378 W I S S EN S CHAFT · S PECIA L : ZELLBIOLO GIE Molekulare Werkzeuge Aptamer-vermitteltes drug delivery EILEEN MAGBANUA, ULRICH HAHN FACHBEREICH CHEMIE, INSTITUT FÜR BIOCHEMIE UND MOLEKULARBIOLOGIE, UNIVERSITÄT HAMBURG Aptamers are multifunctional tools relatively easy to generate and modify thus allowing a broad application spectrum. Highly specific for tumor markers or receptors aptamers are able to discriminate between healthy and malignant cells and furthermore may serve as vehicles for directed drug or therapeutic agents’ delivery. DOI: 10.1007/S12268-016-0702-3 © Springer-Verlag 2016 A B ó Als Aptamere werden üblicherweise kurze Nukleinsäuren bezeichnet (< 100 Nukleotide), die spezifisch und hochaffin Zielmoleküle binden. In neuerer Zeit werden auch spezielle kurze Peptide in den Kreis der Aptamere mit einbezogen. Durch intramolekulare Interaktionen innerhalb eines Nukleinsäurestrangs wird eine dreidimensionale Struktur ausgebildet, die nicht nur durch herkömmliche Watson-Crick-, sondern auch durch Hoogsteen-Basenpaarungen (Abb. 1A) in Kombination mit Stapelwechselwirkungen entstehen können. Dadurch bilden sich hoch komplexe Tertiärstrukturen wie Guanin-Quadruplexe, mehrsträngige Helices oder auch koaxiale Stapel aus, die durch komplexierte Kationen stabilisiert werden können. Diese Strukturen ermöglichen die affine Wechselwirkung eines Aptamers mit Targets wie molekularen Bausteinen, Proteinen (Abb. 1B), Mikroorganismen oder ganzen Zellen. Trotz ihrer ausgeprägten Struktur müssen vor allem RNA-Aptamere vor Degradation geschützt werden. Die 2’-Hydroxylgruppe der Ribose kann dazu durch Fluor, Methoxy-, O-Methoxyethyl- oder eine Aminogruppe substituiert werden. Im Vergleich zu DNA ist RNA strukturell flexibler und kann dadurch mehr tertiäre Strukturen einnehmen. Das Kettenrückgrat kann durch Einbau von „verriegelten“ Nukleinsäuren (locked nucleic acid, LNA, Brücke zwischen 2’-O und 4’-C), L-Nukleinsäuren (Spiegelmere) oder Phosphothioaten stabil modifiziert werden. Um eine längere Bioverfügbarkeit zu gewährleisten, kann der renalen Clearance durch Fusion mit kleinen Molekülen wie Cholesterol oder Polyethylenglykol entgegengewirkt werden. Selektion von Aptameren ˚ Abb. 1: Durch Basenpaarungen können Aptamere hoch komplexe Tertiärstrukturen ausbilden, die eine affine Wechselwirkung mit Targets ermöglichen. A, verschiedene Wasserstoffbrückenbindungstypen in Nukleinsäuren. Bei der Standard-DNA- oder RNA-Doppelhelix werden die Stränge über Watson-Crick-Basenpaarungen per Wasserstoffbrückenbindungen (rot) zusammengehalten (in der DNA wird Uracil durch Thymin [grün] ersetzt). Darüber hinaus stellen Hoogsteen-Basenpaarungen (blau) ebenfalls ein wichtiges Struktur-stabilisierendes Element dar. Die Schlangenlinien symbolisieren die Bindungen zum Ribose-Phosphat-Rückgrat. B, Komplex eines Aptamers (rot) mit der G-Protein-gekoppelten Rezeptorkinase 2 (grau; Quelle: PDB-ID: 3UZT). Aptamere werden in vitro in einem als SELEX (systematische Evolution von Liganden durch exponentielle Anreicherung) bezeichneten Prozess selektiert [1, 2]. Die konventionelle SELEX-Methode (Abb. 2A) besteht grundlegend aus drei Schritten: (1) Inkubation einer Oligonukleotid-Bibliothek mit einem gewählten Target, (2) Separation der gebundenen BIOspektrum | 04.16 | 22. Jahrgang A B ˚ Abb. 2: SELEX (systematische Evolution von Liganden durch exponentielle Anreicherung) und die Variante Zell-SELEX. A, SELEX. Ausgangsmaterial ist eine randomisierte Oligonukleotid-Bibliothek. Diese besteht aus bis zu 1015 individuellen Molekülen, die eine zentrale randomisierte Region zwischen zwei Abschnitten mit vorgegebener Sequenz aufweisen, welche eine Primerbindung bei der PCR-Amplifikation ermöglichen. Target-bindende Aptamere werden in mehreren aufeinanderfolgenden SELEX-Runden angereichert, wobei der kritische Schritt – die Selektion von Bindern – mit unterschiedlichen Methoden erfolgen kann. B, Zell-SELEX. Target sind hier ganze Zellen, die ein ausgewähltes Zielmolekül auf ihrer Oberfläche präsentieren. Hier werden zwei Selektionsschritte vorgenommen: eine Prä-Selektion mit Zellen, die das Zielmolekül nicht tragen (z. B. nach einem siRNA-vermittelten Knock-down), und dann die eigentliche Selektion mit Zellen, die das Zielmolekül präsentieren, und einer durch die Prä-Selektion „filtrierten“ Oligonukleotid-Bibliothek. Wenn die Oligonukleotide fluoreszenzmarkiert sind, ermöglicht das eine Selektion mittels FACS (fluorescence activated cell sorter). von nicht-gebundenen Nukleinsäuren und (3) Amplifikation der Binder, gefolgt von einer erneuten Inkubation mit dem Target. Diesem iterativen Prozess folgen die Klonierung der Aptamere sowie deren Charakterisierung. Im Folgenden wird hier auf Zell-SELEX eingegangen – eine Metho- BIOspektrum | 04.16 | 22. Jahrgang de, die sich zur Selektion von zellspezifischen Aptameren eignet. Mittels Zell-SELEX wurden bereits Aptamere mit Spezifität für diverse Krebs- und Bakterienzellen selektiert. Für diese SELEX-Variante (Abb. 2B) sind nicht zwingend Kenntnisse über das Zielmolekül 380 W I S S EN S CHAFT · S PECIA L : ZELLBIOLO GIE ˚ Abb. 3: Aptamer-vermitteltes drug delivery. Chlorin e6 (c-e6), ein in der photodynamischen Therapie eingesetztes Agens, wurde an ein Interleukin-6-Rezeptor(IL-6R)-spezifisches Aptamer (blau) gekoppelt und zu Zellen gegeben, die IL-6R auf ihrer Oberfläche präsentieren. Das Aptamer wurde mit dem Rezeptor internalisiert. Bestrahlung der Zellen mit Licht entsprechender Wellenlänge führte zu einer Erniedrigung der Zellvitalität und Erhöhung der Apoptose. Die Inkubation der Zellen mit Aptameren, in die das Krebs-Chemotherapeutikum 5-FUdR (5-Fluor-2’-desoxyuridin) „eingebaut“ worden war, führte auch zu einer verminderten Proliferationsrate; das Aptamer wurde internalisiert, wahrscheinlich lysosomal abgebaut, das entstandene 5-FUdR per Nukleosidtransporter ins Zytosol transferiert und zu FdUMP phosphoryliert, einem potenten Inhibitor der Thymidylatsynthase, welche wiederum ein wichtiges Enzym für die DNA-Biosynthese darstellt [4, 5]. erforderlich. Es werden anstelle eines isolierten Target-Moleküls ganze Zellen (von Prooder Eukaryoten) mit der OligonukleotidBibliothek inkubiert und Binder von NichtBindern separiert [3]. Zur Erhöhung der Zellspezifität wird eine Prä- oder Gegenselektion (counter selection) durchgeführt, in der die Oligonukleotide zunächst mit Zellen inkubiert werden, die sich von den Zielzellen dahingehend unterscheiden, dass sie nur das Target nicht (hervorgerufen z. B. durch silencing des entsprechenden Gens), ansonsten aber alle anderen Oberflächenbestandteile tragen. Die nicht-bindenden Oligonukleotide werden dann im anschließenden eigentlichen Selektionsprozess weiter verwendet. Zusätzliche Vorteile gegenüber der konventionellen SELEX sind, dass auch Targets angegangen werden können, die nicht löslich produziert werden können, sowie die Möglichkeit, Zielmoleküle in ihrer natürlichen Umgebung oder auch in Assoziation mit Liganden anzuvisieren. Zielmoleküle auf der Zelloberfläche Rezeptoren stellen klassische drug de li very-Targets auf Zelloberflächen dar. Im Rahmen zellulärer Prozesse unterstehen Rezeptoren regulären Recyclingprozessen, mit denen gebundene Aptamere sowie daran gekoppelte Wirkstoffe ins Zellinnere gelangen können. Zwei konkrete Beispiele aus unserem Labor sind in Abbildung 3 skizziert [4, 5]. Hier wurde einmal das in der photodynamischen Therapie eingesetzte Agens Chlorin e6 (c-e6) an ein Interleukin-6-Rezeptor(IL-6R)-spezifisches Aptamer gekoppelt und mit IL-6R-präsentierenden Zellen inkubiert. Nach Inkorporation des derivatisierten Aptamers führte Bestrahlung mit Licht der geeigneten Wellenlänge zu einer signifikanten Erniedrigung der Zellvitalität und Erhöhung der Apoptose. Im anderen Fall wurde das Krebs-Chemotherapeutikum 5-FUdR in das IL-6R-spezifische Aptamer direkt eingebaut. Auch hier sank bei entsprechenden Zellen nach Applikation des „FdU-Aptamers“ die Proliferationsrate signifikant. Prinzipiell eignen sich alle Rezeptoren als Target für das Aptamer-vermittelte drug delivery, um jedoch eine gewisse Zellspezifität zu erzielen, sind Rezeptoren, die mit bestimmten Organen, Geweben oder malignen Zellen assoziiert sind, die erste Wahl. Darüber hinaus sind bisher wenige Rezeptoren bekannt, die eine einfache Rezeptor-vermittelte Internalisierung ermöglichen, wie z. B. Transferrinrezeptor, EGFR (epidermal growth factor receptor), VEGFR (vascular endothelial growth factor receptor), CD4-Rezeptor, HIV-1 gp120 und Tyrosinkinase-7-Rezeptor. Überdies eignen sich für das drug delivery Zielproteine (z. B. Nukleolin, Tenascin-C) oder Tumorantigene (z. B. prostataspezifisches Antigen, Mucin-1), die auf malignen Zellen signifikant überproduziert werden. Eine interessante diesbezügliche Variante, die nicht nur auf Zellspezifität zielt, sondern auch den erfolgreichen Membrantransport einbezieht, ist die ZellinternalisierungsSELEX. Dabei wird die Oligonukleotid-Bibliothek mit ausgewählten Zellen inkubiert, Nicht-Binder und nicht-internalisierte Oligonukleotide werden entfernt, die internalisierte RNA isoliert, amplifiziert und mittels Hochdurchsatzsequenzierung detektiert [6]. Das so identifizierte Aptamer kann im Anschluss post-selektiv z. B. an ein Therapeutikum gekoppelt und als drug delivery-Vehikel verwendet werden. Rezeptor-vermittelte Aufnahme und Freisetzung aus dem Endosom Nicht jedes Target eignet sich gleichermaßen für ein RNA-vermitteltes drug delivery. Rezeptoren unterliegen zwar alle mehr oder weniger Internalisierungsprozessen, diese bedingen aber nicht gleichzeitig den Transport eines Aptamers und des daran gekoppelten Wirkstoffs in das Zytosol. Signalling-Rezeptoren werden beispielsweise über intraluminale Vesikel internalisiert und schließlich im Lysosom degradiert. Andere Rezeptoren werden Clathrin-abhängig oder -unabhängig vesikuliert und gelangen in das frühe Endosomenkompartiment. ATP-getriebene Protonenpumpen führen zu einem aziden Lumen (pH 5,9–6,0) und zu einer Dissoziation des mit dem Rezeptor assoziierten Liganden. Unter diesen Bedingungen würde das gebundene Aptamer ebenfalls vom Rezeptor dissoziieren. Der Rezeptor könnte endozytotisch über drei Wege recycelt werden: (1) direkt vom frühen Endosom zurück BIOspektrum | 04.16 | 22. Jahrgang zur Zelloberfläche, (2) über das endozytotische Recyclingkompartiment (ERK) oder (3) über das trans-GolgiNetzwerk. Rezeptoren, die nicht recycelt werden, verblieben im frühen Endosom, das erst zum späten Endosom heranreifen müsste, und würden schließlich im Lysosom abgebaut, in dem der gesamte lysosomale Inhalt degradiert würde. Wirkstoffe, die Rezeptor-vermittelt mit einem Aptamer in die Zelle gelangen und nicht direkt im Endosom oder Lysosom wirken, müssten aus dem Endosom freigesetzt werden. Ansonsten würden die Wirkstoffe noch im frühen Endosom vom Rezeptor dissoziieren und anschließend degradiert werden (weitere Details hierzu siehe [7, 8]). ó Literatur [1] Ellington AD, Szostak JW (1990) In vitro selection of RNA molecules that bind specific ligands. Nature 346:818–822 [2] Tuerk C, Gold L (1990) Systematic evolution of ligands by exponential enrichment: RNA ligands to bacteriophage T4 DNA polymerase. Science 249:505–510 [3] Shangguan D, Li Y, Tang Z et al. (2006) Aptamers evolved from live cells as effective molecular probes for cancer study. Proc Natl Acad Sci USA 103:11838–11843 [4] Kruspe S, Hahn U (2014) An aptamer intrinsically comprising 5-fluoro-2’-deoxyuridine for targeted chemotherapy. Angew Chem Int Ed Engl 53:10541–10544 [5] Kruspe S, Meyer C, Hahn U (2014) Chlorin e6 conjugated interleukin-6 receptor aptamers selectively kill target cells upon irradiation. Mol Ther Nucleic Acids 3:e143 [6] Thiel WH, Bair T, Peek AS et al. (2012) Rapid identification of cell-specific, internalizing RNA aptamers with bioinformatics analyses of a cell-based aptamer selection. PLoS One 7:e43836 [7] Maxfield FR, McGraw TE (2004) Endocytic recycling. Nat Rev Mol Cell Biol 5:121–132 [8] Grant BD, Donaldson JG (2009) Pathways and mechanisms of endocytic recycling. Nat Rev Mol Cell Biol 10:597–608 Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Ulrich Hahn Universität Hamburg Fakultät für Mathematik, Informatik & Naturwissenschaften Fachbereich Chemie Institut für Biochemie & Molekularbiologie Martin-Luther-King-Platz 6 D-20146 Hamburg Tel.: 040-42838-2841 Fax: 040-42838-2848 [email protected] AUTOREN Eileen Magbanua Jahrgang 1981. Biologiestudium an der Universität Hamburg. 2007 Diplomarbeit, 2007–2011 Promotion und 2012–2014 Postdoc am Institut für Biochemie und Molekularbiologie bei Prof. Dr. U. Hahn, Universität Hamburg. Ulrich Hahn Jahrgang 1950. Studium der Agrarwissenschaften und Biologie (Hauptfach Mikrobiologie), Universität Göttingen. 1980 Promotion am MaxPlanck-Institut für experimentelle Medizin, Göttingen. 1982 Akademischer Rat, FU Berlin. 1993 Hochschuldozent, Medizinische Universität zu Lübeck. 1994 Professur für Allgemeine und Mikrobielle Biochemie, Universität Leipzig. 2002 Professur für Biochemie und Molekularbiologie, Universität Hamburg. 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