Examensklausurenkurs PD Dr. Felix Hanschmann Sommersemester 2016 Klausur am 11. Juni 2016 Sachverhalt Der „Islamisch‐Türkische Verband für Religion“ (ITVR), ein eingetragener Verein, der sich religiösen, kulturellen, sozialen und politischen Aktivitäten widmet, möchte in der baden‐württembergischen Stadt P eine Moschee errichten. Teil der geplanten Moschee soll auch ein Minarett sein, an dessen Außenwand eine Lautsprecheranlage für den aus Rücksichtnahme nur dreimal täglich stattfindenden und jeweils ca. 2 Minuten dauernden Gebetsruf durch den Muezzin angebracht werden soll. Ein Be‐ bauungsplan besteht für das Gebiet, in dem die Moschee errichtet werden soll, nicht, jedoch fügt sich die Moschee gut in die vorhandene Bebauung ein. Trotz heftiger Widerstände gegen den Bau der Moschee, der sich in der Stadt P unmittelbar nach Bekanntwerden des Bauvorhabens formiert, wird dem ITVR die beantragte Baugenehmigung erteilt. Allerdings ist der Baugenehmigung ein als Auflage bezeichneter Zusatz beigefügt, der die Anbringung einer Lautsprecheranlage untersagt. Nach Meinung der die Baugenehmigung erteilenden Behörde ist es für das friedliche Zusammenleben der Bewohner der Stadt P abträglich, wenn der Muezzin drei Mal am Tag durch Lautsprecher verstärkt zum Gebet rufen würde. Gegen diese Auflage klagt der ITVR, nach erfolgloser Durchführung eines Widerspruchsverfahrens, zunächst erfolglos vor dem Verwaltungsgericht, sodann in zweiter Instanz ebenso erfolglos vor dem VGH. Nach Auffassung des VGH, der die Revision zum BVerwG nicht zulässt, ist die Religionsfreiheit des Vereins durch das Verbot, eine Lautsprecheranlage anzubringen, nicht berührt, da es dem Verein unbenommen sei, Gottesdienste und Gebete innerhalb der Räume der Moschee ungestört abzuhal‐ ten. Zudem entbinde die Religionsfreiheit nicht von der Beachtung des allgemeinen Ordnungsrechts. Angesichts des bereits aufgeheizten Klimas innerhalb der Stadt P, müsse darüber hinaus damit ge‐ rechnet werden, dass die über Lautsprecher erfolgenden Gebetsaufrufe zu einer weiteren Eskalation der Situation bis hin zu Gewaltakten in unmittelbarer Nähe der Moschee führen. Auch Angriffe auf die Moschee selbst sowie auf die die Moschee besuchenden Gläubigen könnten nicht ausgeschlossen werden. Hierin liege eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, die im Rahmen des Baugenehmi‐ gungsverfahrens zu berücksichtigen sei. Daneben sei aber auch eine Gefahr für die öffentliche Ord‐ nung gegeben, weil das Rufen des Muezzins in einer durch christliche Traditionen geprägten Umge‐ bung mit den Wertvorstellungen der überwiegenden Anzahl der Bewohner der Stadt P unvereinbar sei. Da der Bau der Moschee zudem unmittelbar an einer Hauptverkehrsstraße geplant sei, bestünde darüber hinaus schließlich die Gefahr, dass durch das Rufen des Muezzins Verkehrsteilnehmer_innen derart verschreckt würden, dass es zwangsläufig zu Verkehrsunfällen kommen müsse. Jedenfalls aber erhöhe sich die Unfallgefahr deutlich. Gegen das Urteil des VGH erhebt der ITVR fristgerecht Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfas‐ sungsgericht in Karlsruhe. Die Verfassungsbeschwerde, die dem Bundesverfassungsgericht per Fax übermittelt wird, ist von Imam als satzungsmäßigem Vorstand des Vereins unterzeichnet. Nach Auf‐ fassung des ITVR stellt der öffentliche Aufruf zum Gebet einen wesentlichen Bestandteil der islami‐ schen Religion dar. Außerdem würden, was zutreffend ist, die Grenzwerte der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) eingehalten. Würden, wie vom VGH angenommen, tatsächlich Ausschreitungen drohen, sei es die Aufgabe der zuständigen Behörde, die Religionsausübung zu schützen. Dieser Pflicht könne man sich nicht einfach dadurch begeben, dass man den Gebetsruf verbiete. Schließlich sei der Ruf des Muezzin auch nicht lauter als das Glockengeläut der in der Nähe der Moschee befindlichen katholischen Kirche, der man indes nicht den Vorwurf mache, zu einem erhöhten Unfallrisiko beizutragen. Bearbeitervermerk: 1. Erstatten Sie ‐ ggf. hilfsgutachtlich ‐ ein umfassendes Gutachten zu den Erfolgsaussichten der vom ITVR erhobenen Verfassungsbeschwerde. Auf das Annahmeverfahren gemäß § 93a BVerfGG und die Anhörungsrüge gemäß § 152 a VwGO ist nicht einzugehen. 2. Erläutern Sie Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten zwischen dem gesetzlich angeordneten Anbrin‐ gen eines Kreuzes in der staatlichen Schule einerseits und dem Tragen eines Kopftuches durch eine Lehrerin in der staatlichen Schule andererseits im Hinblick auf den Grundsatz der staatlichen Neutra‐ lität. ‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐ Bearbeitungszeit: 5 Stunden Zugelassene Hilfsmittel: a) Schönfelder, Deutsche Gesetze oder Nomos Gesetze Zivilrecht und Strafrecht b) Sartorius Bd. I, Verfassungs‐ und Verwaltungsgesetze der Bundesrepublik Deutschland oder Nomos Gesetze Öffentliches Recht c) Dürig, Gesetze des Landes Baden‐Württemberg d) dtv‐Beck‐Texte Nr. 5014, Europa‐Recht oder Sartorius Bd. II, Internationale Verträge – Europarecht
© Copyright 2024 ExpyDoc