Sehr geehrte Damen und Herren, vielen Dank für Ihre E-Mail zum Freihandelsabkommen mit Kanada (CETA). Sehr gerne nehme ich zu Ihren Fragen und Sorgen Stellung. Der Entwurf des CETA-Textes ist unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2014/september/tradoc_152806.pdf öffentlich einsehbar. Derzeit liegt der Text nur auf Englisch vor, die Übersetzung in alle EUSprachen ist in Arbeit. Die weitere Vorgehensweise ist die Folgende: Nach Abschluss der Übersetzung in alle EU-Amtssprachen wird die Europäische Kommission den Text an das Europäische Parlament und den Rat der Europäischen Union übermitteln. Ein Beschluss des Rates über die Unterzeichnung und vorläufige Anwendung des Abkommens könnte im Herbst 2016 gefasst werden. Danach wird die Zustimmung des Parlaments eingeholt, eine vorläufige Anwendung kann erst nach Zustimmung des Parlaments eintreten. Dies ist zwar nicht im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vorgeschrieben, entspricht aber gängiger Praxis und sichert somit die demokratische Legitimierung, da die vorläufige Anwendung nur die Teile von CETA betrifft, für die die EU die ausschließliche Zuständigkeit inne hat, so dass die entsprechende parlamentarische Instanz das Europäische Parlament ist. Vorläufig angewendet werden können beispielsweise die Vereinbarungen zum Zollabbau und zur öffentlichen Auftragsvergabe, von denen EU-Unternehmen so schnell wie möglich profitieren können. Welche Teile von CETA die vorläufige Anwendung konkret umfasst, wird noch durch die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten geprüft und im Ratsbeschluss festgelegt. Die vorläufige Anwendung könnte im Falle von CETA in der ersten Jahreshälfte 2017 wirksam werden. Da davon auszugehen ist, dass es sich bei CETA um ein sogenanntes "gemischtes Abkommen" handelt, bei dem neben Kanada und der Europäischen Union auch die EUMitgliedsstaaten Vertragsparteien sind (ein entsprechendes Rechtsgutachten finden Sie unter http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/C-D/ceta-gutachten-einstufung-alsgemischtes-abkommen,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf), ist zur Annahme des Abkommens sowohl ein einstimmiger Beschluss aller Mitgliedsstaaten im Rat als auch eine Ratifizierung des Abkommens durch die nationalen Parlamente erforderlich. Die Teile des Abkommens, die in mitgliedstaatlicher Zuständigkeit liegen, können dementsprechend erst nach Ratifizierung durch alle Mitgliedstaaten in Kraft treten. Die nationalen Ratifizierungsverfahren werden erst nach Zustimmung des Europäischen Parlaments eingeleitet. Viele Sorgen bezüglich des Abkommens betreffen die demokratische Partizipation auf nationaler und europäischer Ebene, die im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerte Garantie der kommunalen Selbstverwaltung oder die demokratische und souveräne Gestaltung der Wirtschafts- und Sozialordnung. Hier möchte ich betonen, dass keine dieser Rechte oder Garantien durch CETA missachtet oder eingeschränkt werden: Bereits in der Präambel (CETA-Volltext, S. 3) ist beispielsweise klargestellt, dass das Abkommen als Ganzes sowohl die genannten Prinzipien als auch die Regulierungshoheit der Vertragsparteien komplett schützt. Ferner erlaubt das Grundgesetz ausdrücklich die Teilnahme Deutschlands am Prozess der Völkerrechtssetzung (vgl. Art 23 und 24 GG). Dazu gehört auch, Gremien zur Durchsetzung dieser Verpflichtungen beizutreten und die Rechtsprechung solcher Gremien zu respektieren. Die Welthandelsorganisation mit ihrem eigenständigen Streitbeilegungsverfahren (WTO Dispute Settlement Understanding) ist hierfür ein Beispiel. Entsprechende zukünftige Verpflichtungen aus CETA sind rechtlich nicht anders zu bewerten. Die Mitgliedsstaaten haben der Europäischen Union außerdem die alleinige Zuständigkeit für internationalen Handel übertragen. Deshalb kann sie als Völkerrechtsperson auch internationale Verträge mit Gerichtsbarkeit eingehen. Laut einem Gutachten von Dr. Stephan Schill (Volltext: http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/C-D/ceta-gutachteninvestitionsschutz,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf) „enthält CETA damit keine wesentlich über bestehende verfassungs‐ oder unionsrechtliche Vorgaben hinausgehende Bindungen des Gesetzgebers. Im Gegenteil, CETA bleibt in Kernpunkten hinter dem verfassungs‐ und unionsrechtlich erreichten Schutz von Investitionen zurück." Oft wird in diesem Zusammenhang auch die Sorge geäußert, dass durch die geplante „regulatorische Kooperation“ Gesetzesinitiativen zuerst mit dem Handelspartner diskutiert werden müssten. Auch hier ist die Realität eine andere: Unter diesem Stichwort versteht man lediglich den informellen Austausch der Regulatoren beider Seiten bei der Erstellung von neuen Standards. Unsere regulären Gesetzgebungsprozesse bleiben völlig unberührt. Von einer Art Vetorecht der Handelspartner über europäische Gesetze kann jedenfalls keine Rede sein. Im Gegenteil, durch den Dialog im Rahmen der Regulatorischen Kooperation kann in vielen Detailfragen oft dasselbe hohe Schutzniveau für Verbraucher erreicht werden, ohne dass auf beiden Seiten des Atlantiks verschiedene Bedingungen für den Marktzugang zu erfüllen sind. So können besonders mittelständische Unternehmen immense Kosten sparen und leichter Zugang zum kanadischen Markt erlangen. Unterscheiden sich die von den demokratischen Institutionen zuvor festgelegten Schutzniveaus, bleibt eine solche regulatorische Kooperation außen vor. Dementsprechend formuliert der CETA-Text auch die Ziele der regulatorischen Kooperation. Diese umfassen Schutz und Gesundheit von Mensch, Tier und Natur (CETA Volltext, Artikel 21.2, S. 173). Regulatorische Kooperation soll die verfolgten Schutzstandards also gerade nicht aushebeln, sondern fördern. Dies wird auch durch die Betonung der Rechte und Pflichten unter den bestehenden Abkommen, speziell dem Abkommen über gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen (SPS) unterstrichen (ebenfalls S. 173). Der Regulierungsausschuss hat im regulatorischen Bereich keine bindende Entscheidungsbefugnis und kann auch deshalb die Schutzstandards der Parteien nicht unterlaufen. Sie sprechen außerdem die viel diskutierten Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS) an. Die Befürchtung, dass Investitionsschutzklagen angestrengt werden können, sofern sich Änderungen des gesetzlichen Rahmens negativ auf die erwarteten Gewinne von Unternehmen auswirken – beispielhaft genannt sei an dieser Stelle der gesetzliche Mindestlohn – trifft dabei jedoch nicht zu. Geschmälerte Gewinnprognosen stellen keinen Klagegrund dar. Stattdessen muss im Rahmen einer Investitionsschutzklage der Nachweis geführt werden, dass das klagende Unternehmen durch den Staat, in dem es investiert hat, im Vergleich zu anderen Unternehmen derselben Branche gezielt benachteiligt oder gar entschädigungslos enteignet wurde. Wenn wir das Beispiel des Mindestlohns weiterverfolgen, findet eben keine solche Diskriminierung statt, da er nicht einseitig für einzelne Unternehmen, sondern für alle gleichermaßen gilt. Der für eine zulässige Klage notwendige Tatbestand ungleicher bzw. unfairer Behandlung Einzelner ist deshalb nicht gegeben. Genauso verhält es sich mit allen anderen gesetzgeberischen Handlungen. In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf das kürzlich verkündete Urteil der Klage des Tabakkonzerns Philip Morris gegen Australien hinweisen. Die Klage des Konzerns, der sich gegen die Tabak-Verpackungsvorschriften Australiens – aus Gesundheitsschutzgründen schreibt das Land abschreckende Bilder auf einer schlichten, einheitlichen Packung vor –, wurde abgewiesen. Dementsprechend heißt ein Schiedsgerichtsmechanismus noch lange nicht, dass ausländische Konzerne eine Art Vetorecht in der deutschen oder europäischen Gesetzgebung haben. Beim oft vorgebrachten Vorwurf der "Geheimgerichtsbarkeit" ist zu beachten, dass die Zusammensetzung der Schiedsgerichte sowie Daten zu Prozessverlauf und -Stand bereits zum jetzigen Zeitpunkt in der deutlichen Mehrzahl der Fälle durch jedermann nachvollzogen werden können, da diese oftmals bei internationalen Organisationen angesiedelt sind. In dieser Hinsicht bietet das bei der Weltbank angegliederte internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (engl. ICSID) detaillierte Informationen zu den derzeitig anhängigen Verfahren: https://icsid.worldbank.org/apps/ICSIDWEB/Pages/default.aspx. Bis heute hat die Bundesrepublik 139 Abkommen mit Schiedsgerichtssystem abgeschlossen – europaweit sind es gar über 1400. Bisher gab es zu diesem Mechanismus weder verfassungsmäßige Bedenken, noch hat er unsere demokratischen Prozesse beeinträchtigt oder eine der umfassendsten Gesetzgebungen weltweit in Sachen Verbraucher-, Umwelt- und Naturschutz behindert. Aus diesen und weiteren Gründen spricht sich auch Prof. Dr. Steffen Hindelang von der Freien Universität Berlin nach einer umfassenden Diskussion der Pro- und Contra-Argumente für die Beibehaltung dieses Instruments in Handelsverträgen der EU aus. Sie finden den Volltext der Studie in englischer Sprache unter http://www.jura.fu-berlin.de/fachbereich/einrichtungen/oeffentlichesrecht/lehrende/hindelangs/Studie-fuer-Europaeisches-Parlament/Hindelang.pdf. Dennoch haben sich die EU und Kanada in CETA für eine umfassende Reform des bisherigen Schiedsgerichtswesens entschieden und den 2014 in CETA vereinbarten Mechanismus im Zuge der rechtlichen Prüfung des Textes noch einmal verschärft. Alle wichtigen von der EU im November 2015 insbesondere auch für TTIP geforderten Punkte zur Reformierung des Schiedsgerichtswesens (siehe http://trade.ec.europa.eu/doclib/html/151918.htm) wurden in CETA integriert (siehe CETAVolltext ab S. 46): So wird unter anderem ausdrücklich das Recht öffentlicher Stellen auf Regulierung im öffentlichen Interesse gesichert, und der Vertragstext enthält eindeutigere und genauere Investitionsschutzstandards, d.h. Unklarheiten, die zum Missbrauch oder zur exzessiven Auslegung dieser Standards einladen konnten, wurden aus den in CETA festgelegten Regeln getilgt. Zudem wird in CETA eine unabhängige Investitionsgerichtsbarkeit in Form eines ständigen Gerichts mit von der EU und Kanada ausgewählten Mitgliedern und einem für die Überprüfung der Entscheidungen des Gerichts zuständigen Berufungsgerichts geschaffen. In Kombination mit einem klaren ethischen Kodex für die Mitglieder des Tribunals stellt dies sicher, dass Investitionsstreitigkeiten transparent und unparteiisch beigelegt werden. Weitere Kritik an CETA betrifft das Instrument der Negativlisten. In vergangenen Freihandelsabkommen hat die EU bereits sowohl Positivlisten (EUKOR mit Südkorea) als auch Negativlisten (CETA mit Kanada) angewendet. Die in diesem Zusammenhang oft kritisierten Sperrklauseln (Ratchet-Clauses) verhindern lediglich, dass Handelspartner in Bereichen, wo Verpflichtungen einvernehmlich eingegangen worden sind, nachträglich neue Handelsbarrieren einführen. Diese Bereiche werden in einem Annex des Abkommens explizit aufgelistet. Zusätzlich umfasst der Annex II (CETA-Volltext, ab S. 1192) die umfangreichen Bereichsausnahmen für europäische Standards, Dienstleistungen, Natur- und Verbraucherschutzmaßnahmen. Um öffentliche Dienstleistungen bereitzustellen und ein hohes Schutzniveau zu gewährleisten, können hier ohne Einschränkung staatliche Monopole errichtet, Aufträge an lokale Privatfirmen vergeben oder auch nationale Anbieter ausländischen Anbietern vorgezogen werden (CETA-Volltext, S. 1294). Außerdem können Liberalisierungen jederzeit zurückgenommen werden, da in diesem Annex die o.g. Sperrklauseln nicht gelten. Ich hoffe, dass ich Ihnen mit diesen Ausführungen weiterhelfen konnte. Weitere Informationen zum Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) finden Sie auf der Seite der Europäischen Kommission unter http://ec.europa.eu/trade/policy/in-focus/ceta/questions-and-answers/index_de.htm oder der Bundesregierung unter http://www.bmwi.de/DE/Themen/Aussenwirtschaft/ceta.html. Sollten Sie noch weitere Rückfragen haben, können Sie sich gerne wieder an mich wenden. Mit freundlichen Grüßen Dr. Dieter-L. Koch, MdEP
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