Predigt vom 12. Juni - Hoffnungskirche zu Pankow

Evangelische Hoffnungskirchengemeinde Berlin-Pankow
PREDIGT im Gottesdienst am 12. Juni 2016 in der Hoffnungskirche
(Textgrundlage: 1. Timotheus 1, 12-17)
von Anneliese Kaminski
Liebe Gemeinde,
Für mich gehören das erste und das zweite Kapitel im Brief des Paulus an Timotheus zu den
zentralen Texten unseres christlichen Glaubens. Es sind drei Aussagen, die fundamental sind
für unsere Aufgabe als Christen: die Liebe aus reinem Herzen, die Barmherzigkeit und dass
Gott will,dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.
Bei den ökumenischen Tagen haben wir in diesem Jahr besonders über die Liebe
nachgedacht. Sie ist das Fundament der Kirche.
Paulus schreibt in seinem Brief an Timotheus als Gruß:" Gnade, Barmherzigkeit, Friede von
Gott, dem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus." (Vers 2)
Wer die Tageszeitung liest, wird das Wort Barmherzigkeit nicht finden. Es gehört nicht zu
unserer Alltagssprache. Es klingt wie ein Fremdwort. Zu lesen war es aber , als Papst
Franziskus im Advent 2015 für 2016 das Jahr der Barmherzigkeit ausrief.
Barmherzigkeit – Wer das deutsche Wort betrachtet, entdeckt zwei wesentliche Worte darin:
das Herz und die Armen. Das ist schon wie eine Botschaft: Wende dein Herz den Armen zu!
Barmherzigkeit ist also nicht nur Gefühl, Wärme, sondern Aufforderung zum Handeln für die
Anderen, die mich brauchen. Das heißt, den Blick öffnen für das, was notwendig ist. Ein Herz
für die Armen haben, ist kein Empfinden, sondern eine Tat.
Im Alten Testament wird deutlich: Wem Gott Barmherzigkeit zuteil werden läßt, dem
gewährt er Vergebung der Sünde.Erbarmen ist ein Merkmal Gottes.
Paulus bekennt das deutlich, wenn er schreibt:" der ich zuvor war ein Lästerer und ein
Verfolger und ein Frevler; aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich habe es
unwissend getan im Unglauben." (Vers 13)
Paulus beschönigt nichts, er legt seine Vergangenheit offen. Er war ein fanatischer
Christenverfolger. Aber Jesus wendet seinen Weg.
Das bringt mich immer wieder zum Staunen über Gott. Er hat Erbarmen mit den
Schuldiggewordenen und wendet ihr Schicksal.
Aus einem Christenverfolger Saulus wird Paulus, der große Apostel, dem die Heilsbotschaft
anvertraut wird.
Ich denke an Petrus, den besonders eifrigen Jünger, der in der Passionsgeschichte zum
Verräter Jesu wird. Damit hat er sich nach menschlichem Ermessen unmöglich gemacht für
weitere Aufgaben.
Und was tut Jesus nach der Auferstehung ? Er fragt ihn dreimal:" Hast du mich lieb?" Und als
Petrus fast untröstlich antwortet:" Ja, Herr, du weißt es." - er erinnert sich genau an sein
Versagen - , da beauftragt Jesus diesen Petrus mit seinem Evangelium und sagt:" Weide
meine Schafe."
Zwei Versager und zwei, die Gott in seinen großen Heilsplan aufnimmt.
In der Lesung haben wir die Geschichte vom Verlorenen Sohn gehört. Auch dies ist eine
Schlüsselerzählung von Gott, dem großen Erbarmer.
Wer schuldig geworden ist und umkehrt, um Vergebung bittet, darf die Barmherzigkeit Gottes
erfahren. Und es wird sogar kräftig gefeiert aus Dank für die Heimkehr des Sohnes.
Aber es freuen sich nicht alle, heißt es. Der ältere Bruder hat überhaupt kein Verständnis
dafür, wie der Vater handelt, dass der Taugenichts zurückkommt und auch noch gefeiert wird.
Erkennen wir uns vielleicht auch in diesem älteren Bruder wieder? Wir sollten ehrlich mit uns
sein.
Auch das Alte Testament kennt den Zorn des gläubigen Menschen, wenn Gott sich des
Sünders erbarmt. (Anselm Grün)
Vielleicht erinnern Sie sich an Jona, der gerettet wird aus Seenot und von einem Wal
verschluckt und dann ausgespien wird. Er hält der Stadt Ninive im Auftrag Gottes eine
Strafpredigt wegen der vielen Sünde dort. Und er erwartet dann die Bestrafung durch Gott,
eine Vernichtung aller Einwohner der Stadt. Aber Gott erbarmt sich. Und Jona? Er ist voller
Zorn über Gottes Erbarmen. Jona wollte Gerechtigkeit nach seiner Lesart, und die hieß
Vernichtung.Der barmherzige Vater aber lädt zum Leben ein, zu einem Fest der Freude!
Es wäre so wichtig für unsere Gesellschaft – auch global – den Geist des selbstlosen Helfens
zu üben und abzukommen von der Devise, dass nur zählt, was sich rechnet. Solche Haltung
vergiftet unser Zusammenleben.
Das Doppelgebot der Liebe im Neuen Testament fordert uns dazu auf, das Ja zum anderen
und zu uns selbst zu sprechen. Ich brauche immer wieder die Erneuerung meiner Kräfte, um
Kraft zu haben, mich für andere einzusetzen.
Für die Hilfsorganisationen Caritas und Diakonie gilt: Sie dürfen nicht zu Konzernen werden,
um ihren Markt wachsen zu lassen! Hier sollten wir als Kirche sehr wachsam sein und uns
immer neu kritisch hinterfragen.
Paulus, der Versager, zählt vor Gott und wird in seinen Dienst genommen. Menschen mit
einer schwierigen Vergangenheit, auch mit Schuld und Zweifel haben vor Gott eine Zukunft.
Ist das gerecht? Wird so nicht alles eingeebnet und verharmlost? So fragen viele, auch wir.
Ein gutes Beispiel für die Gerechtigkeit Gottes wird uns im Gleichnis von den Arbeitern im
Weinberg erzählt (Matthäus 20, 1-16).
Am Ende des Arbeitstages kommt die große Überraschung. Denn die Arbeiter, die zuletzt
Arbeit bekommen haben, nur eine Stunde gearbeitet haben, erhalten vom Besitzer des
Weinbergs denselben Lohn wie die, die den ganzen Tag geschuftet haben. Horrendes
Unrecht? Nein, sagt der Herr des Weinbergs, denn jeder hat erhalten, was ich zugesagt habe,
einen Groschen.
Dazu muss man wissen, dass ein Silbergroschen ausreichte, um eine Familie einen Tag lang
zu ernähren. Das ist kein Überfluss, aber Lohn zum Leben.
Wie sähe unsere Welt heute aus, wenn alle Menschen s o entlohnt würden?
Ich denke zurück an die Zeit der Wende vor 26 Jahren. Alles war im Umbruch, und die
politischen Verhältnisse waren völlig verändert.
Margot und Erich Honecker waren geächet, sie hatten nicht einmal mehr eine Bleibe zum
Wohnen. Geschieht ihnen recht, wurde von vielen gesagt. Was haben sie anderen Menschen
nicht alles angetan!
Und dann nahm der Pfarrer in Lobetal beide für einige Wochen in sein Pfarrhaus auf. Das war
auch in Lobetal nicht unumstritten. Aber die evangelische Kirche zeigte, worauf es in der Not
ankommt: dem anderen helfen, auch dem Feind, auch dem Unsympathischen, auch dem
Schuldigen!
Das macht innerlich frei. Dank sei Gott für solche Beispiele! Dann können wir mit Psalm 23
beten:" Du bereitest vor mir einen Tisch...Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein
Leben lang."
Solche Bilder vom Festmahl gibt es viele in der Bibel, besonders im Neuen Testament.
Jesus hält Mahl mit den Sündern, mit den Ausgestoßenen. Er nimmt sie an und auf. Er lädt
alle ein, die mühselig und beladen sind.
Ich denke an die vielen Flüchtlinge in Europa und bei uns in Deutschland. Wie gehen wir mit
ihnen um? Schieben wir die Verantwortung ab auf die Politiker? Oder begegnen wir den
einzelnen, die zu uns kommen, als Brüder und Schwestern? In unserem kleinen Umfeld
können wir viel für gute Stimmung und Offenheit sorgen und aller Hetze ein Nein
entgegensetzen. Wir sollten nicht von vornherein die notleidenden Menschen nach Religionen
sortieren, auch wenn die Integration von Christen sicherlich einfacher ist als die von
Muslimen. Aber auch für sie gibt es offene Angebote.
Als Papst Franziskus im April auf der griechischen Insel Lesbos war, um seine Solidarität zu
bekunden und deutlich auszusprechen:" Flüchtlinge sind keine Nummern, sondern Menschen
mit Gesichtern und Geschichten", hat er es durchgesetzt, ein kleines Zeichen der Hoffnung zu
setzen, und drei syrische Familien mit nach Rom genommen – keine Christen, sondern
Muslime! Sie sind nun untergebracht in der Kommunität Sant Egidio, einer kirchlichen
Organisation. ( Übrigens ist Barmherzigkeit auch im Islam von großer Bedeutung. Fast alle
Suren im Koran beginnen mit dem barmherzigen Gott. So beginnt die erste Sure:" Im Namen
Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen.")
Barmherzigkeit ist ein wunderbares Schlüsselwort für Gott und sollte es auch für seine Kirche
sein!
In seinem Buch "Gerechtigkeit. Ohne Barmherzigkeit?" hat Walter Kardinal Kasper wichtige
theologische Gedanken formuliert. Darin sagt er u.a., dass die Gründer des neuen Europa nach
dem zweiten Weltkrieg nicht das Aufrechnen der Schuld betont haben, sondern einen
Neuanfang mit Barmherzigkeit.
Heute ist die Zeit der Barmherzigkeit für die Kirche – nicht der richtende und strafende Gott!
"Der Blick der Barmherzigkeit ist der Blick von unten...Es kommt darauf an, dass wir immer
zunächst den Menschen sehen, ihn nicht einsortieren." ( so Wolfgang Huber in einem
Gespräch mit Kardinal Kasper)
Wir brauchen heute eine Willkommenskultur vor Ort für die Flüchtlinge. Das ist wichtiger als
große politische Worte!
So wollen wir Brücken der Barmherzigkeit bauen. Dann entsteht eine Brücke des Lebens,
eine Brücke des Segens! Amen.
Es gilt das gesprochene Wort.