“Der Riese mit den tönernen Füßen...” Trotzki über Amerika Die USA stiegen im 20. Jahrhundert zur stärksten ökonomischen und militärischen Supermacht der Menschheitsgeschichte auf. Leo Trotzki verfolgte diesen Aufstieg mit großem Interesse. Seine Artikel aus den 20ern bieten noch heute wichtige Anhaltspunkte zum Verständnis der Rolle der USA in dieser Welt. 1. Das amerikanische Kapital will sich eine exponierte Stellung schaffen, es will einen amerikanischen imperialistischen Absolutismus auf unserem Planeten verwirklichen - das ist sein Ziel. 2. In der Tat, was tut jetzt die Sozialdemokratie Deutschlands und Frankreichs, was machen jetzt die Sozialisten von ganz Europa? Denken wir uns in die Lage hinein. Sie erziehen jetzt sich und wollen auch die Arbeitermassen in der Religion des Amerikanismus erziehen. Das bedeutet nicht, dass sie alle Presbyterianer und Qäker geworden sind, das heißt vielmehr, dass sie aus Amerikanismus, aus der Rolle des amerikanischen Kapitals in Europa eine neue “politische Religion” machen. 3. Die europäische Sozialdemokratie verwandelt sich vor unseren Augen in einen politischen Agenten des amerikanischen Kapitals. Kommt das erwartet oder unerwartet? Wenn man sich erinnert, dass die Sozialdemokratie eine Agentur der Bourgeoisie geworden ist, so wird es klar, dass die Sozialdemokratie, kraft ihrer politischen Entartungslogik zum Agenten der stärksten und mächtigsten Bourgeoisie, der Bourgeoisie aller Bourgeoisien werden musste. Und das ist eben die amerikanische Bourgeoisie. 4. In Europa ist es der Friedensstifter, der gute, nüchterne Mann. Und dann - die Macht des amerikanischen Kapitals, dieser ungeheure, immense, unvorstellbare, noch nie in der Geschichte dagewesene Reichtum, der dem Kleinbürger imponiert, der auch dem Sozialdemokraten imponiert. Eine Bemerkung in Parenthese: Ich hatte im letzten Jahr öfters Gelegenheit, mit einigen amerikanischen Senatoren der republikanischen und demokratischen Partei dienstlich zu sprechen. Dem Äußeren nach müssen das dunkle Provinzler sein. Ich bin nicht sicher, ob sie die Geographie Europas kennen. 5. Die USA haben die große Weltbahn betreten und dringen überall vor. Das vollzieht sich streng “pazifistisch”, d.h. einstweilen noch ohne Anwendung von Waffenmacht, “ohne Blutvergießen” - wie die heilige Inquisition zu sagen pflegte, wenn sie die Menschen lebendig auf dem Scheiterhaufen verbrannte. Diese Expansion ist “friedlich”, weil die Gegner sich vor dem neuen Machtfaktor zähneknirschend zurückziehen und einen offenen Konflikt vermeiden. Das ist das Wesen der “pazifistischen” Politik der Vereinigten Staaten. Ihr Hauptinstrument ist jetzt das Finanzkapital. 6. Gerade deshalb, weil die Vereinigten Staaten die ganze Welt in eine steigende Abhängigkeit von sich bringen, geraten die sie mit jedem Tage mehr in ein Abhängigkeitsverhältnis zu eben dieser Welt mit allen ihren Widersprüchen und bedrohlichen Erschütterungen. (...) Ich sprach von der Machtstellung der Vereinigten Staaten gegenüber dem geschwächten Europa und den wirtschaftlich zurückgebliebenen kolonialen Völkern. Aber diese Machtstellung US-Amerikas ist gleichzeitig seine Achillesferse, denn sie bringt eine wachsende Abhängigkeit von wirtschaftlich und politisch unbeständigen Ländern und Kontinenten mit sich. 7. Die Vereinigten Staaten können in diesem Sinne die grundlegende gegenrevolutionäre Kraft der Geschichte werden; ja, sie beginnen schon es zu sein. Das können jene Philister nicht begreifen, die das Problem mit angeblich “demokratischen” Prinzipien, pazifistischen Phrasen und ähnlichem Unsinn zu lösen glauben. 8. Der Marineminister Wilbur verkündet jetzt bei dem nationalen Fest des amerikanischen Militarismus, dass in verschiedenen Weltteilen die Leidenschaften gegen die Amerikaner aufgepeitscht würden und dass nichts geeigneter sei, diese Leidenschaften zu kühlen als ein kaltes Stück Stahl. alle Zitate aus: Leo Trotzki, Europa und Amerika, Arbeiterpresseverlag (bei der Redaktion erhältlich) www.derfunke.at
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