kulturelle Übersetzung. Ein Versuch der Synthese

특별기고
Literarische Übersetzung – kulturelle
Übersetzung. Ein Versuch der Synthese
- mit Blick auf Nachbildungen des Ghasels in der deutschsprachigen
Dichtung der Goethezeit
Donat, Sebastian (Universität Innsbruck)
„Kulturelle Übersetzungen der Goethezeit“ – das Thema der Tagung der
Koreanischen Goethegesellschaft 2015 erscheint auf der einen Seite sofort
plausibel
und
besitzt
auf
der
anderen
Seite
zugleich
durchaus
Irritationspotential.
Ich beginne mit dem Vertrauten. Zunächst einmal steht die Relevanz der
literarischen Übersetzung für Goethe und seine ZeitgenossInnen ganz sicher
außer Frage: Schließlich fallen in diese Epoche große einschlägige Leistungen
der
deutschsprachigen
Literatur
mit
weit
über
die
Grenzen
der
Sprachgemeinschaft reichender Ausstrahlungskraft. Und zwar zum einen im
Hinblick auf konkrete Übersetzungsvorhaben1) – dazu genügt bereits der
Hinweis auf zwei große Projekte: die Homer-Übersetzungen von Johann
Heinrich Voß sowie der deutsche Shakespeare von August Wilhelm Schlegel
und Ludwig Tieck. Diese – in den genannten Fällen auch noch heute
anerkannten und gelesenen – konkreten Übersetzungen sind zum anderen
untrennbar verbunden mit einer intensiven und höchst ergiebigen theoretischen
Diskussion, für die stellvertretend Friedrich Schleiermachers Akademierede
1) Vgl. dazu immer noch den Katalog Weltliteratur. Die Lust am Übersetzen im
Jahrhundert Goethes, hg. v. Reinhard Tgahrt, Marbach: Deutsche Schillergesellschaft
1982.
296 Donat, Sebastian
„Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersezens“ (1813)2) und Goethes
Kapitel „Uebersetzungen“ aus dem 1819 erschienenen „West-östlichen Divan“3)
angeführt werden können. Die ‚Übersetzungen der Goethezeit‘ sind damit ein
Thema, das in Bezug auf seine Relevanz und sein Potential außer Frage steht
und dementsprechend immer wieder den Gegenstand von Untersuchungen
darstellt.4)
Erweitert man
den
Blickwinkel in
Richtung
kulturwissenschaftlicher
Fragestellungen, so gilt das eben Gesagte seit rund zwei Jahrzehnten in noch
weit größerem Maße für das Konzept der ‚kulturellen Übersetzung‘. Ausgelöst
durch die einschlägigen Arbeiten etwa von Susan Basnett, Homi Bhabha und
im deutschen Sprachraum v.a. von Doris Bachmann-Medick ist die kulturelle
Übersetzung trotz und wegen ihrer begrifflichen Offenheit zu einer der
meistverwendeten und diskutierten Kategorien im aktuellen akademischen
Diskurs unter dem Vorzeichen der postcolonial studies avanciert.
Wenn die einzelnen Komponenten des Tagungsthemas somit in ihrer
wissenschaftlichen Relevanz außer Frage stehen, kann das von mir eingangs
behauptete Irritationspotential nur in der Kombination beider Teile liegen. Und
genau dort verorte ich es auch. Konkret formuliert: Die Anwendung eines
offenen kulturwissenschaftlichen Konzepts, das ganz wesentlich mit der
Konstellation von vormaligen Kolonisierten und vormaligen Kolonisatoren
verbunden ist, auf einen Raum und eine Epoche, für die diese Voraussetzung
2) Vgl. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: »Ueber die verschiedenen Methoden des
Uebersezens« (1813), in: ders.: Akademievorträge, hg. v. Martin Rössler unter
Mitwirkung v. Lars Emersleben, Berlin u. New York: Walter de Gruyter 2002 (=
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: Kritische Gesamtausgabe, hg. v. Hermann
Fischer u.a., 1. Abt., Bd. 11), S. 67-93.
3) Vgl. Johann Wolfgang Goethe: West-östlicher Divan, hg. v. Hendrik Birus, neue, völlig
revidierte Ausgabe, 2 Teilbände, Berlin: Deutscher Klassiker Verlag 2010, T. 1, S.
280-283.
4) Vgl. z.B. den jüngst erschienen Sammelband Annäherung – Anverwandlung –
Aneignung. Goethes Übersetzungen in poetologischer und interkultureller Perspektive,
hg. v. Markus May u. Evi Zemanek, Würzburg: Königshausen & Neumann 2013.