Abgrenzung Schuldverhältnis

Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und
Deutsche und Europäische Rechtsgeschichte
Wiss. Mitarbeiter Dr. iur. Thomas Habbe
Arbeitsgemeinschaft im Schuldrecht, Allgemeiner Teil
Sommersemester 2016
Fall 1b: Umzugsfreuden
Nach Abschluss der Zwischenprüfung zieht Student G um. Dabei hilft ihm – in Aussicht eines zünftigen Gelages – neben anderen Freunden der Kommilitone S. Leicht fahrlässig fällt S beim Einzug
in die neue Wohnung der Flachbildschirm des G hin, das Gerät (Wert: 500 €) wird zerstört. G verlangt von S Schadenersatz.
Zu Recht?
Arbeitsgemeinschaft zum Schuldrecht, Allgemeiner Teil
Sommersemester 2016
I.
Anspruch des G gegen S auf Schadenersatz in Höhe von 500 € aus §§ 516, 280 Abs. 1
BGB
Der Anspruch scheitert daran, dass zwischen S und G keine Schenkung vorliegt – diese
setzt voraus, dass ein Vermögensabfluss bei S stattfinden muss, indem der Schenker dem
Beschenkten Sachen oder Rechte auf Dauer überlässt. Dies ist bei einer Dienstleistung nicht
der Fall, für diese gilt das Auftragsrecht (§§ 662 ff. BGB).
II.
Anspruch des S gegen G auf Schadenersatz in Höhe von 500 € aus § 280 Abs. 1 BGB
III.
1)
Schuldverhältnis
In Betracht kommt, dass zwischen S und G ein Auftragsverhältnis oder ein Werkvertrag
geschlossen worden ist. Das setzt voraus, dass sich G vertraglich verpflichten wollte. G
hilft, weil es „Ehrensache“ ist, einem Studienfreund beim Umzug zu helfen.
Bei der Abgrenzung zwischen einer Gefälligkeit und einer unentgeltlichen vertraglichen
Verpflichtung ist zu berücksichtigen, dass der Auftragsnehmer (§§ 662 ff. BGB), obwohl er unentgeltlich handelt, regelmäßig voll haftet. Liegt ein Vertragsverhältnis vor,
begründet das eine Haftung auch bei reinen Vermögensschäden; außerdem wird das
Vertretenmüssen bei Pflichtverletzung nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet.
Es ist also unter Abwägung der Umstände des Einzelfalles auf der einen Seite auf das
Haftungsrisiko des Helfers abzustellen und auf der anderen Seite auf das wirtschaftliche Interesse des Umziehenden. Zum „bunten Strauß an Indizien“, den Rechtsprechung und Literatur zur Frage des Rechtsbindungswillen beim unentgeltlichen Auftragsverhältnis entwickelt haben vgl. die Darstellung bei Medicus, BR [2015], Rdn. 365
ff, sowie Wolf/Neuner, BGB AT, § 28 Rdn. 17ff. und das Spannungsverhältnis zwischen den Entscheidungen BGH NJW 1974, S. 1705 („Lottofall“ – Gefälligkeitsverhältnis), BGH NJW 1956, S. 1313 (Verleih eines Arbeitnehmers – keine Gefälligkeit) und
BGH NJW 2010, 3087 (Probefahrt eines Motorrades – keine schuldrechtliche Haftung):
Zu berücksichtigen sind nach BGH NJW 1956, S. 1313 (1313 f.) „die Art der Gefälligkeit, ihr Grund und Zweck, ihre wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung, insbesondere
für den Empfänger, die Umstände, unter denen sie erwiesen wird, und die dabei bestehende Interessenlage der Parteien.“ Hinzu kommt „der Wert der anvertrauten Sache,
die wirtschaftliche Bedeutung einer Angelegenheit, das erkennbare Interesse des Begünstigten und die nicht ihm, wohl aber dem Leistenden erkennbare Gefahr, in die er
durch eine fehlerhafte Leistung geraten kann.“
Weil S bspw. für den Fall, dass er am Umzugstag spontan absagen muss, keinen
Schadenersatz leisten möchte, wird sich S kaum vertraglich binden wollen. Auch
möchte S sich für den Fall der Nicht- oder Schlechtleistung keinen vertraglichen Schadenersatzansprüchen aussetzen: Dann haftete S auch für bloße Vermögensschäden.
Das spricht dafür, zwischen G und S ein Gefälligkeitsverhältnis anzunehmen.
Beachten Sie: Ein reiner Vermögensschaden liegt bspw. vor, wenn S zwei Stunden
später als vereinbart zum Umzug kommt und G deshalb den Umzugswagen länger
mieten muss. Wenn Sie einen Vertrag annehmen, ist das Zu-spät-kommen eine Pflichtverletzung (Verzug nach §§ 280 Abs. 1, 2; 286 BGB), was S zum Ersatz der Kosten für
die längere Mietzeit verpflichtete.
Daher wird G kaum von S verlangen können, sich vertraglich zu binden.
2)
Zwischenergebnis
S hat gegen G keinen Schadenersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB.
Anspruch des S gegen G auf Schadenersatz in Höhe von 500 € aus § 823 Abs. 1 BGB
1)
Rechtsgutverletzung
a)
Verletzungserfolg
Mit dem Bildschirm wird das Eigentum des G zerstört.
b)
Verletzungshandlung
S lässt den Bildschirm des G fallen.
c)
Kausalität zwischen Verletzungshandlung und Verletzungserfolg
Die Zerstörung des Bildschirmes beruht adäquat kausal auf dem Fallenlassen.
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2)
Rechtswidrigkeit
S hatte kein Recht, den Bildschirm zu zerstören.
3)
Verschulden
Fraglich ist, ob S die Zerstörung des Bildschirmes auch zu verschulden hat.
4)
a)
Grundsatz
§ 823 Abs. 1 BGB sieht Haftung für vorsätzliches und fahrlässiges Handeln vor.
S handelte leicht fahrlässig, weswegen S grundsätzlich haftet.
b)
Haftungsreduktion im Gefälligkeitsverhältnis
S haftet jedoch nicht, wenn im Gefälligkeitsverhältnis der Haftungsmaßstab reduziert ist. Dafür spricht, dass das BGB bei unentgeltlichen Leistungen meist den
Verschuldensmaßstab reduziert, vgl. § 521 BGB bei der Schenkung, § 599 BGB
bei der Leihe und § 690 BGB bei der unentgeltlichen Verwahrung. Der ebenfalls
unentgeltlich tätige Auftragnehmers haftet aber nach §§ 662 ff. BGB voll.
Hier kann zwischen S und G ein Haftungsausschluss konkludent vereinbart worden sein. Beide wissen, dass bei einem Umzug besondere Gefahren für das Umzugsgut drohen, dennoch hilft S unentgeltlich. S täte dies nicht, wenn er für jeden
Fehler voll haften müsste. Daher vereinbaren S und G stillschweigend einen Haftungsausschluss.
Beachten Sie: Hinsichtlich der Haftung bei leichter Fahrlässigkeit kommt auch in
Betracht, Aspekte der Haftungsreduzierung des Arbeitnehmers heranzuziehen:
Der Umzug ist gefahrgeneigt, und alle Gefahren des Umzugs treten typischerweise nur beim Umzugshelfer ein. Daher soll dieser jedenfalls für leichte Fahrlässigkeit nicht haften.
Ergebnis
G hat gegen S keinen Anspruch auf Schadenersatz aus § 823 Abs. 1 BGB.
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