Unterkühlte Blockschutthalden mit Hexenwäldli – Abiotische

Alp.relève 2004 – Les Alpes sous la loupe des jeunes chercheurs
Phil.Alp 2004 – Die Alpen aus der Sicht junger Forschender
Sion/Sitten, 11./12.3. 2004
Armin Rist
Unterkühlte Blockschutthalden mit Hexenwäldli – Abiotische
Faktoren zur Charakterisierung des Phänomens
In dieser Diplomarbeit wurden die Faktoren erforscht, unter welchen das äusserst seltene Phänomen
unterkühlter Blockschutthalden auftritt. Diese natürlichen „Kühlschränke“ zeichnen sich durch ein
deutlich tieferes Jahresmittel der Bodentemperatur als in ihrer Umgebung aus. Z.T. bleibt der Untergrund
ab einer bestimmten Tiefe sogar ganzjährig gefroren, es tritt also azonaler Permafrost auf. Azonal
deshalb, weil dieser Standort unterhalb der alpinen Waldgrenze und damit weit unter dem grossflächigen
Verbreitungsgebiet des Permafrostes in den Alpen (> ca. 2500 m ü. M.) liegt. Während diese TemperaturAnomalie im Untergrund nicht direkt ersichtlich ist, lässt sie sich an ihrer oberirdischen Auswirkung umso
deutlicher ablesen: das Wachstum der Fichten ist auf unterkühlten Blockschutthalden kältelimitiert, sodass
die Gehölze bis ins hohe Alter zwergförmig bleiben. Bestände aus derartigen Miniaturbäumchen heben
sich von der Umgebung art- und altersgemäss hohen Waldes klar ab und werden nach einer alten
Appenzeller Sage als Hexenwäldli bezeichnet.
Untersucht wurden 36 Vorkommen in der Schweiz. Mit GIS-Techniken wurden auf der Maßstabsebene
der Landschaft klimatische, relief- und untergrundbezogene Parameter bestimmt und mit den
entsprechenden Werten von 495 Vorkommen art- und altersgemäss hohen Waldes der Schweiz
verglichen. Zehn der unterkühlten Blockschutthalden wurden detaillierter untersucht und jeweils mit dem
Referenzstandort hohen Waldes in ihrer unmittelbaren Umgebung verglichen, wozu der gesamte Hang
vertikal in eine Ober-, Mittel- und Unterzone gegliedert wurde und Parameter zu Klima, Relief,
Oberflächenbedeckung und Untergrund erhoben wurden.
Zwar beschränkt sich das Vorkommen unterkühlter Blockschutthalden bei einer mittleren jährlichen
Niederschlagsmenge von etwa 1800 mm und einer mittleren Höhe ü. M. von über 1000 m auf
Gebirgsregionen, doch ist es nicht an ein besonders kaltes Großklima gebunden. Vielmehr sind
unterkühlte Blockschutthalden durch spezielle lokale Faktoren charakterisiert. Mit den reliefbezogenen
Parametern kann das geringe, über den Gesamthang der unterkühlten Blockschutthalde gemittelte
Strahlungsangebot von etwa 2.3 GJ/m2 erklärt werden. Von besonderer Bedeutung für die Unterkühlung
einer Blockschutthalde sind Konvektionsströmungen. Sie sind durch den hohen Anteil an der Oberfläche
anstehenden Blockschutts von etwa 40% und die weiten Poren mit mittleren Durchmessern von 4 cm in
der Ober- bis 10 cm in der Unterzone gewährleistet. Die Bodenmächtigkeiten unterkühlter
Blockschutthalden (durchschnittlich 6 cm am Hangkopf bis 12 cm am Hangfuss) sind etwa um ein Drittel
geringer als in der Umgebung, was auf eine schwächere Wärmeisolation des Untergrundes schliessen
lässt. In Zusammenhang mit der Strahlungsarmut und der Wärmekonvektion kann damit die gegenüber
der Umgebung niedrigere Energiebilanz einer unterkühlten Blockschutthalde erklärt werden.
Hexenwäldli-Biotope resp. unterkühlte Blockschutthalden sind aufgrund ihrer Eigenart und Seltenheit für
den Natur- und Landschaftsschutz besonders wertvoll, aber in der Öffentlichkeit noch weitgehend
unbekannt. Mit der Erforschung dieses Sonderstandorts wird die Grundlage geschaffen, die forstliche
Praxis, Behörden und Bevölkerung dafür zu sensibilisieren und diese einzigartigen Kälte-Inseln als
Lebensraum seltener Biozönosen zahlreicher oligothermer Tier- und Pflanzenarten gezielt zu schützen.
Armin Rist - Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF
Flüelastrasse 11, 7260 Davos
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