Wirtschaft lange nicht in die Verantwortung genommen, die Vorstände bekamen zu hohe Boni. Jetzt laufen die Aktionäre weg. Die Parallelen zu VW sind offensichtlich. SPIEGEL: Aber die Deutsche Bank hat weder den Staat noch zerstrittene Familien als Großaktionäre. Hohn: Konzerne, die von einer Familie dominiert werden, können ein Erfolgsmodell sein – wenn sie sich an die Regeln des Kapitalmarkts halten. Dort, wo es keinen starken Aktionär gibt, wird der übergroße Einfluss der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat zum Problem. Wie wichtig eine wirksame Kontrolle des Vorstands ist, haben wir damals bei der Deutschen Börse gesehen. SPIEGEL: Die Deutsche Börse unternimmt gerade einen neuen Anlauf, die London Stock Exchange zu übernehmen. 2005 haben Sie einen Zusammenschluss verhindert. Diesmal stehen Sie als Aktionär der LSE auf der anderen Seite. Was halten Sie von den Fusionsplänen? Hohn: Wir unterstützen sie. Denn das Konzept sieht vor, dass die Unternehmensführung der neuen Gruppe sich stärker an das angelsächsische Modell anlehnt. Das ist eine Chance. Die deutsche Politik muss begreifen, dass der künftige Erfolg der Deutschland AG davon abhängt, ob sie ihre Unternehmensführung modernisiert. Nur dann wird sie auf Dauer international wettbewerbsfähig sein und das notwendige Kapital anziehen können. Andernfalls dürfte noch manch ein deutscher Konzern zum Übernahmekandidaten werden. SPIEGEL: Ist der deutschen Politik dieses Problem bewusst? Hohn: Ich sehe da eher eine gewisse Selbstzufriedenheit. Aber immer mehr Aktionäre wachen auf und sehen genau hin, welche börsennotierten Konzerne gut geführt sind. SPIEGEL: Was sollte die Regierung aus Ihrer Sicht tun, um die Unternehmensführung in Deutschland zu verbessern? Hohn: Ein erster Schritt wäre, ein Gesetz zu schaffen, das die Aktionäre über die Bezahlung der Manager abstimmen lässt. Die Anreize oder eben Fehlanreize, die durch Bezahlsysteme geschaffen werden, sind maßgeblich für die Unternehmensführung. Das würde jedem Aktionär erlauben, ähnlich wie ein Hedgefonds Einfluss zu nehmen. SPIEGEL: Hedgefonds sind allerdings nicht unbedingt die besseren Eigentümer oder Unternehmensführer! Hohn: Einige schon. Vielen Unternehmen würde es guttun, wenn sich aktivistische Aktionäre bei ihnen beteiligen würden. Die Deutsche Bank hatte nie einen. SPIEGEL: Wollen Sie also bei der Deutschen Bank einsteigen? Hohn: Nein, als Investor mögen wir Banken nicht sonderlich. Wir sind schließlich keine Wohltätigkeitsorganisation. Interview: Martin Hesse 88 DER SPIEGEL 22 / 2016 legen, dass es überhaupt noch Gewinn damit macht – denn gerade größere Unternehmen geraten schnell in den Verdacht, kleinere Anbieter mit Dumpingangeboten vom Markt drängen zu wollen. Mit dem Geschenk verfolgt Mibe offenbar eine andere Strategie, wie der Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes nahePharma Ein Hersteller möchte legt: Die Pillenkonsumentinnen sollen angefixt werden. Haben sich die Frauen einseine Antibabypille verschleumal an das Präparat gewöhnt, so das Kalkül, dern, um Marktanteile zu gewin- lassen sie es sich von ihrem Arzt auch dann nen. Die Krankenkasse will mehr verschreiben, wenn es nicht mehr durch die dafür zahlen – darf es aber nicht. Kasse bezahlt wird. Bleiben möglichst viele Anwenderinnen dem Mibe-Produkt treu, ahnbrechende Innovationen hat der könnte der Hersteller das Defizit aus dem Pillenproduzent Mibe bisher nicht Rabattvertrag mit den Krankenkassen komhervorgebracht. In der Branche ist pensieren. Und der Marktanteil von Mibe, die Firma aus Sandersdorf-Brehna bei Bit- der beim ausgeschriebenen Wirkstoff derterfeld weitgehend unbekannt – doch sie zeit bei gerade mal rund drei Prozent liegt, könnte bald für Furore sorgen. Allerdings könnte sich schnell erhöhen. Bei den Kassen stößt so ein Angebot auf weniger wegen neuer Moleküle als mit einer besonders dreisten Art, das eigene Sor- wenig Gegenliebe. Christopher Hermann, Geschäftsführer der AOK Baden-Württemtiment in den Markt zu drücken. Die Taktik von Mibe ist selbst für Pil- berg und Erfinder der Rabattverträge, sagt: lendreher ungewöhnlich: Die Firma will „Damit würde allein den Großen Marktverdrängungsabsicht unterstellt, während agihre Medikamente quasi verschenken. Der Pharmazwerg will, dass seine Anti- gressiven, kleineren Unternehmen Genebabypille das Standardmedikament für alle ralabsolution erteilt wird.“ Finden sich Nachahmer, würde das System AOK-Versicherten wird, die das Die Antibabypille der Rabattverträge auf den Kopf Medikament auf Kassenkosten gestellt: Ein Wettbewerbsvorteil bekommen. Dafür gewährt er in Deutschland, 2014 würde dann erst nach Ende der fast 100 Prozent Rabatt. Bis zum Umsatz gesamt: Vereinbarung eintreten – was eivollendeten 20. Lebensjahr be339 Mio. € gentlich verhindert werden soll. kommen Frauen die „empfängDoch die Vergabekammer nisregelnden Mittel“ (Sozialgehat in erster Instanz bereits besetzbuch) als vom Steuerzahler davon schlossen, dass die AOKen das finanzierte Kassenleistung, daMibe 3,5 Mio. € Angebot von Mibe annehmen nach müssen sie für die Pille müssen: Solange ein Unternehmeist selbst bezahlen. men nicht vorhabe, einen WettDie von Mibe so großzügig Tagesdosen auf bewerber auszuschalten, sprebedachten Ortskrankenkassen Kassenkosten: che nichts gegen eine solche wehren sich vor dem Oberlan317 Mio. Offerte – auch dann nicht, wenn desgericht Düsseldorf in zweiter sie zu Verlusten führt. Instanz gegen das unerwünschdavon Mibe will sein Gebot auf jete Geschenk: Sie wollen unbeMibe 25,5 Mio. dingt mehr dafür bezahlen. den Fall durchsetzen. Selbst Seit 2007 gibt es RabattverträZweifel der AOK, ob das Bonge für jene Wirkstoffe, die kei- Quellen: sai-Unternehmen (geschätzte nem Patentschutz mehr unterlie- IMS Health, Arzneiverordnungs-Report 120 Millionen Euro Umsatz) eigen. Pharmahersteller bewerben nen für zwei Jahre gültigen Rasich bei Kassen darum, den Arzneistoff ex- battvertrag wirtschaftlich überhaupt durchklusiv verkaufen zu dürfen, und räumen da- hält, versuchten die Sachsen-Anhalter zu für häufig Sonderpreise ein. Die Versicher- kontern und legten eine Patronatserkläten der Kasse bekommen dann jeweils nur rung ihrer Mutterfirma Dermapharm („Tiden Wirkstoff aus der Produktion dieses ei- roler Nussöl“, „Tannenblut“) vor. nen Herstellers vollständig erstattet. EigentDie ist nicht nur solvent, sondern hat lich geißelt die Pharmaindustrie diese Re- durchaus Erfahrung damit, wie man allerlei gelung. Denn bereits jetzt fällt mehr als die Klimbim verkauft: Seit 2012 gehört den DerHälfte aller verordneten Nachahmerpräpa- mapharm-Eignern auch der ehemalige RTLrate darunter, die Kassen haben allein da- Shop „Channel 21“. Dort kann man von durch 2015 über dreieinhalb Milliarden Euro der Heißluftfritteuse bis zur „Zauberhose eingespart – auf Kosten der Hersteller. Cora“, angeblich ein optischer SchlankmaZu billig dürfen die Medikamente aber cher, fast alles kaufen. Natürlich zu „kleinen auch nicht sein. Die Kassen sind nach Ver- Preisen“. Verschenkt wird dort allerdings gaberecht verpflichtet, jedes Angebot zu nichts. Martin U. Müller prüfen. Das Pharmaunternehmen muss beMail: [email protected], Twitter: @MartinUMueller AOK muss die Pille nehmen B
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