F.A.Z., Montag den 20.06.2016 Wirtschaft 21 Wie der Fiskus Kasse macht Dank spezieller Software hat manche Eisdiele mehr umgesetzt als bilanziert – nun schlägt der Gesetzgeber zurück mas. BERLIN, 19. Juni. Was dem Kunden die Sahne, ist dem Besitzer der Eisdiele die Nichtbuchung der Bestellung in der Kasse. Es ist verführerisch, aber man tut es besser nicht. Das eine Mal steht die Figur auf dem Spiel, im anderen Fall die Steuerehrlichkeit. Die Lebenserfahrung zeigt, dass solche Vorsätze und Vorgaben allzu gern missachtet werden. In Italien sind die Inhaber von Cafés und Einzelhändler daher schon lange grundsätzlich verpflichtet, den Kunden einen Beleg auszuhändigen. Die Finanzpolizei kontrolliert diese tatsächlich, wie Italien-Reisende berichten. Aber anders als früher werden die Kunden, die keinen Beleg vorweisen können, nicht mehr bestraft, sondern nur noch die Geschäftsinhaber. Branchen, die viel Umsatz mit Bargeld machen, gelten auch in Deutschland als im höchsten Maße anfällig für Steuerbetrügereien, also Hotels, Restaurants, Kneipen – und Eisdielen. Wie das geht, lässt sich einem rechtskräftigen Beschluss des Finanzgerichts Neustadt entnehmen: Danach hat der Betreiber einer Eisdiele von 2003 bis 2011 seine Einkommen- und Umsatzsteuer einschließlich Nebenabgaben um rund 2,69 Millionen Euro verkürzt. In dem Verfahren ging es um den Geschäftsführer der Gesellschaft, die das Kassensystem verkaufte, das den Steuerbetrug des Eismanns erleichterte. Denn wie aus dem Beschluss hervorgeht, erwarb der Eismann neben diverser Hardware die Software „AriadneNT“. Steuerprüfer stellten zudem einen USB-Stick sicher, auf dem sich ein passwortgestütztes Manipulationsprogramm „Asteroids.exe“ befand. Dabei handelt es sich „um ein als Spiel getarntes Programmmodul zur nachträglichen Verkürzung der in dem Kassensystem ,AriadneNT‘ erfassten Umsätze“, wie aus dem Beschluss des Finanzgerichts hervorgeht. So wurde die Steuerhinterziehung zum Kinderspiel: Mit einer einfachen Tastenkombination startete das Manipulationsmodul. „Der jeweilige Anwender erhält sodann die Möglichkeit, die Kasseneinnahmen prozentual zu kürzen“, erläuterten die Richter. Dabei würden täglich mehrere Buchungen storniert, bis das erwünschte Ergebnis, nämlich ein um einen vorgegebenen Prozentsatz gekürzter Umsatz, erreicht sei. Das ist offenbar kein Einzelfall. Der Bundesrechnungshof hat vor einem Jahr die Steuerausfälle durch Manipulationen von Kassensystemen auf bis zu 10 Milliarden Euro geschätzt. Die Belastbarkeit der Zahl ist umstritten. So haben sich die unabhängigen Prüfer auf eine Untersuchung gestützt, der Berechnungen der Finanzbehörden in Quebec (Kanada) zugrunde lagen. Das Bundesfinanzministerium kritisierte das Vorgehen und die Schätzung, will aber selbst keine eigene Zahl nennen, da man eine Dunkelziffer kaum schätzen könne. Als markanter Einzelfall taucht auch in der Mitteilung des Rechnungshofs der Inhaber einer Eisdiele auf, der durch Manipulationen 1,9 Millionen Euro Steuern hinterzogen haben soll – offenbar ein weiterer eiskalter Betrug. Da sich die genannten Beträge unterscheiden, deutet dies auf unterschiedliche Fälle. Der Außenstehende lernt: Man kann offenbar mit Eis viel Geld verdienen, und es ist nicht schwer, Buchungen nachträglich zu löschen. Der Rechnungshof nannte auch eine mögliche Lösung, welche die Physikalisch-Technische Bundesanstalt mit Vertretern der Industrie und Behörden entwickelt hat: die Integrierte Sicherheitslösung für Kassensysteme, kurz Insika. Die digitale Signatur jeder Buchung wird 63 dabei auf einem Beleg abgedruckt und dauerhaft gespeichert. Der Kunde kann dann mit seinem Handy und einer App kontrollieren, ob die Buchung ordnungsgemäß war. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der derzeit einen Gesetzentwurf „zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen“ vorbereitet, hat gleichwohl einen anderen Ansatz gewählt. Das Denunziantentum, das damit verbunden gewesen wäre, dürfte zum Verzicht auf Insika beigetragen haben. Das lässt zumindest die Antwort des Parlamentarischen Finanzstaatssekretärs Michael Meister (CDU) auf eine Frage des LinkenAbgeordneten Richard Pitterle vermuten: „Hinsichtlich der Belegkontrollen durch Kunden bestehen allerdings verfassungsrechtliche Bedenken, da diese Kontrolle grundsätzlich der hoheitlichen Verwaltung obliegt.“ Wie Meister weiter berichtet, entspricht die InsikaSmartcard nicht den notwendigen Sicherheitsanforderungen. Schäuble will an zwei Punkten ansetzen: Erstens befürwortet er eine technologieoffene Lösung. So will er gesetzlich festschreiben, dass nur eine elektronische Kasse verwendet werden darf, die jeden Vorgang „einzeln, vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet aufzeichnet“. In Supermarktketten soll es reichen, wenn die Zentralkasse dies leistet. Ob ein System die Anforderungen erfüllt, hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zu bestätigen. Zum anderen will Schäuble als spezielles Instrument der Steuerkontrolle Kassen-Nachschauen einführen. Im Referententwurf werden die Kosten aus der Neuanschaffung und Umstellung der Geräte für die Wirtschaft auf rund 470 Millionen Euro geschätzt. Hinzu kommt ein jährlicher Aufwand von 106 Millionen Euro. Ursprünglich sollte das Kabinett Mitte Juni über den Gesetzentwurf beschließen. Nach Hakeleien mit dem Wirtschaftsministerium ist nun von Anfang Juli die Rede. Selbst wenn die elektronischen Kassen gegen Manipulationen gesichert werden, bleiben Lücken: Mit Blick auf die Wochenmärkte will man davon absehen, allen Händlern modernste Systeme vorzuschreiben. Es kann also dabei bleiben, dass die Beträge für die Handvoll Tomaten und das Pfund Erdbeeren auf ein Stück Papier gekritzelt werden und die Münzen und Scheine in der Geldkassette landen. Die geplante Aufrüstung der elektronischen Kassensysteme bringt zudem wenig, wenn etwa das verkaufte Eis schlichtweg nicht eingebucht wird. Gegen solche Betrügereien helfen nur eine Pflicht zur Belegausgabe und eine Finanzpolizei, die eine nennenswerte Zahl von Eisessern kontrolliert. Aber so weit ist man dann offenbar doch noch nicht in Deutschland. 64
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