Brexit: Wie weiter? Market Insights | 24. Juni 2016 Anastassios Frangulidis, Susanne Toren, Multi-Asset Research Steigende Risikoprämien an den Märkten, besonders an denjenigen mit schlechter Bonität CHF-Aufwertungsdruck spiegelt sich im weiteren Renditerückgang der Eidgenossen wider Mittelfristig deutlich schwächeres GBP bei anhaltender Kapitalflucht und deutlich anziehender Inflation Nachhaltig negativer Angebotsschock für UK Eine knappe Mehrheit der Briten hat sich gestern für einen Austritt aus der EU ausgesprochen. Nach dem Votum wird Ministerpräsident David Cameron sein Amt abgeben. Sein Nachfolger wird eine Verhandlungslösung mit der EU finden müssen, was eine ganze Weile beanspruchen dürfte. Was ist kurzfristig zu erwarten: Marktüberblick Im letzten Monat bekamen wir schon einen Vorgeschmack auf das, was mit dem Brexit an den Märkten zu befürchten ist: Der USD wertete sich auf bei gleichzeitiger Stimmungseintrübung an den Märkten. Stark korrigierten nicht nur die Aktienmärkte, sondern auch das GBP, Rohstoffe und Emerging-Markets-Anlagen allen voran aus den «fragilen Fünf» (Brasilien, Indien, Indonesien, Südafrika, Türkei), die alle einen sehr hohen externen Finanzierungsbedarf haben. Die Credit Spreads weiteten sich aus bei gleichzeitigem Renditerückgang erstklassiger Staatsanleihen. Die Renditen von Eidgenossen und Bundesanleihen fielen sogar auf Rekordtiefstände. Kräftig zulegen konnten Fluchtwährungen wie Gold und der JPY. Nicht nur die Bank of England (BoE), auch das Fed wird nun zusätzlich (USD-)Liquidität zur Verfügung stellen. Zudem wird das Fed in den nächsten Monaten und vermutlich sogar im gesamten Jahresverlauf keine Zinserhöhung mehr wagen. Die BoE steckt in einem Dilemma angesichts Wachstumsabschwächung einerseits und stark anziehender Inflation, Abwertung und Kapitalflucht andererseits. Ein weiteres Quantitative-Easing-Programm bei konstant belassener Base-Rate ist wahrscheinlich. Gilts werden – egal was die BoE macht oder nicht macht – unter Druck geraten infolge von deutlich höheren Inflationserwartungen, Rating-Herabstufungen und Kapi- talflucht. Das Gleiche gilt für das GBP, das ähnlich stark abwerten könnte wie während der Finanzkrise. Britische Unternehmensanleihen schlechterer Qualität geraten noch mehr unter Druck als Gilts – ebenso die Anleihen der europäischen Peripherieländer. Am britischen Aktienmarkt (rund 80% der Unternehmen im FTS sind international) wird der negative Brexit-Effekt zumindest abgefedert durch die GBPAbwertung. Insgesamt werden die Risikoprämien an den britischen Märkten, solange es keine Nachfolgelösung für die Beziehung zwischen der EU und Grossbritannien gibt, hoch bleiben. Eidgenossen rutschen noch tiefer in den Negativbereich Angesichts umfangreicher Devisenmarktinterventionen der SNB wird sich der CHF-Aufwertungsdruck vor allem im weiteren Renditerückgang der Eidgenossen widerspiegeln. Bei lang anhaltendem Marktdruck, starker Ausweitung der SNB-Bilanz und noch tiefer negativen Zinsen, könnten weitere SNBMassnahmen folgen. Brexit und Weltwirtschaft Je nachdem, wie rasch sich die Risikoprämien an den übrigen Märkten wieder zurückbilden, werden die Brexit-Auswirkungen auf den globalen Konjunkturgang stärker oder milder sein. Es könnte zu einem Dämpfer für das globale Wirtschaftswachstum im 2. Halbjahr kommen. Solange es jedoch nicht durch eine Stimmungsverschlechterung zu einem Aufbrechen alter oder neuer Krisenherde kommt (Stichwort: Griechenland, China), sollte nach ein bis zwei Quartalen eine Konjunkturstabilisierung gelingen – wie während der EuroKrisen vor allem dank des recht standhaften, von Stimmungen weniger beeinflussbaren US-Konsumenten. Negativer Angebotsschock für UK Laut seinen eigenen Äusserungen dürfte Ministerpräsident Cameron noch heute den Artikel 50 der Lissaboner Verträge aufkündigen, worauf Grossbritannien noch maximal zwei Jahre Zeit hat, die Handelsbeziehung mit der EU neu zu regeln. Die Unsicherheit bis zum Verhandlungsergebnis mit der EU ist unseres Erachtens das grösste Problem. Grösser als die letztlich ausgehandelten Details der (EU-) Handelsbeziehungen. Diese Unsicherheit wird vor allem die Investitionen spürbar belasten. Dies gilt sowohl für Investitionen an den Finanzund Immobilienmärkten als auch in der Realwirtschaft, allen voran bei ausländischen Direktinvestoren. Und in der Tat schwächten sich die Investitionen – besonders die Bauinvestitionen – bereits seit Jahresbeginn bei gleichzeitiger Eintrübung des Geschäftsklimas spürbar ab (Grafik 1). Beobachtet werden konnten rekordhohe Verkäufe auch britischer Staatsanleihen durch Ausländer. Zudem kam es im letzten Monat zu den höchsten Abflüssen aus britischen Aktienfonds seit der Finanzkrise. Und zur Finanzierung ihres sehr hohen Leistungsbilanzdefizits, das mit über 5% grösste innerhalb der OECD, ist die Insel auf Kapitalimporte angewiesen. Vor diesem Hintergrund deuteten denn auch Ratingagenturen an, die Kreditwürdigkeit des Landes im Fall eines Austritts zu prüfen. S&P kündigte bereits eine Rating-Herabstufung britischer Staatsanleihen an. Zu den Unsicherheitsfaktoren könnte, provoziert durch das Brexit-Votum, ein erneutes schottisches Unabhängigkeitsreferendum hinzukommen. Insgesamt kommt das Votum einem negativen Angebotsschock gleich, der bei einer Migrationsverschärfung noch einmal akzentuiert würde und der nicht nur abwertungsbedingt mit einer deutlich steigenden Inflation einhergehen wird. Der negative Schock wird im Industriesektor, der einen im OECD-Vergleich hohen BIP-Anteil von rund 20% ausmacht, ausgeprägter ausfallen als im Finanzsektor, der zumindest infolge des Brexit nicht die strikten EU-Regularien übernehmen müsste. Beeinträchtigt wird natürlich auch die britische Exportwirtschaft. So gehen bei einer britischen Exportquote von (im EUDurchschnitt tiefen) knapp 20% immerhin 44% der briti- 2 Market Insights | Zürcher Kantonalbank schen Exporte in den EU-Raum. Über 10% aller Arbeitskräfte in Grossbritannien sind direkt auf den Export in die EU angewiesen. Grafik 1: Geschäftsklima und Inflation 40 6 20 5 4 0 3 -20 2 -40 1 CBI-Geschäftsklima 2016 2015 2014 2013 2012 2011 2010 2009 2008 2007 2006 2005 2004 2003 -1 2002 0 -80 2001 -60 2000 Anlegen nach dem Brexit: Was sollte beachtet werden? Zunächst gilt, dass hektische Verkäufe im derzeitigen Umfeld nicht angebracht sind. Vorübergehend werden Aktien, Emerging-Markets-Anlagen, Rohstoffe und alle Anlagen mit schlechterer Bonität, zu denen auch die Staatspapiere der Peripheriestaaten zählen, leiden. Aber auch illiquide Märkte, wie die kleine norwegische Krone, gehören zu den Verlierern des Referendums. Wesentlich besser sollten umgekehrt die klassischen Fluchtwährungen und liquide, erstklassige Märkte abschneiden – allen voran der US Treasury Markt, wo die Renditen ebenso wie diejenigen von Eidgenossen und deutschen Bundesanleihen weiter nachgeben werden. Innerhalb des Aktiensegments wird sich der breite, defensive US-Markt wesentlich besser halten können. CPI (% vs Vj.; rs) Quelle: Zürcher Kantonalbank, Thomson Reuters Wie geht es weiter mit dem EU-Binnenmarkt? Gemäss «Financial Times» gibt es beim Brexit verschiedene Alternativen einer neuen Ausgestaltung der Handelsbeziehungen mit der EU: Grossbritannien könnte dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) beitreten wie z.B. Norwegen oder den bilateralen Weg wie die Schweiz einschlagen. Ferner wäre eine Zollunion nach dem Muster der Türkei möglich. Eine Minimalhandelslösung mit der EU bestünde in der Übernahme der Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Zudem muss Grossbritannien auch die Handelsbeziehungen mit all jenen 53 Staaten neu regeln, die mit der EU ein Freihandelsabkommen haben. Möglicherweise künftig noch ergänzt um dasjenige mit den USA (TTIP). Der Brexit schwächt die EU politisch und wirtschaftlich Auf Seiten der EU steht die Befürchtung im Vordergrund, dass der Austritt Grossbritanniens einen Präzedenzfall schafft und den Integrationsprozess der EU empfindlich stört. Die Befürchtungen sind deshalb so gross, weil die aktuelle Flüchtlingskrise die europäische Union ohnehin politisch spaltet. Kann die EU wie so oft in der Vergangenheit an dieser Herausforderung wachsen? Zwar ist mit einem politischen Schulterschluss – vor allem zwischen Frankreich und Deutschland – zu rechnen. Es darf daher angenommen werden, dass den einzelnen EU-Ländern hinsichtlich Einhaltung der Budgetziele mehr Handlungsspielraum eingeräumt wird. Insgesamt wird Frankreichs Gewicht gestärkt, und die antimarktwirtschaftlichen Tendenzen innerhalb der EU werden zunehmen. Gleichzeitig werden durch den Austritt Grossbritanniens politische Kräfte so stark gebunden, dass andere Projekte auf Eis gelegt werden müssen. Die Desintegrationsrisiken steigen: Statt einer noch grösseren EU-Macht werden nationale Parlamente gestärkt. Der Austritt Grossbritanniens aus der EU wird die Position der Euro-Skeptiker aus den europaweit wachsenden nationalistischen Lagern stärken. Die politischen Risiken des Brexit beschränken sich jedoch nicht nur auf Grossbritannien und die EU. Für die USA als grossen Verbündeten Grossbritanniens und der EU ist eine politisch stabile Pufferzone zwischen Ost und West von grosser Bedeutung. Diese besteht nach dem Austritt Grossbritanniens zwar weiter, wird aber wegen der durch den Brexit verursachten Destabilisierung der EU politisch geschwächt. Ein Brexit ist nicht im Sinne der USA und birgt daher mehr geopolitische Risiken als allgemein wahrgenommen. Market Insights | Zürcher Kantonalbank 3 Disclaimer: Das vorliegende Dokument dient ausschliesslich Informationszwecken und richtet sich ausdrücklich nicht an Personen, deren Nationalität oder Wohnsitz den Zugang zu solchen Informationen aufgrund der geltenden Gesetzgebung verbieten. Dieses Dokument wurde von der Zürcher Kantonalbank («ZKB») mit grösster Sorgfalt und nach bestem Wissen und Gewissen erstellt. Die ZKB bietet jedoch keine Gewähr für dessen Inhalt und Vollständigkeit und lehnt jede Haftung für Verluste ab, die sich aus der Verwendung dieser Informationen ergeben. 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