„Nie mehr über 30 Prozent“ Irgendwie, irgendwo

Deutschland
Irgendwie,
irgendwo
Parteien CDU und CSU wollen
ihr Zerwürfnis bei einem
Gipfel im Juni kitten. Das droht
an einem zunächst unterschätzten Problem zu scheitern.
o trifft man sich auf halbem Weg
zwischen Berlin und München?
Das ist keine theoretische Frage.
Die Spitzen von CDU und CSU haben vereinbart, am 24. Juni in der Mitte zwischen
beiden Hauptstädten Friedensgespräche
aufzunehmen. Es geht um eine „historische Mission“ (Edmund Stoiber), nämlich
darum, die jeweilige Schwesterpartei davon zu überzeugen, dass sie in den großen
Fragen der Zeit falschliegt. Ein solches
Treffen muss auf neutralem Boden stattfinden, da sind sich beide Seiten einig.
Das war vor sechs Wochen. Seither laufen die Verhandlungen darüber, an wel-
W
chem Ort die Parteiführungen zusammenkommen könnten. Die Angelegenheit entwickelt sich zäher als gedacht. Vorschläge
und Gegenvorschläge wurden vorgebracht
und verworfen, Argumente für und wider
kleine und große Städte ausgetauscht. Der
Stand, vier Wochen vor dem geplanten
Gipfel: keine Annäherung.
Die Sache ist so heikel, dass nicht wie
üblich die Generalsekretäre oder die Geschäftsführer verhandeln, sondern die
beiden Parteichefs persönlich. Das scheint
angemessen, schließlich geht es um „eine
völlig neue Definition der politischen
Auseinandersetzung“ (Edmund Stoiber).
Es führt aber auch dazu, dass jede Protokollfrage zur Machtfrage wird.
Den ersten Zug machte vor einigen Wochen die Bundeskanzlerin. Angela Merkel
hatte überlegt, welche politisch neutrale
Stadt zwischen Berlin und München liegt,
und war zu einem überraschenden Ergebnis gekommen: Berlin. Diesen Vorschlag
unterbreitete sie Horst Seehofer persönlich. Man könne sich doch im KonradAdenauer-Haus treffen, der Zentrale der
CDU, so das großzügige Angebot.
Seehofer reagierte kühl. Berlin entspreche geografisch nicht ganz dem, was man
vereinbart habe, sagte er. Das stimme, ent-
gegnete die Kanzlerin. Sie erklärte, warum
sie wenig von einem Treffen in einer kleinen Stadt irgendwo in Sachsen oder Bayern halte. Dort gebe es einen großen Medienauflauf, Seehofer und sie müssten sich
ins Goldene Buch der Stadt eintragen, das
sei nicht der geeignete Rahmen für das
Spitzentreffen. Dann bot sie an, nach der
Sommerpause mit der CDU-Spitze nach
München zu kommen, um der geografischen Gerechtigkeit willen.
Der CSU-Chef lehnte die Offerte nicht
rundheraus ab. Weil Seehofer gern den
Eindruck erweckt, er lasse andere mitentscheiden, brachte er Merkels Vorschlag
auf der letzten Sitzung der Strategiekommission seiner Partei zur Sprache. Die
tagt streng vertraulich, sie soll die Schicksalsfragen beantworten, die sich der CSU
in den kommenden anderthalb Jahren
stellen.
Das Ergebnis: Berlin geht nicht, Adenauer-Haus schon gar nicht. Oder, wie es
ein CSU-Vorstandsmitglied ausdrückt: Halbe Strecke ist halbe Strecke. Das Argument, man wolle einen allzu großen Rummel vermeiden, zog ebenfalls nicht. Die
CSU fürchte sich nicht vor der Begegnung
mit den Bürgern, hieß es in der Runde
spitz.
„Nie mehr über 30 Prozent“
Interview Der bayerische Finanzminister Markus Söder
über den Streit zwischen CDU und CSU und den drohenden
Bedeutungsverlust der Union
SPIEGEL: Herr Söder, muss die Union ihre
Merkel-Kritiker Söder
38
DER SPIEGEL 22 / 2016
ANDREAS GEBERT / DPA
Grundsätze aufgeben, um auf die Wähler
der AfD zuzugehen?
Söder: Die Union hat seit Jahrzehnten dieselben Werte und Überzeugungen. Damit
haben wir neben der politischen Mitte das
demokratische Spektrum rechts der Mitte
integriert. Nur so konnten wir über 40 Prozent kommen. Es gibt keinen Grund, dies
zu ändern.
SPIEGEL: Warum regt sich Ihre Partei dann
auf? Merkel hat gesagt, sie stehe zur Devise von Franz Josef Strauß, rechts von der
Union dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben. Der Satz gelte aber
nicht, wenn die CDU dafür ihre Überzeugungen aufgeben müsse.
Söder: Der Satz von Franz Josef Strauß, den
auch immer Helmut Kohl geteilt hat, ist die
Grundlage für die Verankerung von CDU
und CSU im deutschen Parteiensystem.
Dies verändern zu wollen bedeutet, die historische Rolle der Union im deutschen Parteienspektrum neu zu definieren. Wer aber
nach links rutscht, lässt rechts Platz frei.
Und dieser Platz wird von anderen besetzt.
SPIEGEL: Und Sie glauben, das tut die Kanzlerin?
Söder: Die Wahlergebnisse und die aktuellen Umfragen belegen, dass der neue Kurs
der CDU keine neuen Wähler bringt, aber
viele alte verloren gehen. Die Union wird
in Deutschland jeden Tag schwächer. Nur
die CSU genießt weiter hohes Vertrauen
bei den Bürgern. Daher ist der Kurs von
Horst Seehofer richtig.
SPIEGEL: Wo konkret hat die CDU den Platz
rechts der Mitte freigegeben?
Söder: Für Helmut Kohl war immer entscheidend, dass der BASF-Mitarbeiter
CDU wählt. Heute fühlen sich viele der
normalen Bürger aber nicht mehr verstanden. Das geht bei der Debatte los, ob der
Islam historisch zu Deutschland gehört,
wie wir die Zuwanderung begrenzen können, und führt hin zur schleichenden Enteignung von Millionen Sparern durch die
Niedrigzinspolitik der EZB, gegen die die
deutsche Politik angeblich machtlos ist. Zudem hat der Flüchtlingsdeal mit der Türkei
das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik auch nicht gerade gefördert.
SPIEGEL: Ihr Parteichef Horst Seehofer hat
gesagt, die Aussagen der Kanzlerin träfen
ihn ins Mark. Spüren Sie den gleichen
Schmerz?
Söder: Das empfinde ich wie Horst Seehofer. Es ist etwas passiert, was wir uns
früher nicht hätten vorstellen können. Da
wird still und leise das Selbstverständnis
von CDU und CSU einfach neu bestimmt.
Die CDU drängt so sehr nach Mitte-links,
dass den Wählern eine Abgrenzung zu
MICHAEL KAPPELER / DPA
CDU-Chefin Merkel: Kein Eintrag ins Goldene Buch
Nun war Seehofer am Zuge. Der CSUChef übermittelte seiner Widersacherin einen Vorschlag, der nicht nur eine gewisse
geografische Plausibilität hat: Man könne
sich doch in Leipzig treffen, erklärte er.
Das war ein cleverer Schachzug. Leipzig
liegt knapp 150 Kilometer von Berlin, aber
beinahe 400 Kilometer von München entfernt. Keine Erbsenzählerei bei der CSU
SPD und Grünen allmählich schwerfällt.
Eine geistige Fusion mit SPD und Grünen
wollen wir in der CSU nicht.
SPIEGEL: Was wollen Sie dagegen tun?
Söder: Wenn manche in der CDU glauben,
nur auf SPD- und Grüne-Wähler zu setzen,
wird die CDU nie mehr über 30 Prozent
kommen. Dann bekommen wir mit der
Zeit österreichische Verhältnisse. Dort haben die beiden ehemals größten Parteien
viele ihrer traditionellen Wählergruppen
vernachlässigt. Wir müssen aufpassen, dass
wir nicht auf dem Weg von einer Berliner
zu einer Wiener Republik sind. Natürlich
ist es besser, dass in Österreich kein Rechtspopulist Präsident wurde. Dass sich aber
der stellvertretende CDU-Chef Armin Laschet über den Erfolg eines Grünen euphorisch freut, ist für mich auch nicht nachvollziehbar.
SPIEGEL: In Österreich hat der FPÖ-Kandidat fast 50 Prozent der Stimmen geholt.
In Deutschland liegt die AfD in Umfragen
bei knapp über zehn Prozent. Da gibt es
doch schon noch einen Unterschied.
Söder: Zum Glück. Aber die AfD verändert
trotzdem bereits das Politiksystem in
Deutschland. Nach den letzten Landtagswahlen gab es völlig neue Konstellationen. Aus heutiger Sicht wird es sehr
schwer, dass eine Koalition aus Union und
SPD im kommenden Jahr eine Mehrheit
hat. Sollen wir dann sogar eine sogenann-
also, sondern ein großzügiges Angebot.
Außerdem fällt in der Unionsspitze beim
Namen Leipzig den meisten jener legendäre Parteitag ein, auf dem Angela Merkel
der CDU im Jahr 2003 unter großem Jubel
ein neoliberales Wirtschafts- und Sozialprogramm verschrieb – zum Entsetzen Seehofers, der später deshalb sogar als Vizefraktionschef zurücktrat.
te Keniakoalition mit SPD und Grünen
eingehen? Allein das Wort zeigt ja, wie
viel Seriosität und Stabilität das verspricht.
SPIEGEL: Merkel glaubt, dass die CDU nicht
die antieuropäische und antiislamische
Haltung der AfD übernehmen kann. Sie
will nicht auf Ressentiments gegen Homosexuelle setzen, nur um konservative Wähler zu gewinnen. Was ist daran falsch?
Söder: Das fordert doch niemand. Konservative Wähler sind aufrechte Demokraten,
die unser Land seit Jahrzehnten tragen.
Sie indirekt in die Nähe von Rechtspopulisten zu stellen ist absurd. Aber dadurch,
dass die CDU Grundpositionen aufgibt,
gibt sie der AfD erst die Chance, sich im
Parteiensystem zu etablieren. Ohne den
neuen Mittekurs der CDU hätte die AfD
keine Relevanz.
SPIEGEL: Frau Merkel analysiert die Lage
erkennbar anders als Sie.
Söder: Im Juni ist eine gemeinsame Klausur
von CSU und CDU angedacht. Das wird
sicher ein wichtiges Treffen. Für uns legt
Horst Seehofer dort die Richtung fest. Es
wäre gut, wenn mehr dabei rauskommt
als Formelkompromisse. Das ist jetzt eine
ganz ernste Phase von CDU und CSU und
eine mögliche Zeitenwende für die deutsche Politik.
SPIEGEL: Sie stecken in einem strategischen
Dilemma. Mittelfristig kann Angela Mer-
Allerdings ist vom Leipziger Programm so gut wie nichts übrig geblieben.
Merkel weiß das, und Seehofer weist gern
darauf hin. Die Antwort aus Berlin war
schnell und klar: Leipzig machen wir
nicht.
Was tun? Bis zum geplanten Treffen
ist nicht mehr viel Zeit. Den Gipfel verschieben, weil man sich nicht einigen
kann? Das sähe nicht gut aus.
Ein Spaßvogel machte den Vorschlag,
das Treffen in zwei benachbarten Städten
abzuhalten, in Ulm und Neu-Ulm. NeuUlm liegt im CSU-Land Bayern, dort
könnten sich Seehofer und die Seinen
einquartieren. Die Gegenseite würde im
baden-württembergischen Ulm Position
beziehen. In dem Land regiert Winfried
Kretschmann, der einzige Ministerpräsident, der jeden Abend für die Kanzlerin
betet.
Die Idee hat Charme: Als Emissär böte
sich der CDU-Politiker Guido Wolf an.
Der hatte im März vergebens versucht,
die Landtagswahl zu gewinnen. Wolf war
im Wahlkampf vor allem dadurch aufgefallen, dass er inhaltlich immer auf
halbem Weg zwischen Horst Seehofer
und Angela Merkel umherirrte.
Ralf Neukirch
kel mit der AfD leben. Die CSU kann es
nicht, weil Sie die absolute Mehrheit
halten wollen. Sie haben also keinen Hebel, Merkel zu einem Kurswechsel zu
zwingen.
Söder: CDU und CSU hängen doch aneinander. Die CDU ist ohne die CSU unvorstellbar. Die Union muss immer politische Alternative bleiben und darf nicht zu einer
Variante von Rot-Grün mutieren. Es geht
nicht um Koalitionen mit anderen Parteien, sondern um die Koalition mit dem
Bürger. Wir werden nicht nachlassen, die
CDU daran zu erinnern. Als eigenständige
Partei werden wir sicher zur Bundestagswahl Bedingungen für einen neuen Koalitionsvertrag aufstellen, wie vor der letzten
Wahl auch.
SPIEGEL: Sie sagen also: Liebe Angela, wir
hätten dich gerne als Kanzlerkandidatin,
wir unterstützen dich, aber dafür musst
du ein paar Grundsätze, die immer Konsens waren, wieder zur Grundlage deiner
Politik machen.
Söder: Genau.
SPIEGEL: Und wenn Merkel sich weigert,
wird sie nicht die gemeinsame Spitzenkandidatin von CDU und CSU?
Söder: Wir wollen, dass Angela Merkel Bundeskanzlerin bleibt. Wir wollen gemeinsam mit ihr in den Wahlkampf ziehen.
Aber sie macht’s uns im Moment nicht
Interview: Ralf Neukirch
leicht.
DER SPIEGEL 22 / 2016
39