Bruchstellen STEFAN WERMUTH / REUTERS Zwischen Integration und Blockade: Seit seinem Beitritt zum Staatenverbund wird die Rolle Britanniens als angeblich schwieriger Partner in der Europäischen Union thematisiert. Anmerkungen zu einer besonderen Beziehung. Von Andreas Wehr SEITEN 12/13 GEGRÜNDET 1947 · DONNERSTAG, 23. JUNI 2016 · NR. 144 · 1,50 EURO (DE), 1,70 EURO (AT), 2,20 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT WWW.JUNGEWELT.DE Abgehoben Grotesk Kämpferisch Aggressiv 3 5 11 15 Revolution als Beruf. Uwe Sonnenberg erforscht den wilden Buch handel der 1970er Jahre Medienfeuer aus allen Rohren: Russland im Zentrum der NATOPropaganda. Von Peter Wolter Grenzenlos spitzeln Im Eiltempo peitscht die Bundesregierung neue Antiterrorgesetze durch – Geheimdienste werden gestärkt. Von Ulla Jelpke MICHAEL DALDER/REUTERS M it einem heute im Bundestag zur Abstimmung stehenden Antiterrorpaket sollen die Befugnisse von Geheimdiensten und Bundespolizeibehörden massiv ausgeweitet werden. Das »Gesetz zum besseren Informationsaustausch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus« soll dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) das Anlegen gemeinsamer Personendateien mit ausländischen Nachrichtendiensten ermöglichen. Neben den in der »Counter Terrorism Group« zusammengeschlossenen 30 Geheimdiensten aus EU-Staaten sollen auch die der übrigen NATO-Staaten sowie weiterer Länder wie beispielsweise Israels einbezogen werden können. Voraussetzung hierfür ist eine nicht näher definierte »Einhaltung grundlegender rechtsstaatlicher Prinzipien«. Doch fraglich ist, ob das NATO-Mitglied Türkei – selbst ein Unterstützer dschihadistischer Terrorgruppen – dieses Kriterium erfüllt. Sollte der türkische Geheimdienst Verfassungsschutzerkenntnisse über kurdische und türkische Exilpolitiker erhalten, könnte dies durchaus tödliche Konsequenzen für die Betroffenen nach sich ziehen. So sind französische Ermittlungsbehörden laut Spiegel online mittlerweile davon überzeugt, dass der türkische Geheimdienst in die Morde an drei kurdischen Politikerinnen im Januar 2013 in Paris verwickelt ist. Bürgerrechtler warnen vor einem Paradigmenwechsel: Wurden Daten mit ausländischen Nachrichtendiensten bislang nur auf Ersuchen ausgetauscht, so sollen sie nun in einem gemeinsamen Datenpool kontinuierlich zur Verfügung stehen. Die nicht hinreichend erfolgte Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Spionieren wird einfacher: Der Gesetzentwurf stärkt Geheimdienste und Repressionsorgane. Abhörstation Bad Aibling, die vom BND benutzt wird Datenschutzkontrolle bei dem Gesetzentwurf verletze das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, beklagt die Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Andrea Voßhoff. Der von der Linksfraktion als Sachverständiger bestellte Strafrechtler Prof. Fredrik Roggan sieht den Gesetzentwurf »offensichtlich nicht im Einklang« mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. In Deutschland mit geheimdienstlichen Mitteln gesammelte Informationen können an ausländische Behörden fließen, die auch polizeiliche Zwangsbefugnisse wahrnehmen, warnt Roggan. Das Deutsche Institut für Menschenrechte befürchtet, dass »Menschen, die in Deutschland ohne konkreten Straftatenverdacht nachrichtendienstlich beobachtet werden«, zukünftig »in anderen Ländern mit polizeilichen Ermittlungen oder administrativen Sanktionen wie Einreise- oder Flugverboten konfrontiert« werden. Zukünftig soll die Bundespolizei verdeckte Ermittler »zur Gefahrenabwehr« einsetzen können. Diese Maßnahme zielt offenbar vor allem auf die Abwehr von Flüchtlingen. So benannte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) als zentrales Einsatzfeld die »Durchdringung« von Schleusernetzwerken. Schließlich soll anonymes Telefonieren unterbunden werden. Prepaid-Guthaben für Mobil- telefone sollen nur nach Vorlage eines Ausweisdokuments verkauft werden. Die Regierung peitscht das Gesetz im Schnellverfahren vor der Sommerpause des Bundestages durch – unter Verletzung grundlegender parlamentarischer Prinzipien. Für die öffentliche Anhörung am Montag hatte die Regierung die Chefs von Bundeskriminalamt, Bundespolizei und Verfassungsschutz als »unabhängige Sachverständige« benannt. Alle drei Behörden waren an der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs beratend beteiligt gewesen. Aus Protest gegen diese Farce hatten Linke und Grüne die Anhörung verlassen. Ulla Jelpke ist innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag Mehr Geld für Waffen Merkel will deutschen Rüstungsetat dem der USA annähern D eutschland soll nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Verteidigungsausgaben erheblich erhöhen. Die EU sei heute nicht in der Lage, sich gegen die Bedrohungen von außen zu verteidigen, sagte Merkel am Dienstag abend auf dem Wirtschaftstag der CDU. Deshalb sei nicht nur das transatlantische Bündnis wichtig. »Ganz gewiss heißt dies auch, dass ein Land wie Deutschland, das heute 1,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Verteidigung ausgibt, und die Verei- nigten Staaten, die 3,4 Prozent des BIP für Verteidigung ausgeben, sich werden annähern müssen«, mahnte Merkel. Da die Regierungschefin vermutlich keine Abrüstung der USA anregen wollte, bedeutet dies, die deutschen Rüstungsausgaben denen der Vereinigten Staaten anzunähern. Merkel hatte bereits vor einigen Wochen angedeutet, dass Deutschland mehr für Militär ausgeben solle. Das Thema dürfte auch auf dem NATO-Gipfel in Warschau Anfang Juli eine Rolle spielen. Als Mitglied des Militärpakts hat sich Deutschland zu einem Ziel der Verteidigungsausgaben von 2,0 Prozent des BIP bekannt. Für ihre Forderung erntete die Regierungschefin Kritik. Das sei eine Position, »die sehr überraschend in den Raum gestellt wurde«, sagte SPDParlamentsgeschäftsführerin Christine Lambrecht am Mittwoch in Berlin. Sie hatte wohl von Merkels vorangegangenen Aussagen nichts mitbekommen. Zwar müsse die Bundeswehr die nötigen Mittel für ihre Aufgaben erhalten, so Lambrecht. Sie könne aber nicht sehen, ob es die Erfordernis für eine »exorbitante Ausweitung« der Militärausgaben gebe. Wer angesichts von 65 Millionen Flüchtlingen mehr Geld für Bomben statt für Entwicklungszusammenarbeit ausgeben wolle, »hat nichts verstanden«, erklärte Linke-Chefin Katja Kipping. »Krieg ist Fluchtursache Nummer eins.« Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter warf der Union vor, sie falle »zurück in das alte, gefährliche Kalte-Kriegs-Denken«. (AFP/Reuters/jW) Siehe Seite 8 CAROLINE BLUMBERG/DPA-BILDFUNK »Exzellenzstrategie«: Bund und Länder Hauptversammlung bei VW: Wütende sorgen dafür, dass der Kreis deutKleinaktionäre, renitente Manascher Vorzeigeunis klein bleibt ger, allmächtige Großeigentümer »Kriegserklärung« zurückgezogen Paris. Die französische Regierung hat am Mittwoch eine für den heutigen Donnerstag geplante Großdemonstration der Gewerkschaften zunächst verboten, nach heftigen Protesten dann aber doch noch unter Auflagen gestattet. Nach Angaben der Gewerkschaft Force Ouvrière wurde eine 1,6 Kilometer lange Strecke ab dem Bastille-Platz genehmigt. Am Vormittag noch hatte die Pariser Polizeipräfektur erklärt, die für Donnerstag angemeldete Demonstration werde aus Sicherheitsgründen verboten. CGT-Funktionär Benjamin Amar bezeichnete dieses erste Verbot seit einem halben Jahrhundert als »Kriegserklärung«. Zuletzt hatte ein Pariser Polizeipräfekt Anfang der 1960er Jahre eine von Gewerkschaften unterstützte Demonstration untersagt. Als sich Protestierende darüber hinwegsetzten, kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei, bei denen Menschen getötet wurden. (AFP/Reuters/jW) Siehe Seite 6 Noch mehr Handys von »Corelli« Berlin. Im Verfassungsschutz sind weitere Handys gefunden worden, die der 2014 verstorbene V-Mann »Corelli« benutzt haben soll. Das berichtete der regionale TV-Sender RBB am Mittwoch in Berlin unter Berufung auf »Sicherheitskreise«. Der früher im Umfeld der faschistischen Terrorzelle NSU eingesetzte »Corelli« habe die Geräte zwischen 2007 und 2011 in Gebrauch gehabt, hieß es. Sie seien bisher nicht, bzw. nicht vollständig, ausgewertet worden. Erst vor kurzem waren bei einem Bürowechsel in einem Panzerschrank ein bei den bisherigen Ermittlungen nicht berücksichtigtes Mobiltelefon sowie fünf SIM-Karten gefunden worden. Als Reaktion auf mögliche weitere Verfehlungen des Bundesamts für Verfassungsschutz im Fall »Corelli« haben Grüne und FDP die Entlassung von Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen gefordert. (AFP/jW) wird herausgegeben von 1.850 Genossinnen und Genossen (Stand 22.6.2016) n www.jungewelt.de/lpg
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