Freiraumqualität 185 / 3-2016

K 5158
Mai/Juni 2016
RaumPlanung
Fachzeitschrift für räumliche Planung und Forschung
Freiraumqualität
Weitere Themen:
- Demografie-IBA
- … aber hier leben – nein, danke!
185 / 3-2016
Editorial
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
liebe IfR-Mitglieder,
als Landschafts- und Freiraumplaner und frisches Mitglied des IfR-Vorstands freue ich mich ganz besonders über diese neue Ausgabe der RaumPlanung. Denn am Schwerpunktthema „Freiraumqualität“ lässt sich eine
Vielzahl aktueller Herausforderungen der Stadtentwicklung ablesen –
Stadtentwicklung ist Freiraumentwicklung. Ohne qualitätvolle Freiräume
gibt es keine lebenswerten Städte. Diese Erkenntnis ist spätestens seit der
Industrialisierung und dem explosionsartigen Wachstum der Städte ein
fester Bestandteil des planerischen Bewusstseins.
Auch heute stellt sich mit neuer Aktualität die Frage, wie Freiräume und
Grünstrukturen in den Städten erhalten, entwickelt und gestaltet werden können. Der vielerorts stärker werdende Siedlungsdruck rückt die
Frage nach dem ökonomischen Wert und den sozialen Qualitäten von
Freiflächen in den Mittelpunkt, Prozesse der sozialen Polarisierung führen zu wachsenden Herausforderungen an die umweltgerechte Stadt,
ebenso stellt sich die Aufgabe, die Stadt auch als Lebensraum für Tiere
und Pflanzen in Wert zu setzen. Der Klimawandel ist bereits heute ein
„Megathema“; hier können Grünstrukturen Entscheidendes zur Abmilderung der Folgen leisten.
Freiraumentwicklung dreht sich aber nicht nur um die Frage der Quantität
von Freiräumen in der Stadt, sondern auch die der Qualität. Deren Definition ist wiederum sehr häufig von nicht zu unterschätzender Komplexität.
Die Vorstellungen und Perspektiven unserer Autorinnen und Autoren liefern hier differenzierte und spannende Beiträge zur Diskussion.
In diesem Sinne grüße ich Sie herzlich und wünsche eine anregende Lektüre der neuen Ausgabe der RaumPlanung!
Ulrich Berding, Mitglied des Vorstands IfR e.V.
RaumPlanung 185 / 3-2016
3
Freiraumqualität
Schwerpunkt
6 Doris Gstach, Christian Poßer:
Facetten von Freiraumqualität
44 Uwe Grelak, Peer Pasternack:
Demografie-IBA
8 Fabian Dosch, Ulrike Neubauer:
Kennwerte für grüne Infrastruktur
50 Rüdiger Hamm, Angelika Jäger,
Katja Keggenhoff:
… aber hier leben – nein, danke!
16 Anne-Gela Oppermann,
Bettina Oppermann:
Freiraumqualität gibt es
nur im Plural
22 Robin Kähler:
Freiräume sind immer
auch Bewegungsräume!
30 Markus Liesen, Börries v. Detten:
Qualität im Gefüge der Stadt
36 Maria Brückner, Jan Korte:
Neue Liebe für die Berliner Mitte!
4
Weitere Themen
RaumPlanung 185 / 3-2016
Rubriken
3 Editorial
56 Notizen
60 Campus
Bachelorarbeit:
Potenziale gründerzeitlicher
Blockinnenbereiche als
grüne Oasen in der Stadt
65 Rezensionen
66 IfR Intern
73 Kalender
74 Impressum
Facetten von
Freiraumqualität
I
n einer Zeit, in der der „Wissenschaftliche Beirat der
Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“
einen Gesellschaftsvertrag für eine „Große Transformation“ im Sinne der Nachhaltigkeit fordert und das
zuständige Bundesministerium mit dem Weissbuch „Grün
in der Stadt“ an Freiraum-Qualitätskriterien für einen
bundesweiten Gebrauch feilt, fehlt dem Freiraum auf der
Mikroebene, im täglichen kommunalen Planungshandeln
in vielen Fällen weiterhin eine durchsetzungsfähige
Lobby. Liegt es daran, dass wir eigentlich gar nicht genau
wissen, was unter Freiraumqualität zu verstehen ist?
Qualität, ein an sich interpretierbarer und weitgefasster Begriff, bleibt durch die Verschränkung mit den vielfältigen Möglichkeiten aber auch Anforderungen in Bezug auf Freiräume
tatsächlich unscharf. Erst recht, wenn wir diese Qualität messen, prüfen oder vergleichen wollen. Das versuchen Freiraumund Stadtplaner seit Generationen. Ob die V-Wert-Diskussion
in den 1970er Jahren zur Bestimmung der Erholungsqualität
landschaftlich geprägter Freiräume oder eine quadratmeterabhängige Grünversorgungszahl pro Einwohner in der Stadtentwicklung, Zahlen wurden genannt, Methoden der Bewertung
entwickelt, verworfen und verändert. Diese Suchbewegungen
machen deutlich, dass es nicht um die eine Qualität geht, sondern dass damit eine Vielfalt von Facetten angesprochen wird.
Die Grundfragen jedoch bleiben: Welche Freiraumqualitäten
benötigen wir heute wo und warum und woran messen wir
diese? Und vor allem: Wie sehen praxistaugliche Antworten
auf diese vielfältigen Anforderungen aus?
Bereits Paragraph 1 des Bundesbaugesetzbuches verweist darauf, dass es um Nutzbarkeit und Umweltaspekte ebenso geht
wie um gestalterische Qualitäten. Letztlich definieren sich
Freiraumqualitäten insbesondere darüber, wie gut es gelingt,
zeitspezifische Anforderungen und Funktionen zu erfüllen und
gerade in dieser Hinsicht sind die Erwartungen heute höher
gesteckt denn je: Freiräume sollen Quartiere in schrumpfen-
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den Städten stabilisieren, den Klimawandel abpuffern, Raum
für Eigeninitiative bieten, das soziale Miteinander angesichts
zunehmender Polarisierungen befördern, Stadtnatur beheimaten und unserer Baukultur Ausdruck verleihen. Angesichts
wieder wachsender Städte und damit verbundener Nachverdichtungen und Flächenbeschränkungen sollen sich diese
vielfältigen Ansprüche darüber hinaus auf möglichst kleinem
Raum überlagern lassen. Dieser Diskurs erhält vor dem Hintergrund der Erarbeitung des erwähnten Weissbuches „Grün
in der Stadt“ derzeit besondere Aufmerksamkeit.
Nachdem sich das Heft 4-2015 der RaumPlanung dem
Schwerpunktthema „Grünstrukturen in urbanen Räumen“
eher der Quantität von grünen Freiräumen gewidmet hat,
legt das vorliegende Heft nun den Fokus auf die Qualität
von freien Räumen und mögliche Kriterien zu deren Beurteilung bzw. auf Wege, diese zu erreichen. Es soll der Bogen
gespannt werden von aktuellen Diskussionen um die Bewertung von Versorgungsgraden über neuartige Nutzungstrends
bis zu Handlungsansätzen, die geeignet erscheinen, gegenwärtigen Anforderungen in der Praxis gerecht zu werden.
Im ersten Beitrag beleben Ulrike Neubauer und Fabian Dosch
den Themenbereich der Richt- und Orientierungswerte in der
Freiraumplanung neu. Messbarkeit von Bestand und Bedarf öffentlichen Grüns, seit vielen Jahrzehnten diskutiert, im Wechsel
der städtebaulichen und freiraumplanerischen Leitbilder periodisch immer wieder auftauchend, werden bis heute auch immer wieder in Frage gestellt. Entfacht durch die Prozesse der
Re-Urbanisierung und den Blick auf Freiraum als „Grüne Infrastruktur“ gewinnt diese Fragestellung, wer wieviel Freiraum
benötigt, wieder an Aktualität. Die beiden Autoren geben dazu
einen kurzen historischen Überblick, verorten das Thema neu,
fassen definitorische Grundlagen zusammen, benennen zur Zeit
laufende Forschungsvorhaben und schauen dabei auch über die
bundesrepublikanischen Grenzen nach Österreich. Der Blick in
die Zukunft zeigt die Notwendigkeit weiterer Forschung auf.
Facheditorial
Alle Beiträge zeigen, dass das Thema Freiraumqualität vor
dem Hintergrund aktueller Entwicklungen im urbanen Raum
wieder stark an Bedeutung und Aufmerksamkeit gewonnen
hat und dass der Facettenreichtum an Aspekten, die Qualität
bestimmen und ausmachen, weiter zunimmt. Es wird aber
gleichzeitig deutlich, dass erst im Zusammenspiel zwischen
diesen vielfältigen Facetten etwas geschaffen werden kann,
das wir Freiraumqualität nennen können.
© Doris Gstach
Einen etwas anderen, ungewöhnlichen Weg, sich dem Thema
zu nähern, gehen Bettina Oppermann und Anne-Gela Oppermann. In einem Gespräch über „diskriminierungsfreie Freiräume für eine bunte Gesellschaft“ loten eine Freiraumplanerin
und eine Diversity-Beraterin das Potenzial und die Herausforderungen zur Verbesserung von Freiräumen unter Berücksichtigung der Unterschiedlichkeit von Ansprüchen und Wahrnehmungen aus. Zentraler Punkt dieses Artikels ist die These, dass
Diversity-Strategien in der Freiraumplanung noch kaum Anwendung finden. Beleuchtet werden, neben der fachlich-freiraumplanerischen Dimension, vor dem zunehmend relevanten
Integrationsanspruch zuwandernder Bevölkerungsgruppen
auch ethnologisch und kulturwissenschaftlich fundierte
Standpunkte. Gendersensible Planung und Gestaltung, aber
auch Beteiligungskonzepte und Sicherheitsaspekte werden
auf den Prüfstand einer „Diversity-Dimension“ gestellt.
Robin Kähler verdeutlicht in seinem Beitrag aus Sicht eines langjährig forschenden Bewegungsraumplaners das
Essenzielle der freien Räume für die unterschiedlichsten
Bewegungsansprüche der Bevölkerung. Angesichts der Tatsache, dass neben klassischen, meist vereinsgebundenen
monofunktionalen Sportfreiräumen zunehmend öffentliche
Freiräume für unterschiedlichste Bewegungsaktivitäten genutzt werden, scheint auch ein neuer Umgang mit diesen
Alltagsräumen notwendig. Der Beitrag beleuchtet drei bewegungsraumrelevante Freiraumqualitäten und skizziert
Konsequenzen, die sich für eine diesem aktuellen Trend
Rechnung tragende Freiraumplanung ergeben.
Der Artikel von Maria Brückner und Jan Korte beschreibt einen
innovativen Dialogprozess, bei dem 2015 die Berlinerinnen
und Berliner Leitlinien zur weiteren Zukunft der bis dahin kontrovers diskutierten Nutzung eines Ortes im Zentrum der Bundeshauptstadt erarbeitet haben. Eine klare Richtung, ob der
Platz für eine Neu- bzw. Wiederbebauung oder eine Freiraumnutzung aktiviert werden soll, war bis dahin nicht erkennbar.
Die Autoren beschreiben die Anwendung eines „crossmedialen Konzeptes“ für den Beteiligungsprozess, an dem mehrere
Tausend Bürgerinnen und Bürger mitgewirkt haben. Die gemeinsam erarbeiteten und auch von der Politik akzeptierten
„Bürgerleitlinien“ sollen zukünftig der weiteren Entwicklung
dieser zentralen Fläche in Berlin vorangestellt werden.
Abschließend geben Markus Liesen und Börries v. Detten
Einblick in einen informellen Prozess, den die Stadt Freiburg
i.Br. seit 2014 vorantreibt. Im „Perspektivplan Freiburg“ sollen
Siedlungs- und Freiräume in der Gesamtplanung gemeinsam
betrachtet und entwickelt werden, um das starke Stadtwachstum zukunftsfähig gestalten zu können. Im Zuge von Nachverdichtungen gilt es nicht nur bestehende Freiraumqualitäten zu erhalten, sondern auch neue Wege der Inwertsetzung
bestehender freier Räume auszuloten. Dieses „Ringen mit
sich selbst“ beschreiben die Autoren aus der Innensicht, als
Projektleiter und Landschaftsplaner, sowie aus der Aussensicht als externer Freiraumplaner, sehr eindrücklich und unterlegt mit Beispielen zur Stimmungslage der Bevölkerung.
Doris Gstach, 1968, Prof. Dr.-Ing., Fachgebiet Freiraumplanung – Landschaftsplanung, Fakultät Architektur und
Stadtplanung, Fachhochschule Erfurt
Christian Poßer, 1962, Dr.-Ing. Dipl.
Ökologe, Landschaftsarchitekt
AKNW
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