarrer schon ein ziemlicher Schritt, weil da hört normalerweise der
Horizont an der letzten Straße auf, für die Sie zuständig sind.
Das EKD-Zentrum für Mission in der Region ist seit 2009 eine bundesweite
Denkfabrik für innovative Formate kirchlicher Angebote. Es begleitete 2012
auch das Pilotprojekt „Kurse zum Glauben“ in der Metropolregion RheinNeckar. Einen solchen mehrwöchigen Kurs bietet die evangelische
Luthergemeinde in Heidelberg auch nach Abschluss der Experimentierphase
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jährlich an. Pfarrer David Reichert führt an diesem Abend ein in das Thema
„Gottesbilder“.
KdF OT 20 (0:19) Reichert/Gottesbild
Der Gott, wie ihn uns die Bibel als Bild vor Augen zeichnet, ist das
schöpferische Gegenüber der Liebe und der Anwalt der Schwachen. Er trägt
väterliche und mütterliche Züge. Denken wir nur an die Jahreslosung für das
Jahr 2016, in der es heißt: ‚Ich will Euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet‘.
Anschließend tauschen sich die Teilnehmer in kleiner Runde über das Thema
aus, wie diese vier Heidelberger Frauen:
KdF OT 21 (0:57) Frauen/Kleingruppe
Er gibt uns einfach immer, egal auf welche Art und Weise, Menschen auch an
die Hand, die uns führen und das finde ich einfach wunderbar.
In unserer Generation, ich bin jetzt schon über 70, also für mich war das
Gottesbild furchtbar. Das war nur der strafende Gott. Man hatte ständig
Angst, er sieht dich immer und wenn du irgendwas tust, dann wirst du gleich
bestraft. Und das hat lange gedauert, bis ich wirklich diesen anderen
Glauben erfahren durfte.
In jedem Lebewesen, das mir in meinem Alltag begegnet, ist Gott. Und so gibt
es für mich eigentlich kein ganz konkretes Gottesbild, sondern eben die
Vielfalt der Menschen und der Lebewesen ist für mich Gott.
Was ich im Moment so denke, dass Gott auf jeden Fall jemand ist, der immer
da ist bedingungslos für einen, auch wenn ich ihn manchmal nicht konkret
spüren kann, aber jemand, der mich durch eine schwere Situation
durchtragen kann.
Kirchenälteste Christel Warnatz, 72 Jahre alt, arbeitet gerne bei den Kursen
zum Glauben mit.
KdF OT 22 (0:08) Warnatz/positiv
Ich finde das Positive, dass man dann auch gerade mit Leuten
zusammenkommt, die noch nicht in der Kirche sind und wenn man ihnen
dann so ein bisschen erzählen kann. Das ist auch sehr positiv.
David Reichert, seit 2008 Pfarrer der Luthergemeinde Heidelberg, kennt solche
Kursangebote zu Glaubensthemen bereits seit dem Theologiestudium. Damals
hieß es noch, das sei eher etwas für sehr fromme Menschen. Doch inzwischen
gelten sie als gute Möglichkeit der Erwachsenenbildung, über den eigenen
Glauben sprechen zu lernen.
In Zusammenarbeit mit dem EKD-Zentrum für Mission in der Region startete
2012 eine erste große Kampagne, auch unterstützt durch Werbemaßnahmen
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wie Plakate oder kleine Kinospots. Teilweise machten Gemeinden in der Pfalz
mit.
KdF OT 23 (0:15) Reichert/Mehrwert
Glaubenskurse haben einen Mehrwert für unsere Gemeinden und auch für
unsere Kirchen. Man darf auch nicht vernachlässigen, wenn neben einem
Werbeplakat steht ‚Erwachsen Glauben – eine Einladung der Evangelischen
Kirche‘, dann hat das auch eine positive Wirkung in der Stadt.
Während das missionarische Kursangebot „Erwachsen Glauben“ in der
Heidelberger Luthergemeinde regelmäßig angeboten wird, haben andere
Gemeinden ihre Mitarbeit nach anfänglicher Beteiligung wieder beendet.
Denn Kurse zum Glauben sind für alle Mitarbeitenden sehr zeit- und
arbeitsintensiv, nicht nur wegen der Vorbereitung, sagt der Heidelberger
Theologe David Reichert.
Er bedauert jedoch, dass sich die EKD, aber auch die eigene badische
Landeskirche, nach der Pilotphase sehr schnell wieder zurückgezogen haben.
KdF OT 24 (0:10) Reichert/Unterstützung
Wenn es Regelangebot werden soll, dann müssen wir da noch mehr
investieren auch an Fortbildungen, auch an Motivation für Pfarrerinnen und
Pfarrer, sich dieser wichtigen Arbeit zu widmen.
Denn Kirche erreiche auf diese Weise durchaus Menschen außerhalb der
bestehenden Gemeinde. Positive Erfahrungen und Best Practice Beispiele
werden seit 2006 innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland stärker in
den Blick genommen und auch besser kommuniziert, auf Kongressen, bei
Fortbildungen oder auf Internetportalen wie „geistreich.de“.
Auch das evangelische Zentrum für Predigtkultur in Wittenberg hat nach
Überzeugung seiner Leiterin, Katrin Oxen, seit der Gründung 2009 einen
wichtigen Reformbeitrag geleistet.
KdF OT 24a (0:29) Oxen
Was wir auf jeden Fall leisten konnten in den vergangenen Jahren, ist ein
neues Interesse zu wecken auch an homiletischer Fortbildung, also dass
Predigen-Können oder Gerne-Predigen kein Zufall ist oder ein Schicksal oder
weil’s einem liegt oder so, sondern dass man daran tatsächlich methodisch
und handwerklich auch arbeiten kann. Das, glaube ich, haben wir wirklich
deutlich klar machen können und auch einspielen können in den
Fortbildungskontext der Kirche. Ich glaube, wir haben vielen Predigerinnen
und Predigern neue Lust am Predigen gemacht. Und das ist eigentlich das,
was wir wollten.
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Schaut man zehn Jahre nach der Veröffentlichung ins Impulspapier „Kirche
der Freiheit“, dann sind längst nicht alle Vorgaben und Ideen umgesetzt
worden. Nicht nur der finanzielle Veränderungsdruck sei nicht groß genug,
sondern es habe damals auch Wunden verursacht, die vor allem in der
Pfarrerschaft nicht geheilt seien, sagen Insider.
Thies Gundlach, der führende Theologe der Evangelischen Kirche in
Deutschland, spricht von einer Lerngeschichte.
KdF OT 25 (0:41) Gundlach/Lerngeschichte
Wir haben Wachstumsbereiche in unserer Kirche, aber die sind eben nicht
eine Veränderung der Grundtrends von Individualisierung oder Institutionskritik
oder welche Grundtrends es auch gibt. Das ist aber sozusagen eine
Lerngeschichte, die ich jedenfalls auch persönlich formulieren kann, das war
so nicht umzusetzen. Anderes war sehr gut und anregend. Im Blick aufs
Verständnis vom Ehrenamt hat sich massiv was verändert. – wäre vielleicht
auch so gekommen. Aber immerhin ist es im Impulspapier auch angeregt
worden. Anderes hat gefehlt, Thema Ökumene ist viel wichtiger geworden
auch nicht zuletzt durch das Reformationsjubiläum. Das fehlte da noch explizit
oder das Thema Seelsorge, da haben wir nachgebessert. Also ein Learning by
Doing.
Von den grundlegenden Impulsen 2006 ist der Hauptinitiator von „Kirche der
Freiheit“, der damalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber, nach wie vor
fest überzeugt. Er selbst zeigt aber auch eine gewisse Lernfähigkeit, wenn er
sagt:
KdF OT 26 (0:37) Huber/Generationen
Ja, wir haben vergessen, dass wir bei der Lust an Zukunftsperspektiven noch
stärker die Menschen dort abholen müssen, wo sie jetzt sind. Wir haben
vielleicht auch vergessen, bei dem besonderen Akzent auf dem Auftrag der
Kirche, das Evangelium weiterzugeben an die nächste Generation, zugleich
deutlich zu sehen, dass die Kirche die Gemeinschaft der Generationen ist und
jede der beteiligten Generation auch gleichgewichtig vorkommen möchte.
Vielleicht haben wir das nicht stark genug betont und berücksichtigt.
Mit Veränderungsprozessen in der Wirtschaft vertraut macht der Münchener
Unternehmensberater Peter Barrenstein deutlich: Diese dauern in einem
großen Konzern zwischen sechs und zehn Jahre.
KdF OT 27 (ca. 0:40) Barrenstein/Prozessdauer
Wahrscheinlich dauern solche Prozesse in Kirche 20 bis 30 Jahre. Ich hoffe nur,
und das ist ein bisschen meine Sorge, dass wir das noch alles zu einem
Zeitpunkt hinkriegen, in dem wir handlungsfähig sind. Es gab’s ja damals
schon und das gibt es auch heute noch Propheten innerhalb der Kirche, die
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gesagt haben: ‚Mensch, eigentlich ist das gar nicht schlimm, wenn Kirche auf
zehn Prozent runterschrumpft. Aber es sind dann nur noch zwei oder drei
Millionen Kirchenmitglieder. Und die Theorie dahinter ist, dass dann irgendwo
die Menschen, die dort nicht Mitglieder sind, einen Schrei loslassen, weil sie
sagen: ‚Da fehlt uns jetzt was. Da fehlt uns jetzt diese Institution, die Glauben
und auch eine gewisse christliche Ethik tradiert.‘ Da glaube ich nicht dran.
Thies Gundlach, der damals den Prozess entscheidend mitgestaltet hat, blickt
insgesamt zufrieden auf den 2006 initiierten Veränderungsprozess zurück.
Zugleich hofft er insgeheim:
KdF OT 28 (0:27) Gundlach/Abendgebet
Ich habe ein stilles Abendgebet, das heißt: Hoffentlich gibt es irgendwo in
unserer Kirche eine Gruppe, die an einem nächsten Impulspapier sitzt, was
uns alle aufregt, weil diese Diskussion: ‚Wir können die nur, was fällt denen
denn ein und was soll der Quatsch?‘, das tut uns außerordentlich gut. Wir
haben institutionell naturgemäß die Tendenz, ein bisschen ‚business as usual‘
zu machen, wenn nicht solche Aufreger kommen. Und vor dem Hintergrund
finde ich dieses Impulspapier eigentlich eine ganz schöne Erfindung.
KdF OT 29 (0:20) Keller/Impuls sitzt
Wir brauchen keine kirchenleitende Vorgabe mehr, wie wir jetzt arbeiten
sollen. Der Impuls sitzt, dass Kirche beweglich ist und am Ort die richtigen
Antworten findet. Aber ich erwarte jetzt nicht von meiner evangelischen
Kirche in Deutschland, dass sie mir nochmals sagt, wo es hingehen muss. Da
glaube ich, haben wir viel Gespür selbst vor Ort, wo die Aufgaben liegen.
sagt Dirk Keller, Pfarrer der evangelischen Stadtkirche in Karlsruhe. Das Projekt
„Lebensleiter“ ist inzwischen wieder abgebaut. Doch das Lied, das Flüchtlinge
und Einheimische in dem Eröffnungsgottesdienst gemeinsam sangen, kann
auch programmatisch sein für notwendige Veränderungsprozesse in der
Kirche: „Damit aus Fremden Freunde werden“.
KdF Atmo 4_Kirchenlied
Links:
EKD-Reformprozess „Kirche im Aufbruch“
http://www.kirche-im-aufbruch.ekd.de/
EKD-Reformzentren
http://www.kirche-im-aufbruch.ekd.de/reformprozess/reformzentren.html
geistreich. Reichlich evangelisch. Praxisplattform der EKD
http://www.geistreich.de/
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