Predigt für den 3. Sonntag nach Trinitatis 1. Tim 1, 12

Predigt für den 3. Sonntag nach Trinitatis
1. Tim 1, 12-17
© Pfarrer Dr. Christof Grote
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft
des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Liebe Gemeinde,
wir hören heute Morgen einen Abschnitt aus dem 1. Brief, den der Apostel Paulus an
seinen Mitarbeiter Timotheus geschrieben hat. Dieser war in Ephesus zurückgeblieben,
als Paulus seine Missionsreisen fortsetzte – nach Mazedonien ist er weitergezogen –
und erhält nun von Paulus noch einmal Anweisungen, wie es in der Gemeinde zugehen
soll. Doch bevor Paulus hier im einzelnen erklärt, lobt er – wie als Grundlage für alles,
was dann kommt – Gott, dankt Gott für alles Gute, das ihm, ihm ganz persönlich
widerfahren ist. In der Übersetzung Martin Luthers ist dieser Abschnitt auch
überschrieben mit: „Lobpreis der göttlichen Barmherzigkeit“
12 Ich danke unserm Herrn Christus Jesus, der mich stark gemacht und für treu erachtet
hat und in das Amt eingesetzt,
13 mich, der ich früher ein Lästerer und ein Verfolger und ein Frevler war; aber mir ist
Barmherzigkeit widerfahren, denn ich habe es unwissend getan, im Unglauben.
14 Es ist aber desto reicher geworden die Gnade unseres Herrn samt dem Glauben und
der Liebe, die in Christus Jesus ist.
15 Das ist gewisslich wahr und ein Wort, des Glaubens wert, dass Christus Jesus in die
Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin.
16 Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, dass Christus Jesus an mir als
Erstem alle Geduld erweise, zum Vorbild denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen
Leben.
17 Aber Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren, der allein
Gott ist, sei Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen.
Predigt Pfarrer Dr. Christof Grote, Attendorn, 12. Juni 2016. Alle Rechte bei Pfarrer Dr. Christof Grote.
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Liebe Gemeinde, in diesen Wochen und Monaten haben viele Menschen Angst – Angst
vor einer Islamisierung des Abendlandes, des christlichen Abendlandes. Ich weiß nicht,
ob Sie diese Ängste teilen – diese Ängste, dass unser Land auf einmal ganz vom Islam
geprägt wird, dass das Christliche ganz zurückgedrängt wird.
Wer solche Ängste schürt, der verweist gerne auf die vielen Flüchtlinge, die kommen –
die allermeisten von ihnen aus muslimischen Ländern. Da müsse sich doch der Islam
zwangsläufig ausbreiten. Dazu komme die hohe Zahl türkischstämmiger Menschen in
Deutschland. Und wenn dann noch gewaltbereite Islamisten ihr Unheil treiben, dann
habe unsere Gesellschaft dem doch wenig entgegenzusetzen.
Und ganz konkret mit dem Blick auf unserer Stadt heißt diese Angst, dieses Unbehagen
dann: Eine Moschee gleich am Eingang der Stadt, sozusagen das Ankunftsschild, das
erste, was die Ankommenden sehen und dann noch mit einer goldenen Kuppel – das
gehe doch gar nicht. Da bleibe doch von dem guten alten Attendorn nichts mehr übrig.
Ich weiß nicht, ob Sie, liebe Gemeinde, solche Ängste und Vorbehalte auch kennen, sie
sind auf jeden Fall weit verbreitet, und wohl auch unter Kirchgängern zu finden. Und es
ist ja auch nicht alles falsch, was da befürchtet wird: Dass islamistische Gewalt eine
Gefahr für unsere Gesellschaft darstellt, ist sicherlich keine Frage. Und dass hier unser
Rechtsstaat gefordert ist, für die nötige Sicherheit zu sorgen, wird auch niemand in
Abrede stellen. Wir sollten allerdings schon auch genauer unterscheiden:
Da gibt es die vielen gläubigen Muslime, die friedlich ihrer Religion anhängen auf der
einen Seite, und ein paar gewaltbereite Islamisten, die ihre Religion zur Rechtfertigung
von Terror und Gewalt missbrauchen, auf der anderen Seite.
Unabhängig davon ist es bestimmt so, dass Menschen, die in einem anderen Kulturkreis
aufgewachsen sind, die eine andere Glaubensprägung mitbringen, an vielen Stellen
andere Vorstellungen haben, andere Lebensformen haben. Und „anders“ – das ist zwar
durchaus eine Bereicherung, aber „anders“, das kann aber auch das Eigene, das
Vertraute in Frage stellen.
Trotzdem halte ich diese Angst vor einer Islamisierung des Abendlandes für
Predigt Pfarrer Dr. Christof Grote, Attendorn, 12. Juni 2016. Alle Rechte bei Pfarrer Dr. Christof Grote.
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unbegründet, diese Angst vor einer Islamisierung des christlichen Abendlandes. Die
eigentliche Bedrohung dieses vermeintlich christlichen Abendlandes, die geht nach
meinem Dafürhalten nicht von unseren muslimischen Mitbürgern aus, auch nicht von
den knapp drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln, die in Deutschland leben.
Nein, dieses Abendland mit seiner Prägung und seinen Werten, mit seiner Kultur und
Geschichte, das wandelt sich auch ohne irgendwelche Einflüsse von außen, ohne Islam
und Zuwanderung. Das kriegen wir schon ganz alleine so hin.
Ganz äußerlich betrachtet: Dass bei solch starker Berufung auf das christliche
Abendland die Kirchen immer leerer werden, der Glaube immer weniger Einfluss hat –
das ist doch schon ein Widerspruch in sich. Dass der Sinn vieler christliche Feiertage oft
nur noch wenigen Insidern verständlich ist, dass sie stattdessen nur noch als
Gelegenheit für Familienausflüge und zum Ausspannen gesehen werden.
Und wenn ich so kritisch auf die Entwicklung in unserem Land, in unserer Gesellschaft
schaue: Es geht mir hier nicht um die Klage über den Verlust einer vermeintlich guten
alten Zeit – die war doch längst nicht immer gut, allenfalls im Rückblick, wenn alles
Zurückliegende doch irgendwie bewältigt worden ist. Die Vergangenheit ist doch immer
dann besonders gut und besonders glorreich, wenn uns inzwischen ganz andere
Herausforderungen drohen, die uns noch viel schlimmer erscheinen.
Es geht mir hier nicht darum, unsere Moderne zu verurteilen und mit ihr allen Wohlstand
und alle Individualisierung: Wenn bittere Armut die Alternative ist, dann wird wohl keiner
Wohlstand verdammen. Und wenn Unfreiheit und vorgegebene Zwänge die Alternative
sind, dann wird wohl keiner persönliche Freiheit ablehnen.
Es geht mir aber – und das scheint mir noch viel schlimmer, als dass bei den
allermeisten Gottesdiensten noch Plätze frei sind und am Pfingstmontag kaum jemand
von Gottes Heiligen Geist weiß, sondern nur noch darum, dass die Firma zu und die
Schule geschlossen ist – es geht mir vor allem um die Frage, wo denn das Christliche
unseres christlichen Abendlandes bleibt. Oder weniger pathetisch gefragt: Wenn denn
der christliche Glaube ganz stark unsere Kultur, unsere Gesellschaft, unsere
gemeinschaftlichen und persönlichen Wertvorstellungen geprägt hat – und das ist
zweifelsohne so: Wo bleibt dieses christliche Fundament denn heute?
Predigt Pfarrer Dr. Christof Grote, Attendorn, 12. Juni 2016. Alle Rechte bei Pfarrer Dr. Christof Grote.
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- Wenn der Wohlstand so verteilt ist, dass zwar riesige Werte vorhanden sind, dennoch
etliche aber auf der Strecke bleiben und kaum wissen, wovon sie leben sollen:
- Wenn die vielbeschworene persönliche Freiheit nicht nur von gesellschaftlichen
Zwängen und Vorgaben befreit, sondern auch zu hemmungslosem Egoismus führt:
Wo bleibt denn da unsere angeblich so kostbare christlich-abendländische Prägung?
Wie steht es denn da mit den Werten, auf die wir uns so berufen?
Was bei solchen Fragen kommt – das, liebe Gemeinde, kennen Sie vermutlich auch
alle:
der Appell an das berühmte „man“. „Man“ müsste doch dieses oder jenes tun. „Man“
müsste hier doch deutlich Position beziehen. „Man“ könne das doch nicht einfach so
stehen lassen.
Jetzt gibt es nur ein Problem: Wer ist „man“? Wer sollte oder müsste? Das bleibt leider
in der Schwebe – bis auf eine Sache, die dann doch immer klar ist: „Man“ – das sind
immer die anderen, das ist nicht „man selbst“. „Man“, das ist nicht persönlich, sondern
eher so allgemein so, und damit eben doch auch unverbindlich, allgemein, so dass wir
zwar die sind, die klagen, aber doch nicht die, die Abhilfe schaffen können oder auch
nur wollen.
Ich schildere das heute Morgen so, auch die teilweise abstrusen Ängste, die in unserem
Land umgehen, weil unser Predigttext hier wie ein Gegenrezept ist. Wie eine
Aufforderung, das eben nicht einfach so stehen zu lassen und bestenfalls noch an ein
nebulöses „man“ zu appellieren.
Wir haben gerade diesen Lobpreis des Apostels Paulus gehört: „Ich danke unserem
Herrn Jesus Christus.“ Dann schreibt er weiter, in langen und oftmals komplizierten
Sätzen – so dass wir oft mehrmals hören, mehrmals lesen müssen, bis wir denn wirklich
verstanden haben, was er denn sagen will.
Aber eines, das macht Paulus hier ganz gewiss nicht: Er schreibt nicht von irgendeinem
„man“, der irgendwie irgendetwas tun oder lassen soll. Nein, er schreibt von sich: Ich,
Paulus, ich habe die Gnade und Barmherzigkeit Gottes erfahren. Ich, Paulus, ich kann
erzählen, wie das bei mir war. Ich habe die Christen verfolgt. Ich war völlig verblendet.
Ich habe Gott nicht erkannt. Und ich war auch noch stolz darauf, so zu sein. Doch dann,
Predigt Pfarrer Dr. Christof Grote, Attendorn, 12. Juni 2016. Alle Rechte bei Pfarrer Dr. Christof Grote.
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dann hat Gott mir die Augen geöffnet, damals vor Damaskus. Er machte mich blind,
dass ich blind vertrauen musste. Er sprach mich an, dass ich hören konnte. Er hat mich
zum Glauben geführt, bis dahin, dass er mich so sehr begeistert hat, mir so sehr Kraft
geschenkt hat, dass ich nun als Apostel wirke, dass ich anderen von dieser Gnade
Gottes weitererzähle. Darum: Ich, Paulus, ich danke Gott, ich danke seinem Sohn Jesus
Christus, ich danke dem Heiligen Geist. Gott sei Ehre und Preis in Ewigkeit.
Ganz direkt, ganz persönlich spricht Paulus hier. Da gibt es kein „man“ könnte oder
„man“ sollte oder „man“ müsste. Da gibt es nur dieses „ich“. Und er lässt sich auch nicht
irremachen. Gewiss waren die Christen eine winzig kleine Minderheit. Gewiss wollten
die allermeisten Menschen von diesem Gott nichts hören. Und gewiss war Paulus als
Bote dieses Gottes für die meisten eine Witzfigur, wenn ihm nicht sogar Schlimmeres
wie Folter und Haftstrafen widerfuhren.
Dennoch hält er fest: Ich, Paulus, ich danke Gott. Mich hat er gerettet.
Liebe Gemeinde, es ist fast zweitauschend Jahre her, dass der Apostel Paulus
Gemeinden gegründet hat und Briefe geschrieben hat. Zu einer Zeit, als ein christliches
Abendland den Gläubigen nicht einmal als kühne Vision möglich schien. Zu einer Zeit,
als ausreichender Wohlstand und persönliche Freiheit den Menschen wie ein
unerfüllbarer Menschheitstraum vorkamen. Und doch tut Paulus in seinen Zeilen etwas,
was uns auch heute helfen könnte – heute angesichts all der Herausforderungen
unserer Zeit: Der nüchterne, klar strukturiert denkende Paulus wird hier nämlich ganz
persönlich – auf eine Art und Weise, wie sonst an vielleicht keiner anderen Stelle in
seinem schriftlichen Nachlass.
Jetzt sind wir alle nicht wie der Apostel Paulus. Wir haben nicht seinen Glaubensweg
und wohl auch nicht seinen Glaubenseifer, der ihn immer wieder in größte Gefahren
geführt hat. Aber in einem kann er uns doch Vorbild sein bis heute: Dass wir nicht
allgemein und unverbindlich klagen, sondern ganz persönlich reden und bekennen: Ich
glaube an Gott. Ich habe Gottes Barmherzigkeit in meinem Leben immer wieder
erfahren und sehe das auch so und bekenne das auch so. Ich freue mich über Gottes
gute Schöpfung.
Ich trete ein für die Werte, die Gott uns in seinem Sohn Jesus Christus vorgelebt hat.
Und ich halte mich auch zur Gemeinde als der Gemeinschaft derer, die diesen Glauben
gemeinsam vertreten und gemeinsam leben.
Predigt Pfarrer Dr. Christof Grote, Attendorn, 12. Juni 2016. Alle Rechte bei Pfarrer Dr. Christof Grote.
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Wer so persönlich redet – und das beinhaltet durchaus, auch seine Fragen und seine
Zweifel zu benennen – wer so persönlich redet, braucht sich bestimmt nicht davor zu
fürchten, dass das Christliche in seinem Leben verloren geht, dass das Christliche in
unserer Gesellschaft verloren geht. Wer so von seinem Glauben redet, der bekennt Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und
Sinne in Christus Jesus. Amen.
Predigt Pfarrer Dr. Christof Grote, Attendorn, 12. Juni 2016. Alle Rechte bei Pfarrer Dr. Christof Grote.
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