Rho-Signalgebung in der Tumorentstehung und

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Molekulare Tumorzellbiologie
Rho-Signalgebung in der
Tumorentstehung und -progression
BETTINA NOLL, JANINA HENDRICK, MONILOLA A. OLAYIOYE
INSTITUT FÜR ZELLBIOLOGIE UND IMMUNOLOGIE, UNIVERSITÄT STUTTGART
Metastatic cancers are characterized by uncontrolled cell proliferation
and tissue invasion, processes controlled by small Rho GTPases, the activation of which is regulated by GEF and GAP proteins. Deleted in liver cancer (DLC) proteins are such Rho regulators that are downregulated in different types of cancer. Using proteomic approaches, genetically encoded
biosensors and high resolution microscopy, our lab studies how the DLC
proteins control cellular Rho activity patterns in time and space.
DOI: 10.1007/s12268-016-0700-5
© Springer-Verlag 2016
ó Krebs ist in Deutschland nach den HerzKreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste
Todesursache. Der Begriff Krebs definiert in
der Medizin eine bösartige Gewebeneubildung, einen malignen Tumor. Solide Tumoren entstehen in den meisten Fällen aus Epithelzellen, welche durch erworbene Mutationen des Erbguts entarten und gesunde Zellen und Gewebe verdrängen oder auch zerstören können (Abb. 1). Durch unkontrollierte
Zellteilung kommt es zunächst zur Entstehung eines lokalen Tumors, dem Primärtumor. Im Verlauf der Tumorprogression
erfahren die entarteten Zellen weitere genetische Veränderungen, welche es ihnen
schließlich ermöglichen, den Primärtumor zu
verlassen, mit dem Blutstrom durch den Körper zu wandern und an anderer Stelle Sekundärtumoren zu bilden. Diesen Prozess der
Absiedlung von Zellen aus bösartigen Tumoren und Ansiedlung in neuen Geweben
bezeichnet man als Metastasierung (Abb. 1).
Hauptursache für den oft tödlichen Verlauf
einer Krebserkrankung ist weniger der Primärtumor, sondern die Bildung zahlreicher
Metastasen, sodass ein genaues molekulares
Verständnis des Metastasierungsprozesses
Voraussetzung für die Entwicklung verbesserter und gezielter Therapieansätze ist.
Bei der Metastasierung spielt das Aktinund Mikrotubulizytoskelett eine entscheidende Rolle, da es neben der mechanischen
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Stabilisierung der Zellarchitektur, sensorischen Funktionen und Transport innerhalb
der Zelle wichtig für die invasive Zellmotilität ist. Durch den dynamischen Auf- und
Abbau von Zytoskelettstrukturen kann sich
die Zelle aktiv fortbewegen. Die kleinen
GTPasen der Rho-Familie sind Schlüsselregulatoren des Aktin- und Mikrotubulizytoskeletts, daher muss ihre Aktivität präzise in
Raum und Zeit kontrolliert werden. RhoGTPasen sind in einem Guanosintriphosphat(GTP)-gebundenen Zustand aktiv, in Guanosindiphosphat(GDP)-gebundener Form
inaktiv. Während GEF(guanine nucleotide
exchange factors)-Proteine den Austausch von
GDP zu GTP katalysieren und damit die Aktivierung der Rho-GTPasen bewirken, stimulieren GTPase-aktivierende Proteine (GAP)
die intrinsische GTPase-Aktivität der Rho-Proteine und inaktivieren sie. Aktive RhoGTPasen translozieren an die Zellmembran,
wo sie durch Bindung spezifischer Effektorproteine die nachfolgende Signaltransduktion anschalten und dadurch z. B. Zytoskelettumlagerungen veranlassen [1]. Die Tatsache, dass die Anzahl der bisher identifizierten etwa 80 GEFs und 70 GAPs die Anzahl
der ca. 20 Rho-GTPasen bei Weitem übertrifft,
verdeutlicht die Notwendigkeit einer streng
kontrollierten Regulation lokaler Rho-Aktivität, um eine fehlerhafte Signalgebung zu
verhindern.
In Tumorzellen ist die unnatürlich erhöhte
Aktivität der Rho-GTPasen in der Regel durch
veränderte Genexpression oder Funktion
ihrer Regulatoren bedingt und weniger durch
aktivierende Mutationen in den Rho-GTPasen
selbst. Unter den RhoGAP-Proteinen sticht die
Familie der DLC(deleted in liver cancer)-Proteine besonders hervor, da ihre Inaktivierung
die häufigste Veränderung unter Rho-Regulatoren bei Krebserkrankungen darstellt. Bei
manchen Krebsarten ist der Verlust von DLC1
sogar gleich häufig wie der Verlust des
bekannten Tumorsuppressors p53 [2]. Im
humanen Genom sind drei Isoformen
DLC1–3 codiert, die einen ähnlichen strukturellen Aufbau besitzen und die Aktivität
der kleinen GTPasen RhoA und Cdc42 regulieren [3]. DLC1, das bekannteste Mitglied der
DLC-Proteinfamilie, wurde 1998 als potenzieller Tumorsuppressor in humanen Leberkarzinomzellen entdeckt [4]. Später wurde
gezeigt, dass das DLC1-Protein in zahlreichen
Krebsarten aufgrund von Geninaktivierung
fehlt, einschließlich Brust-, Darm-, Lungenund Prostatakrebs. Die Rekonstitution der
DLC1-Expression in Krebszelllinien ohne
endogene DLC1-Bildung verhinderte das Zellwachstum und die Tumorentwicklung im
Mausmodell. Darüber hinaus führte die stabile Expression von DLC1 in humanen Brustkrebszellen zu einer verringerten Zellwanderung in vitro und Invasivität in vivo [5].
Unser Labor hat zuerst die zellulären Auswirkungen des DLC1-Verlustes mithilfe der
RNA-Interferenz-Technik untersucht. Wie in
Brustkrebszellen durch konfokale Immunfluoreszenzmikroskopie sichtbar gemacht,
bewirkte das Ausschalten des DLC1-Proteins
die verstärkte Bildung von Aktin-Stressfasern
und fokalen Adhäsionskontakten (Abb. 2, [6]).
Dies war mit einer gesteigerten Motilität der
Brustkrebszellen in Transwell-Assays verknüpft (Abb. 3), in denen eine chemotaktische Zellmigration durch kleine Poren modelliert werden kann, und konnte mechanistisch
auf eine verstärkte Rho-vermittelte Signalgebung als Folge des DLC1-Verlustes zurückgeführt werden. In einem Mausmodell für Leber-
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˚ Abb. 1: Rolle der Rho-GTPasen bei der Tumorentstehung und Metastasierung. Dargestellt sind die einzelnen Schritte der Tumorprogression von
gesundem Gewebe (1) zur Bildung eines Primärtumors über die Absiedelung von Krebszellen (2) und Einwanderung ins Blutsystem (3) bis zur Entstehung von Metastasen (4) in anderen Geweben. Die durch Rho-GTPasen regulierten Prozesse sind benannt.
karzinome wurde die Funktion des DLC1-Proteins als Tumorsuppressor schließlich in vivo
eindeutig belegt [2].
Obwohl die anderen beiden Mitglieder der
DLC-Proteinfamilie, DLC2 und DLC3, bisher
weniger gut charakterisiert sind, wurde auch
ihr Verlust bereits bei einer Vielzahl von
Tumorarten festgestellt. Trotz ihrer konservierten Struktur scheinen die einzelnen DLCIsoformen aufgrund unterschiedlicher subzellulärer Lokalisationen auch nicht-redundante Funktionen aufzuweisen. Die Tatsache,
dass der Verlust des DLC1-Gens einen letalen Phänotyp in der Maus hervorruft, wäh-
¯ Abb. 2: Bildung von Stressfasern und fokalen Adhäsionskontakten durch DLC1-Verlust.
Die zellulären Auswirkungen des DLC1-Verlustes in MCF7-Brustkrebszellen wurden mittels
RNA-Interferenz-Technik und Immunfluoreszenzmikroskopie untersucht. Fokale Adhäsionskontakte wurden mit einem für Paxillin
spezifischen Antikörper (grün) und Stressfasern mit Phalloidin (rot) sichtbar gemacht.
Maßstab: 20 μm.
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˚ Abb. 3: Transwell-Assay zur Untersuchung chemotaktischer Zellmigration. DLC1-Knock-down- und Kontrollzellen wurden in einem Transwell ausgesät und ihre Wanderung durch die Poren des Filters durch einen Kollagen- und Serumgradienten induziert. Anschließend wurden die gewanderten Zellen angefärbt und ausgezählt.
rend die DLC2-Knock-out-Maus lebensfähig
ist, spricht ebenfalls gegen gegenseitige Kompensation und vollständig überlappende
Eigenschaften der DLC-Isoformen [3]. In diesem Zusammenhang hat unsere Arbeitsgruppe eine neue, isoformspezifische Funktion des DLC3-Proteins in der Koordinierung
von intrazellulären Transportprozessen zwischen verschiedenen Membrankompartimenten entdeckt. Basierend auf lokaler RhoRegulation reguliert DLC3 u. a. das Recycling
und die Signalübertragung des Wachstumsrezeptors EGFR (epidermal growth factor receptor) [7]. Außerdem konnten wir für das DLC3Protein eine stabilisierende Funktion für ZellZell-Kontakte aufzeigen [8]. Der Verlust der
DLC3-Funktion in Krebszellen könnte daher
einerseits zu verstärkten Wachstumssignalen in der Zelle führen und andererseits die
Auflösung der epithelialen Gewebestruktur
fördern und damit sowohl zur Tumorentstehung als auch zum Metastasierungsprozess
beitragen.
Ziel der Forschung unserer Arbeitsgruppe
ist es, die Notwendigkeit für das Vorhandensein von drei unterschiedlichen DLC-Isoformen in der Kontrolle der Rho-Signalgebung in
humanen Zellen aufzudecken. Hierzu kooperieren wir mit dem Proteomzentrum Tübingen, um mithilfe massenspektrometrischer
Analysen spezifische DLC-Proteinpartner und
posttranslationale Modifikationen zu identifizieren und deren Beitrag zur subzellulären
Lokalisation und Regulation der DLC-Aktivität aufzuklären. Durch einen solchen Ansatz
haben wir bereits Phosphorylierungen in
DLC1 beschrieben, die zur Assoziation mit
spezifischen Adapterproteinen und als Kon-
sequenz zur funktionellen Inaktivierung des
DLC1-Proteins führen [9]. Darüber hinaus
stellt die Interaktion mit Lipiden einen weiteren Regulationsmechanismus dar, um Proteinaktivität lokal zu regulieren. So konnten
wir beispielsweise eine konservierte polybasische Region in den drei DLC-Proteinen identifizieren, die für die Aktivierung der GAPs
durch Assoziation mit Phosphatidylinositol4,5-bisphosphat-haltigen Membranen und die
damit verbundene Unterdrückung von Zellproliferation und -migration notwendig ist
[10]. Unter Verwendung hochauflösender
Mikroskopie und bildbasierten Lebendzellanalysen in Kombination mit genetisch codierten Biosensoren wollen wir in zukünftigen
Studien den Beitrag der DLC-Proteine zur
räumlichen und zeitlichen Regulation der
Rho-Aktivierung genauer untersuchen. Bis-
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her ist noch unklar, wie die Spezifität der
GAPs für einzelne Rho-Isoformen und die darauffolgende Aktivierung bestimmter Effektorproteine reguliert wird. Außerdem gewinnt
die Rolle der DLC-Proteine dadurch an Komplexität, dass sie zusätzliche Funktionen aufweisen, die unabhängig von ihrer GAP-Aktivität sind und die ebenfalls zu ihrer tumorsuppressiven Wirkung beitragen. Ein besseres Verständnis der biologischen Funktionen
der DLC-Proteine bzw. ihres Verlustes bei der
Entstehung bösartiger Tumoren soll dazu beitragen, neue Therapieansätze für die Behandlung von verschiedenen Krebsarten zu entwickeln.
ó
[9] Erlmann P, Schmid S, Horenkamp FA et al. (2009) DLC1
activation requires lipid interaction through a polybasic
region preceding the RhoGAP domain. Mol Biol Cell
20:4400–4411
[10] Scholz RP, Regner J, Theil A et al. (2009) DLC1 interacts
with 14-3-3 proteins to inhibit RhoGAP activity and block
nucleocytoplasmic shuttling. J Cell Sci 122:92–102
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Monilola A. Olayioye
Institut für Zellbiologie und Immunologie
Universität Stuttgart
Allmandring 31
D-70569 Stuttgart
Tel.: 0711-685-69301
Fax: 0711-685-67484
[email protected]
AUTORINNEN
Bettina Noll
Jahrgang 1983. 2003–2010 Studium der Technischen Biologie und 2010–2013 Promotion an der Universität Stuttgart. Dort seit 2013 Postdoc am Lehrstuhl für Molekulare
Tumorzellbiologie.
Literatur
[1] Jaffe AB, Hall A (2005) Rho GTPases: biochemistry and
biology. Annu Rev Cell Dev Biol 21:247–269
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[3] Braun AC, Olayioye MA (2015) Rho regulation: DLC proteins in space and time. Cell Signal 27:1643–1651
[4] Yuan BZ, Miller MJ, Keck Cl et al. (1998) Cloning, characterization, and chromosomal localization of a gene frequently
deleted in human liver cancer (DLC-1) homologous to rat
RhoGAP. Cancer Res 58:2196–2199
[5] Goodison S, Yuan J, Sloan D et al. (2005) The RhoGAP protein DLC-1 functions as a metastasis suppressor in breast cancer cells. Cancer Res 65:6042–6053
[6] Holeiter G, Heering J, Erlmann P et al. (2008) Deleted in
liver cancer 1 controls cell migration through a Dia1-dependent signaling pathway. Cancer Res 68:8743–8751
[7] Braun AC, Hendrick J, Eisler SA et al. (2015) The Rho-specific GAP protein DLC3 coordinates endocytic membrane trafficking. J Cell Sci 128:1386–1399
[8] Holeiter G, Bischoff A, Braun AC et al. (2012) The RhoGAP
protein Deleted in Liver Cancer 3 (DLC3) is essential for
adherens junctions integrity. Oncogenesis 1:e13
Janina Hendrick
Jahrgang 1988. 2007–2012 Life science-Studium an der Universität Konstanz. Seit
2013 Promotion am Lehrstuhl für Molekulare Tumorzellbiologie der Universität Stuttgart.
Monilola Olayioye
Jahrgang 1972. 1991–1996 Biotechnologiestudium an der TU Braunschweig. 1997–
2000 Promotion am Friedrich-Miescher-Institut in Basel, Schweiz. 2000–2003 Postdoc
als EMBO-Stipendiatin am Walter and Eliza Hall Institute of Medical Research, Melbourne, Australien. 2005–2010 DFG-Nachwuchsgruppenleiterin und seit 2011 DFGHeisenberg-Professorin in Molekularer Tumorzellbiologie an der Universität Stuttgart.
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