Manuskript Beitrag: In der Milchkrise – Die Bauernopfer der Politik Sendung vom 7. Juni 2016 von Christian Rohde und Sandra Theiß Anmoderation: Ein Milchgipfel jagt den nächsten. Heute trafen sich die Agrarminister von Bund und Ländern. Es geht um Nothilfen für Milchbauern. Denn die Milchpreise sind im Keller und die Höfe sterben. Der Bundeslandwirtschaftsminister appellierte deshalb schon gestern an die Verbraucher, sie sollten bitte schön zur teuren Milch greifen. Hilft aber nicht, solange die Milchwirtschaft nach der Maxime melkt: möglichst billig, möglichst viel. Jetzt werden Politik und Bauern den Geist der Marktwirtschaft nicht los, den sie selbst riefen - zeigen Sandra Theiß und Christian Rohde. Text: Was aussieht, wie das Ideal vom Bauernhof mit glücklichen Kühen, ist ein Kampf ums Überleben. Arensberg, SachsenAnhalt. Es ist fünf Uhr. Barbara Schmidt und ihre Schwester haben mit dem ersten Melken begonnen. Seit der Milchpreis in den Keller gefallen ist, steckt der Betrieb in einer schweren finanziellen Krise. Mehr als 20 Jahre lang hat Barbara den Hof ihrer Eltern geführt, jetzt gibt sie auf. O-Ton Barbara Schmidt, Milchbäuerin: Der psychische Druck ist halt einfach für mich zu groß geworden. Wenn man jeden Abend ins Bett geht und überlegt halt, wie kann ich die Rechnung bezahlen. Kann ich den Tierarzt morgen holen, kommt der überhaupt noch? Die Dinge, das summiert sich dann irgendwann alles. Gerade mal 20 bis 24 Cent bekommen sie pro Kilogramm Milch, das deckt nicht einmal die Kosten. Sie verhandeln mit der Bank ohne einen neuen Kredit ist das Ende absehbar. Ihre Schwester Daniela will versuchen, den Hof zu halten, übernimmt die Geschäftsführung. Sie weiß, worauf sie sich einlässt: Milchbauern arbeiten 365 Tage im Jahr. Dass es trotzdem nicht reicht, um davon zu leben, ist zermürbend. O-Ton Daniela Gille, Milchbäuerin: Es fühlt sich nicht gut an. Also, auch meine Kinder merken es schon und mein Mann, der ist außer-landwirtschaftlich noch tätig, zum Glück, da haben wir zumindest unser Familieneinkommen noch gesichert. Und die Kinder merken es halt auch, dass das kein haltbarer Zustand ist. Trotzdem will sie das Risiko der Übernahme eingehen, ihr Herz hängt an den Tieren und dem, was ihre Eltern aufgebaut haben. Die geben der Politik die Schuld an der Krise. O-Ton Klaus-Wilhelm Gille, Rentner: Die Politik arbeitet nicht vorausschauend, nicht weitsichtig und sie läuft den Ereignissen hinterher, ohne regulierend und regelnd, steuernd einzugreifen. Wachset oder Weichet ist seit Jahren das Credo der Politik. Die deutschen Bauern sollen für den Weltmarkt melken. So wollten es Bauernverband und Landwirtschaftsminister immer. Produktionsbeschränkungen wurden abgeschafft. Die Landwirte bauten immer größere Ställe. Heute produziert niemand in Europa mehr Milch als die deutschen Bauern, 2015 waren es 32,5 Millionen Tonnen. Viel zu viel. Es herrscht ein Überschuss. 15 Prozent der Milch können nicht verwertet werden. Gestern Nachmittag in München. Hunderte Milchbauern demonstrieren vor der Staatskanzlei, drinnen geht's um ihre Zukunft: wieder ein Agrar-Gipfel, diesmal auf Einladung von Horst Seehofer. Man müsse den Bauern helfen heißt es hinterher von Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt. Die neueste Idee: Staatliche Hilfen gibt es nur für Bauern, die die Milchproduktion runterfahren. Konkrete Beschlüsse – Fehlanzeige, stattdessen sieht der Minister Andere in der Pflicht. O-Ton Christian Schmidt, CSU, Bundeslandwirtschaftsminister: Die beste Lösung wäre, wenn die Verbraucher und der Lebensmitteleinzelhandel und die Molkereien für das gute Produkt Milch bei uns so viel Geld sozusagen generieren könnten, dass der Erzeuger davon gut leben kann. Doch der Verbraucher hat de facto gar keinen Einfluss auf den Preis. Wenige Großmolkereien und die mächtigen Einzelhändler verhandeln mit den Bauern die Preise. Für normale Frischmilch gilt: Ob günstige Handelsmarke oder teure Markenware - der Preisunterschied von manchmal 50 Cent im Supermarkt kommt beim Bauern nicht an. Der Verbraucher kann daran nichts ändern. O-Ton Prof. Matthias Gauly, Agrarbeirat der Bundesregierung: Das Problem für den Verbraucher ist doch ganz klar das, dass er nicht auf der Verpackung sieht, welcher Anteil des Geldes der Milchhof tatsächlich seinem Landwirt ausbezahlt. Das heißt, selbst wenn er eine Milchtüte etwas teurer einkauft, dann bleibt vermutlich der größte Teil im Handel und nicht beim Landwirt. Das bekam auch Uwe Goldammer zu spüren. Der Geschäftsführer der Agrargesellschaft Ostharz hat die Milchviehhaltung vor Kurzem eingestellt. Die Kosten für die Tiere waren größer als die Einnahmen. Je tiefer der Milchpreis fiel, umso größer wurde der Verlust pro Kuh im Jahr. O-Ton Uwe Goldammer, Geschäftsführer Agrargesellschaft Ostharz: Der Verlust pro Kuh war am Anfang 1.000 Euro, also, pro Kuh 1.000 Euro Verlust, und dann zum Schluss, Ende 2015, Anfang 2016 war er über 1.000 Euro, rund 1.200 bis 1.300, da der Milchpreis ja nochmal eingebrochen ist und wir zum Schluss bloß noch 21 Cent gekriegt haben. Wie gesagt, 1.300 Euro zum Schluss Verlust und das ging nicht mehr. Mit Kühen Geld zu verdienen - für viele Bauern längst eine Illusion. Immer mehr müssen aufgeben. In den vergangenen 15 Jahren hat sich die Anzahl der Betriebe fast halbiert: von 140.000 auf 77.000. Wer weitermachen will, muss immer mehr Tiere melken. So versuchen viele Bauern, die Verluste durch die Produktion von noch mehr Milch wieder wett zu machen, damit steigern sie den Überschuss noch und verschärfen die Krise. - Es ist ein Teufelskreis. O-Ton Uwe Goldammer, Geschäftsführer Agrargesellschaft Ostharz: Wir können nicht produzieren und produzieren und produzieren am Markt vorbei und verlangen dann von Staat und Bevölkerung, dass die uns unterstützen sollen, das funktioniert nicht. Hilfen in Höhe von 100 Millionen Euro wurden den Milchbauern zuletzt versprochen - eine Farce sagen die Betroffenen, angesichts von Milliardenverlusten seit Beginn der jüngsten Krise. Peter Schuchmann sucht seinen eigenen Weg aus der Krise. Er stellt seinen Betrieb auf Bio um. Schuld an der Krise sei die Politik, sagt auch er. Die Fokussierung auf den Weltmarkt - ein Irrweg. Deutsche Produkte seien dort kaum konkurrenzfähig. O-Ton Peter Schuchmann, Milchbauer: Das Märchen des großen Exportes ist halt ausgeblieben, das zeigt sich natürlich jetzt ganz drastisch. Man hat ja nie den Landwirten gesagt, dass die außerhalb EU-Länder das Geld nicht haben, um unsere Produktionskosten zu bezahlen. Die Umstellung auf Bio bedeutet vor allem strengere Tierschutzvorgaben, dafür bekommt Schuchmann von den Molkereien aber auch mehr Geld für seine Milch. Es ist allerdings kein Weg, den viele Milchbauern kurzfristig gehen könnten. Schuchmann hat die Umstellung über Jahre Schritt für Schritt geplant - und selbst bei der Biomilch könnten die Preise weiter sinken. O-Ton Peter Schuchmann, Milchbauer: Wir haben die Weichen gestellt, haben auf Bio umgestellt, und hoffen mittelfristig, dass da eine Stabilisierung eintritt. Aber nichtsdestotrotz muss der gesamte Milchmarkt Regeln wieder haben, dass er einfach in das Gleichgewicht kommt, schnell ins Gleichgewicht kommt. Experten schlagen vor, EU-Subventionen anders zu verteilen. Zum Beispiel nur Betriebe zu unterstützen, in denen die Kühe nicht in dunklen Ställen angebunden sind, oder die ihre Tiere nur mit Futter vom eigenen Acker ernähren. Betriebe, die solche Standards nicht einhalten, hätten es schwerer. In jedem Fall aber weg von der Förderung nach Größe der Betriebe. O-Ton Prof. Matthias Gauly, Agrarbeirat der Bundesregierung: Da ist es unbedingt notwendig umzusteuern und die Zahlungen abhängig zu machen von tatsächlichen Leistungen. Wir haben das schon in einem kleinen Umfang, also, wenn Sie zum Beispiel bestimmte Anteile Hecke anpflanzen, bekommen Sie Geld. Und ähnliches kann man sich sehr gut vorstellen für bestimmte Tierwohl-Standards. Doch dafür fehlt bei vielen Bauern und in der Politik der Wille. Nur in einem sind sich alle einig: Die Milchmenge muss runter. Familie Gille hat ihre Produktion bereits reduziert. Sie wollen durchhalten, solange es eben irgendwie geht. Die Hoffnung, dass die Politik Ihnen dabei helfen wird, haben sie allerdings fast aufgegeben. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. 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