Bieler Tagblatt zum Vortrag von F. Grolimund

Hausaufgaben müssen nicht Spass machen
Die Kinder zetern und meckern – und die Nerven der Eltern liegen blank: Die
Hausaufgaben heben den Haussegen hie und da tüchtig aus den Angeln. Wie sich
Eltern elegant aus der Affäre ziehen.
Marcel Friedli, www.friedlitexte.ch
«Ob ich die Aufgaben auf die falsche Art erkläre?», hinterfragt sich S. W., «mein zehnjähriger
Sohn macht dicht, und ich komme nicht an ihn heran.» Auch bei ihrer achtjährigen Tochter
ist es eher kontraproduktiv, wenn sich die Mutter einmischt. «Ich habe den Eindruck, dass
meine Tochter die Aufgaben dann schlampig macht.»
Ein besonderer Dauerbrenner sind die Hausaufgaben im Chinderhuus Lyss, in dem Kinder
mit Lernbehinderungen von fünf bis dreizehn wohnen. «Die Kinder», erzählt die Leiterin,
«wollen lieber spielen. Oft protestieren und schreien sie. Es braucht viel Geduld – da kann
der Geduldsfaden schon mal reissen.»
Dass die Hausaufgaben ein heikles Thema sind, weiss auch eine Frau, die Mutter zweier
Kinder ist – und Lehrerin: «Die Hausaufgaben führen immer wieder zu Reibereien.
Manchmal gehen die Emotionen so hoch, dass es sich zu einem Kampf hochschaukelt und
eskaliert.» Und Eltern sogar die Hand ausrutscht.
Hausaufgaben können zu grossem Frust führen: nicht nur bei den Eltern, sondern auch beim
Kind. Und verdüstern und belasten hie und da die Beziehung tüchtig. Das veranschaulicht
ein Mädchen auf einer Zeichnung: Sobald es um die Hausaufgaben geht, wird die Mutter,
sonst eine freundliche Fee, zur herrischen Hexe.
Ein Knochenjob
«Hausaufgaben», sagt Fabian Grolimund von der Akademie für Lernforschung an einem
Vortrag an der Lysser Schule Grentschel, «sind es nicht wert, dass sich die Beziehung
zwischen Eltern und Kind verschlechtert. Übt man Druck aus, führt das zu Anspannung.
Dies verknüpft das Kind mit dem Lernen.»
Davor will V. H. ihre achtjährige Tochter bewahren. «Wie kann ich ihr Lust auf die Aufgaben
machen?», fragt sie sich bang.
Indem man nicht die Erwartung hat, dass Aufgaben Spass machen müssen, erklärt
Lernexperte Fabian Grolimund. «Es gibt für Kinder zu Hause vieles, das viel spannender ist,
zumal der Stoff der Grundschule ein Knochenjob ist – und es erst dann interessant wird,
wenn man die Buchstaben kennt, weil sie dann zu Texten werden, die einem die Türe zu
einer anderen Welt aufstossen.» Es nütze nichts, dem Kind die Hausaufgaben schönzureden.
«Es ist für Kinder einfacher, wenn man sagt: Ich weiss, das macht dir keinen Spass. Komm,
setz dich zu mir – ich muss selber noch Rechnungen bezahlen. Bringen wir es beide hinter
uns.»
Sich über Fortschritte freuen
Zudem ist Lob ist sehr wichtig, wie der Lernpsychologe betont. Je geringer die Begabung,
desto stärker seien Kinder auf Eltern und Lehrkräfte angewiesen, die sich über kleine
Fortschritte freuen und diese dem Kind vor Augen halten. «Eine negative Kritik muss durch
mehrere positive Äusserungen aufgewogen werden», sagt er und bezieht sich dabei auf
Forschungen zu Paaren. «Sind von zwanzig Feedbacks zwei negativ, beschäftigen diese zwei
viel stärker als die achtzehn positiven.» Natürlich gebe es auch beim Loben ein Zuviel, sicher
aber sei: «Das Positive muss überwiegen, vor allem für Kinder, die eher etwas Mühe haben
oder machen.» Werde das menschliche Bedürfnis nach Anerkennung nicht gestillt, führe
dies dazu, dass das Agieren als Erwachsener ausschliesslich vom Hunger nach
Anerkennung und Bestätigung bestimmt sei.
Feedbacks sollen vor allem bei Kindern, die zu Selbstüberschätzung neigen, realistisch sein,
im Sinne von: «Das da kannst du schon recht gut, lass uns nun das hier noch etwas üben.»
Zu harsche Kritik stimuliere das Anerkennungsbedürfnis zusätzlich, erklärt der Lerncoach.
Empfinde ein Kind ein Lob als unangenehm, solle man es eher beiläufig und beschreibend
erwähnen. «Manchmal», sagt Fabian Grolimund, «braucht ein Lob etwas Zeit, bis es
ankommt.» Entscheidend sei, die Anstrengung zu loben und nicht die Intelligenz, weil sonst
die Angst vor dem Versagen geschürt werde.
Lehrperson ist die Autorität
Sei ein Kind unselbständig, sei es wichtig zu fragen, warum das so ist: Sind die Aufgaben zu
schwierig? «Dann geht man darauf ein, fragt, was das Kind verstanden hat und versucht
ihm eher durch Fragen als durch Erklärungen weiterzuhelfen.» Oft versteckt sich indes
hinter der vermeintlichen Unselbständigkeit das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und
Zuwendung. «Darum ist es wichtig, mit dem Kind auch sonst Zeit zu verbringen, also nicht
ausschliesslich für die Hausaufgaben.»
Der Psychologe ermuntert zudem, die Kontrolle abzugeben. «Hausaufgaben sind ja auch
dazu da, damit die Lehrperson sieht, ob die Kinder den Stoff verstanden haben. Sind die
Aufgaben bereits picobello, langweilt sich das Kind während des Besprechens. Zudem
belastet das Kontrollieren die Beziehung von Eltern und Kind. Da ist die Lehrperson die
Autorität – und das sollen Eltern unbedingt anerkennen.»
Wie sich Eltern clever verhalten
Beziehung und Leistung trennen. Zeigen, dass man sein Kind liebt – unabhängig von
dessen Leistungen in der Schule. Vermitteln, dass man erwartet, dass es sich nach seinen
Möglichkeiten bemüht. Wenn es klappt, sich mitfreuen. Geht es schief, sein Kind auffangen.
Verständnis zeigen für Klagen und Zweifel. Eine Zeit vereinbaren, während der das Kind
motzen darf. Spätestens nach dem dritten Tag wird es ihm wohl langweilig werden.
Positiv sein. Drohen bringt nichts. Ebenso wenig förderlich sind Aussagen wie «mach
endlich weiter», «warum machst du das schon wieder falsch, das haben wir doch schon
geübt» oder «mach endlich weiter». Auch wenn Eltern entnervt ausatmen oder das Gesicht
verziehen, registrieren das die Kinder.
Konflikte vermeiden. Den Raum verlassen, selber etwas erledigen.
Fortschritte erwähnen. Sagen, dass man sich darüber freut, wenn das Kind flüssiger liest.
Besonders wichtig dann, wenn es nicht zu den Genies der Klasse gehört und sich der
Fortschritt nicht in einer besseren Note zeigt, weil eben auch die Kameradinnen und
Kameraden besser werden.
Am passenden Ort: Die Küche eignet sich besser als das Kinderzimmer, in dem der Comic
darauf wartet, gelesen zu werden oder die Legos inständig bitten, zu einer Burg verzaubert
zu werden. Ein bisschen Lärm wie das Brummen der Geschirrspülmaschine kann
stimulierend sein; ebenso passende Musik.
Zur stimmigen Zeit: Einige Kinder laufen nach dem Znacht zur Hochform auf. Andere sind
Lerchen und erledigen die Hausaufgaben am frühen Morgen vor Schulbeginn mit Schwung.
Ausprobieren, beobachten, offen sein.
Für Abwechslung sorgen: Im Tandem lesen. Das Kind an der spannendsten Stelle selber
weiterlesen lassen. Spiele machen, bei denen man nebenbei lesen lernt. Spielerisch:
Ortschilder, Plakate lesen lassen und beim Einkaufen spielerisch Preise zusammenzählen.
Zeigen, dass Lesen und Rechnen nützlich sind.
Belohnungen sparsam einsetzen. Sie nützen sich ab und sind bei Pflichten unangebracht.
INTERNET: www.mit-kindern-lernen.ch
BUCHTIPP: Fabian Grolimund. Mit Kindern lernen. Konkrete Strategien für Eltern