369 Molekulare Tumorzellbiologie Rho-Signalgebung in der Tumorentstehung und -progression BETTINA NOLL, JANINA HENDRICK, MONILOLA A. OLAYIOYE INSTITUT FÜR ZELLBIOLOGIE UND IMMUNOLOGIE, UNIVERSITÄT STUTTGART Metastatic cancers are characterized by uncontrolled cell proliferation and tissue invasion, processes controlled by small Rho GTPases, the activation of which is regulated by GEF and GAP proteins. Deleted in liver cancer (DLC) proteins are such Rho regulators that are downregulated in different types of cancer. Using proteomic approaches, genetically encoded biosensors and high resolution microscopy, our lab studies how the DLC proteins control cellular Rho activity patterns in time and space. DOI: 10.1007/s12268-016-0700-5 © Springer-Verlag 2016 ó Krebs ist in Deutschland nach den HerzKreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache. Der Begriff Krebs definiert in der Medizin eine bösartige Gewebeneubildung, einen malignen Tumor. Solide Tumoren entstehen in den meisten Fällen aus Epithelzellen, welche durch erworbene Mutationen des Erbguts entarten und gesunde Zellen und Gewebe verdrängen oder auch zerstören können (Abb. 1). Durch unkontrollierte Zellteilung kommt es zunächst zur Entstehung eines lokalen Tumors, dem Primärtumor. Im Verlauf der Tumorprogression erfahren die entarteten Zellen weitere genetische Veränderungen, welche es ihnen schließlich ermöglichen, den Primärtumor zu verlassen, mit dem Blutstrom durch den Körper zu wandern und an anderer Stelle Sekundärtumoren zu bilden. Diesen Prozess der Absiedlung von Zellen aus bösartigen Tumoren und Ansiedlung in neuen Geweben bezeichnet man als Metastasierung (Abb. 1). Hauptursache für den oft tödlichen Verlauf einer Krebserkrankung ist weniger der Primärtumor, sondern die Bildung zahlreicher Metastasen, sodass ein genaues molekulares Verständnis des Metastasierungsprozesses Voraussetzung für die Entwicklung verbesserter und gezielter Therapieansätze ist. Bei der Metastasierung spielt das Aktinund Mikrotubulizytoskelett eine entscheidende Rolle, da es neben der mechanischen BIOspektrum | 04.16 | 22. Jahrgang Stabilisierung der Zellarchitektur, sensorischen Funktionen und Transport innerhalb der Zelle wichtig für die invasive Zellmotilität ist. Durch den dynamischen Auf- und Abbau von Zytoskelettstrukturen kann sich die Zelle aktiv fortbewegen. Die kleinen GTPasen der Rho-Familie sind Schlüsselregulatoren des Aktin- und Mikrotubulizytoskeletts, daher muss ihre Aktivität präzise in Raum und Zeit kontrolliert werden. RhoGTPasen sind in einem Guanosintriphosphat(GTP)-gebundenen Zustand aktiv, in Guanosindiphosphat(GDP)-gebundener Form inaktiv. Während GEF(guanine nucleotide exchange factors)-Proteine den Austausch von GDP zu GTP katalysieren und damit die Aktivierung der Rho-GTPasen bewirken, stimulieren GTPase-aktivierende Proteine (GAP) die intrinsische GTPase-Aktivität der Rho-Proteine und inaktivieren sie. Aktive RhoGTPasen translozieren an die Zellmembran, wo sie durch Bindung spezifischer Effektorproteine die nachfolgende Signaltransduktion anschalten und dadurch z. B. Zytoskelettumlagerungen veranlassen [1]. Die Tatsache, dass die Anzahl der bisher identifizierten etwa 80 GEFs und 70 GAPs die Anzahl der ca. 20 Rho-GTPasen bei Weitem übertrifft, verdeutlicht die Notwendigkeit einer streng kontrollierten Regulation lokaler Rho-Aktivität, um eine fehlerhafte Signalgebung zu verhindern. In Tumorzellen ist die unnatürlich erhöhte Aktivität der Rho-GTPasen in der Regel durch veränderte Genexpression oder Funktion ihrer Regulatoren bedingt und weniger durch aktivierende Mutationen in den Rho-GTPasen selbst. Unter den RhoGAP-Proteinen sticht die Familie der DLC(deleted in liver cancer)-Proteine besonders hervor, da ihre Inaktivierung die häufigste Veränderung unter Rho-Regulatoren bei Krebserkrankungen darstellt. Bei manchen Krebsarten ist der Verlust von DLC1 sogar gleich häufig wie der Verlust des bekannten Tumorsuppressors p53 [2]. Im humanen Genom sind drei Isoformen DLC1–3 codiert, die einen ähnlichen strukturellen Aufbau besitzen und die Aktivität der kleinen GTPasen RhoA und Cdc42 regulieren [3]. DLC1, das bekannteste Mitglied der DLC-Proteinfamilie, wurde 1998 als potenzieller Tumorsuppressor in humanen Leberkarzinomzellen entdeckt [4]. Später wurde gezeigt, dass das DLC1-Protein in zahlreichen Krebsarten aufgrund von Geninaktivierung fehlt, einschließlich Brust-, Darm-, Lungenund Prostatakrebs. Die Rekonstitution der DLC1-Expression in Krebszelllinien ohne endogene DLC1-Bildung verhinderte das Zellwachstum und die Tumorentwicklung im Mausmodell. Darüber hinaus führte die stabile Expression von DLC1 in humanen Brustkrebszellen zu einer verringerten Zellwanderung in vitro und Invasivität in vivo [5]. Unser Labor hat zuerst die zellulären Auswirkungen des DLC1-Verlustes mithilfe der RNA-Interferenz-Technik untersucht. Wie in Brustkrebszellen durch konfokale Immunfluoreszenzmikroskopie sichtbar gemacht, bewirkte das Ausschalten des DLC1-Proteins die verstärkte Bildung von Aktin-Stressfasern und fokalen Adhäsionskontakten (Abb. 2, [6]). Dies war mit einer gesteigerten Motilität der Brustkrebszellen in Transwell-Assays verknüpft (Abb. 3), in denen eine chemotaktische Zellmigration durch kleine Poren modelliert werden kann, und konnte mechanistisch auf eine verstärkte Rho-vermittelte Signalgebung als Folge des DLC1-Verlustes zurückgeführt werden. In einem Mausmodell für Leber- 370 W I S S EN S CHAFT · S PECIA L : ZELLBIOLO GIE ˚ Abb. 1: Rolle der Rho-GTPasen bei der Tumorentstehung und Metastasierung. Dargestellt sind die einzelnen Schritte der Tumorprogression von gesundem Gewebe (1) zur Bildung eines Primärtumors über die Absiedelung von Krebszellen (2) und Einwanderung ins Blutsystem (3) bis zur Entstehung von Metastasen (4) in anderen Geweben. Die durch Rho-GTPasen regulierten Prozesse sind benannt. karzinome wurde die Funktion des DLC1-Proteins als Tumorsuppressor schließlich in vivo eindeutig belegt [2]. Obwohl die anderen beiden Mitglieder der DLC-Proteinfamilie, DLC2 und DLC3, bisher weniger gut charakterisiert sind, wurde auch ihr Verlust bereits bei einer Vielzahl von Tumorarten festgestellt. Trotz ihrer konservierten Struktur scheinen die einzelnen DLCIsoformen aufgrund unterschiedlicher subzellulärer Lokalisationen auch nicht-redundante Funktionen aufzuweisen. Die Tatsache, dass der Verlust des DLC1-Gens einen letalen Phänotyp in der Maus hervorruft, wäh- ¯ Abb. 2: Bildung von Stressfasern und fokalen Adhäsionskontakten durch DLC1-Verlust. Die zellulären Auswirkungen des DLC1-Verlustes in MCF7-Brustkrebszellen wurden mittels RNA-Interferenz-Technik und Immunfluoreszenzmikroskopie untersucht. Fokale Adhäsionskontakte wurden mit einem für Paxillin spezifischen Antikörper (grün) und Stressfasern mit Phalloidin (rot) sichtbar gemacht. Maßstab: 20 μm. BIOspektrum | 04.16 | 22. Jahrgang 371 ˚ Abb. 3: Transwell-Assay zur Untersuchung chemotaktischer Zellmigration. DLC1-Knock-down- und Kontrollzellen wurden in einem Transwell ausgesät und ihre Wanderung durch die Poren des Filters durch einen Kollagen- und Serumgradienten induziert. Anschließend wurden die gewanderten Zellen angefärbt und ausgezählt. rend die DLC2-Knock-out-Maus lebensfähig ist, spricht ebenfalls gegen gegenseitige Kompensation und vollständig überlappende Eigenschaften der DLC-Isoformen [3]. In diesem Zusammenhang hat unsere Arbeitsgruppe eine neue, isoformspezifische Funktion des DLC3-Proteins in der Koordinierung von intrazellulären Transportprozessen zwischen verschiedenen Membrankompartimenten entdeckt. Basierend auf lokaler RhoRegulation reguliert DLC3 u. a. das Recycling und die Signalübertragung des Wachstumsrezeptors EGFR (epidermal growth factor receptor) [7]. Außerdem konnten wir für das DLC3Protein eine stabilisierende Funktion für ZellZell-Kontakte aufzeigen [8]. Der Verlust der DLC3-Funktion in Krebszellen könnte daher einerseits zu verstärkten Wachstumssignalen in der Zelle führen und andererseits die Auflösung der epithelialen Gewebestruktur fördern und damit sowohl zur Tumorentstehung als auch zum Metastasierungsprozess beitragen. Ziel der Forschung unserer Arbeitsgruppe ist es, die Notwendigkeit für das Vorhandensein von drei unterschiedlichen DLC-Isoformen in der Kontrolle der Rho-Signalgebung in humanen Zellen aufzudecken. Hierzu kooperieren wir mit dem Proteomzentrum Tübingen, um mithilfe massenspektrometrischer Analysen spezifische DLC-Proteinpartner und posttranslationale Modifikationen zu identifizieren und deren Beitrag zur subzellulären Lokalisation und Regulation der DLC-Aktivität aufzuklären. Durch einen solchen Ansatz haben wir bereits Phosphorylierungen in DLC1 beschrieben, die zur Assoziation mit spezifischen Adapterproteinen und als Kon- sequenz zur funktionellen Inaktivierung des DLC1-Proteins führen [9]. Darüber hinaus stellt die Interaktion mit Lipiden einen weiteren Regulationsmechanismus dar, um Proteinaktivität lokal zu regulieren. So konnten wir beispielsweise eine konservierte polybasische Region in den drei DLC-Proteinen identifizieren, die für die Aktivierung der GAPs durch Assoziation mit Phosphatidylinositol4,5-bisphosphat-haltigen Membranen und die damit verbundene Unterdrückung von Zellproliferation und -migration notwendig ist [10]. Unter Verwendung hochauflösender Mikroskopie und bildbasierten Lebendzellanalysen in Kombination mit genetisch codierten Biosensoren wollen wir in zukünftigen Studien den Beitrag der DLC-Proteine zur räumlichen und zeitlichen Regulation der Rho-Aktivierung genauer untersuchen. Bis- 372 W I S S EN S CH AFT · S PECIA L : ZELLBI OLOGI E her ist noch unklar, wie die Spezifität der GAPs für einzelne Rho-Isoformen und die darauffolgende Aktivierung bestimmter Effektorproteine reguliert wird. Außerdem gewinnt die Rolle der DLC-Proteine dadurch an Komplexität, dass sie zusätzliche Funktionen aufweisen, die unabhängig von ihrer GAP-Aktivität sind und die ebenfalls zu ihrer tumorsuppressiven Wirkung beitragen. Ein besseres Verständnis der biologischen Funktionen der DLC-Proteine bzw. ihres Verlustes bei der Entstehung bösartiger Tumoren soll dazu beitragen, neue Therapieansätze für die Behandlung von verschiedenen Krebsarten zu entwickeln. ó [9] Erlmann P, Schmid S, Horenkamp FA et al. (2009) DLC1 activation requires lipid interaction through a polybasic region preceding the RhoGAP domain. Mol Biol Cell 20:4400–4411 [10] Scholz RP, Regner J, Theil A et al. (2009) DLC1 interacts with 14-3-3 proteins to inhibit RhoGAP activity and block nucleocytoplasmic shuttling. J Cell Sci 122:92–102 Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Monilola A. Olayioye Institut für Zellbiologie und Immunologie Universität Stuttgart Allmandring 31 D-70569 Stuttgart Tel.: 0711-685-69301 Fax: 0711-685-67484 [email protected] AUTORINNEN Bettina Noll Jahrgang 1983. 2003–2010 Studium der Technischen Biologie und 2010–2013 Promotion an der Universität Stuttgart. Dort seit 2013 Postdoc am Lehrstuhl für Molekulare Tumorzellbiologie. Literatur [1] Jaffe AB, Hall A (2005) Rho GTPases: biochemistry and biology. Annu Rev Cell Dev Biol 21:247–269 [2] Xue W, Krasnitz A, Lucito R et al. (2008) DLC1 is a chromosome 8p tumor suppressor whose loss promotes hepatocellular carcinoma. Genes Dev 22:1439–1444 [3] Braun AC, Olayioye MA (2015) Rho regulation: DLC proteins in space and time. Cell Signal 27:1643–1651 [4] Yuan BZ, Miller MJ, Keck Cl et al. (1998) Cloning, characterization, and chromosomal localization of a gene frequently deleted in human liver cancer (DLC-1) homologous to rat RhoGAP. Cancer Res 58:2196–2199 [5] Goodison S, Yuan J, Sloan D et al. (2005) The RhoGAP protein DLC-1 functions as a metastasis suppressor in breast cancer cells. Cancer Res 65:6042–6053 [6] Holeiter G, Heering J, Erlmann P et al. (2008) Deleted in liver cancer 1 controls cell migration through a Dia1-dependent signaling pathway. Cancer Res 68:8743–8751 [7] Braun AC, Hendrick J, Eisler SA et al. (2015) The Rho-specific GAP protein DLC3 coordinates endocytic membrane trafficking. J Cell Sci 128:1386–1399 [8] Holeiter G, Bischoff A, Braun AC et al. (2012) The RhoGAP protein Deleted in Liver Cancer 3 (DLC3) is essential for adherens junctions integrity. Oncogenesis 1:e13 Janina Hendrick Jahrgang 1988. 2007–2012 Life science-Studium an der Universität Konstanz. Seit 2013 Promotion am Lehrstuhl für Molekulare Tumorzellbiologie der Universität Stuttgart. Monilola Olayioye Jahrgang 1972. 1991–1996 Biotechnologiestudium an der TU Braunschweig. 1997– 2000 Promotion am Friedrich-Miescher-Institut in Basel, Schweiz. 2000–2003 Postdoc als EMBO-Stipendiatin am Walter and Eliza Hall Institute of Medical Research, Melbourne, Australien. 2005–2010 DFG-Nachwuchsgruppenleiterin und seit 2011 DFGHeisenberg-Professorin in Molekularer Tumorzellbiologie an der Universität Stuttgart. BIOspektrum | 04.16 | 22. Jahrgang
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