Kochen mit Blättern: Wildpflanzen aus der Stadt

Kochen mit Blättern: Wildpflanzen aus der Stadt kann man essen - DIE WELT
16.06.16 13:40
Wetter
Abo Anmelden
SUCHE
Home
ABONNEMENT
Politik
ICON
Wirtschaft
Geld
Sport
Wissen
Panorama
Feuilleton
ICON
Reise
PS WELT
Regional
Meinung
Videos
Markt
Kochen mit Blättern: Wildpflanzen aus der Stadt kann man essen
FACEBOOK
INSTAGRAM
PINTEREST
YOUTUBE
TWITTER
GOOGLE+
STILMAGAZIN
Ja, aus Buchen oder Fichten
kann man Essen machen
24.05.16
Von Anne Waak
Nach Wildkräutern sind nun Bäume dran. Aus Buchen, Fichten und Birken lassen
Alle Artikel von mir
Kontakt
sich wunderbare Gerichte machen. Ein Spaziergang mit einem WildpflanzenExperten, der auch Julia Roberts Terrasse begrünte.
Eins mit der Stadtnatur: der
Wildpflanzen Koch Maurice Maggi bei
der Ernte
http://www.welt.de/icon/article155638987/Ja-aus-Buchen-oder-Fichten-kann-man-Essen-machen.html
Seite 1 von 8
Kochen mit Blättern: Wildpflanzen aus der Stadt kann man essen - DIE WELT
16.06.16 13:40
Foto: Daniel Auf der Mauer
Ein wenig ist es, als hätte man eine neue Brille auf, mit der so eine europäische
Meistgelesene Artikel
Gegenverkehr besteht sie vor allem aus: potenziellem Abendessen, superfrisch
1.
YOJI TOKUYOSHI
Dieser japanische Koch
revolutioniert die italienische
Küche
2.
ESSAY
Was darf man heutzutage
überhaupt noch essen?!
3.
JASON DENHAM
Wenn aus der Leidenschaft für
Denim ein Beruf wird
4.
KÖRPERSPRACHE
Sechs Dinge, die Frauen beim
Flirten falsch machen
5.
LIEBESERKLÄRUNG
Großstadt auf einmal ganz anders aussieht. Statt Gebäuden, Geschäften und
und erntereif.
Und so bleibt man auf einem Zürich-Spaziergang mit Maurice Maggi vor Linden
stehen, vor Buchen, Ahornbäumen, Birken und Fichten. Maggi (italienisch mit
dsch ausgesprochen) mustert die Zweige, pflückt ein zartes Blatt und reicht es
einem zur Verkostung. Hat man sich einmal daran gewöhnt, Laub und Nadeln zu
essen – also nach zwei Minuten –, kommt einem die Frühlingsstadt vor wie ein
reicher Garten vor dem eigenen Haus, den man bislang einfach übersehen hat.
Man lernt: Junge Ahornblätter schmecken nussig, Rotbuche ein wenig wie
Sauerampfer, Fichtensprösslinge kaum nach Badezusatz, dafür frisch und
säuerlich.
http://www.welt.de/icon/article155638987/Ja-aus-Buchen-oder-Fichten-kann-man-Essen-machen.html
Seite 2 von 8
Kochen mit Blättern: Wildpflanzen aus der Stadt kann man essen - DIE WELT
16.06.16 13:40
Was wir von der USBachelorette lernen können
Wildpflanzen sind gesünder als Supermarkt-Gemüse
"Wildpflanzen haben ein Vielfaches mehr an Vitaminen, Mineral- und
Nährstoffen als gekauftes Gemüse", sagt Maggi. "Deswegen sind sie sättigender."
Der 60-Jährige ist Koch, gelernter Landschaftsgärtner und WildpflanzenExperte. Ein Guerilla-Gärtner "avant la lettre", sät und erntet er seit mehr als 30
Jahren im öffentlichen Raum. So wurde er von einem stillen Aktivisten, der
ungenutzte Flächen wild bepflanzte und damit gegen die Herbizid-Politik Zürichs
Neue Artikel
1.
JASON DENHAM
Wenn aus der Leidenschaft für
Denim ein Beruf wird
2.
YOJI TOKUYOSHI
Dieser japanische Koch
revolutioniert die italienische
Küche
3.
LIEBESERKLÄRUNG
Was wir von der USBachelorette lernen können
4.
ESSAY
Was darf man heutzutage
überhaupt noch essen?!
5.
EM 2016
Justin Biebers Säuselstimme
motiviert Mario Götze
anging, zu einem Aushängeschild, mit dem sich heute Stadtmarketing für ein
lebenswertes Zürich betreiben lässt.
Die Nutzung von dem, was Bäume ganz nebenbei hergeben, könnte ein kleiner
Teil des Modells werden, mit dem die Versorgung in Städten abseits der
Glyphosat-Landwirtschaft gelingen kann. In einer nahen Zukunft, in der die
Menschen von dem leben, was das unmittelbare Umland, Indoor-Farming und
die urbane Landwirtschaft auf Hausdächern, in Stadtgärten und auf Grünflächen
hergeben.
Foto: Daniel Auf der Mauer
Blättersalat aus Baumblättern und Wildkräutern
"Man sagt, dass das durchschnittliche Kind vor einhundert Jahren noch etwa 150
essbare Pflanzen kannte", erzählt Maggi. "Wenn das Essen zu Hause knapp war,
schickte man die Kinder raus, um sich ihre Nahrung selbst zu sammeln.
Kinderbrot hieß das." Wildpflanzen waren damals oft die einzige Möglichkeit,
etwas Frisches zu essen. In den Aufschwungjahren nach dem Zweiten Weltkrieg
hatte dann niemand mehr Lust, sich für seine Mahlzeiten zu bücken oder zu
strecken.
Während das Pilzesammeln auch bei uns, noch stärker aber in Osteuropa die
Jahrhunderte (und die Tschernobyl-Angst) überlebt hat und laut einer Studie
immer noch ganze 14 Prozent der Europäer regelmäßig im Wald Pilze und
Beeren sammeln, ging das Wissen um den Nutz- und Nahrungswert von Bäumen
irgendwann verloren.
http://www.welt.de/icon/article155638987/Ja-aus-Buchen-oder-Fichten-kann-man-Essen-machen.html
Seite 3 von 8
Kochen mit Blättern: Wildpflanzen aus der Stadt kann man essen - DIE WELT
16.06.16 13:40
Vor hundert Jahren kannte jedes Kind noch 150 essbare
Pflanzen
Maurice Maggi, Wildpflanzenkoch
Bis die Natur wieder in Mode kam. Nachdem Köche wie Marc Veyrat und JeanMarie Dumaine und die jüngere Generation der neuen nordischen Küche
Wildpflanzen zurück auf den Teller gebracht hatten, war es nur eine Frage der
Zeit, bis der kulinarische Blick von den Wegrändern und Wiesen auch zu den
Wipfeln schweifte.
Mittlerweile haben gehobene Restaurants neben Wildkräutern wie Sauerampfer,
Sauerklee und Waldmeister auch Baumzutaten auf der Karte. So wird der
Rhabarber im "Nobelhart & Schmutzig" in Berlin-Mitte mit Kirschpflaumenblüten
serviert, der Ziegenfrischkäse im Kreuzberger "Tulus Lotrek" mit
Fichtensprossen, der Käse mit Mispel-Marmelade, die Jakobsmuschel mit
Wacholderholz und Birkenwasser. Im Züricher Sternehaus "Equi Table", das
neben regionalen auch auf fair gehandelte Zutaten setzt, kombiniert man
Mangold mit Edamame, Spargel und Kornelkirsche, die rote Frucht des
gleichnamigen Hartriegel-Strauchs.
Blätter und Triebe sammeln, ist nicht verboten
Schon wurde Birkensaft oder -wasser (nicht zu verwechseln mit dem, was sich
Opa in die Haare schmierte) zum nächsten Trendgetränk ausgerufen. Noch
gesünder als Kokoswasser. Gezapft wird es durch das Anritzen der Rinde, von wo
es in Flaschen läuft. Das dürfte sich im öffentlichen Raum eher schlecht
realisieren lassen – anders als das Sammeln von Blättern und Trieben.
Das ist für den Privatgebrauch legal und zudem kostenlos. Nicht so in New York,
wo Maggi ein paar Jahre kochte, als Gärtner Julia Roberts Terrasse begrünte und
Bankfilialen mit Weihnachtssternen dekorierte. Im Central Park ist das Sammeln
verboten, aber in Chinatown lernte Maggi die Vorzüge der Ginkgo-Frucht
kennen. In unseren Breiten herrschen noch keine festen Regeln – und wenn, sind
sie oft überholt. So darf man in der Schweiz keine Rottannen-Sprösslinge
sammeln, weil die Leute daraus früher Melasse herstellten und die Bäume durch
das massenhafte Abernten litten.
Maggi plädiert beim Bäume-Essen dafür, seinen Verstand zu bemühen: Hände
weg von geschützten Pflanzen. Nur so viel mitnehmen, wie man braucht.
Besonders bei Tannen Vorsicht walten lassen, weil die Triebe nicht nachwachsen.
Die Reviere von Hunden, Kneipengängern und Volksfesthorden meiden. "Ich
beachte die Doggenhöhe", so Maggi. Bedenken wegen Schadstoffen zerstreut er
damit, dass die genießbaren jungen Blätter selten älter als zwei Wochen sind,
also wenig Kontakt mit Feinstaub hatten. Sammelgut waschen, versteht sich. Im
http://www.welt.de/icon/article155638987/Ja-aus-Buchen-oder-Fichten-kann-man-Essen-machen.html
Seite 4 von 8
Kochen mit Blättern: Wildpflanzen aus der Stadt kann man essen - DIE WELT
16.06.16 13:40
Kommentare
1
Artikel teilen
Foto: Daniel Auf der Mauer
Baumschössling-Risotto zu Blattsalat mit Schlüsselblumen-Essig
Übrigen reiche es, sich bei hygienischen Bedenken vor Augen zu halten, dass auf
einem gewöhnlichen Erdbeerfeld 200 Pflücker stehen und zwei Chemietoiletten.
Wie unberührt ist dagegen ein Stadtbaum.
Friedhofswiesen sind wegen der Leinenpflicht hervorragende und zudem
ungedüngte Gebiete für Stadtsammler. Auf dem Friedhof Sihlfeld, eine von
Zürichs größten Grünanlagen, sammelt Maggi auf unserem Spaziergang
Rotbuchenblätter und Triebe des Japanischen Staudenknöterichs. Letzterer
gehört zu den Neophyten, also den ehemals nicht heimischen Pflanzen, die sich
hier etabliert haben. Der Knöterich ist extrem invasiv, er wächst am Tag bis zu 30
Zentimeter und gilt in ganz Europa als biologische Katastrophe, weil er andere
Arten verdrängt und die Biodiversität gefährdet. Mit dem Ernten der Triebe (und
dem Entsorgen der Reste im Hausmüll statt auf dem Kompost!) ermüdet man
die Pflanze auf Dauer. Kulinarischer Umweltschutz.
Auch Vogelbeeren sind essbar
Mit "Essbare Stadt" hat Maggi ein Kochbuch zum Thema herausgebracht.
Unterteilt nach Jahreszeiten, liefert er verführerische, größtenteils vegetarische
Rezepte. Und eines mit Taube – auch ein wilder Großstadtbewohner. Während
der Frühling die beste Zeit für zarte Baumblätter und Wildpflanzen wie
Brennnesseln, Spitzwegerich und Giersch ist, eignen sich wenig später die Blüten
von Holunder bis Wildrose zum Kochen. Im Spätsommer und Herbst sind dann
Bucheckern, Schwarzdorn und die nach dem Kochen völlig ungiftigen
Vogelbeeren dran. Fernhalten sollte man sich lediglich vom giftigen Goldregen
und, abgesehen von den Blüten, vom Flieder. Ansonsten empfehlen sich die
Wildpflanzen-Bestimmungsbücher von Steffen Guido Fleischhauer.
Die Mahlzeit, die Maggi aus der Ausbeute des Spaziergangs kocht –
Baumschössling-Risotto zu Blattsalat mit Schlüsselblumen-Essig –, schmeckt
ganz hervorragend. Und die Stadt sieht man nie mehr mit den gleichen Augen.
http://www.welt.de/icon/article155638987/Ja-aus-Buchen-oder-Fichten-kann-man-Essen-machen.html
Seite 5 von 8