Merkels Minsker Märchenstunde

Merkels Minsker Märchenstunde
[Von Kai Ehlers] Parallel zu den NATO- Übungen in Polen,
begleitet von den neuen Zielvorgaben der Bundeskanzlerin
Angela Merkel, die die deutschen Militärausgaben über das von
der NATO geforderte Maß auf das der Vereinigten Staaten heben
will, sollen nach dem Willen der EU, allen voran dem Willen
der deutschen Kanzlerin Merkel nun auch die Sanktionen – die
die EU im Sommer 2014 gegen Russland beschlossen hat – um ein
weiteres halbes Jahr bis Ende Januar 2017 verlängert werden.
Dies beschlossen die Botschafter der 28 EU-Staaten bei ihrem
letzten Treffen Anfang Juni einstimmig. Ihr Beschluss wurde
soeben von Brüssel bestätigt.
Als Begründung für die Notwendigkeit der Verlängerung der
Sanktionen wurde von der Botschafterversammlung angegeben,
dass es mit der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen, die im
Februar 2014 zwischen Angela Merkel, François Hollande ,
Wladimir Putin und Petro Poroschenko als „Reaktion auf
Russlands Unterstützung der Separatisten“ beschlossen wurden,
noch ‚gewaltig hapere‘, so der Tenor im Mitteilungsblatt der
Regierung, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom
22.06.2016, dem ein ausführlicher Bericht zu dem Treffen zu
entnehmen war. In dem Bericht heißt es:
„Nicht nur wird der damals
zugesagte Waffenstillstand immer
wieder gebrochen. Noch längst wurden zudem offenbar nicht alle
schweren Waffen aus der Pufferzone abgezogen. Und nach wie
vor stehen die in Minsk vereinbarten Kommunalwahlen in der
Ostukraine aus.“ Weitere Begründungen werden nicht gegeben.“
Stimmt. An der Grenze zwischen den Donbas-Republiken und der
Kiewer Ukraine wird nach wie vor geschossen. Nicht mitgeteilt
wird jedoch, wer schießt, obwohl die Frage eindeutig zu
beantworten wäre: beide Seiten schießen. Die Klage darüber
konnte man in den letzten Monaten in wachsendem Maße den
Berichten der OSZE entnehmen und sogar aus Munde des deutschen
Außenministers Frank-Walther Steinmeiers hören. (siehe dazu
diverse Berichte in russland.ru, jetzt russland.news), wenn er
seine Eindrücke über die Erfolge der Demokratisierung in der
Ukraine immer unzufriedener kommentierte.
Dass die Kommunalwahlen der Ostukraine ausgeblieben seien,
stimmt allerdings nur noch halb. Tatsache ist, es fanden
Wahlen in der Ostukraine statt, allerdings nicht nach den in
Minsk
vereinbarten, sondern nach eigenen örtlichen
Bedingungen, weil die in den Minsker Beschlüssen vereinbarten
Voraussetzungen von Kiew trotz diverser Gesprächsangebote aus
dem Ostteil des Landes nicht hergestellt wurden. Eine
Erinnerung an diese Vereinbarungen und ein Bestehen auf ihrer
Einlösung sucht man in den
Begründungen für die aktuelle
Sanktionsverlängerung jedoch vergebens.
Dabei könnte alles so einfach sein, wenn diese Vereinbarungen
des Minsker Protokolls, die den Kern des Konfliktes zwischen
Kiew und den Ostgebieten betreffen, genannt, anerkannt und
erfüllt würden. Sie lauten: Die Kiewer Regierung führt eine
Verfassungsänderung durch, als deren wesentliches Ergebnis sie
den Gebieten Donezk und Lugansk eine begrenzte Autonomie
zugesteht, auf deren Grundlage dann Wahlen für die gesamte
Ukraine durchgeführt werden können. (Siehe die Fakten zu den
Vereinbarungen im 2. Teil dieses Artikels)
Tatsache ist, dass die Verfassungsreform bis heute nicht
durchgeführt wurde, dass keine direkten Gespräche zwischen
Kiew und den Donbas-Vertretern zur Vorbereitung und Einleitung
einer solchen Reform zustande kamen – sei es, weil Poroschenko
und seine Umgebung es selbst nicht wollen, sei es weil sie
durch das nationalistisch dominierte Parlament daran gehindert
werden. Mit Terroristen verhandeln wir nicht, hieß die bisher
dabei von Kiewer Seite insgesamt verfolgte Linie.
Von all dem – den ursprünglichen Vereinbarungen, wie deren
Missachtung durch Kiew – ist, wie gesagt, in den Begründungen
für die Verlängerung der Sanktionen nicht mehr die Rede. Zwar
werden von deutscher Seite, Steinmeier, großzügig
„schrittweise Lockerungen“ der Sanktionen angeboten,
allerdings nur, wenn
„substanzielle Fortschritte“ bei der
Umsetzung der Verträge erkennbar würden – substanziell von
russischer Seite, versteht sich, wobei im Nebel bleibt, worum
es hierbei gehen soll, da Russland eh schon seine
Unterstützung auf die Aufrechterhaltung der rudimentären
Infrastrukturen der Gebiete reduziert hat, die OSZE-Kontrollen
mitträgt und den beschlossenen Fahrplan, wie oben benannt,
immer wieder zusammen mit den Donbas-Vertretern einklagt.
Dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel wäre, wie er öffentlich
erklärte, als „Signal aus Moskau“ sogar schon mit einem
„Wahlgesetz für die Ostukraine“ Genüge getan. Aber selbst
dafür, höhnt die „Frankfurter“, habe es in Minsk nicht
gereicht.
Ähnliche
Töne wie die Steinmeiers und Gabriels sind auch von
den Franzosen und Italienern zu hören, ebenso vor einer Woche
in St. Petersburg auch von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude
Juncker. Ungarn und Griechen schwanken. Gänzlich unnachgiebig
sind die Balten und die Polen.
Kurz, es gibt durchaus widersprüchliche Positionen innerhalb
der EU zu der Frage und es fragt sich, wie lange die nach
außen demonstrierte Einigkeit aufrechterhalten werden kann.
Nach dem Austritt Englands aus der EU stellt sich diese Frage
noch einmal aktueller. In der Beschlussfassung zu den
Sanktionen stellten jedoch weder Steinmeier, noch die
Franzosen, noch die Italiener, noch sonst irgendjemand die
Einstimmigkeit in Frage.
Die Beendigung der Minsker Märchenstunde lag dann bei der
deutschen Kanzlerin, die „klarstellt(e)“, wie die „Frankfurter
Allgemeine“ es kernig formulierte, dass sie eine Lockerung
der Sanktionen für „verfrüht“ halte. Die Zeitung weiß zu
diesem Vorgang im Übrigen noch die folgende nette Anekdote zu
berichten:
„Ihr außenpolitischer Berater Christoph Heusgen war in der
vergangenen Woche
mit zwei ranghohen Diplomaten
des
Auswärtigen Amtes nach Minsk gereist. Nach der Reise konnte
Merkel sowohl Skeptikern in der EU als auch ihrem
Koalitionspartner ausrichten: Seht her, wir haben es versucht.
Aber es reicht noch nicht. Steinmeier und Gabriel mussten dies
akzeptieren.“ So einfach ist das.
Was immer Kanzlerin Merkels Emissäre dort in „Minsk“ und bei
wem gefunden haben mögen – die tatsächlichen Vereinbarungen
vom Februar 2015 fanden sie dort offenbar nicht. Angesichts
eines solchen kollektiven Misserfolges bei der Suche nach
Originalquellen
oder
auch
einfach
bedauerlichen
Gedächtnisverlustes scheint es sinnvoll, noch einmal an daran
zu erinnern, was in den ursprünglichen Vereinbarungen zu
finden wäre, was auch nicht mit neuen Reisen nach Minsk
gesucht werden müsste, wenn man es denn finden wollte:
Dies kann jetzt und hier an Hand eines Textes von mir
geschehen, der sich vor nahezu einem Jahr, am 1. Mai 2015,
schon einmal die Aufgabe stellte, daran zu erinnern, was in
Minsk tatsächlich beschlossen und schon seinerzeit
beiseitegeschoben worden ist.
Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de
Es folgt jetzt der Originaltext vom 1. Mai
veröffentlicht u.a. in Russland.ru/russland.news
2015,
Wie alles sein könnte – Ein Versuch über den Rand des Minsker
Tellers zu schauen
Eigentlich ist alles ganz einfach: Die ukrainische Führung
akzeptiert die Vereinbarungen des zweiten Minsker Treffens vom
12. Februar 2015, das heißt, sie geht mit den politischen
Vertretungen der inzwischen selbst verwalteten Gebiete Donezk
und Lugansk in direkte Verhandlungen über den autonomen
Sonderstatus, den diese Gebiete ausgehend vom jetzigen Status
quo in einer demokratisch und dezentral organisierten Ukraine
erhalten sollen. Die Bereitschaft zu diesen Gesprächen geht
von der Einsicht aus, dass eine militärische Lösung der
Verfassungsprobleme der Ukraine nicht möglich ist.
Die Gespräche um Ausmaß und Form des autonomen Sonderstatus –
Föderalisierung, Autonomie, lokale Sonderrechte oder einfache
verwaltungstechnische Dezentralisierung – sind zugleich
Bestandteil einer Verfassungsreform, als deren Ergebnis die
autoritäre zentralstaatliche Organisation der Ukraine in eine
dezentrale Demokratie umgewandelt werden soll.
Soweit, so klar, ein solches Vorgehen entspräche voll und ganz
den Vereinbarungen, die in Minsk II getroffen wurden. Zur
Erinnerung hier die entsprechenden Passagen der Minsker
Vereinbarungen, die das Prozedere für die oben beschriebene
Entwicklung unmissverständlich benennen (zitiert nach der
„Resolution des UN-Sicherheitsrates zur Ukrainekrise“, die
dort am 19. Februar 2015 in Übernahme
Vereinbarungen beschlossen wurden):
der
Minsker
Aufnahme eines Dialogs
Punkt 1 des Minsker Maßnahmenpaketes:
„Aufnahme eines Dialogs am ersten Tag des Abzugs (der schweren
Waffen – ke) über die Modalitäten
von lokalen Wahlen
in
Übereinstimmung mit ukrainischem Recht und dem Gesetz der
Ukraine über
das Interimsverfahren
für die lokale
Selbstverwaltung
in den gesonderten Regionen
der
Verwaltungsgebiete
Donezk und Lugansk
sowie über die
künftigen Regelungen
für diese Regionen auf der Grundlage
dieses Gesetzes. Unverzügliche Verabschiedung eines
Beschlusses des Parlaments der Ukraine spätestens 30 Tage nach
der Unterzeichnung dieses Dokuments, in dem das Gebiet, das
einen Sonderstatus genießt, nach dem Gesetz der Ukraine über
das Interimsverfahren für die lokale Selbstverwaltung in den
gesonderten Regionen
der Verwaltungsgebiete Donezk und
Lugansk festgelegt wird, und zwar auf der Grundlage der Linie
[i]
des Minsker Memorandums vom 19. September 2014.„
Kompliziert formuliert – aber doch klar: Nach Rückzug der
schweren Waffen soll der direkte Dialog zwischen der Kiewer
Führung und den selbstverwalteten Gebieten Donezk und Lugansk
aufgenommen werden, um den Status dieser Gebiete, auch den
territorialen, im Verbund des ukrainischen Staates zu klären.
Es werden keine Vorgaben über die Form und den Charakter
dieses Status gemacht.
Noch deutlicher wird die Forderung nach einem Dialog in den
Punkten 9 und 11 des Abkommens; diese Punkte sollen hier,
wiewohl auch etwas mühsam zu lesen, ebenfalls zitiert werden,
um Einseitigkeiten, Missverständnissen oder sei es auch nur
einer allgemeinen Amnesie entgegenzuwirken:
Absprache und Einvernehmen
Punkt
9 und 11 des Maßnahmenpakets:
„Wiederherstellung der vollen Kontrolle über die Staatsgrenze
durch die ukrainische Regierung im gesamten Konfliktgebiet,
die am ersten Tag
nach den lokalen Wahlen und nach der
umfassenden politischen Regelung (lokale Wahlen in den
gesonderten Regionen und Verwaltungsgebieten Donezk und
Lugansk auf der Grundlage des Gesetzes der Ukraine und einer
Verfassungsreform) endet; diese Regelung soll bis Ende 2015
finalisiert werden, vorausgesetzt, dass Absatz 11 in Absprache
und im Einvernehmen mit Vertretern der gesonderten Regionen
der Verwaltungsgebiete Donezk und Lugansk im Rahmen der
Trilateralen Kontaktgruppe umgesetzt wird.“
Punkt 11 lautet, um das gleich anzuschließen:
„Durchführung einer Verfassungsreform in der Ukraine, wobei
die neue Verfassung bis Ende 2015 in Kraft treten soll und
die Dezentralisierung
als Schlüsselelement vorsieht
(einschließlich einer Bezugnahme auf die Besonderheiten in
den gesonderten Regionen Donezk und Lugansk, und
zwar in
Absprache mit den Vertretern dieser Regionen), und
Verabschiedung dauerhafter Rechtsvorschriften über den
Sonderstatus der gesonderten Regionen der Verwaltungsgebiete
Donezk und Lugansk bis Ende 2015 in Übereinstimmung mit den
in der Fußnote dargelegten Maßnahmen. (Anmerkung)“
Ist schon mit diesen Punkten klar, dass NICHTS gehen kann,
ohne die Aufnahme eines direkten Gespräches zwischen Kiew und
den „gesonderten Regionen“, so beseitigen die Fußnoten
(„Anmerkung“) jeden Zweifel, was der Geist von Minsk II, der
so oft beschworen wird, eigentlich ist – oder sein könnte.
Möglichkeit zu Initiativen
„Anmerkung: Nach dem Gesetz über das Sonderverfahren für die
lokale Selbstverwaltung
in den gesonderten Regionen der
Verwaltungsgebiete Donezk und Lugansk
handelt es sich um
folgende Maßnahmen:
– Verzicht auf Bestrafung, strafrechtliche Verfolgung und
Diskriminierung von Personen, die in die Ereignisse verwickelt
waren, die in den gesonderten Regionen der Verwaltungsgebiete
Donezk und Lugansk stattgefunden haben;
– Recht auf sprachliche Selbstbestimmung;
– Beteiligung von Organen der lokalen Selbstverwaltung an der
Ernennung der Leiter der Staatsanwaltschaften und Gerichte in
den gesonderten Regionen der Verwaltungsgebiete Donezk und
Lugansk;
– Möglichkeit für zentrale Regierungsstellen, Vereinbarungen
mit Organen der lokalen
Selbstverwaltung betreffend die
wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung der
gesonderten
Regionen
Lugansk zu initiieren;
der Verwaltungsgebiete Donezk und
– Staatliche Unterstützung der sozialen und wirtschaftlichen
Entwicklung der gesonderten Regionen der Verwaltungsgebiete
Donezk und Lugansk;
– Unterstützung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in
den gesonderten Regionen der Verwaltungsgebiete Donezk und
Lugansk mit Regionen der Russischen Föderation durch zentrale
Regierungsstellen;
– Schaffung von Volkspolizeieinheiten durch Beschlüsse der
lokalen Räte zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in
den gesonderten Regionen der Verwaltungsgebiete Donezk und
Lugansk;
– Die Befugnisse der in vorgezogenen Wahlen
und von der
Werchowna Rada der Ukraine nach diesem Gesetz ernannten
Abgeordneten von lokalen Räten und Amtsträgern können nicht
vorzeitig beendet werden.“
Im Mittelpunkt der direkte Dialog
Auch wenn hier wieder kompliziert
formuliert wird und ohne an
dieser Stelle auf Einzelheiten eingehen zu können, geht doch
auch aus den Anmerkungen eins klar hervor: Im Mittelpunkt der
Absprachen steht die Einleitung eines direkten Dialoges
zwischen den Konfliktparteien – und in diesem Zuge
selbstverständlich auch mit anderen Regionen der Ukraine – um
die Frage, welche Form eine Dezentralisierung der Ukraine
annehmen kann. Über die konkrete Ausgestaltung soll
miteinander gesprochen werden.
Merke: eine bestimmte Form wird in der Vereinbarung nicht
vorweggenommen. Zu verhandeln wäre also über unterschiedliche
Vorstellungen von der Föderalisierung, über Autonomie, lokale
Sonderrechte bis hin zu einfacher Dezentralisierung von
Verwaltungsbefugnissen. Die ganze Bandbreite steht zur
Debatte.
Als Gesprächspartner werden die „Vertreter dieser Regionen“
zum einen und „zentrale Regierungsstellen“ zum anderen
benannt. Den zentralen Regierungsstellen wird in den
Anmerkungen (Satz vier) die „Möglichkeit“ eingeräumt,
Vereinbarungen mit Organen der lokalen Selbstverwaltung zu
„initiieren“, wohlgemerkt, nicht etwa zu verordnen oder zu
befehlen, sondern ausdrücklich als Möglichkeit zu initiieren.
Auch hier wieder keine Vorgabe einer bestimmten oder gar nur
einer Lösung.
Politische Grundfrage lösen
Die Erfüllung weiterer Punkte des Minsker Abkommens – wie:
Rückzug schwerer Waffen,
Amnestie, Gefangenenaustausch,
humanitäre Hilfe, Wiederaufnahme wirtschaftlicher Beziehungen
zwischen den Landesteilen der Ukraine, „Entwaffnung illegaler
Gruppen“, Rückzug aller „ausländischen bewaffneten
Formationen“ – wird dann möglich, kann dann einen Sinn machen
und dann entspannende und aufbauende Folgen haben, wenn dieser
Dialog um die grundsätzlichen politischen Fragen der Beziehung
zwischen dem Kiewer Zentrum und als Statthalter des Staates
und seiner einzelnen Subjekten effektiv im direkten Gespräch
[ii]
der Konfliktparteien aufgenommen wird.
Der Bevölkerung der Ukraine täte es zweifellos mehr als gut,
wenn diese Gespräche endlich begonnen würden. Das gilt für die
westliche Ukraine ebenso wie für die östlichen Teile,
insbesondere natürlich für die „gesonderten Gebiete“ von
Donezk und Lugansk, deren soziale und technische Infrastruktur
durch den inzwischen einjährigen Krieg soweit zerstört ist,
dass ein Leben dort auf ein Vegetieren
Existenzminimum heruntergekommen ist.
unter
dem
Gut wäre die Aufnahme des Dialoges zweifellos auch für die
Völker Russlands und die der Europäischen Union, denen die, in
immer neue Milliarden gehenden, Lasten für den sinnlosen
Sanktionskrieg des Westens gegen Russland und für
Kriegswirtschaft der Ukraine aufgebürdet werden.
die
Kommt noch das Aufatmen dazu, das durch die Welt ginge, wenn
nicht Säbelrasseln, sondern Dialog, Verständigung und
Kooperation die internationale Agenda bestimmte.
Falsches Spiel
Tatsächlich hat die erste Sitzung der ukrainischen
Verfassungskommission, die eine Dezentralisierung der Ukraine
einleiten soll, inzwischen stattgefunden – allerdings gerade
n i c h t im Geiste der Minsker Vereinbarungen, sondern in
dessen glatter Verkehrung: Föderalisierung sei eine
„biologische Waffe“, die man der Ukraine „von außen
aufzwingen“ wolle, „um unsere Einheit zu zerstören“, erklärte
Präsident Poroschenko gleich zu Beginn der ersten Sitzung der
Kommission. Damit schloss er eine offene Aussprache um die
unterschiedlichen Vorstellungen zur Dezentralisierung von
vornherein aus. „Die Ukraine ist und bleibt ein
Einheitsstaat“, postulierte er.
Zwar setzte Poroschenko an die Kommission gewendet noch hinzu:
„Für diejenigen, die über Föderalisierung sprechen, schlage
ich ein Instrument namens ‚Referendum‘ vor. Ich bin bereit für
ein solches Referendum, wenn Sie das für notwendig halten.“
Den eigentlichen Punkt aber setzte Ministerpräsident Jazenjuk
mit dem Statement: „Eine neue Verfassung müsse die Interessen
des gesamten Landes berücksichtigen – von West nach Ost. Der
Dialog mit dem Osten kann erst dann stattfinden, wenn es dort
rechtmäßig gewählte Abgeordnete gibt. Wir verhandeln nicht
[iii]
mit russischen Kriminellen oder Terroristen.“
Der ukrainische Parlamentsvorsitzende Wolodymyr Hroisman
erklärte im TV-Sender ‚Inter“, die Zentralregierung werde nach
Abhaltung freier Lokalwahlen mit den Gewinnern
einen
politischen Dialog führen. Anführer von Banditengruppen und
Kämpfern der sog. „Donezker Volksrepublik“ und „Lugansker
Volksrepublik“ an künftigen Wahlen schieden jedoch aus. Und
wörtlich: „Es können keine Mörder, keine Bandenführer und alle
anderen gewählt werden. Das sind Verbrecher, die bestraft
werden müssen.“
[iv]
Autonomie von Kiews Gnaden
Voraufgegangen war diesen Auftritten die Verabschiedung eines
„Gesetzes über die Autonomie in den Separatistengebieten“ in
der Werchowna Rada Kiews. Nach diesem Gesetz soll über einen
Autonomiestatus der Gebiete Donezk und Lugansk erst nach den
gesonderten Kommunalwahlen vom 25. Oktober 2015 entschieden
werden. Außerdem legt das Gesetz eine Liste von Ortschaften
fest, für die künftig eine Autonomie gelten soll. Diese
Territorien werden in dem Gesetz zu „vorübergehend besetztem
Gebiet“ erklärt.
Alle diese Änderungen wurden ohne Beteiligung der Vertreter
von Donezk und Lugansk getroffen. Vorschläge, für den
Verfassungsprozess,
darunter
auch
solche
zu
den
Kommunalwahlen, die die Vertreter von Donezk und Lugansk nach
[v]
Kiew geschickt hatten, wurden von dort nicht beantwortet.
Mit dem Gesetz über die Autonomie in den Separatistengebieten
und
den
darauf
folgenden
Weichenstellungen
des
Verfassungskongresses ist das Minsker Abkommen faktisch vom
Tisch. Die Konsequenz des Gesetzes wäre vielmehr, wenn es
umgesetzt werden könnte, dass die „gesonderten Gebiete“ ihren
blutig erkämpften Sonderstatus erst aufgeben müssten, um ihn
sich von Kiew dann wieder gewähren zu lassen. Es ist klar,
dass die politischen Körperschaften, die durch die Referenden
und die unabhängig von Kiew durchgeführten lokale Wahlen n
Donezk und Lugansk im Lauf des Jahres 2014 legitimiert worden
sind, sich darauf nicht einlassen können. Was jetzt kommt,
wenn keine Korrektur erfolgt, kann unter diesen Umständen nur
auf eine Fortsetzung der bisherigen „Anti-Terror-Aktion“
hinauslaufen, die sich wahlweise
als Verfassungsreform,
Dezentralisierung oder Demokratisierung tarnt. Dass die so ins
Visier genommenen „Terroristen“, dies nicht widerstandslos
hinnehmen werden, ist ebenso klar. Offen ist allein, wie weit
sich die hinter den Konfliktparteien stehenden Schutzmächte in
die neue Runde der Konflikte aktiv mit einmischen oder mit in
sie hinein ziehen lassen wollen.
Kai
Ehlers,
ehlers.de
Freitag, 1. Mai 2015
www.kai-
Bücher zum Thema:
Peter Strutynski (Hg.), Ein Spiel mit dem Feuer. Die Ukraine,
Russland und der Westen, Papyrossa
Ronald Thoden, Sabine Schiffer (Hg.), Ukraine m Visier,
Russlands Nachbar als Zielscheibe geostrategischer Interessen,
Selbrund Vlg.
Kai Ehlers, Russland – Herzschlag einer Weltmacht, Pforte
[i]
Wortlaut
von
Minsk
1:
http://www.bpb.de/internationales/europa/ukraine/192488/dokume
ntation-das-minsker-memorandum-vom-19-september
[ii]
Vollständiger
Wortlaut
der
UN-Resolution:
http://www.russland.ru/resolution-des-un-sicherheitsrates-zurukrainekrise/
[iii]
http://de.euronews.com/2015/04/06/poroschenko-ja-zur-dezentral
isierung-nein-zum-foederalismus/
[iv]
http://www.ukrinform.ua/deu/news/hroisman_von_einer_fderalisie
rung_der_ukraine_kann_keine_rede_sein_14829
[v]
http://www.dw.de/keine-chance-auf-frieden-f%C3%BCr-ostukraine/
a-18323459