Emotionale Bildung im Lehrauftrag - Friedrich Naumann Stiftung für

Seminarbericht:
Emotionale Bildung im Lehrauftrag –
der Schlüssel zu Freiheit und Selbstbestimmung
Ein Beitrag zu frühkindlicher Bildung, innerer
Freiheit und einer modernen Bildungskultur
»Bildung des Geistes ohne Bildung des Herzens ist keine Bildung.« Aristoteles
»Die Vernunft hat geleistet, was sie leisten kann, wenn sie das Gesetz findet und
aufstellt; vollstrecken muss es der mutige Wille, und das lebendige Gefühl. […] Hat
sie [die Wahrheit/ Aufklärung] bis jetzt ihre siegende Kraft noch so wenig bewiesen,
so liegt dies nicht an dem Verstande, der sie nicht zu entschleiern wusste, sondern
an dem Herzen, das sich ihr verschloss […]« Achter Ästhetischer Brief, Friedrich
Schiller
»Niemand ist hoffnungsloser versklavt als der, der fälschlich glaubt frei zu sein.«
Johann Wolfgang Goethe
»Bildung« ist das Schlagwort der modernen Gegenwartsgesellschaft. Ob die
»Durchlässigkeit von Bildungswegen« oder »Frühkindliche Bildung«, mit Bildung
sollen ungerechte gesellschaftliche Strukturen beseitigt werden,
es soll den
Menschen ermöglicht werden, die Räume und Potentiale der Freiheit zu leben und zu
kultivieren.
Die Prominenz und Wichtigkeit des Bildungsgedankens erwächst aus einer langen
kulturhistorischen und philosophischen Tradition, die bis in die Antike nachzuverfolgen ist und in Form von Aneignung und Ablehnung immer wieder neu verhandelt
wird. Der öffentliche Diskurs verweist auch in gegenwärtigen Debatten auf den
Schlüsselbegriff Bildung. Die hier diskutierte Bildung bezieht sich jedoch lediglich auf
die kognitiven, rationalen Fähigkeiten oder Vermögen des Menschen. Ganzheitliche
Bildung integriert nach Aristoteles und Friedrich Schiller – die in der Tradition
paradigmatisch für einen anderen Ansatz stehen –
allerdings kognitive und
emotionale Bildung, letztere wurde jedoch im Zuge der Aufklärung ignoriert und die
Vernunft überhöht.
Das mit der gängigen Vorstellung von Bildung einhergehende Freiheitsverständnis
bezieht sich zudem vor allem auf eine äußere Freiheit und übersieht die innere
Freiheit. Innere Freiheit ist stark mit unseren Emotionen und Gefühlen verbunden,
diese wiederum sind geprägt von unserer primären und sekundären Sozialisation.
Oftmals wiederholen wir die Rollen unserer Eltern, Lehrer oder verhalten uns gemäß
sonstigen gesellschaftlichen Rollenerwartungen. Die »individuelle innere Freiheit«, so
die These dieses Seminars, muss deshalb gelernt werden wie die Rollenvorstellungen in der traditionellen Gesellschaft. Emotionale Bildung verlangt deshalb die
Auseinandersetzung mit den individual- und sozialpsychologischen Mustern, um zu
»innerer Freiheit« zu gelangen.
Ziel
des
Seminars
war
es,
die
gegenwärtige
Bildungsdebatte
über
»Frühkindliche Bildung« oder »Chancengerechtigkeit« um ihre emotionale
Komponente zu erweitern, sodass die oft einseitig geführte Diskussion um
Bildung als Erwerb kognitiver Kompetenzen hin zu einem Diskurs über den
(Eigen-)Wert ganzheitlicher Bildung und über die Integration von innerer und
äußerer Freiheit gelangt. In diesem Seminar, das als erster Einstieg in die
komplexe Thematik der Emotionalen Bildung führen soll, wird der Fokus auf
die emotionale Bildung in den ersten Lebensjahren bis zur Mittelschule
gerichtet.
Frau Dr. Daniela Saccà-Reuter, verantwortlich für die Veranstaltung im Rahmen des
Regionalbüros Berlin-Brandenburg, sprach in ihrer Begrüßung über die Bedeutung
emotionaler Bildung. Anfänglich dachte sie, es wäre eine Art Luxusgut, das, wenn die
MINT-Fächer, Sprachen usw. grundlegend gewährleistet werden können, man als
Zusatz „Emotionale Bildung“ einführen könnte. Im Laufe der Gespräche mit den
Initiatoren erkannte sie jedoch, dass es
genau umgekehrt sei, nämlich dass
Emotionale Bildung, die Basis für alle weiteren Bildungsprozesse sei.
Gabriele Sigg, M.A. (Promotionsstipendiatin der Stiftung, Doktorandin der
Allgemeinen Soziologie, Humboldt-Universität zu Berlin) referierte über die oftmals
erfolgende Fehlinterpretation und Einseitigkeit des Freiheitsbegriffes und dem Irrtum
der modernen Gesellschaft, frei zu sein, gleichwohl in diversen gesellschaftlichen
Zwängen lebend. Zwar gäbe es die Bestrebung vor allem von Seiten des
Liberalismus, die Rahmenbedingungen zu schaffen, um Handlungsfreiheit zu
gewährleisten sowie die Achtung der Freiheitsrechte der Individuen zu sichern,
dennoch fokussiert sich die Bestrebung auf die Gewährung „äußerer Freiheit“; eine
Selbstbestimmung und das moralische Handeln der Akteure sei jedoch nur durch die
Kultivierung einer „inneren Freiheit“ möglich. „Innere Freiheit“ wiederum kann nur
durch ganzheitliche Bildung entwickelt werden, sodass die Konsequenz ein Konzept
ganzheitlicher Bildung ist. Sigg führt die Aufklärung – die in ihren Errungenschaften
und Idealen durchaus hochzuschätzen ist – als eine zentrale geistesgeschichtliche
Koordinate an, die für eine Einseitigkeit der Bildungsbemühungen steht: der
Förderung des Verstandes, ohne Ausbildung des Gefühlslebens. Beide sind jedoch
wechselseitig verschränkt.
An dieser Stelle setzte Andreas Zimmermann (Promotionstipendiat der Stiftung,
Doktorand und Lehrbeauftragter am Institut für Bildungsphilosophie, Anthropologie
und Pädagogik der Lebensspanne, Universität zu Köln) seine Ausführung an,
insofern er die Aufklärungskritik Friedrich Schillers in seiner Schrift „Über die
ästhetische Erziehung des Menschen“ als ideengeschichtliche Antwort und
Überschreitung des aufklärerischen Bildungsgedankens anführte: Die Aufklärung sei
nur „Aufklärung des Verstandes“ gewesen, die Bemühungen lagen in der höchsten
Bemühung um die Rationalität des Menschen, während die „Ausbildung des
Empfindungsvermögens“ vernachlässigt wurde, sodass die hohen Ideale – man
denke an die tragenden Werte der Französischen Revolution – zwar freigelegt und
entwickelt worden sind, dennoch aber nicht Realität wurden. Es lag, so Schiller, an
dem „Herzen, das sich ihr [der Wahrheit] verschloss […]“. Gerade Schiller beschreibt
in seiner kritischen Zeitdiagnose als Verfehlung des Menschseins den „Barbaren“,
einen Menschen, der aufgeklärt-rational erscheine, jedoch ein „enges Herz“ besitze
und in seinem freien Handeln hintergründig von roher Treibhaftigkeit und Egoismus
determiniert sei – man könnte dieses als Diagnose einer einseitigen, nur auf
Aneignung kognitiver Kompetenzen beruhenden Bildungsauffassung begreifen, die
aus Sicht der Veranstalter höchste Aktualität besitzt.
Auf Basis der skizzierten, exemplarischen geistes- und ideengeschichtlichen
Hintergründe des Seminars entwickelten die Veranstalter folgende Thesen und
Folgerungen als Leitlinie:
I)
Freiheit kann nicht allein durch äußere Strukturen in Wirtschaft und Politik
erreicht werden.
II)
Um Freiheit zu gewährleisten, muss die innere Freiheit kontinuierlich
kultiviert werden.
III)
Innere Freiheit wird im Zusammenspiel von Fühlen und Denken erreicht.
IV)
Wenn wir die Forderung nach Freiheit und Selbstbestimmung ernst
nehmen, dann muss emotionale Bildung in den Lehrplan aufgenommen
werden.
V)
Erst wenn wir selbst emotional gesund und frei sind, können wir gesunde
und freie Strukturen in der Familie, Schule, Wirtschaft und Politik gestalten.
Im Anschluss und als zentralen Impuls hielt Dr. Hans-Joachim Maaz einen Vortrag
zur
Thematik
aus
psychologischer
Sicht.
Maaz
ist
deutscher
Psychiater,
Psychoanalytiker und Autor. Zu seinen prominentesten Texten zählen „Die
Liebesfalle. Spielregeln für eine neue Beziehungskultur“ (2007) und
„Die
narzisstische Gesellschaft“ (2012).
Sein Vortrag setzte sich aus einer psychologischen Perspektive mit der vorher in die
geistesgeschichtliche
emotionaler
Bildung
Tradition
eingebetteten
auseinander,
diskutierte
Frage
nach
allerdings
dem
den
Stellenwert
Bereich
der
„frühkindlichen Bildung“ besonders fokussiert. Maaz kritisiert die öffentliche
Dominanz und Beliebtheit des Begriffes „frühkindliche Bildung“ jedoch mit Nachdruck
und plädiert für die Ersetzung des Bildungsbegriffes durch den Begriff „Bindung“. Im
psychologisch definierten Zeitraum des Frühkindlichen sei der Bildungsbegriff falsch
eingesetzt: Bildung bezeichne nach Maaz einen Prozess, der wesentlich durch
Lernen, Lehren und Übung gekennzeichnet ist, wohingegen die frühkindliche Phase
fast gänzlich von der Mutter-Säugling-Bindung dominiert ist und folgerichtig der
Begriff der Bindung im Zentrum zu stehen habe. Erst durch eine stabile und
liebevolle Bindung zur Mutter werde die Basis für spätere Bildungsprozesse gelegt,
die durch die vorliegende emotionale Bindung dann gelingen können. Bindung stelle
einen „Beziehungsvorgang“ dar, der entweder vorhanden sei oder ausbleibe, was
einschneidende Folgen für die Beziehungsfähigkeit des Menschen zur Folge habe.
Die Forderung nach „emotionaler Bindung“ wird folglich von Maaz in ihrer Wichtigkeit
erhoben. Die Ausbildung von innerer Freiheit und nicht nur das scheinbare
Vorhandensein äußerer Freiheiten sei von großer Wichtigkeit für das individuelle
Wohlergehen und für die Lebensqualität des Einzelnen in der modernen
Gesellschaft, die
nach der kulturkritischen Diagnose von Maaz eine tendenziell
narzisstische sei. Der Narzisst lasse Empathie und Beziehungsfähigkeit vermissen
sowie er eine Unfähigkeit aufweise, seine eigenen Schwächen zu reflektieren, zu
verarbeiten und einzugestehen. Die innere Freiheit fehle in der narzisstischen
Persönlichkeit gänzlich, sodass politisch gewendet auch Demokratie nur als äußere
Bestand habe. Die Ausbildung der „inneren Demokratie“ sei Ziel und Voraussetzung
einer gesunden Gesellschaft. Der mündige Bürger sei die beziehungsfähige,
emotional gesunde Persönlichkeit. Maaz stellt die Forderung nach „Herzensbildung“
als Schlüssel zu einer gelungenen Beziehungskultur innerhalb der modernen
Gesellschaft. Nur so kann die individuelle Freiheit als innere Freiheit anzustreben
sein.
Nach dem Vortrag von Herrn Dr. Hans-Joachim Maaz folgten kurze Impulsvorträge
aus verschiedenen Berufsfeldern, die die Emotionale Bildung tangieren:
Heiko Krause, Geschäftsführer des Bundesverbandes für Kindertagespflege,
plädierte für eine Einbindung emotionaler Bildung auch in den Bereich der
Ausbildung
von
Tagespflegepersonal.
Die
Ausbildung
sei
bereits
durch
Erweiterungen und Modularisierung reformiert worden, weise aber dennoch Defizite
im Bereich der Reflexion von Empfindung und Persönlichkeitsbildung auf. Hierbei
gehe es ausdrücklich nicht darum, die ‚technischen‘ Kompetenzen abzuwerten,
sondern um eine Ergänzung im emotionalen Bereich. Krause sprach von einer
„emotionalen Kompetenz“, die er als „Fertigkeit mit Gefühlen der Anderen und den
eigenen umzugehen“ bezeichnete. Es gehe um eine Stärkung der Person, des
pädagogisch Handelnden sowie des Kindes, und allgemeiner gefasst, um den
Zuwachs an Lebensqualität sowie um eine Aufwertung des Umgangs miteinander.
„Technisches Wissen“ dürfe nicht gegen die Wichtigkeit dieses Aspekts ausgespielt
werden. Er forderte für die kindliche Entwicklung ein „pädagogisches Setting“, das
„technische
Fähigkeiten,
mathematisch-naturwissenschaftliche
Bildung
und
emotionale Bildung“ zusammenbringt. Für die Arbeit der Kindertagespflege forderte
Krause
1.) eine stärkere Vernetzung zur Kinder- und Jugendhilfe
2.) eine engere und intensivere Kooperation mit den Eltern.
Nur durch die Gewährleistung dieser strukturellen Bedingungen könne eine
gelungene frühkindliche Bildung verfolgt und optimiert werden. Er kennzeichnete
abschließend die Familien- und Sozialpolitik als einen zentralen und bedeutenden
Bereich des Politischen, der zu Unrecht vernachlässigt und als ‚Nebensache‘
deklariert werde. Vielmehr müsste Familien- und Sozialpolitik der Dreh- und
Angelpunkt der Politik sein.
Kara Packard Krull, “school counselor” an der John-F. Kennedy Schule Berlin,
stellte das amerikanische Konzept des „school counselors“ vor, das an ihrer Schule
praktiziert wird. Schule sei ein wichtiger Bindungsraum, der Ort in dem junge
Heranwachsende wichtige Beziehungserfahrungen sammeln. Sie sei hier nicht als
Therapeutin tätig, sondern dazu da die jungen Heranwachsenden in diesem
sensiblen Alter als Begleitung zur Seite zu stehen. Die Schüler haben somit die
Möglichkeit mit einer vom Lehrpersonal und Elternhaus „unabhängigen“ Person ihre
Sorgen und Nöte sozialer, emotionaler und akademischer Natur zu teilen. Sie helfe
etwa dabei, dass die Schüler Erlebtes verarbeiten und auch neue Geschichten
entwickeln können.
Mieke Senftleben, Vorsitzende des Bundesfachausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend der Freien Demokraten, trug konkrete politische Forderungen im
Rahmen einer liberalen Bildungspolitik vor, die die Bereiche 1.) Familie, 2.)
Tagespflege/Kindertagesstätte und 3.) Lehrerbildung betreffen.
1) Die Politik müsse Rahmenbedingungen für eine „Optimierung der Eltern-KindBeziehung“ schaffen, wofür „Familien-Hebammen“ eine wichtige Rolle
spielten. Ein Antrag sei bereits gestellt worden.
2) Die Kindertagesstätten müssen in eine engere Vernetzung zu Therapeuten
und Schulpsychologen eintreten. Durch die Verbindung und Kooperation mit
genannten Berufsgruppen und Institutionen werde der Überforderung des
Erzieherpersonals entgegengewirkt. Diese Überforderung stelle ein reales und
ernstes Praxisproblem dar.
3) Die Lehrerbildung benötige dringend eine „Exzellenz“ und externe „Expertise“.
Die bereits sehr belastete berufliche Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern
solle nicht erweitert werden, sondern vielmehr ist der Einsatz von Experten in
den Schulen die richtungsweisende Forderung: Konzepte wie der „school
counselor“ sind das zentrale Erfordernis für ein gelungenes Schulklima und
die Gewährleistung für bestmögliche ganzheitliche Bildung.
Senftleben betonte im Zusammenhang mit schulischer Bildung, dass es bei der
Forderung
nach
emotionaler
Bildung
nicht
um
eine
„Rückkehr
zur
‚Kuschelpädagigik‘“ ginge, was ein beliebtes Fehlurteil sei, sondern um ein
Zusammenwirken von kognitiver und emotionaler Bildung in den Institutionen.
Den Rahmen für die Ermöglichung solcher ausgewogener Bildungsräume müsse
eine liberale Bildungspolitik anstreben.
In der abschließenden Form des „WorldCafés“ diskutierten die Teilnehmer an
Thementischen mit den Referenten angeregt über die ausgeführten Anregungen,
Forderungen und Ansätze.