SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen „Es innerschte Wese vun de Palz…“ Die Pfälzer und ihr Dialekt Von Franziska Kottmann Sendung: Dienstag, 21. Juni 2016, 8.30 Uhr (Wiederholung vom 24.02.2015) Redaktion: Udo Zindel Regie: Autorenproduktion Produktion: SWR 2015 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. 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Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de Manuskript O-Ton Mundart mittlere Vorderpfalz: Also, isch muss dezusache, isch bin zwar kenn Urlaubstyp, awwer so alle vier Johr geh isch ab unn zu mol in Urlaub. Unn, äh, dissjohr war isch uff Gran Canaria. Ach Gott, seit vier Jahr der erschde Urlaub. Aach e bissel warm, unn e schäänes Hodell! Alla, wie isch do hiekumme bin, hot‟s erschdens emol gereschent wie verrickt un do habb isch sechs Daach Resche g‟habt. Ach Gott, habb isch als ausem Hodellzimmer geguckt, un habb als gedenkt: ‚Wann des narre de Rhoi wär!„ Isch wär am libschde noch acht Daach hääm. Musik Ansage: „Es innerschte Wese vun de Palz …“ Die Pfälzer und ihr Dialekt. Von Franziska Kottmann O-Ton Mundart mittlere Vorderpfalz: Und, des war in Mas Palomas, in dem schicke Palm-Pietsch-Hotel, ne. Steif bis sunscht was. Fer uns Pälzer daucht sowieso nix. Un dann bin isch so ins G‟spräsch kumme mit de Leit. Un dann, wenn die g‟hert ham, ah, „Sie sprechen ja ein Dialekt!“ „Ja“, hawwisch g‟sagt, „isch kann misch do net so verschtelle, isch bin vun de Palz.“ Sprecherin: In der Pfalz geboren zu sein, sei … O-Ton Christian Habekost: ... das schönschte Geschenk, was einem das Schicksal mache konn. Sprecherin: – sagt der Kabarettist Christian Habekost, geboren und aufgewachsen in Mannheim. 1994 wechselte er auf die linke Rheinseite und lebt heute in Bad Dürkheim. O-Ton Joachim Herrgen: ... das ist ein wunderbarer Ort – geboren zu sein in einer solch alten Kulturlandschaft, in der Nähe zu Frankreich, aber doch mitten in Deutschland. Sprecherin: – meint der Dialektforscher Joachim Herrgen über die Pfalz. Er ist Professor am Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas der Universität Marburg; geboren wurde er in Speyer. 2 O-Ton Michael Bauer: ... ein großes Privileg und eine große Freude, auf der anderen Seite aber auch belastend, weil man nach außen immer ein bisschen der Underdog ist. Die Pfalz ist so randständig, der Dialekt ist so schlecht angesehen in Deutschland, auch durch bestimmte Protagonisten des politischen Lebens, dass man immer erst beweisen muss, dass man gut ist, z.B. als Schriftsteller, bevor man als Pfalzmensch, als pfälzisch Schreibender u.a. akzeptiert ist. Sprecherin: Der Dialektlyriker Michael Bauer wurde in Kaiserslautern geboren, seit 20 Jahren lebt er in Herxheim bei Landau. Drei gebürtige Pfälzer stellen sich den Fragen nach der Geschichte, dem gesellschaftlichen Stellenwert und dem kreativen Potential ihres Heimatdialektes. Den Vorurteilen, die den Pfälzern oftmals entgegengebracht werden, begegnen sie mit Misstrauen. Zum Beispiel dem Vorurteil… O-Ton Michael Bauer: ... dass sie dumm und tölpelhaft und unsensibel sind. O-Ton Joachim Herrgen: ... dass sie Hinterweltler sind. Und das stimmt nicht. Gehen Sie nur nach Mannheim und Ludwigshafen, da sehen Sie das. O-Ton Christian Habekost: Der Pfälzer ist anders als man ihn sich oft vorstellt, nämlich viel-dimensionaler. Sprecherin: Versuchen wir, dem wahren Wesen der Pfälzer näherzukommen und gehen dabei einem ihrer größten Schätze, dem Dialekt, auf den Grund. Pfälzisch spricht man im Süden von Rheinland-Pfalz, aber auch über die Grenzen des Bundeslandes hinaus: so im östlichen Saarland und in Teilen Hessens. O-Ton Joachim Herrgen: Und Pfälzisch spricht man auch rechts des Rheines, also in Baden-Württemberg, in dem Gebiet, das wir heute gern als Kurpfalz bezeichnen, wird eben durchaus auch pfälzisch gesprochen. Sprecherin: Selbst wenn ein Pfälzer heute fremde Kontinente bereist, kann er dort Menschen treffen, die seinen Dialekt sprechen, wenn auch mit fremdsprachlichen Entlehnungen – z. B. in den USBundesstaaten Pennsylvania, Ohio und Indiana. Dort leben Nachfahren ausgewanderter Pfälzer und sprechen das so genannte Pennsylvania-Dutch, eine Variante des Vorderpfälzischen. Die Grenzen der Pfalz als Region objektiv festzulegen, ist kaum möglich. Sprachwissenschaftler, Geographen und Historiker ziehen innerhalb ihrer Fächer ganz 3 unterschiedliche Grenzen. In dieser Sendung halten wir uns an den Raum, in dem die Menschen sich als Pfälzer verstehen: durch Traditionen, Sprache und Landschaft. Musik Sprecherin: Die Pfalz liegt hauptsächlich im Süden des Bundeslandes Rheinland-Pfalz. Auf den rund Fünfeinhalbtausend Quadratkilometern leben etwa 1,4 Millionen Menschen. Eine Region zwischen dem Rhein, dem französischen Elsass, dem Saarland und einst preußischen und hessischen Gebieten, mit denen sie politisch das heutige Rheinland-Pfalz bildet. Mit 23.400 Hektar Rebfläche ist die Pfalz das zweitgrößte deutsche Weinbaugebiet, die Tradition des Weinbaus reicht bis zu den Römern zurück. Dank der milden Witterung hat Gemüse in der Region fast ganzjährig Saison – und im Sommer verbreiten die Obstgärten mediterranes Flair: hier gedeihen Mittelmeerfeigen, Kiwis und Melonen. Ein ganzes Drittel der Pfalz bedeckt der hügelige Pfälzerwald, das größte zusammenhängende Waldgebiet Deutschlands. O-Ton Nordwestpfälzische Mundart: Alles, wass em Wald waar, ess do genutzt warr. Un die Lohknewwel, die senn awwer genumm warr, wammer e gut Feier wollt mache. Dej han besonnersch gut gehitzt. / Warn awwer hart Holz. / Far Weihnachde, far Gutsjer se backe. / Ja. [Lachen] Sprecherin: Drei Männer aus Rothselberg, einem kleinen Ort im Nordpfälzer Bergland, erinnern sich an ihre Kindheit. Ihr schwer verständliches Nordpfälzisch trägt zuweilen noch archaische Züge. O-Ton Nordwestpfälzisch Mundart: Newwahr wann‟s so hail waar, houh. / Do hammer als Bitschgaaße kriet. / Ach Bitschgaaße. / Unn Tenni, Tennifui gespeelt. / Tennifui. / War Tennifui. Sprecherin: Sie unterhalten sich über das Sammeln von Eichenästen im Wald fürs Feuermachen und über Spiele in der Natur wie das „Bitschgeißen“ und „Tennifui“. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war „Tennifui“ in der ganzen Pfalz beliebt. Ein Spiel mit Wurfholz – ein Kind wirft, die anderen müssen zehn Meter entfernt fangen. Benannt ist das Spiel nach dem französischen „tenez“ – haltet ihr? – und der Antwort „oui“ – ja! Pfälzische Kinder haben das Spiel und seine Bezeichnung vermutlich zwischen 1792 und 1814 von französischen Spielkameraden übernommen. Nach der Französischen Revolution war die Pfalz zunächst von den Franzosen besetzt und wurde später sogar zu einem Department der Französischen Republik. Doch das ist nur ein Kapitel in der dramatischen Vergangenheit der Region, die Verwüstungen im Dreißigjährigen Krieg und zerstörte Städte während der Franzosenkriege erlebt hat. Die Pfalz war und ist Grenzland. Durch die Nähe zu Frankreich und wiederholte französische Besatzung fanden etliche französische Wörter 4 Eingang in das Pfälzische. Auch das wunderbare Wörtchen „alla“ – vom französischen „aller“, also gehen und als Aufforderung „komm“! Es ist das Lieblingswort des Kabarettisten Christian Habekost. O-Ton Christian Habekost: Also wenn ein Pälzer sacht alla, kann das alles heeße, also er kann gange sein, er kann grad kumme, oder er will dass der annere mitkummt, oder er will, dass er uffhört. Oder er will, dass er jetzt uffsteht: alla hopp. Oder er verabschiedet sich. Alla donn. Oder er will nur, dass der annere sisch beruicht. Alla, alla jetz mol alla. Also das ist ein ganz tolles Zauberwort, aber von den Franzosen. Mir Pälzer ham mit den Franzosen viel viel Zores also Ärger gehabt, ja. Aber do defür resche wir uns jetzt Jahrhunderte später, indem wir unsre Kinner französische Namen gebbe und die so ausspresche, wie mir des wolle: Janedde, Nikohle, Jakweliene. Sprecherin: Der Dialekt ist eines der charakteristischsten und zugleich wertvollsten Kulturgüter der Pfalz. Doch das gesprochene Wort ist vergänglich. Deshalb gehört die Dokumentation von Mundart zu den zentralen Aufgaben der Dialektforschung. Eine ihrer großen Errungenschaften ist das sechsbändige „Pfälzische Wörterbuch“, das die Basisdialekte und örtliche Umgangssprachen schriftlich dokumentiert. 85 Jahre lang – bis 1998 – haben Sprachwissenschaftler an diesem Mammutwerk getüftelt. Im gleichen Jahr gab das „Institut für pfälzische Geschichte und Volkskunde“ in Kaiserslautern Proben von 50 Ortsmundarten des Pfälzischen heraus, in mundartnaher Umschrift und auf CD. O-Ton Ausgeprägte südpfälzische Stadtmundart / Pirmasens: Wann de als Kind in Birmesens groß wor bischt, hasche mit verzeh Johr gewisst, wie Schuh gemach werre: vum Boddeleder, vum Owwerledder, vun de Absätz, vum Fuuder, wie se genäht werre. / Jo. / Also wie se gesteppt werrre, wie se ge .. / Ei jo. / .. g„schnitt werre, zugeschnitt werre, wie se gezwickt werre, wie de Boddem draakommt. / In de Ausbutz. / Mit allem. Hasch Du gewisst! Bei uns war des selbschverschtändlisch. / Jo sischer, ja. Sprecherin: Diese Aufnahmen aus den 90er Jahren dokumentieren in freien Gesprächen von Handwerkern, Bauern, Lehrern, Fabrikarbeitern und Schriftstellern ein Stück pfälzischer Kulturgeschichte. Hier erinnerten sich Einheimische in südpfälzischer Stadtmundart an die einstige deutsche Schuhmetropole Pirmasens. Vor allem halten die Aufnahmen aber die pfälzische Alltagssprache in lebensnahen Eindrücken fest und zeigen dabei, wie vital, kraftvoll und überraschend vielfältig dieser Dialekt ist. Es gibt also nicht die einheitliche pfälzische Mundart. Pfälzisch zählt zum Mitteldeutschen und darin zur Gruppe der rheinfränkischen Dialekte. Es ist ein Sammelbegriff für eine Reihe unterschiedlicher Sprechweisen, die aber auch viele Gemeinsamkeiten haben – durch die grenzt es sich von seinen Nachbarmundarten ab: von 5 Moselfränkisch, Lothringisch, Elsässisch, Südfränkisch und Hessisch, erklärt der Dialektforscher Joachim Herrgen. O-Ton Joachim Herrgen: Und da würde man im Norden ne Abgrenzung zum Moselfränkischen vornehmen, das ist die dat / das-Linie, in Koblenz, in Köln heißt es dat, und in Mainz sagt man das. Und dann gibt‟s ne Abgrenzung zum Süden gegen das Alemannische. Das ist die sogenannte appel / apfelLinie. Oder die pund / pfund-Linie, die liegen fast parallel, nicht ganz genau. Südlich im Alemannischen sagt man Apfel, und im Pfälzischen sagt man Appel. Sprecherin: Vom Hessischen grenzt sich das Pfälzische durch die fest/fescht-Linie ab, und vom Lothringischen durch die hus/haus –Linie. Die charakteristischen Unterschiede innerhalb des Pfälzischen teilen die Forscher in sogenannte Untermundarten auf: in Nordpfälzisch, Vorderpfälzisch – für den Osten der Pfalz – in Westpfälzisch und Südpfälzisch. O-Ton Joachim Herrgen: Und wenn wir so ein ganz geläufiges und sehr hochfrequentes Verb wie haben nehmen und sie gehen in die Nordpfalz, dann sagen die Leute „hun“. Und wenn Sie in die Vorderpfalz gehen, dann sagen die „ich hab“. Und wenn Sie in die südliche Vorderpfalz gehen, dann sagen die „ich heb“. Und wenn Sie in die Westpfalz gehen, dann hören Sie dort „ich han“. O-Ton Mundart Vorderpfalz mit typischen lautlichen Eigenheiten / Altrip: Du kannscht jedi Ortschaft, wannse do an die Wand hiestellsch, macht Ooner „s Maul uff, kansch genau saache: Do „n do g‟hert er hie. / Da gehert er hie, ja. / Da g„hert er hie, ja. Also ich maan, net schäi da, normal babble, wie de Schnawwel gewachse is. / Jawohl, jawohl! / Ne, unn da kannsche genau saache, wou er hie gehert, ne. Sprecherin: Die Entstehung verschiedener Sprechweisen von Dorf zu Dorf, wie sie dieser Einheimische aus Altrip im Kreis Ludwigshafen treffend beschreibt, beschäftigt Sprachforscher bis heute. Wir ändern innerhalb unserer Heimat unaufhörlich unsere Sprache. Was wir aufnehmen, wenn wir kommunizieren, wirkt in uns weiter. Über die Jahrtausende können sich neue Worte so zu neuen Sprachvarianten verfestigen – auch auf kleinstem Raum, zum Beispiel im Dorf. Musik Sprecherin: Die Pfälzer gelten als ungehobelt, lautstark und aufdringlich. Sie seien derbe, schlichte Zeitgenossen, sagt man. Zudem äußerst trinkfest und dem Pfälzer Saumagen – einer kulinarischen Spezialität der Region – geradezu verfallen. Das sind nur einige von vielen 6 nicht gerade schmeichelhaften Klischees. Die Frage nach der wahren Mentalität der Pfälzer beantworten der Schriftsteller Michael Bauer und der Kabarettist Christian Habekost: O-Ton Christian Habekost: Also Lebensluschtigkeit, Direktheit, Offenheit, was ihm oft falsch ausgelegt wird. Und – eine persönliche Art, auf seine Mitmenschen zuzugehen, die „s sonscht in wenigen Teilen der Welt nur gibt. O-Ton Michael Bauer: Er ist spontan, laut, lieb, freundlich, aber auch abgründig. Ein Klischee ist das Aufbrausende beim Pfälzer. Und da würd ich schon sagen, das stimmt in gewisser Weise. O-Ton Christian Habekost : Und ich habe die Befürchtung, dass wir Pälzer schon die Klischees immer wieder bestätigen. Also trinkfreudig, feierwütig, ein Dialekt, der einen umblase kann, wenn man ihn nicht gewöhnt ist, natürlich. Sprecherin: Weinfeste gibt es in der Pfalz zuhauf, von Mai bis September in der deutschen „Toskana“ zum Beispiel, wie die südliche Weinstraße wegen ihres mediterranen Klimas werbewirksam genannt wird. Und die Pfälzer verstehen es, inmitten dieser malerischen Landschaft bis tief in die Nacht ausgelassen zu feiern. Auch im September auf dem Bad Dürkheimer Wurstmarkt, der mit 600.000 Besuchern als größtes Weinfest der Welt gilt. O-Ton Christian Habekost: Die Pfälzer schaffen, wenn sie schaffen müssen, das ist ganz klar, aber wenn sich eine Gelegenheit gibt, das Leben zu genießen, dann ergreifen sie die mit einer Wollust, die vielleicht anderen Volksstämmen nicht so angeboren ist wie uns. Das hat net immer was mit Alkohol zu due, aber oft. Musik Zitat: Ihr liewe Leit! Was is des: Die Palz? Ich, de klääne Pälzer, bin do dehääm. Treib mich drin erum. Isch stei hoch nuf uff die Kalmit, un tauch dief enunner in de Eiswoog. Ich wanner dort, wo die Tanne vum Pälzer Wald ganz dicht un still stehen. Un ich geh uff de Betzeberch, mitte ins Stadion, wo die Fans krakeelen. Unn jedesmol froo ich mich: Wo is die Palz am pälzigschte? Was bleibt iwwerich, wammer die Etikettscher un Flyerscher weglosst? Was is de Palz ihr Innerschtes? Des sin Frage! Net ääfach, dodruff e Antwort zu finne! Awwer dann – ich han grad dehääm in de Badewann gesess – hat uff äämol e inneri Stimm zu mir gesaa: „Klääner Pälzer! Es innerschte Wese vun de Palz is net bloß es innerschte Wese vun de Palz. Es is es innerschte Wese vun de ganz Welt. Iwweral uff de Welt werd gelitt un gelebt, geschrie und 7 gepischpert, geprasst un gehungert, aageb un geblöfft, gelebt, geliebt un draa geglaabt.“ Do han ich zu dere Stimm in mir drin gesaa: Des hasche jetzt awwer schää ausgedrickt, inneri Stimm! Kompliment! Sprecherin: Mit dem „kleene Pälzer“ hat der Schriftsteller Michael Bauer eine Kunstfigur geschaffen, den Entwurf eines utopischen Pfälzers mit einer weltoffenen Mentalität. O-Ton Michael Bauer: Je genauer ich einen Menschen betrachte, seine Eigenschaften, und je genauer ich sie definiere, desto weniger kommen landschaftliche oder Volkseigenheiten oder „Stammeseigenheiten“ zum Vorschein, sondern eben das typisch Menschliche. Und dies behaupte ich eben auch in dem Text über den Pfälzer und seine innere Stimme. Sprecherin: So wenig es den pfälzischen Dialekt gibt, kann man also von der Pfalz oder den Pfälzern sprechen. Blickt man hinter die Touristenpfalz, entdeckt der Interessierte fernab von Schlachtplatte, Weinseligkeit und Heimattümelei auch eine ganz andere Pfalz. Eine Region mit einer reichen, bewegten Geschichte und großen Persönlichkeiten. Entdeckt zum Beispiel den Gründer der Dada-Bewegung, Hugo Ball aus Pirmasens, den Welttenor Fritz Wunderlich aus Kusel und den Philosophen Ernst Bloch aus Ludwigshafen. Mittlerweile gibt es in der Pfalz auch eine rege Kunstszene, und schon seit längerem eine außergewöhnliche Einrichtung wie das Künstlerhaus Edenkoben. Ein international offener Treffpunkt, Wohn- und Arbeitsort für Dichter, Schriftsteller, Künstler, Musiker und Übersetzer. Die Gastronomie der Pfalz hat in den letzten Jahrzehnten einen großen Aufschwung erlebt und die Winzer spielen mit ihren Spitzenweinen ganz vorne mit im Ranking der besten Tropfen. Wer also genau hinschaut, der entdeckt neben Saumagen und Co. auch viele kulturelle Perlen im „Land der Winzer und Bauern“ – und bei den Menschen der Pfalz eine facettenreiche Mentalität. Musik O-Ton Christian Habekost: Hinter jedem Sound, hinter jedem Dialekt, wie er klingt, steht natürlich auch eine Mentalität. Und der Pälzer also der kann zwar auch langsam babble, aber der Pälzer der hat irgendwie etwas drin, was die Lebensluscht schon durch dies Zischende und Gurgelnde, also praktisch dadurch das Gorgelzeppel, das Gurgelzäpfchen immer wieder zum Doppsen bringt, ob das jetzt wegem Babble ist oder weil er halt nen Schluck aus seiner Schorle nimmt, ist egal. Also natürlich hat das was mit der Mentalität der Pfälzer zu tun. Sprecherin: Ein Zusammenhang zwischen Dialekt und Mentalität lässt sich wissenschaftlich kaum „belegen“. Mundartkünstler, die das Pfälzische kreativ reflektieren, sehen ihn aber durchaus. 8 Christian Habekost schreibt gerade dem Pfälzischen auch ein ausdruckstarkes musikalisches Potential zu. O-Ton Christian Habekost: Ich sach immer en Pälzer macht automatisch Musik, wenn er nur die Gosch uffmacht. Weil der Rhythmus und der Flow in dem Dialekt mit drin ist. Weesch‟wie„schmään? Sprecherin: Anders als viele Comedians, die Dialekte imitieren auf der Jagd nach dem nächsten Publikums-Lacher, betreibt Christian Habekost mit der pfälzischen Sprache virtuose MundArtistik: intelligent, witzig, mit Biss. O-Ton Christian Habekost: Der Pfälzer ist natürlich das genaue Gegenteil von einsilbig, aber er hat viel Worte, die einsilbig sind. Un? Jo. Hopp. Das sind alles Worte, die ham tiefe Vokale, das ist praktisch der Bass, der immer spielt. Un. Jo. Hopp. Wenn dann die zweisilbigen Sache noch dazumache kannscht: Alla. Alla donn. Alla hopp. Plötzlich ergibt sich so ein Rhythmus, der groovt unheimlich. Und des macht das Pfälzische so musikalisch. Ja das is natürlich klar, die Pälzer ham den Rap erfunne, ja. Soll isch das beweise? (RAP) Mei Sprooch ist hart und weich und wild un zahm und schnell un lahm, mei Sprooch ist wie ne Stadt, aromadisch und quadradisch, Mol schlescht, mol gut, mal wie man zu bestimme dut. Wenn man se spresche kann, Dann is mei Sprooch die bescht, wenn man verstehe konn, dann is mei Sprooch en Lied mit Melodie, und besser wie der Rescht. Mei Sprooch klingt primitiv, für mansche Leut, bloß weil se manchmal ziehe tut wie Gummi, weil se zische tut wie Gischt uff ener Well, Gel? Und doteradototdoteradottot….dopse tut wien Flummi. Mei Sprooch is niemals akademisch, und des stört mansche Leut, die denke akademisch is desselbe Wort wie gscheit. Mei Sprooch die kommt von innen naus. Und wird gebabbelt mit em Herz, der Leber un der Lung. Mei Sprooch isch Sprengstoff, uff de Zung – bumm! 9 Sprecherin: Die Anfänge der pfälzischen Mundartliteratur reichen fast zwei Jahrhunderte zurück. 1838 brachte Franz von Kobell erstmals eigene Mundarttexte heraus. Kobell zählt neben seinen Zeitgenossen Karl Christian Gottfried Nadler und Ludwig Schandein zu den gern zitierten Klassikern des Pfälzischen. Bis heute wird stereotyp Nadlers „Fröhlich Palz, Gott erhalts“ angeführt. Und dabei gerne übersehen, dass Nadler in seinen Mundarttexten oft kritisch auf seine Landsleute blickt, zum Beispiel wenn er die Geltungssucht eines politisierenden Kleinbürgers im Vormärz bloßstellt. Neben der rein volkstümlichen Prosa und Lyrik kennzeichnen heute auch ernste Themen und Versuche einer avantgardistischen Formensprache die pfälzische Dialektdichtung. Michael Bauer zählt zu den zeitgenössischen Autoren mit hohem literarischem Anspruch. In den 70er Jahren entdeckte er mit anderen Schriftstellern das Pfälzische als Sprache des Protestes. O-Ton Michael Bauer: Es war eine Renaissance des Dialektes. Auch angestoßen durch Österreich, durch die Wiener Gruppe, H.C. Artmann, und wir, sag ich mal, wir haben versucht den Dialekt als eine Sprache eben des Aufmüpfigen zu konstituieren. Also wir haben das Natürliche, das Mundartliche gegenüber dem Kapitalistischen, Anonymen sozusagen herausgestellt. Sprecherin: Gleichzeitig versuchten diese Autoren die Zeit des Nationalsozialismus in der Pfalz aufzuarbeiten und forderten einen reflektierten Umgang mit dem Dialekt und der dunklen pfälzischen Vergangenheit. 1940 hatte Joseph Bürckel als erster deutscher Gauleiter den Gau “Saarpfalz” „judenfrei“ gemeldet – dieser historische Stachel sitzt tief. Doch einzelne Schriftsteller, die vor dem Zweiten Weltkrieg auch NS-Kampfgedichte verfasst hatten, bekamen nach 1945 in Zeitungsbeilagen wieder eine Stimme. Und sie begannen in pfälzischer Mundart zu schreiben. O-Ton Michael Bauer: Für meine Begriffe war das oft ne Mimikri, ein Zurückgehen auf eine Zeit, auf eine Sprachebene der frühen Kindheit, in der man noch unschuldig war. Also vor dem Schuldigwerden lag für diese Menschen, nach meinem Eindruck, die Mundart. Und zu der wollten sie zurück. Man kann aber diese Schuld nicht ohne weiteres überspringen. Insofern hat das für mich immer etwas Verlogenes. Zitat: Stolperstein-Seufzer warum dann des alles do noch emol ausgrawe 10 des is doch viel zu hoch fer uns des gras wo mer han wachse losse do driwwer do drin finne mer uns jo selwer nimmi awwer de boddem is hääß un mir dabben nervees uf un ab Musik O-Ton Christian Habekost: Mundart ist Heimat, sag ich mal. Heimat ist Identität, Heimat ist Verwurzeltsein, sich wohl fühlen und da ist Mundart eben der stärkste Ausdruck davon. Dialekt, Sprache ist was gegen Gleichmacherei. Es ist ne Art Widerstandsinstrument, was ich sehr gern pflege. Weil das ist gewaltlos und es macht richtisch Spaß. Sprecherin: Kurpfälzer und Pfälzer sind durch die territoriale Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress 1815 getrennt worden. Der gebürtige Mannheimer Christian Habekost, der heute links des Rheins lebt, empfindet sie aber nach wie vor als Einheit. O-Ton Christian Habekost: Und dafür kämpfe ich natürlich auch, dass man sich net künstlich trennt durch den Rhein und die Unwirren der Gechichte. Jetzt sind wir getrennt in zwei verschiedene Bundesländer, was bleibt, und da schließt sich nämlich der Kreis, ist der Dialekt, die Mundart. Das ist die Klammer, die die ganze Region verbindet, egal über politische, gechichtliche Irritationen und Veränderungen hinweg. Man soll sich schon bewusst sein, dass wir eine Region sind. Und in Hamburg und in Bremen, wenn uns jemand hört, egal ob Du aus Mennem bischt oder Speyer oder Bad Dürkheim oder aus Heidelberg, da sacht jeder: Ach hör mal, hm, lustig wie die da reden, so schwäbisch, da muss man uffpasse. O-Ton Mundart Vorderpfalz mit typischen lautlichen Eigenheiten / Altrip: Sach emol du heit zume Junger… / Das get jo net. / Hock Dich uff de Wachche unn nemm‟s Laadsel in die Hand! (Murmeln) Jo die fraache dich doch, was e Laadsel is. / Die wissen net , 11 die wissen net was en Wachche is, horch emol. / Unsern Borchemaaschder ho gesaat: ‚Was, was issen e Laadsel? Des häwwich noch nie g‟hert.„ / Naa? / Nein. „n do häwwich „s em gesaat, net. Sprecherin: Was für Alteingesessene selbstverständliches Sprachgut ist, sagt der nachfolgenden Generation oft schon nichts mehr. Dieser Pfälzerin aus Altrip, Kreis Ludwigshafen, ist noch der Dorfdialekt ihres Heimatortes vertraut. „Laadsel“ bedeutet das Leitseil, mit dem das Zugpferd des Wagens geführt wird. Zukünftig werden diese reinen Ortsmundarten leider immer mehr verschwinden. Menschen sind heutzutage hoch mobil, Dialekte wandeln sich. Die Tendenz geht vom Lokaldialekt zum „Regiolekt“, also einer Umgangssprache, die nicht nur am Ort sondern in der Region verstanden wird. Der pfälzische Dialekt wird aber keineswegs aussterben. Sprachwissenschaftler haben festgestellt, dass er sich in einzelnen Fällen sogar ausbreitet: Musik Sprecherin: Pfälzisch ist – ähnlich wie das Thüringische oder Sächsische – nicht sonderlich beliebt in Deutschland. Und das Selbstbewusstsein der Dialekt-sprechenden Pfälzer außerhalb ihrer gewohnten Umgebung entsprechend gering. O-Ton Christian Habekost: Es gab ja mal eine Playboy-Umfrage über die Errodik – da hieß es welches ist der erotischste Dialekt Deutschlands. Da sind die Pälzer sag und schreibe uff de letzschte Platz gekomme. Weil die Leut einfach net wisse, was Errodik is. Aber isch will jetzt gar net weiter ins Detail gehe, jedenfalls war‟s ne Sauerei. Sprecherin: Vermutlich hatte das Ergebnis der Umfrage aber nur wenig mit dem Charakter oder Klang des Pfälzischen zu tun. Denn die neuhochdeutsche Standardsprache hat sich aus den Jahrtausende alten Dialekten entwickelt. Und zwar im mitteldeutschen Sprachraum, zu dem auch das Pfälzische, Thüringische, Sächsische und Hessische gehören. Der Sprachwissenschaftler Joachim Herrgen schildert, wie ein Berliner unbewusst auf diese Dialekte reagiert: O-Ton Joachim Herrgen: Wenn der Bayrisch hört oder Plattdeutsch, dann sagt der: das ist ja richtig alter Dialekt. Das verstehe ich ja gar nicht. Und das findet er toll. Wenn er thüringisch, pfälzisch, hessisch hört, dann merkt er intuitiv die Nähe zum Hochdeutschen, aber ein paar Unterschiede gibt es ja doch. Und da sagt er: das ist ja kein echter Dialekt, das ist ja schlechtes Hochdeutsch. Und so entsteht ne negative Bewertung. Die ist vollkommen unangemessen, aber es gibt sie trotzdem. 12 Sprecherin: Wer sich für die Geschichte seines Heimatdialektes interessiert, wird fündig auf einer Forschungs-Plattform im Internet. Ausgearbeitet wurde sie durch das Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas der Universität Marburg. Unter www.regionalsprache.de kann man Dialektkarten einsehen, Sprachproben abrufen und hören, wie die Mundart des eigenen Heimatortes vor 125 Jahren geklungen hat. Eine spannende Entdeckungsreise. Musik Sprecherin: Das Schlusswort soll das Pfälzische selbst haben – zum Abschied gibt es sich ganz bescheiden – Christian Habekost und das pfälzische „O“. O-Ton Christian Habekost: Also o – ja nadürlisch, es gibt erst mal das normale o – was es im Hochdeutschen auch gibt. Einen Ausruf des Erstaunens – ooooh! – das sieht aber schön aus! Dann kann en Pälzer aber auch ein herablassendes, ein ungläubiges o machen – ouee! Also mit anderen Worten: erzähl mir doch keinen Mist hier – ouee! Oder wenn‟s richtig so ist, dass er eigentlich gar nix damit zu due habe will – hau mir bloß ab, geh mir bloß fort – oue?! Das muss dann richtig aber tief rauskommen. Dann gibt‟s noch ein ganz tiefes o, also wenn er überhaupt nix damit zu due haben will, wenn er‟s am liebschte ganz aus seinem Lebenskreis verbannen will – und wenn isch des o jetzt aber machen dät, dät das Mikrofon geschprengt werre, der ganze Sender SWR2 müsst seinen Betrieb einstelle, also Ihr müsst Euch‟s nur vorstelle. Das kummt so tief unne aus der pälzischen Seel, damit is alles gesacht. *** 13
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