Feminismus rohsatz2.indd - Forum Demokratischer Sozialismus

fds Schriftenreihe 2/2016
Feminismus –
back to the future
1
Titelbild: flickr / Caruso Pinguin (cc-by-nc)
Inhalt
Vorwort3
Kleinfamilienidylle statt Lebensvielfalt –
Der gleichstellungspolitische Backlash im Parlament 5
Die neuen Europäerinnen10
Kampf gegen sexualisierte Gewalt verlangt mehr als strafrechtliche Lösungen
17
Wie ist es eigentlich als Frau, Mitte 30, aus dem Osten im Sächsischen Landtag? 29
2
Vorwort
Luise Neuhaus-Wartenberg
Die Diskussion über Frauen in unserer
Gesellschaft, deren Selbstbestimmung,
Rechte und deren Rolle hat in den letzten Monaten eine neue, aber zutiefst
fragwürdige Dimension erreicht.
Die angeblich feministischen Debatten
werden aus falschen Beweggründen
und mit »zweifelhaften« Hintergedanken geführt. Den antifeministischen,
teils rassistischen Diskurs in inzwischen oder wieder weiten Teilen von
Politik und Gesellschaft mit dem Wort
»besorgniserregend« zu beschreiben
wäre stark untertrieben. Es scheint, als
hätten Frauen der älteren Generation in
unserer Partei Recht. Wir haben es mit
einem Rückschritt ins 19. Jahrhundert
zu tun.
Wie es insgesamt um die Anerkennung
von Frauen in unserer Gesellschaft
bestellt ist?!? Wir meinen, alles andere
als gut.
Wir müssen zu dem Schluss kommen,
dass es nicht mehr die klassisch linken
Sichtweisen und Forderungen sind,
die in der öffentlichen Wahrnehmung
besonders präsent sind.
Einfach ausgedrückt, stehen sich zwei
Positionen gegenüber:
Auf der einen Seite stehen jene, deren
Frauenbild vor der 68er Bewegung
stehen geblieben ist. Die Argumentation dieser Menschen dient nicht
der tatsächlichen Empörung über die
gesellschaftliche, politische und juristische Ungleichbehandlung von Frauen,
sondern einzig der Verbreitung eines
Werte- und Gesellschaftsbildes, das so
überholt wie fürchterlich ist.
Auf der anderen Seite stehen wiederum jene, die jede Ungleichbehandlung
von Frauen und Männern und jede
Diskriminierung von Frauen tatsächlich
anprangern und beseitigen wollen, dies
in ihrem Alltag leben und als selbstverständlich annehmen. Genau zu dieser
Gruppe gehören viele unserer Parteimitglieder und ganz besonders auch wir
als Forum Demokratischer Sozialismus
(#fds).
Nimmt man exemplarisch einzelne Teile
der politischen und gesellschaftlichen
Debatte mit Bezug auf das Rollenverständnis, das Frauen zugeschrieben
wird, und die rechtlichen Grundlagen,
müssen gerade bei der LINKEN alle
Alarmglocken läuten.
Im Zuge der herrschenden Asylpolitik zeigt sich immer wieder deutlich,
dass überhaupt kein Interesse daran
besteht, die besondere psychische,
physische und kulturelle Situation
weiblicher Geflüchteter zu berücksichtigen. Stattdessen wird das Grundrecht
3
auf Asyl immer weiter beschränkt und
geschwächt, die Hürden für einen
sicheren Aufenthalt und eine Bleibeperspektive werden erhöht und die
Debatte um feministische Politik wird
möglichst aus dem eigenen politischen
und gesellschaftlichen Verantwortungsbereich verlagert oder ganz
verdeckt.
In der Aufarbeitung der schrecklichen
Vorfälle in der Silvesternacht von Köln
wird in der breiten Öffentlichkeit nicht
darüber gesprochen, wie die Situation
von Opfern sexueller Gewalt überhaupt
ist und wie man präventiv tätig werden
kann.
Vielmehr wird eine oft rassistische und
islamfeindliche Debatte geführt, und
es werden politische ad-hoc-Entscheidungen getroffen, anstelle den Startschuss für eine umfassende Debatte
über sexualisierte Gewalt und die
Schwächen des deutschen Rechts- und
Gesellschaftssystems zu geben.
Wir müssen daher eben auch erkennen, dass unser emanzipatorisches
Frauenbild eben nicht oder nicht mehr
4
(?) von einer großen Mehrheit der
Bevölkerung getragen wird.
Mit dem Entstehen und dem Erstarken
der AfD geht auch eine weitere Stärkung
derer einher, die unsere demokratischen
Werte angreifen und in einer patriarchalen Welt leben wollen, in der jeglicher
Pluralismus verabscheut wird, und
Frauen nur noch Hausfrauen und Mütter
zu sein haben, die von ihren Männern
abhängig sind und denen ein selbstbestimmtes Leben verweigert wird.
Dabei vertritt die AfD Positionen, wie sie
auch in weiten Teilen von CDU und CSU
präsent sind.
Als fds wollen wir daher die inhaltliche
Dimension einer Feminismus-Debatte,
die für die Zukunft unserer Partei und
uns als Zukunftspartei entscheidend
ist, wieder stärker in den Vordergrund
rücken. Wir lassen Jana Hoffmann, Katja
Rom, Luise Neuhaus-Wartenberg und
Halina Wawzyniak in unserem Namen
sprechen, die alltäglich linken Feminismus leben.
Herzlichen Dank dafür.
Kleinfamilienidylle statt Lebensvielfalt –
Der gleichstellungspolitische Backlash
im Parlament
von Jana Hoffmann
Mit der Alternative für Deutschland
ist der organisierte Antifeminismus
im politischen System Deutschlands
angekommen. Oder man muss vielleicht
sagen: Mit voller Wucht zurückgekehrt.
Denn es ist nicht so, dass es nicht schon
früher explizit antifeministische und
gleichstellungsfeindliche Tendenzen
in den Landtagen oder im Bundestag
gab. Abwehrkämpfe gegen gesellschaftliche Modernisierungsbestrebungen
durchziehen die politische Agenda seit
Jahrzehnten. Es galt schon immer, sich
gegen den strukturellen Sexismus und
antifeministische Bestrebungen zu verteidigen. Allerdings hat es seit langem
keine Partei so organisiert geschafft,
mit frauenfeindlichen Vorhaben von
sich reden zu machen. Man hatte eher
den Eindruck, als ginge es in Sachen
Gleichstellung voran, als seien die nur
Trippelschritte der Sozialdemokrat*innen in Sachen Flexi-und Miniquote der
Abhängigkeit einer Großen Koalition
geschuldet. Hatte die FDP über ihrem
Wirtschaftsliberalismus noch die Frauen
vergessen, im Irrglauben, der Markt würde die Gleichstellung von ganz alleine regeln, konnte die CDU – sonst ein treuer
Hort konservativen Denkens – massive
Diskussionen innerhalb und mit ihrer
Frauenunion über die richtige Ausgestaltung der Quote nicht verhindern.
Ich möchte zur AfD folgende These
formulieren: Deren Streben nach und
Beharren auf konservativen Werten
ist ein Ausdruck des Zeitgeistes. Eines
Zeitgeistes, dem wir als Linke insgesamt etwas entgegensetzen müssen,
weil ansonsten Freiheit und Demokratie
bedroht sind.
Man könnte jetzt natürlich sagen, dies
alles ist Schwarzmalerei. Die Mehrzahl
der Menschen sei nicht alten Werten
verhaftet, stattdessen offen für Frauenrechte und unterstütze Alleinerziehende
und Patchworkfamilien. Ist das so? Zeigt
nicht das Unverständnis über quotierte
Redelisten, die Häme über Initiativen,
Sitzungen nicht in die späten Abendstunden zu verlegen, auch in unserer
Partei Defizite, über die wir diskutieren
müssen?
Wo stehen wir in der Gesellschaft,
was die Frauenrechte anbelangt? Und
welche Anschlussmöglichkeiten hat die
AfD mit ihrer Politik, die der neokonservativen Kleinfamilie das Wort redet?
Ein Blick in das Grundsatzprogramm
der AfD ist an dieser Stelle nützlich. Es
soll am letzten Aprilwochenende 2016
verabschiedet werden und beschreibt
auf 74 Seiten die Grundzüge der »liberalen und konservativen« Ideologie der
5
neurechten Partei. Hierbei sind mehr
als fünfzehn Kapitel und Unterkapitel der Frauen- sowie Familienpolitik
gewidmet.
Dabei steht das Bekenntnis zur traditionellen Familie im Mittelpunkt. Eine
Familie besteht nach Willen der AfD aus
Vater, Mutter und mindestens drei Kindern. Die hohe Kinderanzahl, allerdings
nur deutscher Familien, ist in ihren
Überlegungen dringend notwendig, um
dem »ethnisch-kulturellen Wandel der
Bevölkerungsstruktur«(1), mit anderen
Worten der »Überfremdung« des deutschen Volkes, Einhalt zu gebieten. Es
heißt weiter, man wolle die »demografischen Fehlentwicklung« nicht durch
»volkswirtschaftlich nicht tragfähige
und konfliktträchtige Masseneinwanderung«(2) ausgleichen.
So weit so schlecht.
Woher sollen all die vielen deutschen
Kinder kommen? Die Überlegungen der
AfD sind so falsch wie simpel: Wenn nur
erst das Hausfrauen- und Mutterdasein
wieder mehr staatlich subventioniert
und gesellschaftlich legitimiert wäre,
bekämen mehr Frauen Kinder. Hierbei
verkennt die AfD, dass mit Ehegattensplitting, geringerem und im Vergleich
zu Männern ungleichem Lohn bei
gleichwertiger Arbeit, der kostenfreien
Familienmitversicherung sowie dem
ehemaligen Betreuungsgeld sehr wohl
Fehl-Anreize geschaffen wurden, um
Frauen an Haus und Hof zu binden.
1 https://www.alternativefuer.de/wp-content/
uploads/sites/7/2016/03/Leitantrag-Grundsatzprogramm-AfD.pdf, S. 28, zuletzt abgerufen
am 23.4.2016.
2 Ebd., S. 27.
6
Heutzutage nützt dies zum Glück
nicht mehr, denn so langsam setzt ein
Umdenken ein. In der gesellschaftlichen
Realität wünschen sich immer mehr
Mütter und Väter bessere Vereinbarkeit,
um Erwerbsarbeit und Kinderwunsch zu
verbinden.
Andere Familien- und Lebensformen außer der tradierten Kleinfamilie erkennt
die AfD nicht an. Familie ist nicht da, wo
Nähe ist und Verantwortung füreinander übernommen wird. Familie ist
ausschließlich Vater, Mutter, Kind(er).
In einem früheren, geleakten, Entwurf
des Grundsatzprogramms sprach die
AfD hinsichtlich Familien mit nur einem
Elternteil eine deutlich abwertende
Sprache. Nicht nur wendetet sie sich
gegen die »Glorifizierung individualisierter Lebensformen«(3), mehr noch
verstieg sie sich zu der Aussage, dass
Alleinerziehende auf Dauer und immer
überfordert sind. Da in Deutschland die
meisten Alleinerziehenden Frauen sind,
heißt es also im Klartext, dass Frauen
alleine die Erziehung ihrer Kinder nicht
meistern können. Und auch die starke Abgrenzung zur Individualisierung
lässt an dieser Stelle tief blicken. In der
Soziologie wird Individualisierung als
Übergang von einer Fremd- zur Selbstbestimmung beschrieben. Mündige
Familien und Menschen sind der AfD
offensichtlich ein Dorn im Auge.
Aber ach, es ist alles gar nicht so
schlimm, sollen doch Menschen, die unverschuldet in diese Situation geraten
3 https://correctiv.org/media/public/
a6/8e/a68ed5e4-32a8-4184-8ade-5c19c37ff524/2016_02_23-grundsatzprogrammentwurf.pdf, Seite 41, zuletzt abgerufen am
23.4.2016.
sind, »Mitgefühl und die Unterstützung
der Solidargemeinschaft«(4) erhalten.
Aber nur jene, die es verdient haben!
Alleinerziehend sein ist, obwohl millionenfach Realität in Deutschland, nicht
normal, die »staatliche Finanzierung des
selbstgewählten Lebensmodells ›Alleinerziehend‹«(5) wird abgelehnt.
ren müssen. Sexuelle und reproduktive
Rechte, selbstverständliche Selbstbestimmungsrechte von Frauen über ihren
eigenen Körper, werden offensichtlich
negiert und geleugnet. Für die AfD
sind diese reproduktiven Rechte keine
Menschenrechte, jedenfalls nicht für
Frauen.
Dazu passt natürlich auch der Vorschlag, das Schuldprinzip bei Ehescheidungen wieder einzuführen. In einem
ersten Entwurf heißt es dazu, dass
»schwerwiegendes Fehlverhalten, welches sich gegen die eheliche Solidarität
richtet, … bei den Scheidungsfolgen berücksichtigt werden«(6) muss. Im alten
Scheidungsrecht bis 1976, mit massiven Folgen für die oder den »schuldig«
Geschiedenen, galt: Es gab kaum noch
eine Möglichkeit die elterliche Sorge
über die Kinder zu erhalten und massive
Auswirkungen im Unterhaltsanspruch
waren die Folge, man hatte schlicht
keine Ansprüche mehr. Sollte dies erneut Realität werden, gibt es zumindest
Gesprächsstoff beim Kennenlernen: »Hi
mein Name ist Willi und ich bin unschuldig geschieden. Magst Du ein Bier?«
Es gibt allerdings auch Menschen, die
gern Kinder bekommen wollen, aber
im Sinne der AfD nicht dürfen sollen.
Die »sexuellen Neigungen einer lauten
Minderheit«(7), schwule und lesbische
Partnerschaften, oder gar Regenbogenfamilien, passen nicht ins konservative
Weltbild des Grundsatzprogramms.
Das ist insofern bemerkenswert, als
mit Alice Wendel, eine in eingetragener
Lebenspartnerschaft mit Kind lebende
Frau, Chefin der Programmkommission
war.
Zurück zur geplanten Erhöhung der
Geburtenrate. Zu dieser dann für die
Betroffenen unfreiwillig hohen Geburtenrate trägt natürlich bei, dass
Schwangerschaftsabbrüche rigoros
eingeschränkt werden sollen. Trotz
sinkender Abbruchzahlen soll die
ergebnisoffene Beratung der Schwangerschaftskonfliktstellen eingeschränkt
werden – mit dem vorrangigen Ziel,
dass Schwangere um jeden Preis gebä4 Ebd.
5 Ebd.
6 Ebd.
Lebensweise hat für die AfD immer mit
Sex und Sexualität zu tun, und so ist es
auch nicht erstaunlich, dass zwar das
»Ziel der schulischen Bildung […] der
eigenverantwortlich denkende Bürger
sein«(8) soll, doch die freie Entfaltung
des Menschen im Klassenzimmer aufhört, wenn es um Vielfalt und Diversität
gehen soll. Die »Frühsexualisierung«
durch Sexualkundeunterricht soll nicht
stattfinden, um Kinder nicht in ihrer
sexuellen Identität zu verunsichern. So
kann man auch zu hohen Geburtenraten
beitragen, wie ähnliche Forderungen
aus den USA zeigen.(9)
7 https://www.alternativefuer.de/wp-content/
uploads/sites/7/2016/03/Leitantrag-Grundsatzprogramm-AfD.pdf, Seite 39, zuletzt abgerufen am 23.4.2016.
8 Ebd.
9 In Teilen der USA wurde der Sexualkundeunterricht durch Abstinenzprogramme ersetzt, dies
führte allerdings nicht zu einem Rückgang der
7
Lassen wir diese Aussagen auf uns
wirken. Übermäßige Gelassenheit
und Unaufgeregtheit könnte manchen
veranlassen zu sagen, es sei doch alles
nur im Programm formuliert, es seien
nur einige politische Hardliner und die
AfD werde auch wieder schwächer und
soweit würde es nicht kommen. Aber
das Beispiel der AfD im Thüringer Landtag zeigt, dass sie es durchaus ernst
meinen. So forderten sie dort nicht nur
die Abschaffung der Gleichstellungsbeauftragten, auch das Landes- und
Bundesgleichstellungsgesetz soll verschwinden. Und vollends in rechtsextremes Fahrwasser begaben sie sich per
Kleiner Anfrage, als sie alle nicht-heterosexuellen Menschen staatlich zählen
lassen wollten. Rosa Listen hatten wir
schon mal.
Das gefährliche an der familien- und
frauenpolitischen Gedankenwelt der
AfD ist die Anknüpfung an den Zeitgeist.
Die CDU-Politikerin Birgit »Mach doch
die Bluse zu« Kelle ist nicht nur treue
Förderin der erzkonservativen Legionäre Christi, sondern auch Bildungsplangegnerin. Die beiden sächsischen
CDU-Bundestagsabgeordneten Andreas
Lämmel und Arnold Vaatz luden Kelle
zu einem Vortrag in Dresden unter dem
prägnanten Titel: »Mit Gendergaga gegen das arabische Frauenbild? Wie Ideologien unsere Freiheit bedrohen«. Und
so schafft es dieses Gedankengut sogar
in den Bundestag, wenn die CDU-Bundestagsfraktion Kelle als Expertin zu
einem Fraktionsfrühstück einlädt.(10)
Schwangerschaften unter Teenagern. Vgl. http://
www.forschung.sexualaufklaerung.de/fileadmin/fileadmin-forschung/pdf/Teenagerschwangerschaften_international_2_2007.pdf.
10
Dazu siehe: http://www.queer.de/
detail.php?article_id=25621, zuletzt abgerufen
am 23.4.2016.
8
Kelle befindet sich auf diesen Demonstrationen in netter Gesellschaft zur AfD.
Beatrix von Storch, unterstützt mit ihrem Verein »Zivile Koalition e.V.« und deren »Initiative Familienschutz« die an die
homophobe französische Bewegung »La
Manif pour tous«, angelehnte »Demo
für alle«. Dies sind Bündnisse, die sich
gegen Bildungspläne und Sexualaufklärung wenden und zuletzt mehrere
tausend Menschen mobilisieren konnten. Und auch die Verbrüderung mit den
fundamentalen Christen des »Marsch
für das Leben«, einer jährlichen Großdemonstration radikaler Abtreibungsgegner*innen in Berlin, an der 2015 rund
5000 Menschen teilnahmen, schließt an
bestehende Ressentiments in Teilen der
Gesellschaft an.
Wie weit der Einfluss der Europapolitikerin von Storch und ihren Verbündeten
reicht, wurde bei der Behandlung des
Estrela-Berichtes im Europäischen Parlament deutlich. Dieser Bericht befasste
sich mit Forderungen nach europaweit
liberaleren Standards bei Sexualerziehung, Reproduktionsmedizin und
Schwangerschafts-abbrüchen. Obwohl
der Frauen- und Gleichstellungsausschuss der EU ihn schon gebilligt hatte,
wurde er im Parlament abgelehnt. Das
rechtskonservative Lobbying über
Parteigrenzen hinweg hatte sich für von
Storch gelohnt.
Liest man nun Texte und Publikationen
der AfD beschleicht einen das Gefühl,
der Untergang des Abendlandes (sic!)
steht bevor. Die größten Feinde heißen
Islam und Gender Mainstreaming:
«Die Gender-Ideologie marginalisiert
naturgegebene Unterschiede zwischen
den Geschlechtern und wirkt damit
traditionellen Wertvorstellungen und
spezifischen Geschlechterrollen in den
Familien entgegen.«(11)
Und so schafft es die AfD, mit Versatzstücken wie Gender-Ideologie und
Frühsexualisierung einen Kulturkampf
zu führen, der das alleinige Ziel hat, in
die Vergangenheit zu reisen. In eine Vergangenheit vor 1968 und der Modernisierung der Gesellschaft. Das tradierte
Geschlechterbild der fünfziger Jahre soll
reaktiviert werden, um verängstigten
Männern, die um ihren Platz und Status
in der Gesellschaft bangen, die verunsichert sind ob einer vermeintlichen
Frauenübermacht in Politik, Wirtschaft
und Gesellschaft, Halt und Orientierung
zu bieten: Es bietet ein Festhalten an
alten Geschlechterprivilegien als einzige Sicherheit gegen die feindliche Welt.
Gleichstellungspolitische Errungenschaften sollen zurückgedreht werden,
um den Weg zur tradierten Kleinfamilie
zu ebnen und Statusängste zu lindern.
Ideologische Schwachstellen im Programmentwurf sind nach Verabschiedung des Grundsatzpapiers vielleicht
auch nur noch Makulatur. Denn das
Programm ist in sich nicht schlüssig:
Scheinbar kann man(n) sich nicht für
eine ideologische Richtung entscheiden. Zuerst wird postuliert, dass Frauen
heutzutage schon gleichberechtigt sind
und man die Maßnahmen zur Minderung struktureller Diskriminierung nicht
brauche. Zum zweiten gehöre die Frau
doch eher als natürliche Versorgerin der
Familie an den Herd und nicht an den
Schreibtisch. Zum dritten ist es aber
ungerecht, wenn nur Männer verpflichtend zur Armee müssen und deshalb
ist angedacht, Frauen ebenfalls in den
Streitkräften dienen zu lassen – freiwillig versteht sich.
In erster Linie ist dieses Durcheinander sicherlich den Flügelstreitigkeiten
innerhalb einer jungen, heterogenen
Partei geschuldet. Der geleakte erste
Entwurf des Programms war schärfer
und grobkantiger, als das um Mehrheitspositionen feilschende zur Abstimmung
stehende Grundsatzpapier, welches
jetzt vorliegt. Sicherlich sollten auch kritische Stimmen im Vorfeld des Parteitages vermieden werden, schaut man zum
Beispiel auf das abgemilderte Kapitel
zur Situation der Alleinerziehenden.
Es gibt die These, dass eine Erhöhung des Frauenanteils sowohl in der
Mitgliedschaft an der Basis als auch
auf Ebene von Abgeordneten und
Mandatsträger*innen Männergruppen
erschwert, erzkonservative Frauen- und
Familienpolitik zu forcieren. Dies gilt im
besonderen Maße für die AfD, auch und
gerade weil mit Frauke Petry und Beatrix von Storch zwei prominente Frauen
in erster Reihe stehen. Und danach
lange keine Frau mehr in Sicht ist.
11
https://www.alternativefuer.de/
wp-content/uploads/sites/7/2016/03/Leitantrag-Grundsatzprogramm-AfD.pdf, S. 41, zuletzt
abgerufen am 23.4.2016.
9
Die neuen Europäerinnen
Von Katja Rom (Sprecherin des Forum Demokratischer Sozialismus Berlin)
Ende 2014 waren 59,5 Millionen
Menschen auf der Flucht. Dies ist die
höchste Zahl, die jemals von UNHCR
(United Nations High Commissioner
for Refugees) verzeichnet wurde. Pro
Tag flohen im Durchschnitt 42.500
Menschen. Einer von 122 Menschen ist
entweder Flüchtling oder Binnenvertriebener.(1)
Die Reise beginnt für die meisten Frauen auf dem Deck eines fragilen Boots.
Für viele Frauen ist es überhaupt das
erste Mal, dass sie vollkommen auf
sich allein gestellt sind, ohne ihre
Ehemänner und Familien. Oft sind sie
schwanger, sie haben bereits Kinder
dabei und ältere Verwandte. Das Öl aus
den tropfenden Motoren sammelt sich
in Pfützen auf dem Boden. Manchmal
fangen diese Öllachen Feuer, nicht
selten verursacht das Einatmen der
Dämpfe Vergiftungen. Für viele Frauen
gerät die Überquerung des Mittelmeers
schon allein deshalb zum Albtraum,
weil sie in ihrer Heimat nicht schwimmen lernen durften. Der Stress einer
solchen Reise kann bei Schwangeren
zu Frühgeburten führen. Ohne medizinische Hilfe, eingequetscht zwischen
200 anderen Menschen mitten auf
dem Meer und mit nichts als den
Sachen, die sie am Leib tragen, enden
1 ( Quelle: UNO – https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/fluechtlinge/zahlen-fakten.html)
10
die Geburten oft tödlich für das Kind.
Für die Mütter, mit etwas Glück, endet
eine solche Überfahrt entweder am
Strand einer griechischen Insel oder
sie werden durch die Küstenwache
aufgegriffen. Die Grenzschließungen
an den Außengrenzen Europas zwingen
mehr und mehr Menschen dazu, sich
auf lebensgefährliche illegale Fluchtwege zu begeben.
Es gibt viele Gründe für Frauen, sich
und ihre Angehörigen einer solch verzweifelten, möglicherweise tödlichen
und nicht selten völlig aussichtslosen
Flucht auszusetzen. Sie fliehen, weil
sie aus politischen oder religiösen
Gründen verfolgt werden, aber auch
weil sie Schutz vor ihrer Familie oder
ihrem Partner suchen. Ihnen drohen in
vielen Ländern Zwangsverheiratungen,
Gewalt im Namen der Ehre, Genitalverstümmelungen, häusliche Gewalt.
In Ländern mit kriegerischen Auseinandersetzungen führt die Auflösung
sozialer Strukturen einer Gesellschaft
zur Zunahme der Gewaltbereitschaft.
In vielen Bürgerkriegen gehören systematische Vergewaltigungen von Frauen
und Mädchen zur Kriegsstrategie.
Auf ihren Fluchtwegen ist es für Frauen
und Mädchen jedoch nicht weniger
gefährlich. Für ihre Reise brauchen die
Frauen Geld, was viele nicht haben. In
der Regel kommen sie aus patriarchalischen Gesellschaften und haben weder
einen Beruf ausgeübt noch verfügen
sie über eigenes Einkommen. An die
Schlepper müssen sie mehrere tausend Euro zahlen. Arbeitsausbeutung
oder Zwangsprostitution sind nicht
selten der »Preis«, um die Flucht zu
ermöglichen. Sie sind dann der Willkür
von Schleusern, Beamten und anderen Flüchtlingen ausgesetzt, die nicht
selten ihre Schutzlosigkeit ausnutzen.
Schmuggler*innen würden mit Menschenhändlern gemeinsame Sache
machen, um Frauen und Mädchen in
die Prostitution zu zwingen, berichtet
die Europäische Frauenlobby (EWL). (2)
Für die Frauen kann der erzwungene
sexuelle Akt die gesellschaftliche
Isolation bedeuten: In einigen Kulturen
gelten sie als Beschmutzte, die ihrer
Familie Schande bringen. Vor allem in
den muslimischen Herkunftsländern ist
Sex gegen Geld ein großes Tabu.
Viele der Frauen und Mädchen, die als
Flüchtlinge in Europa ankommen, sind
daher psychisch und physisch schwer
belastet, manche traumatisiert. Auf
den ersten Blick ist ihnen das oft nicht
sofort anzumerken. Sie haben das
Funktionieren unter schlimmsten Bedingungen »gelernt« und mit viel Kraft
und Überlebenswillen sich und meist
auch ihre Kinder an ein erhofftes sicheres Ziel gebracht. Die Realität, auf die
sie dann in Erstaufnahmelagern und
Gemeinschaftsunterkünften stoßen,
ist jedoch manchmal kaum sicherer als
2
http://www.womenlobby.org/
Asylum-is-not-gender-neutral-the-refugee-crisis-in-Europe-from-a-feminist?lang=en
das, was sie versuchen hinter sich zu
lassen.
Besonders für kranke oder alleinstehende Frauen mit Kindern ist das Leben
in den Flüchtlingslagern und Notunterkünften schwierig. Sie geraten in
überfüllte Aufnahmelager ohne jede
Privatsphäre, die Zimmer sind oft nicht
abschließbar, die sanitären Anlagen
nicht nach Geschlechtern getrennt.
Während die Männer versuchen, mobil
zu sein, verlassen die Frauen die Unterkünfte viel seltener – aus Angst vor
Übergriffen und weil es in ihren Herkunftsländern oft nicht üblich ist, sich
als Frau frei auf der Straße zu bewegen.
Es kann passieren, dass sie nicht zu den
Verteilerstellen kommen können, wo sie
Wasser, Lebensmittel oder Hilfsgüter
für den alltäglichen Gebrauch erhalten, oder Schwierigkeiten haben, weil
ihre Familien ohne männliches Familienoberhaupt nicht als Haushalt zählen.
Sie sind teilweise zum ersten Mal auf
sich gestellt, müssen sich in völlig neue
Rollen und Aufgaben finden. Auch sind
sie dort vor sexuellen Übergriffen nicht
sicher. Vor allem alleinstehende Frauen
sind ohne den Schutz eines männlichen
Angehörigen gefährdet.
Der Gewaltschutz in Flüchtlingsunterkünften weist derzeit erhebliche
Defizite auf, die mit den zunehmenden
Flüchtlingszahlen sichtbarer werden.
Die Gewalt gegen Flüchtlingsfrauen und
Kinder ist jedoch kaum dokumentiert
oder erforscht. Es gibt kaum belastbare
Zahlen zur Häufigkeit der Übergriffe. Erst
allmählich dringen genauere Informationen zu Gewalt und sexualisierter Gewalt
in den Flüchtlingsunterbringungen an die
Öffentlichkeit.
11
Die rechtliche Debatte
Geschlechtsspezifische Verfolgung gilt
seit der Genfer Flüchtlingskonvention
von 1951 als Asylgrund. Deutschland
hat sich lange dagegen gesperrt, sogenannte nichtstaatliche Verfolgung wie
Vergewaltigung und häusliche Gewalt
als Fluchtursache anzuerkennen. Mit
dem Zuwanderungsgesetz von 2005
hat sich das geändert, die Betroffenen
haben formalrechtlich mehr Aussicht
auf Asyl.
In der Realität sieht das allerdings oft
anders aus. »Viele Frauen haben keine
Chance auf Asyl. Ihnen wird vielfach unterstellt, sie hätten sich die Erlebnisse
nur ausgedacht«, sagt etwa die Juristin
Marei Pelzer von Pro Asyl.(3)
Ein weiteres, bisher weitgehend
unbeachtetes, Problem ist die Staatenlosigkeit der Kinder, die auf der Flucht
geboren werden. Die gesetzlichen
Grundlagen sind von Land zu Land
verschieden, aber generell gilt der
Grundsatz, dass Kinder, die in Europa geboren wurden und deren Eltern
nicht Europäer sind, sich nicht um eine
Staatsbürgerschaft bewerben können
bis sie 18 Jahre alt sind. Besonders bei
Asylbewerber*innen kann oft keine
Staatsbürgerschaft festgestellt werden
oder es mangelt an Dokumenten und
Ausweispapieren. Nicht selten ist das
auf Asylverfahren zurückzuführen, die
Menschen nach ihrer Herkunft klassifizieren und in Staaten, die als »sichere«
Herkunftsländer eingestuft werden, um3 http://www.bpb.de/internationales/weltweit/
menschenrechte/38734/interview-fluchtursachen
12
gehend zurück führen würden. »Es gibt
ein großes Risiko für eine ganze Generation Kinder, staatenlos zu werden« sagt
dazu Tarah Demant, Senior Director der
Abteilung für Identität und Diskriminierung bei Amnesty International. «Es gibt
viele Kinder, die in den Camps geboren
werden oder einfach unterwegs in Gebieten wie Jordanien, wo Flüchtlinge oft
in inoffiziellen Siedlungen leben – diese
Kinder fallen unter keinerlei rechtlichen
Rahmen. Das ist ein riesiges Problem.«
so Demant weiter.(4)
Die Verabschiedung des sogenannten
Asylpakets II für Deutschland Ende Februar 2016 höhlte die Chancen auf Asyl
noch weiter aus. Das Recht auf Familiennachzug wird eingeschränkt, so dass
Familien teilweise auf Jahre auseinander
gerissen werden. Es wird eine generelle
Wartefrist von zwei Jahren eingeführt,
bevor ein Familiennachzug stattfinden
kann. Schon ohne die neue Wartefrist
sind Familien aufgrund der Flucht
oftmals lange getrennt. Die Dauer des
Asylverfahrens in Deutschland und
anschließende Beantragung einer Familienzusammenführung dauert wiederum
mindestens zwei Jahre. De facto kann
das zu einer Familientrennung von vier
bis fünf Jahren führen. Diese Regelung
steht völlig dem Grundrecht auf Schutz
der Familie (Art. 6 GG) entgegen.
Weiterhin wurden unfaire Asylschnellverfahren eingeführt, die Menschen
werden mit Wohnsitzauflagen und weiteren Schikanen maßgeblich an der Integration gehindert. Der »kurze Sommer
der Migration« wurde in Deutschland
spätestens mit der Verabschiedung des
Asylverfahrensbeschleunigungsgeset4 http://www.ibtimes.com/refugee-women-arecarrying-more-uncertain-future-2333260
zes beendet. Zynisch mutet in diesem
Zusammenhang auch die Erweiterung
der als »sicher« eingestuften Herkunftsländer um die sogenannten MahgrebStaaten Tunesien, Algerien und Marokko an. In den vergangenen Monaten hat
sich die Zahl der Flüchtlinge aus diesen
Staaten erhöht. Anerkannt werden aber
nur sehr wenige Menschen aus diesen
Ländern. Eine Einstufung als sichere
Herkunftsstaaten würde es künftig
ermöglichen, dass über Asylanträge
aus diesen Ländern innerhalb von drei
Wochen entschieden wird.
Die deutschen Rechtsverschärfungen
können ohne weiteres als ein beispielloser Angriff auf das Asylgrundrecht
gewertet werden, der zugleich mit einer
Abkehr von Fortschritten im internationalen Flüchtlingsrecht einhergeht, wie
zum Beispiel die UN-Kinderrechtskonvention und die EU-Aufnahmerichtlinie.
Unterstützung erhält die flüchtlingsfeindliche Politik nicht nur aus konservativen Reihen, sondern auch zum
Beispiel durch den grünen Oberbürgermeister Tübingens, Boris Palmer, und
die Taz-Journalistin Barbara Dribbusch.
Diese schrieb in ihrem Artikel »Gegen
den linken Größenwahn«: »Die Debatte
über Obergrenzen muss erlaubt sein,
das »O-Wort« darf kein Tabu mehr sein.
Vielleicht aber ebbt die Asylbewerbermigration auch von alleine ab, wie
schon in den 90er Jahren, womöglich
setzt sogar eine massive Rückwanderung ein, weil sich die Situation in den
Herkunftsländern entspannt hat (…)«(5).
Weder die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) noch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) oder
5 http://www.taz.de/!5240409/
die EU-Asylverfahrensrichtlinie kennen
aber eine Obergrenze beim Asyl. Diese
Vorgaben ermöglichen gerade den
Zugang von Schutzsuchenden zum
Asylverfahren.
Doch auch innerhalb der LINKEN ist die
Frage zum Umgang mit Geflüchteten
strittig. So hätte die Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht bei der Aussprache im Bundestag am 15. Oktober 2016
zur Verabschiedung eines Gesetzespakets zur Verschärfung des Asylrechts,
das Gesetz und seine Folgen kritisieren
können. Sie sprach stattdessen über
die US-Militärinterventionen als Grund
der »Fluchtursachen« und Lohndumping
als Folge des Zugangs von Flüchtlingen auf den Arbeitsmarkt. Auch der
Abgeordnete Diether Dehm, der einen
»unlimitierten Flüchtlingszustrom für auf
Dauer nicht rechtlich darstellbar« hält,
und der ehemalige Parteivorsitzende
Oskar Lafontaine, der sich immer wieder
für Obergrenzen ausspricht, zielen in
dieselbe Richtung.
Eine Änderung des Asylrechts nach
nationalstaatlichem Gusto ist in Zeiten
transnationaler Rechtsgeltung jedoch
nicht ohne weiteres möglich. Die Befürworter von Obergrenzen vergessen
hierbei, dass Deutschland bei deren
Einführung konsequenterweise aus der
EU austreten und seine Unterschriften
unter die GFK und EMRK zurückziehen müsste. Durch Beschränkung des
Familiennachzugs von anerkannten
Flüchtlingen und durch Reaktivierung
der Dublin-Abschiebungen wird daher
auf Umwegen eine faktische Obergrenze
herbeigeführt. Am Ende gibt die Debatte
um Obergrenzen vor allem völkisch-nationalen Ressentiments Aufschwung.
13
Geschlechtsspezifische Asylgründe
müssen ernst genommen werden!
Die neuesten Statistiken des UN-Flüchtlingshilfswerks besagen, dass 55
Prozent der Flüchtlinge, die in Europa
ankommen, Frauen und Kinder sind.
Sowohl auf ihrer unmittelbaren Flucht
als auch in den Transit- und Zielländern sind Frauen potenziell Opfer von
Gewalt. Frauen, Kinder und ältere
Menschen auf der Flucht bilden die am
meisten gefährdete Gruppe unter den
Geflüchteten. Sie werden Opfer von
Schleusern und Menschenhändlern,
traurigerweise manchmal auch von
anderen Flüchtlingen.
Erreichen die Frauen und Kinder, traumatisiert von ihren Erfahrungen, das
angestrebte Ziel, werden sie im fremden
Land mit Bedingungen konfrontiert, die
ihrem Schutzbedürfnis nicht gerecht
werden. Ihre Reise verläuft oft physisch
und psychisch anstrengend, die Bedingungen im Zielland tragen zurzeit kaum
zur Besserung bei. Sie werden in der
Regel dafür kämpfen müssen, dass ihre
Fluchtursachen als Asylgrund anerkannt
werden.
Um dem besonderen Schutzbedürfnis von Frauen und Mädchen gerecht
zu werden, müssen im ersten Schritt
sofort die Bedingungen in den Flüchtlingsunterkünften verbessert werden.
Alleinfliehende Frauen mit und ohne
Kinder müssen getrennt von männlichen Bewohnern untergebracht
werden können. Die Sanitäranlagen und
Schlafräume müssen abschließbar und
geschlechtergetrennt sein. Es sollte
spezielle Rückzugs- und Schutzräume
14
für vor geschlechterspezifischer Gewalt
Geflüchtete geben sowie muttersprachliche Beratungs- und Therapieangebote.
Der Zugang zu Frauenhäusern und
Schutzeinrichtungen muss für alle Frauen unabhängig vom Aufenthaltsstatus
garantiert werden. In den Unterkünften
muss für ausreichend Kinderbetreuung gesorgt werden, auch für Frauen,
die eine männliche Begleitung haben.
In vielen Herkunftsländern werden
Kinder nicht von Männern betreut, die
Frauen werden ohne Kinderbetreuung
davon abgehalten, zum Beispiel an
Sprachkursen teilzunehmen. Weibliche
Gesprächspartner, Beamtinnen und
Dolmetscherinnen sind notwendig,
viele Frauen werden in Anwesenheit eines Mannes zögern, relevante
Informationen zu erzählen oder aber
sie möchten nicht, dass ihre Partner
und Kinder hören, wovon sie berichten.
Eine geschlechtersensible medizinische
Gesundheitsversorgung muss für alle
gewährleistet sein.
Grundsätzlich müssen geschlechtsspezifische Fluchtursachen als Asylgrund
umfassend anerkannt werden. Betroffene müssen vor Abschiebung geschützt
werden. Dazu gehört ein eigenständiges
Aufenthaltsrecht ab dem ersten Tag
der Ehe und ein Rückkehrrecht für ins
Ausland zwangsverschleppte Frauen.
Aufenthalts- und soziale Rechte der Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution müssen gestärkt werden.
Die Einschränkung des Familiennachzugs muss aufgehoben werden und für
gleichgeschlechtliche Partner gelten.
Der Ehegattennachzug muss ohne
Sprachhürden ermöglicht werden, das
heißt, die diskriminierenden Sprach-
tests für einreisewillige Ehepartner
müssen wieder abgeschafft werden.
Fazit
Deutschland beantwortet die sogenannte Flüchtlingskrise zurzeit mit einer Politik der Abschreckung und Abschottung.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs
kämpft die Gesellschaft mit der Herausforderung, ihren Zusammenhalt und ihr
Funktionieren auf gemeinsamen Idealen
zu bauen, anstatt auf gemeinsamen
Blutlinien. Quer durch das gesamte
politische Spektrum erstarken Bestrebungen, deutsche Werte im Angesicht
der rapiden sozialen Veränderungen zu
bewahren und zu propagieren. Was genau diese deutschen Werte sein sollen,
bleibt unklar. Nicht selten wird bei der
Debatte Gesetz mit Kultur verwechselt.
Während sich die Deutschen an der Definition ihrer Identität abarbeiten, gießt
die Angst des Verlustes derselben weiter
Öl ins Feuer von nationalistischen bis hin
zu völkischen Bewegungen. Der Flüchtlingszustrom wird begleitet von einer beängstigend großen Anzahl fremdenfeindlicher Demonstrationen und Übergriffen
auf Flüchtlinge sowie vom Aufstieg der
rechtsgerichteten Partei »Alternative
für Deutschland« (AfD). Rechtes Gedankengut ist wieder salonfähig geworden,
es scheint nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen, stattdessen aus ihr
heraus entstanden zu sein.
So ist es vor diesem Hintergrund wenig
verwunderlich, dass sich im Januar diesen Jahres Frauke Petry, Vorsitzende der
AfD, für den Gebrauch von Schusswaffen
auch gegen geflüchtete Frauen und Kinder aussprach, um sie am Grenzübertritt
zu hindern.(6) Dazu passt die Strategie
der Bundesregierung, zusammen mit
der EU einen fragwürdigen Deal mit der
Türkei einzugehen und so gegen bereits
zugesagte drei Milliarden Euro und weitere drei Milliarden Euro bis 2018, den
Zustrom der Flüchtlinge einzudämmen.
Bereits jetzt zeigt dieser Deal Wirkung
und die Zahl der hier ankommenden
Menschen sinkt drastisch.
Diese Strategie könnte aufgehen: Die
ankommenden Flüchtlinge werden
hinter die europäischen Außengrenzen
verlagert, so dass schwere Menschenrechtsverletzungen und der Tod von
Schutzsuchenden im hiesigen Diskurs
nicht mehr vorkommen werden.
Während sich auf der Straße, im Internet und in unzähligen Gemeindesälen
und in der Politik auf allen Ebenen die
offen rassistischen Deutschen formieren, ist auch eine starke Gegenbewegung entstanden. In der angespannten
gesellschaftlichen und politischen
Situation haben in Bezug auf die Versorgung der Geflüchteten mittlerweile
viele außerparlamentarische Bewegungen, die sich nicht um Wählerstimmen
kümmern müssen, ehrenamtlich die
Aufgaben des Staates übernommen.
Dennoch ist und bleibt es Aufgabe
der Politik und hier insbesondere der
LINKEN, einen Ausweg, einen menschlichen Gegenentwurf zu der aktuellen
barbarischen Politik der Abschottung
und Ausgrenzung zu finden. Dies kann
nicht nur auf nationaler Ebene geschehen. Denn: Eine europäische Gesellschaft, die ihre Grundidee der europäi6 http://www.spiegel.de/politik/deutschland/
petry-fordert-notfalls-schusswaffen-einsatz-gegen-fluechtlinge-an-der-grenze-a-1074816.html
15
schen Integration als exklusiven Club
betrachtet und betreibt, negiert sich
selbst. Das fortschreitende Scheitern
der europäischen Integration wird dabei
mit dem Versagen in der Flüchtlingspolitik in Verbindung gebracht werden.
Die Politik der Abschottung und deren
Folgen könnte jedoch ein emanzipatorisches Projekt begünstigen, auch
wenn die Forderung nach offenen
Grenzen vor schwierigen Herausforderungen steht. Zur Reflexion über das
Konzept der offenen Grenzen gehört,
dass allein offene Grenzen nicht
ausreichen. Neoliberale Praktiken und
ökonomische Interessen führen zu
anhaltend schlechten, teilweise sogar
lebensgefährlichen Bedingungen für
Geflüchtete. Die Menschen fliehen
16
schließlich nicht aus Syrien, Afghanistan und Tunesien, um den deutschen
Fachkräftemangel zu beseitigen. Viele
von ihnen sind traumatisiert, und kein
privates Willkommensbündnis kann ihre
Versorgung alleine übernehmen. Ein
gewisses Maß an professionellen Strukturen und sozialer Sicherheit ist hierfür
notwendig. Um überhaupt irgendwo zu
beginnen mit einer menschenwürdigen
Integration, müssen der Ansatz und
der Fokus zunächst auf der Hilfe für
die Schwächsten und Verletzlichsten
unter den Geflüchteten liegen. Frauen,
Kinder und ältere Menschen müssen
mehr in den Mittelpunkt der Konzepte
und Maßnahmen der Politik insgesamt
gerückt werden. Ihnen muss zu allererst Sicherheit garantiert werden. Die
Frage, wie das zu schaffen ist, kann nur
Kampf gegen sexualisierte Gewalt verlangt
mehr als strafrechtliche Lösungen
Halina Wawzyniak
In Deutschland wird derzeit debattiert, ob und wie im Sexualstrafrecht
der Grundsatz »Nein heißt Nein« verankert werden kann. Der LINKEN geht
es, wie in dem von ihr vorgelegten Gesetzesentwurf (http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/077/1807719.
pdf) formuliert, dabei vor allem um die
Formulierung einer Erwartungshaltung des Gesetzgebers.
Die Erwartungshaltung heißt klar, eindeutig und unmissverständlich: Wenn
eine betroffene Person mit sexuellen
Handlungen nicht einverstanden ist,
dann dürfen diese auch nicht stattfinden.
Strafrechtsdebatten vernachlässigen häufig, dass es um mehr als
strafrechtliche Lösungen gehen
muss, soll ein gesellschaftliches Übel
an der Wurzel gepackt werden. Die
strafrechtliche Verankerung einer
Erwartungshaltung macht nur Sinn,
wenn sie flankiert wird durch andere
Maßnahmen. Maßnahmen, die auf
die gesellschaftliche Stimmung und
Haltung Einfluss nehmen. Nur dann
wird eine strafrechtliche Lösung nicht
zur Ersatzhandlung.
Die Debatte um die strafrechtliche
Verankerung von »Nein heißt Nein«
muss deshalb auch eine Debatte um
Sexismus und sexualisierte Gewalt im
Alltag sein. Nur dann wird sich etwas
ändern. Und damit ist diese Debatte
dann eben auch eine über Rollenzuschreibungen. Es muss thematisiert
werden, dass die Reduktion von
Menschen auf Sexobjekte einer der
wesentlichen Gründe dafür ist, dass
vor allem Frauen als Verfügungsmasse von Männern wahrgenommen
werden. Das fängt bei Gesprächen darüber an, welche »Olle geknallt« wurde
und geht weiter bei der Taxierung von
Frauen auf ihre sexuelle Nutzbarkeit
und endet noch lange nicht bei der
Frage aufgedrängten Körperkontakts.
Das Strafrecht ist ultima ratio. Das
Strafrecht ist immer auch Folie der
Auseinandersetzung um Rollenzuschreibungen. Dies wird an der
Geschichte der Veränderung des Sexualstrafrechts deutlich. Sexualisierter Gewalt und Sexismus den Boden
zu entziehen muss deshalb immer
auch heißen, Rollenzuschreibungen
in Frage zu stellen. Sexualisierter
Gewalt den Boden zu entziehen heißt
tatsächlich, eine Gleichstellung von
Geschlechtern zu erreichen. Weniger
geht nicht. Dies verlangt aber einen
grundsätzlichen gesellschaftlichen
Wandel.
17
1. Das Rollenverständnis bei der
Debatte um die Strafbarkeit der
Vergewaltigung in der Ehe
Wie lange ein gesellschaftlicher
Wandel benötigt, lässt sich gut an der
Debatte zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe nachvollziehen.
Bis 1997 fiel die Vergewaltigung in
der Ehe nämlich lediglich unter den
Straftatbestand der sexuellen Nötigung. Auch in der DDR galt als Vergewaltigung nach § 121 StGB-DDR
nur der Zwang zum außerehelichen
Geschlechtsverkehr. Der erste Gesetzentwurf zur Streichung des Wortes
»außerehelich« im Straftatbestand
der Vergewaltigung, lag in der alten
BRD bereits 1973 vor. Mit der Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe
und damit der Streichung des Wortes
»außerehelich« sollte klargestellt
werden, dass eine Vergewaltigung in
der Ehe das gleiche Unrecht darstellt
wie eine Vergewaltigung außerhalb
einer Ehe. Auch in einer Ehe sind
Frauen nicht Verfügungsmasse von
Männern.
Doch die tatsächliche Festschreibung
dieser – aus heutiger Sicht – Selbstverständlichkeit dauerte noch mehr
als 20 Jahre. Offensichtlich hatte
die Rollenzuschreibung in Bezug auf
Ehefrau ungeahnte Beharrungskräfte.
Es ist kein Zufall, dass auch der sog.
Kranzgeldparagraf im BGB (§ 1300
BGB alte Fassung) erst 1998 abgeschafft wurde. Dieser besagte, dass
wenn eine unbescholtene Verlobte
ihrem Verlobten die Beiwohnung
(gemeint ist Geschlechtsverkehr)
gestattete, sie eine Entschädigung
in Geld verlangen konnte, wenn es
18
nicht zur Heirat kam. Hintergrund der
Regelung soll die Vermutung gewesen sein, dass eine solche Frau auf
dem Heiratsmarkt (an dieser Stelle
der Hinweis, das auch durch Sprache eine Haltung klar wird) weniger
Chancen hat.
Als es im Mai 1997 zu einer namentlichen Abstimmung über die Einführung der Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe als Vergewaltigung
kam, gab es 138 Nein-Stimmen und
35 Enthaltungen (vgl. http://dip21.
bundestag.de/dip21/btp/13/13175.
pdf, S. 15800). Grundlage der Abstimmung war ein Gruppenantrag,
also ein Gesetzentwurf von Abgeordneten und nicht von Fraktionen. Über
die Motive derjenigen, die sich enthalten haben oder mit »Nein« stimmten ist nur insoweit etwas bekannt,
als sie sich in der Debatte äußerten.
Dabei ging es vorwiegend um die
Widerspruchsklausel, die im Gesetzentwurf nicht mehr enthalten war.
Die Widerspruchsklausel sah vor,
dass wenn eine Frau eine Vergewaltigung in der Ehe zur Anzeige gebracht
hatte, ihr die Möglichkeit gegeben
werden sollte, die Anzeige wieder
zurückzunehmen. Juristische Argumente gegen diesen Vorschlag hat
Dr. Max Stadler in seiner Erklärung
zum Abstimmungsverhalten deutlich
gemacht. Er wies darauf hin, dass
eine solche Regelung mit der Gefahr
einhergeht, »daß das Opfer einer
Straftat vom Täter oder von Dritten
bedrängt wird, dieses Verfahrensrecht auch auszuüben«. Spannender
als die juristische Debatte ist aber
die Gedankenwelt, die hinter der Idee
einer Widerspruchsklausel steckte.
Diese Gedankenwelt rekurrierte auf
eine besondere Stellung der Ehe und
in der Ehe auf eine Rolle der Frau, die
sich unterzuordnen hat. Die Abgeordnete Maria Eichhorn beispielsweise
erwähnte den besonderen Stellenwert
explizit in ihrer Erklärung zum Abstimmungsverhalten. Bei einer genaueren
Betrachtung ist die Widerspruchsregelung im Kern auch nicht weit entfernt
von dem in der derzeitigen Debatte
zu einem »Nein heißt Nein« immer
wieder zu hörenden Argument, ein
»Nein« sei ja möglicherweise gar nicht
ernst gemeint. Die Widerspruchsregelung nämlich legt nahe, eine Frau die
vergewaltigt worden ist, könne doch
um des Erhalts der Ehe wegen, diese
Anzeige auch wieder zurückziehen.
Die Anzeige war ja eigentlich gar nicht
so gemeint.
2. Wissenschaftliche
Untersuchungen zu Tatverdächtigen
und Anzeigebereitschaft
Und weil es die Möglichkeit gegeben hätte, die Strafanzeige um des
Erhalts der Ehe wegen wieder zurückzuziehen, wäre die Schuldfrage
bei Zerbrechen der Ehe eben auch
geklärt gewesen. Nicht der Mann,
der eine Vergewaltigung begangen
hat, trägt für das Ende der Ehe die
Verantwortung, sondern die eine
Anzeige nicht zurückziehende Frau.
Am Ende ist dann die Vergewaltigung
ein Kavaliersdelikt. Und ein solches
Problem löst man dann doch lieber in
der Familie.
Sexismus und sexualisierte Gewalt
sind Alltag. Deutscher Alltag. Und
wenn gesellschaftliche Ursachen für
sexualisierte Gewalt bekämpft werden
sollen, ist zunächst erst einmal eine
Analyse notwendig, wo sie vor allem
stattfindet, von wem sie ausgeht und
warum. Über die Motive von Tatverdächtigen gibt es leider nur wenig
analytisches Material. Etwas besser
sieht es hingegen mit den Zahlen zur
Entwicklung sexualisierter Gewalt und
der Herkunft der Tatverdächtigen aus.
Es ist an dieser Stelle wohl müßig
danach zu fragen, ob die Verfechter*innen einer Widerspruchslösung
solche Gedanken auch für den Fall in
Betracht gezogen hätten, wenn ein
Ehemann von seiner Ehefrau krankenhausreif geprügelt worden wäre.
Dass es mehr als einer strafrechtlichen Lösung bedarf, wird bei einem
Blick auf die Tatverdächtigen und
die gerade nach der Silvesternacht
2015/2016 geführte Debatte um
Vergewaltigung, sexualisierte Gewalt
und Sexismus deutlich. Bequem und
einfach wurde diese Debatte mit
einem rassistischen Unterton geführt.
Die Kampagne www.ausnahmslos.
org hat darauf explizit hingewiesen.
In dieser Debatte wurden Vorurteile
und Klischees bedient, nach denen
sexualisierte Gewalt und Sexismus
Probleme »fremder Kulturen« und
anderer Religionen seien. Doch diese
Unterstellung ist grundfalsch.
Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat 2014 eine
»Repräsentativbefragung zu Viktimisierungserfahrungen in Deutschland«
(http://www.kfn.de/versions/kfn/
assets/fob122.pdf) publiziert. Dabei
handelt es sich um eine sog. Dunkelfeldstudie. Aus dieser ergibt sich,
19
dass Frauen einem dreifach höheren
Risiko unterliegen, Opfer körperlicher
Gewalt durch ihren Partner zu werden,
als dies bei Männern der Fall ist (vgl.
http://www.kfn.de/versions/kfn/
assets/fob122.pdf, S. 113). Männliche
Betroffene von häuslicher Gewalt
zeigen so gut wie nie die Vorfälle an.
Dies hat möglicherweise auch etwas
mit dem gesellschaftlich vorherrschenden Männerbild zu tun. Es ist
eben landläufig »unmännlich«, Opfer
einer Straftat, zumal einer Straftat
im Bereich der häuslichen Gewalt, zu
werden.
In der benannten Studie aus dem Jahr
2014 gaben 4,9 % aller befragten Frauen an, in ihrem Leben bereits sexuelle
Gewalt erlebt zu haben (vgl. http://
www.kfn.de/versions/kfn/assets/
fob122.pdf, S. 135). Als Täter wurden
in 44,7 % der Fälle der Ex-Partner, in
14,9% der Fälle gut bekannte Personen, in 14,9% der Fälle flüchtig
bekannte Personen, in 14,2% der Fälle
der nichteheliche Partner, in 13,5%
der Fälle der Ehepartner angegeben,
und in 7,1% der Fälle handelt es sich
um unbekannte Personen (vgl. a.a.O.,
S. 137/138). Lediglich 15,5% der Taten
kamen überhaupt zur Anzeige (vgl.
a.a.O., S. 147). Interessanterweise
gaben die betroffenen Frauen an, dass
die Anzeigenerstattung mit einem
stärkeren Ausmaß an psychischen
als auch physische Folgen einherging
(vgl. a.a.O, S. 149). Jede achte Frau ist
selbst aus der Wohnung ausgezogen
(vgl. a.a.O., S. 150).
Wenn die gesellschaftlichen Ursachen
für die Entstehung von sexualisierter
Gewalt und Sexismus hinterfragt
20
werden sollen, dann ist besonders
relevant, dass 53,1% der Frauen, die
keine Anzeige erstattet hatten, angegeben haben, sie hätten das nicht
getan, weil es ihnen peinlich war (vgl.
a.a.O., S. 151). Dieser Befund sagt
mehr über die Gesellschaft aus, als
viele andere Zahlen. Solange Frauen
sich in doppelter Hinsicht als Opfer
fühlen, wird es kein gesellschaftliches
Umdenken geben. Solange nicht den
Tatverdächtigen die ihnen vorgeworfene Tat peinlich ist, sondern den
Betroffenen, stimmt grundsätzlich
etwas nicht. Es ist deshalb auch in der
Debatte um das Strafrecht deutlich
zu machen, dass ein solcher Zustand
nicht hinnehmbar ist. Es gibt nämlich
überhaupt keinen Anlass, dass Betroffene sexualisierter Gewalt Schuldoder Peinlichkeitsgefühle entwickeln.
Während es sicherlich viel Mühe
bedarf, eine gesellschaftliche Haltung zu verändern, sollte jedoch an
anderer Stelle verhältnismäßig leicht
anzusetzen sein: Fast jede vierte von
sexueller Gewalt betroffene Frau hat
aus »Angst vor so einem Verfahren«
von einer Anzeige abgesehen. Mit
anderen Worten, könnten fast 25 %
der nicht-anzeigenden Betroffenen
dadurch zu einer Anzeige motiviert
werden, dass man ihnen die Angst vor
der gerichtlichen Auseinandersetzung
nimmt und beispielsweise Polizeibeamtinnen und -beamte entsprechend
schult, Informations- und Aufklärungskampagnen startet und so auch eine
bessere strukturelle Transparenz herstellt (S. 196). Dass der strafrechtliche
Grundsatz der Unschuldsvermutung
unantastbar bleiben muss, steht dem
nicht entgegen.
Die sich aus der Dunkelfeldstudie
ergebenden Angaben, nach denen insgesamt rund fünf von hundert Frauen
in ihrem Leben sexuelle Gewalt widerfährt und in der Mehrzahl der Fälle der
Täter aus dem sozialen Nahraum der
Betroffenen stammt, weil ungefähr
lediglich jeder vierzehnte Tatverdächtige ein Unbekannter ist (S. 180),
decken sich mit den vorliegenden
Daten aus der Strafverfolgungsstatistik, mithin dem Hellfeld. So bestätigen
die Zahlen des Bundeskriminalamtes
(BKA) aus dem Jahr 2014, dass die
Mehrzahl der Fälle von Straftaten
gegen die sexuelle Selbstbestimmung
im Rahmen irgendeiner Beziehung
zwischen Tatverdächtigen und Betroffenem stattfinden (http://de.statista.
com/statistik/daten/studie/152723/
umfrage/opfer-tatverdaechtigen-beziehung-bei-straftaten-gegen-die-sexuelle-selbstbestimmung/). Danach
bestand in 30,8% der angezeigten
Straftaten eine ungeklärte oder keine
Vorbeziehung. Um einem weit verbreiteten Vorurteil entgegenzuwirken sei
noch auf eine andere Zahl verwiesen:
Aus der Polizeilichen Kriminalstatistik
(http://www.bka.de/nn_229440/
DE/Publikationen/PolizeilicheKriminalstatistik/pks__node.html?__nnn=true, S. 63) 2014 ergibt sich, dass
69% der Tatverdächtigen wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung
Deutsche sind.
Hinsichtlich des sozio-ökonomischen
Status liegen – soweit recherchierbar
– hingegen so gut wie keine Daten
im Hinblick auf Tatverdächtige oder
verurteilte Straftäter vor. Dies ist insoweit bedauerlich, weil eine empirische
Überprüfung der These, dass Verge-
waltigung keine Frage des sozio-ökonomischen Status und damit keine
Klassenfrage sei, nicht möglich ist.
Um mit einer letzten Statistik zu
nerven: Im Zeitraum 2009-2014 blieb
der Umfang der polizeilich erfassten
Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung konstant und liegt bei
ungefähr 47.000 Straftaten. Nicht
besser sieht es bei den polizeilich
erfassten Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen aus. Im Zeitraum
von 2001 bis 2014 (http://de.statista.
com/statistik/daten/studie/1587/
umfrage/vergewaltigung-und-sexuelle-noetigung/) liegen die erfassten
Straftaten konstant bei 9-10 Straftaten pro 100.000 Einwohner*innen.
Dass sexuelle Selbstbestimmung
einen höheren Stellenwert erlangt
hätte, dass eine veränderte Haltung
im Hinblick auf die Rolle der Frau als
Verfügungsmasse stattgefunden hat,
das lässt sich nun gerade nicht aus
diesen Zahlen ablesen. Auch deshalb
ist klar, es muss um mehr gehen, als
um eine rein strafrechtliche Regelung.
3. Warum muss trotzdem eine
strafrechtliche Regelung sein?
Sowohl in der Debatte des Jahres
1997 als auch in der derzeit laufenden Debatte muss die Frage gestellt
werden, welche Rolle des Strafrecht
eigentlich spielt und ob es zur Lösung
gesellschaftlicher Konflikte, insbesondere im Bereich der sexuellen
Selbstbestimmung, taugt. Dies
berührt natürlich die Frage nach Sinn
und Zweck des Strafens, eine Debatte
21
die im politischen Raum bei der Präsentation von Strafrechtsänderungen
kaum eine Rolle spielt. Sie ist aber
eine ziemlich entscheidende Frage,
gerade auch um sich die Begrenztheit
strafrechtlicher Lösungsansätze zu
verdeutlichen.
Der Gesetzgeber hat sich mit der
Regelung in § 46 Abs. 1 S. 1 StGB
(»Die Schuld des Täters ist Grundlage
für die Zumessung der Strafe.«) gegen
die sog. absolute Straftheorie entschieden. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Entscheidung mit
seinem Urteil vom 21. Juni 1977 zur
lebenslangen Freiheitsstrafe (http://
www.servat.unibe.ch/dfr/bv045187.
html) bestätigt. Die sog. absolute
Straftheorie sieht den Ausgleich des
Unrechts als Zweck der Strafe an.
In der öffentlichen Debatte scheint
es, ist diese Grundsatzentscheidung
aber wenig bis gar nicht bekannt.
Dabei hat das Bundesverfassungsgericht in der zitierten Entscheidung
(vgl. Rdn. 145) klar ausgeführt: »Der
Täter darf nicht zum bloßen Objekt
der Verbrechensbekämpfung unter
Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wertanspruchs und Achtungsanspruchs
gemacht werden.« Daraus ergibt sich
aber eben auch, dass es bei der Verankerung des Grundsatzes von »Nein
heißt Nein« im Strafgesetzbuch nicht
um die Umsetzung der absoluten
Straftheorie gehen kann, der Täter
eben nicht zum bloßen Objekt der
Verbrechensbekämpfung gemacht
werden darf. Mithin kann Forderungen nach höheren Strafmaßen zum
Ausgleich des Unrechts nicht gefolgt
werden.
22
Wenn es um die Verankerung von
»Nein heißt Nein« im Strafgesetzbuch geht, kann es aber aus meiner
Sicht auch nicht um die negative
Generalprävention, besser bekannt
als Abschreckungstheorie, gehen.
Nach dieser Theorie werden Straftatbestände geschaffen, um durch
die damit verbundenen Strafmaße
potenzielle Täter*innen von unter
Strafe gestellten Handlungen abzuschrecken. Die meisten vorgeschlagenen Strafrechtsverschärfungen und
Befürwortungen derselben setzen auf
genau diese Theorie. Doch gerade
sie steht aus meiner Sicht völlig zu
Recht heftig unter Kritik. »Tatsächlich muss es als höchst zweifelhaft
erscheinen, dass Strafschärfungen
in Einzelfällen irgendwelche allgemeinen abschreckenden Auswirkungen
zukommen« (Kindhäuser/Neumann/
Paeffgen-Streng, Strafgesetzbuch,
§ 46, Rdn. 42). Die negative Generalprävention geht von einem
rational handelnden Täter aus, der
eine Vor- und Nachteilsabwägung
vornimmt. In der Realität zeigt sich,
dass Tatverdächtige eine solche rationale Abwägung nur selten vornehmen. Unbestritten wird allerdings
davon ausgegangen, dass auch die
Strafwahrscheinlichkeit eine Rolle
bei der Abschreckungswirkung
hat. Zusammenfassend kann wohl
tatsächlich gesagt werden: »Insgesamt ist das gesicherte Wissen zur
Wirksamkeit von generalpräventiver
Abschreckung gering.« (Dölling et al.,
Generalpräventive Abschreckungswirkung, http://www.ssoar.info/ssoar/
bitstream/handle/document/24623/
ssoar-soziprobleme-2006-2-dolling_et_al-Zur_generalpr%C3%A4ven-
tiven_Abschreckungswirkung_des_
Strafrechts_?sequence=1, S. 195).
Wie im von der LINKEN vorgelegten
Gesetzentwurf formuliert, sollte der
»Nein heißt Nein« Grundsatz vor allem deshalb in das Strafgesetzbuch
aufgenommen werden, weil er eine
gesellschaftliche Erwartungshaltung
zum Ausdruck bringt. Das wird unter
dem Begriff positive Generalprävention gefasst. Sie soll einer durch
Straftaten bewirkten Erschütterung
des Normvertrauens entgegenwirken.
Gleichzeitig dient sie dazu, durch
die Aufnahme von Straftaten in das
StGB und die damit verbundene
Strafandrohung zu verdeutlichen,
was eine Gesellschaft an Einhaltung
von Normen erwartet. Ihre rechtliche
Grundlage wird häufig unter anderem
in § 47 Abs. 1 StGB (»zur Verteidigung
der Rechtsordnung«) gesehen. Sicherlich, für die Wirksamkeit der positiven
Generalprävention gibt es ebenfalls
keinen statistischen Beleg. Dass ein
Staat aber gesellschaftlich zu beachtende Normen aufstellen sollte und
bei deren Nichtbeachtung Sanktionen
verhängen darf, wird kaum bestritten.
Wenn es aber um genau diese gesellschaftliche Erwartungshaltung geht,
dann muss die Gesellschaft eine
solche Erwartungshaltung auch selbst
leben. Und genau deshalb muss es um
mehr gehen als eine strafrechtliche
Lösung. Die gesellschaftliche Erwartungshaltung, formuliert in einem
Straftatbestand, muss zwingend flankiert werden durch ein gesellschaftliches Bewusstsein sowie umfassende
Hilfs- und Präventionsangebote.
Andernfalls wird sie zu einem Placebo.
Und ganz am Rande: Dass das Strafgesetzbuch mit Delikten überlastet
ist, die im Rahmen des Gesetzes über
Ordnungswidrigkeiten (OWiG) besser
aufgehoben wären und die Strafmaße
im Verhältnis von Eigentums- und
Vermögensdelikte zu Delikten gegen
Leib- und Leben einer grundlegenden
Revision bedürfen, macht es nicht
einfacher, der gesetzlichen Erwartungshaltung die entsprechende
Bedeutung zuzumessen. Strafrecht
ist immer nur das letzte Mittel. Die
Ursachen von Konflikten und nicht zu
akzeptierendem Verhalten können mit
ihm nicht gelöst werden. Ein Verzicht
auf das Strafrecht ist aus meiner Sicht
allerdings im sensiblen Bereich der
sexuellen Selbstbestimmung wie auch
bei Straftaten gegen Leib und Leben
nicht angebracht.
Eine andere, aber ebenfalls wichtige
Debatte ist die, wie insbesondere
Betroffenen sexualisierter Gewalt im
Rahmen des Strafverfahrens und der
Anzeigenerstattung Erleichterungen
verschafft werden können, ohne
rechtsstaatliche Grundsätze in Frage
zu stellen.
4. Gesellschaftliche Realität
korrespondiert nicht mit der
gesellschaftlichen
Erwartungshaltung
Mit der Formulierung einer gesellschaftlichen Erwartungshaltung durch
den Gesetzgeber im Rahmen des
Strafrechts ist es meist ganz einfach.
Doch die im Strafgesetzbuch verankerte gesellschaftliche Erwartungshaltung, insbesondere im Hinblick
23
auf Sexualstraftaten, findet sich in
gesellschaftlichen Debatten und der
gesellschaftlichen Realität häufig
nicht wieder. Die Frage, was die beste
strafrechtliche Regelung eigentlich
nützt, wenn die Gesellschaft nach
wie vor ihr grundsätzliches Verständnis von der Rolle der Frau sowie
der Akzeptanz von Sexismus und
sexualisierter Gewalt nicht ändert,
ist deshalb mehr als berechtigt. Was
nützt also die beste strafrechtliche
Regelung, wenn Frauen nach einer
Vergewaltigung oder Erfahrungen mit
sexualisierter Gewalt keine Anzeige
erstatten, weil es ihnen peinlich ist
oder sie sich schuldig fühlen?
Dass dies keine theoretischen Aussagen sind, beweist bedauerlicherweise
die Praxis. Fast tagtäglich. Gesellschaflichte Debatten um sexuelle
Selbstbestimmung und die Ächtung
sexualisierter Gewalt wurden immer
wieder angestoßen. Sie tragen natürlich zur Sensibilisierung in der Gesellschaft bei, zeigen aber auf der anderen
Seite auch, wie wenig eine Gesellschaft Normen verinnerlicht hat. Es
muss trotz der laufenden Debatte um
»Nein heißt Nein« und der Regelung der
Strafbarkeit der Vergewaltigung in der
Ehe im Jahr 1997 konstatiert werden,
in Teilen der Gesellschaft ist es mit der
Akzeptanz von sexueller Selbstbestimmung und der Ächtung sexualisierter
Gewalt noch nicht sehr weit.
Vier Beispiele sollen das deutlich machen. Die Kampagne #ichhabenichtangezeigt (https://ichhabnichtangezeigt.
wordpress.com/uber-die-aktion/)
versuchte, das »immer noch tabuisierte Ausmaß sexualisierter Gewalt in die
24
Öffentlichkeit zu bringen«. Via Twitter
wurde mit #aufschrei versucht, eine
Debatte über als übergriffig empfundene Handlungen und damit Sexismus anzustoßen. Mit #ausnahmslos
(http://ausnahmslos.org/) wurde
nach den Vorfällen in der Silvesternacht 2015/2016 gegen Sexismus und
Rassismus Front gemacht. Und mit
#imzugpassiert wurde auf übergriffige
Verhaltensweisen in Zügen aufmerksam gemacht, sowie der Vorschlag
gesonderter Frauenabteile einzuführen, kritisiert. Die Beiträge Betroffener
waren das eine. Die Reaktionen auf
diese vier und andere Initiativen sind
das häufig erschreckend andere. Erschreckend deshalb, weil jegliche Empathie für die Betroffenen sexualisierter Gewalt fehlte und deutlich wurde,
wie tief verwurzelt die Akzeptanz von
sexualisierter Gewalt und Sexismus
immer noch ist.
Ein Dialog bei #imzugpassiert sah
beispielsweise so aus (https://
twitter.com/weekenderblog/status/722866708168310784):
Roland Peters: »Wie kann man ein
Privileg (Frauenabteil) als Nachteil
umdeuten?«
Straßenbähnin: »Indem einige Femis
sich stets in die Opferrolle bringen, in
der sie meinen genügend Aufmerksamkeit zu bekommen« …
Ismus: »Ich kenne so viele Frauen, die
im Zug fahren. Noch nie ist eine mit SO
EINEM SCHEISS angekommen«
weekenderonline!: »Inzwischen halte
ich 95% der #imzugpassiert-Schilde-
rungen für erfunden bzw. gnadenlos
überinterpretiert.«
Es zeigt sich im Großen wie im
Kleinen: Es gibt ein Problem mit der
Sensibilität für das Problem sexualisierter Gewalt und Sexismus. In
der Debatte um #aufschrei war es
Joachim Gauck, der von »Tugendfuror« warnte (vgl. http://www.spiegel.
de/politik/deutschland/sexismusdebatte-gauck-beklagt-tugendfuror-im-fall-bruederle-a-886578.html).
Wohlgemerkt, es ging damals um eine
als von einer Journalistin als übergriffig empfundene Situation, hervorgerufen durch einen Politiker. Wenn über
alltäglichen Sexismus geschrieben
wird kann es schon mal passieren,
dass als Reaktion nahegelegt wird:
»Wenn du dich schützen willst vor
Sexismus der Männer, dann zieh einfach eine lila Latzhose an. Das war die
Burka der Feministinnen der 70er und
80er Jahre im Westen.« (vgl. http://
blog.wawzyniak.de/reden-wir-ueberden-alltag/#comment-7755). Da
war es wieder: Das Bild von der Frau,
welche durch ihre Kleiderordnung
angeblich Einladungen oder Absagen
ausspricht. An anderer Stelle wird
argumentiert: »Grapschen ist eigentlich nur Information. Jemand, dem es
schlicht egal ist, vergisst es in fünf Minuten und es gibt keine körperlichen
oder sonstigen Folgen, die ihn jemals
wieder daran erinnern. Es gibt auch
aufdringliche Verkäufer, die einen
an der Tür nötigen, ein Abo zu kaufen… .« (http://blog.wawzyniak.de/
reden-wir-ueber-den-alltag/#comment-7947). Das Grapschen etwas
anderes sein könnte, als ein aufdringlicher Abodrücker an der Haustür,
scheint jenseits der Vorstellungskraft
des Kommentierenden zu liegen. Und
schließlich gibt es bei der Debatte um
sexuelle Selbstbestimmung und dem
Willen der strafrechtlichen Verankerung von »Nein heißt Nein« auf die
Frage, was eigentlich das Problem sei,
im Hinblick auf sexuelle Handlungen
den erkennbar entgegenstehenden
Willen zu akzeptieren, die Antwort:
»Ich glaube du bist ne Kampflesbe
die ne Arena gefunden hat.« (https://
twitter.com/Friedemannschu1/status/685534168713981952).
Solchen und ähnlichen Einstellungen
gilt es, den Boden zu entziehen. Dafür
ist Widerspruch und Sensibilisierung
erforderlich, das Strafrecht hilft bei
solchen Aussagen gar nichts
5. Um der Normalität von Sexismus
und sexualisierter Gewalt
entgegenzutreten, ist der Kern der
Debatte zu betonen: Frauen sind
keine Verfügungsmasse!
Bei all den gesellschaftlichen Debatten, wie sie vor allem unter den
vier genannten Hashtags stattfand
und stattfindet, muss auf den Kern
der Debatte hingewiesen werden: Es
geht darum, die seit Jahrhunderten
kulturell tief verankerte Haltung von
der Minderwertigkeit von Frauen,
der Rollenzuschreibung als Anhängsel des Mannes und der sich daraus
ergebenden Verfügungsmacht des
Mannes eine klare Absage zu erteilen.
Nur wenn dies gelingt, wird es einen
gesellschaftlichen Wandel geben und
die Gleichstellung der Geschlechter
erreicht werden. Nur dann wird se25
xualisierter Gewalt und Sexismus der
Boden entzogen.
Gesellschaft ansetzen und deutlich
Widerspruch anmelden.
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
Denn die Rollenzuschreibung der
Frau als Anhängsel des Mannes und
infolgedessen als seiner Verfügungsmasse und ihre damit einhergehende
Minderwertigkeit zieht sich durch die
Geschichte der Menschheit. Und diese Rollenzuschreibung wirkt bis heute
fort. Manchmal klingt sie so: »Ernst
nehmen von Frauen, die sich als Opfer
fühlen, und jedenfalls einen Bruch mit
ihrem Leben erlebt haben, durch sexuelle Gewalt, ist ein Argument, um alles
das zu rechtfertigen, was ich an der
Geschichte aus Männersicht eigentlich ungerecht finde. Vor allem darf
sich die Protesthaltung als Opfer nicht
verfestigen, damit diese Frauen nicht
männerfeindlich werden. Es ist unendlich schade um jede einzelne Frau, die
den Männern durch so eine Scheiße
als mögliche Sexpartnerin verloren
geht. Sie müssen die Gelegenheit
erhalten, übers Ziel hinauszuschießen, damit sie ihren Fehler erkennen
und sich selbst wieder einkriegen
können.« (http://blog.wawzyniak.de/
reden-wir-ueber-den-alltag/#comment-7947) Frauen die Männern als
Sexpartnerin verloren gehen. Frauen,
die nach der Erfahrung von sexueller
Gewalt über das Ziel hinausschießen
dürfen, um ihren Fehler zu erkennen.
Das bringt die Rollenzuschreibung
als Anhängsel und Verfügungsmasse
auf den Punkt. Das Problem ist nicht
etwa, dass Frauen in ihrer Sexualität
nach einem sexuellen Übergriff beeinträchtigt sind, sondern dass sie Männern als Sexpartnerin verloren gehen
könnten. Hier muss eine aufgeklärte
Wenn das Bild der Frau als minderwertig, als Anhängsel und damit Verfügungsmasse aufgebrochen werden
soll, muss zunächst gefragt werden,
woher es eigentlich kommt. Einen wesentlichen Beitrag zu diesem Bild haben Religionen geleistet. Zum Teil wird
sogar argumentiert, sie hätten eine
männliche Dominanz in den heutigen
Gesellschaften religiös legitimiert (vgl.
Birgit Heller, Gender und Religion, in:
Johann Figl (Hrsg.), Handbuch Religionswissenschaft, Innsbruck 2003, S.
758–769). Dabei wird darauf Bezug
genommen, dass die Religionen stark
zwischen den Geschlechtern differenzieren und dabei meist eine Diskriminierung, Marginalisierung oder Unterordnung von Frauen begründen (vgl.
http://www.bpb.de/apuz/162388/
frauen-und-religionen). Wenn in der
Debatte um die Rolle der Frau Klischees aufgebrochen werden sollen,
dann muss gefragt werden, ob es
nicht zutreffend ist, dass in den drei
großen Religionen Christentum, Islam
und Judentum »männliche Vormacht
und Verfügungsgewalt über die weibliche Sexualität mit verschiedenen
Mitteln wie dem Mythologem von der
Erst-Erschaffung des Mannes, dem
wirksamen Stereotyp der sündigen
Eva oder der vermeintlich stärkeren
weiblichen Triebhaftigkeit untermauert« (a.a.O.) werden. Das Stereotyp
von der Frau als Verführerin zieht sich
durch alle Religionen und findet sich
bis heute in der gesellschaftlichen
Debatte wieder. So formulierte der
Abgeordnete Hoffmann noch am 17.
März 2016 im Hinblick auf ein fiktives
26
Beispiel: »Er macht ihr eindeutige
Avancen. Sie stellt abends noch klar:
Nein, zwischen uns wird nichts laufen.
Ich will meine Ehe nicht aufs Spiel setzen. – Der Abend geht weiter, und es
wird launiger. Man ist leicht angetrunken; alle wissen noch, was sie tun. Der
Abend geht weiter. Er bringt sie wie
ein Gentleman auf das Zimmer. Dort
verliert sie dann die Kontrolle, und es
kommt zum Äußersten.« (http://dip21.
bundestag.de/dip21/btp/18/18161.
pdf, S. 15885D) Auch hier wird klar,
der Mann weiß sich zu benehmen,
die Frau trägt auf Grund der »verlorenen Kontrolle« die Verantwortung
für das Geschehene. Religionskritik
kann bei der Frage nach der Rollenzuschreibung nicht ausbleiben, muss
allerdings Debatten und Vorschläge in
den Religionen zur Gleichstellung der
Geschlechter berücksichtigen.
Ein kurzer Blick auf die Frühgeschichte, das Mittelalter und die Neuzeit,
ein Blick auf den Kapitalismus und
den sich selbst so nennenden aber
nie gewesenen Sozialismus machen
deutlich: Tatsächliche Gleichstellung
der Geschlechter gab es noch nie.
Am Ende zieht sich durch alle Jahrhunderte bis zum heutigen Tag eine
Vorstellung von der Unterordnung
der Frau unter männliche Interessen
und Bedürfnisse. Im Alten Rom waren
Frauen nur beschränkt geschäftsfähig. Nach dem ersten überlieferten
Gesetz zu Sexualstraftaten, galt der
Ehebruch der Frau zu Zeiten der Römischen Republik als Verbrechen – der
Ehebruch der Frau! Erinnert sei an die
Hexenverfolgung. Dass in Europa erst
im Jahr 1906 in Finnland ein Frauenwahlrecht eingeführt worden ist, ist
heute fast nicht mehr vorstellbar. In
Deutschland konnten erstmals im Jahr
1919 Frauen das Wahlrecht wahrnehmen. Eine Berufstätigkeit als Frau aufzunehmen war bis 1977 in der alten
Bundesrepublik nur mit Zustimmung
des Ehemanns möglich, die Bezahlung
von Frauen in der DDR (häufig verursacht durch die Erwerbsarbeit in sog.
Frauenberufen) lag deutlich unter der
von Männern und Führungspositionen
in Wirtschaft und Politik fast ausschließlich von Männern ausgeübt.
6. Was folgt aus allem?
Um einen anderen gesellschaftlichen
Konsens zu erreichen, um Sexismus
und sexualisierte Gewalt von Grunde
auf zu ächten, bedarf es auch in der
Partei DIE LINKE des Bewusstseins,
dass die Fragen zur Gleichstellung
der Geschlechter, die Ächtung sexualisierter Gewalt und die Klarstellung,
dass Frauen keine Verfügungsmasse
sind, gerade keinen Nebenwiderspruch darstellen. Die Gleichstellung
der Geschlechter, die Ächtung sexualisierter Gewalt und die Klarstellung,
dass Frauen keine Verfügungsmasse
von Männern sind werden nicht
erreicht, indem die Klassenfrage
gelöst wird. Es gibt eben nicht nur
den Widerspruch zwischen Kapital
und Arbeit. Und es gibt Sexismus
und sexualisierte Gewalt eben nicht
nur, weil wir im Kapitalismus leben.
Sicherlich, auch dieser trägt durch
seine Fokussierung auf Verwertung
von allem und jedem auch seinen
Beitrag bei. Aber eine Reduktion auf
den Kapitalismus wird dem Problem
nicht gerecht.
27
Es muss in der LINKEN klar sein, dass
solange eine Gesellschaft keine Gleichstellung der Geschlechter gewährleistet, solange sexualisierte Gewalt nicht
umfassend gesellschaftlich geächtet
und das Bild der Frau als Verfügungsmasse des Mannes nicht völlig verschwunden ist, eine Gesellschaft nicht
gerecht und nicht frei sein wird.
DIE LINKE muss erkennen, nur umfassender Gesellschaftskritik kann
eine Gleichstellung der Geschlechter
und die Ächtung sexualisierter Gewalt
erreichen. Deshalb ist es für DIE LINKE
dringend erforderlich, im Rahmen aller
ihrer Politikangebote Gendergerechtigkeitsaspekte mitzudenken und zu thematisieren. Konkrete Vorschläge auf
allen Politikgebieten müssen ergänzt
werden mit der Selbstverständlichkeit,
an allen Stellen Rollenzuschreibungen
zu hinterfragen und diesen auch zu widersprechen. Das reicht weit über die
Frage von Kinderbetreuung, Fragen der
Besteuerung und der Solidarsysteme,
Quoten in Aufsichtsräten und allgemeinen Aussagen zu gleichem Lohn für
gleiche Arbeit hinaus.
Frauen und Flucht, Frauen und Digitalisierung, Frauen und Klimawandel – wo
gibt es Besonderheiten und besondere
Auswirkungen? Wie sieht es im Alltag
mit der Gleichstellung aus und in
welchem Umfang trägt auch Werbung
zur Perpetuierung von Rollenklischees
bei? Im Übrigen auch in der eigenen
Partei. Wenn bei der Landtagswahl in
Baden-Württemberg auf einem Plakat,
auf dem vor allem Zimmer und Küche
abgebildet sind, dann eine Frau zu
sehen ist (vgl. http://images.google.
28
de/imgres?imgurl=http://www.
designtagebuch.de/wp-content/
uploads/mediathek//2017/01/themenplakate_a5_wohnen.jpg&imgrefurl=http://www.designtagebuch.de/
die-plakate-zur-landtagswahl-2016-inbaden-wuerttemberg/2/&h=4961&w=3497&tbnid=u4wii93RFCFR9M:&tbnh=92&tbnw=65&docid=I6DUGfwofbl3KM&usg=__
COGNV_tNcSpY3LBoiI3da8Jplyk=&sa=X&ved=0ahUKEwj-h-_5z6LMAhUFhywKHVocAFgQ9QEIKzAC) und
nicht, wie bei den anderen Plakaten
fast ausschließlich zwei Personen,
dann sagt das eben auch etwas aus.
Wenn ständig und immer darauf geachtet werden muss, dass genderpolitische Aspekte nicht vernachlässigt
werden, dann verliert DIE LINKE ihre
emanzipatorische Rolle bei der Frage
der Gleichstellung der Geschlechter.
Erst wenn am Kneipentisch endlich
über einen frauenfeindlichen Witz
gelacht werden kann, weil er als Witz
gemeint ist und nicht als Befreiung
von vermeintlich politisch korrekter
Sprache, ist die Gleichstellung der
Geschlechter erreicht. Solange ein
Witz als Ventil für eine tief verankerte
Grundhaltung (»Das muss man doch
mal sagen dürfen.«) der Minderwertigkeit von Frauen, des Anhängsels
und der Verfügungsmasse herhalten
muss, solange muss auch einem solchen Witz widersprochen werden.
Es gibt also viel zu tun. Das meiste
davon im Alltag. Finden wir den Mut,
genau in diesem Alltag organisiert
Sexismus und sexualisierter Gewalt
entgegenzutreten.
Wie ist es eigentlich als Frau, Mitte 30, aus
dem Osten im Sächsischen Landtag?
Luise Neuhaus-Wartenberg
Die gesellschaftliche Debatte über
bestimmte Rollenbilder, die Unterrepräsentation von Frauen in Unternehmen
und Führungspositionen oder deren
schlechtere Bezahlung im Vergleich
zu ihren männlichen Artgenossen sind
schon seit geraumer Zeit wichtiger Teil
politischer Auseinandersetzungen.
Während die Bundesregierung tatsächlich glaubt, über eine mehr oder weniger
auf Freiwilligkeit basierende Quotierung
dem Problem Herr und nicht Frau zu
werden, gehen wir als Linke schon seit
geraumer Zeit einen wirklich konsequenten Weg. Indem wir Aufgaben,
Führungsplätze oder Mandate komplett
gleichmäßig verteilen und die Rolle der
Frau immer wieder hervorheben, sind
wir institutionalisierter Gleichberechtigung näher als weite Teile der Gesellschaft, Wirtschaft und Politik.
Geschlechter in der Fraktion gibt, hat es
die Union tatsächlich geschafft, gerade
einmal 10 ihrer 59 Mandate mit Frauen
zu besetzen.
Merkt Ihr selbst, oder? Rückschlüsse
auf die Unions-Parteien, im Allgemeinen und Besonderen, (ein Schelm,
wer dabei Böses denkt), zu ziehen,
wie unzureichend und gelangweilt
Forderungen nach einer wirklichen
Gleichstellung von Frauen überhaupt
angegangen werden, braucht es an der
Stelle eigentlich nicht mehr.
Alles kein Wunder bei einer Partei, die
im Kern das Frauenbild (und nicht nur
das) ihrer bayerischen Schwesterpartei
teilt und Frauen am liebsten als Hausfrau und Mutter sehen will, die sich in
Abhängigkeit zu ihren Männern geben.
Aber machen wir uns mal nichts vor:
Die Welt, die wir uns im Mikrokosmos
der Partei geschaffen haben, entspricht
nicht der Welt da draußen, oder manchmal eben erschreckenderweise doch.
Als Frau links stehend und sitzend,
allerdings rechts die Handtasche
tragend, ist sie schon von vornherein
nur bedingt wert, ernst genommen
zu werden oder manchmal dann doch
umso mehr.
Während in unserer Landtagsfraktion
(by the way einzig noch bei den Grünen) Mandate und Posten nach der
uns immanenten Quotierung vergeben
werden, es einen gleichen Anteil beider
Welche Erfahrungen die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Luise Neuhaus-Wartenberg mit den Kolleginnen
und Kollegen bisher gemacht, erzählt
sie im Gespräch.
29
Frage: Nach nunmehr fast zwei
Jahren im Landtag, wie sind die
Erfahrungen mit den Kolleginnen und
Kollegen anderer Fraktionen?
Es sind tatsächlich fast zwei Jahre um.
Krass! Mit den Kolleginnen und Kollegen
anderer Fraktionen ist es mal so und
mal so. Die einen sind lieb und nett,
man trinkt einen Kaffee zusammen,
hält sich gegenseitig die Türen auf
und wuppt auch das eine oder andere gemeinsame Projekt. Wenn, dann
meistens im Wahlkreis. Die anderen
grüßen nicht, sind vom Anspruch eher
unterkomplex oder von sich aus schon
auf Abstand. Wie im echten Leben.
Frage: Was ist im Umgang mit
weiblichen Abgeordneten besonders
auffällig?
Im direkten Umgang ist nichts besonders auffällig. Wie sagt man so schön:
»Das Parlament ist ein Spiegel der Gesellschaft.« Und über die Gesellschaft
schreibt man ja nicht nur die schönsten
Gedichte. So ist es im Landtag auch.
Es gibt fraktionsübergreifend nette
und zuvorkommende Kollegen, es gibt
welche, die mich nervig finden und
welche, denen ich und andere Kolleginnen vermutlich sowas von egal sind.
Die »Institution« Landtag tickt da schon
anders.
Frage: Wie meinst Du das?
Naja, der »politische Machtbetrieb« ist
ja nicht geschlechtsneutral, zumindest
nicht in seiner personellen Verfasstheit.
Neben der LINKEN hat sonst nur noch
eine Fraktion im Landtag eine quotierte Zusammensetzung. Ich bekomme
30
davon im Alltag im Büro eher weniger
mit, da mir die CDU-Kollegen nicht auf´s Brot schmieren, was sie den lieben
langen Tag so Männliches machen.
Dann gibt es aber immer noch den
allgemeinen Parlamentsbetrieb oder die
Plenardebatte!
Da erlebst du sozusagen die Geschlechterzusammensetzung in ihrer institutionalisierten Schwere. Da ist es nicht der
einzelne »Pappenheimer«, der sich noch
allzu dolle an tradierte Rollenbilder
klammert, sondern ganze Fraktionen
oder sogar Koalitionen. Keine Ahnung,
warum die Sache mit diesem neumodischen 21. Jahrhundert für einige noch
so schwer ist. Vielleicht hat man Angst,
dass wir ankommen und das Bier am
Stammtisch oder den Gin Tonic in der
After Work-Bar wegsaufen? Das wäre
ein vernünftiger Grund zur Sorge. Andere sehe ich nicht.
Frage: Hast Du ein Beispiel für
den besonders männlich betonten
Machtbetrieb?
Da kann man eigentlich jede Ausschuss- oder Plenarsitzung nehmen,
die irgendetwas mit Gleichstellung,
Gendergerechtigkeit oder ähnlichem zu
tun hat. Das sind dann auch mal Diskussionen wie im Mittelalter. Und da walzt
die Institution, also zum Beispiel eine
Fraktion, auch mal eben über die universellen Grundrechte eigener Mitglieder hinweg. Nehmen wir die CDU, die
nominiert Birgit »Gendergaga« Kelle als
Expertin in den Ausschuss. Die AfD holt
sich dafür Bettina Röhl. Da muss ich
nicht weiterreden, oder? Und am Ende
stimmen sogar die Frauen in der CDU
diesem Schwachsinn zu und beklat-
schen sich dafür in diesen Netzwerken,
den sozialen.
politisch bewerte: Die eine besser, die
andere schlechter.
Frage: Aber was machen Frauen im
Politischen eigentlich anders?
Frage: Wie wird Frau gerade als Mitglied des Wirtschaftsausschusses
wahrgenommen?
Offensichtlich nicht viel, wie ich ja eben
gesagt habe. Und das ist auch gut so.
Ich meine, schaut Euch doch um: Wir
können Frauen je nach Thema, Fraktion,
Alter oder anderen Kriterien genauso
unterschiedlich oder gleich wahrnehmen wie Männer. Frauen sollen ja netter
im Umgang sein oder emotionaler im
Entscheidungsprozess. Das ist ziemlicher Kokolores. Wenn ich morgens
keinen Kaffee habe und auf der Autofahrt nach Dresden oder sonst wo hin
nicht gleich ein Red Bull folgt, zuckerfrei
versteht sich, bin ich den ganzen Tag
so friedfertig wie eine Panzerfaust.
Und wenn das Weltbild feststeht, dann
ist das so, egal wie irre das sein mag.
Dass Frauen in der Politik progressiver, emanzipierter oder rationaler
wären als Männer, ist weder meine
Wahrnehmung, noch kann man das auf
bestimmte Themen hinunter brechen.
Es gibt auch keine »Frauenthemen«. Im
Gegenteil: Ich kann Euch aus dem Stand
eine Handvoll Frauen aus dem parlamentarischen Raum nennen, die selbst
in Sachen Familienpolitik den ganzen
Tag nur Testbild und Rauschen auf dem
Kanal haben. Ich bin nicht die Fachfrau
für Gleichstellungsfragen. Aber die
krampfhafte Suche nach Unterschieden
ist Unsinn. Wir machen einfach unseren
Job. Genauso unterschiedlich, wie Männer an Themen herangehen, machen wir
Frauen das auch – manche sind dabei
jeweils eher ruhig, besonnen, staatstragend – sagen einige, andere poltern.
Und je nachdem wie ich ein Thema
Von den Herren Abgeordneten der CDU
beginnt jeder Satz mit: «Aber Frau Kollegin…« Von den Herren der SPD beginnt
jeder Satz mit: »Frau Kollegin, ich finde
Ihren Antrag wirklich gut und hilfreich
und verstehe Ihre Intention, aber wir
werden ihn trotzdem aus guten Gründen ablehnen.« Das sind die Momente,
in denen ich demonstrativ gähne und
mir wünschte ein Schild hochzuhalten,
auf dem steht: Hört, Hört! Oder: Jawoll!
Oder: Endlich sagt es mal Einer!.
Frage: Eines deiner Mottos lautet:
Wer sagt eigentlich, dass Politik
nicht glitzern darf? Ist es nicht eher
die Ansammlung grauen Einheitsbreis?
Das ist MiesePeterSprech! Die Trennschärfe zwischen einigen »großen«
Parteien ist in vielen Themenfeldern
flöten gegangen, klar. Vielleicht ist das
auch ein Grund dafür, dass Leute an
»Einheitsbrei« denken. Einheitsbrei
ist Mist. So. Pfuida! Und grau sind die
Anzüge der Herren der CDU, einheitlich.
In Abstufungen maus- oder steingrau.
Und ja, ich kann mir sehr viele Orte und
Anlässe vorstellen, bei denen dieser
Eindruck entstehen kann. Aber Politik
besteht aus mehr, als aus faulen Kompromissen, Stammtisch, Amtsblatt oder
Plenarprotokoll. In der LINKEN tummeln
sich Leute aus allen Altersstufen, aus
vielen Subkulturen, mit verschiedenen
31
Überzeugungen. Da wird ordentlich
Palermo gemacht. Wenn die Diskussion
dann mal zu lebendig war, dann ist das
auch wieder nicht richtig, weil wir uns
dann »uneinig« sind und »großen Streit«
produzieren. Dafür ist eine Partei nun
aber da. Viele Leute haben viele Ideen
und dann muss man sich eben auch mal
streiten und loskoffern, um aus tausend
Ideen einen Plan zu machen. Und wenn
das geschafft ist, gibt´s Party. Und
mit Blick auf unseren Laden muss ich
wohl nicht betonen, dass unsere Partys
legendär sind. Ich bitte Euch! Einheitsbrei… Püh! Frechheit! »Chewie, wir sind
zu Hause!«
32
Frage: Gibt es deiner Wahrnehmung
nach einen besonderen Unterschied
im Umgang mit weiblichen Abgeordneten der Linken?
Ja. Das liegt aber nicht am Geschlecht,
sondern am Parteibuch. Und das
wiederum beschränkt sich nicht auf die
weiblichen Abgeordneten. Im »Unsblöd-finden« hat zum Beispiel die CDU
die Gleichstellung übererfüllt.
33
Impressum
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Kleine Alexanderstraße 28
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V.i.S.d.P.: Luise Neuhaus-Wartenberg,
Dominic Heilig
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Für das fds spenden:
Wir stehen für emanzipatorische, radikalreformerische Politik sowie den demokratischen Sozialismus. Das kostet natürlich Geld. Das fds erhält von der Partei
DIE LINKE jährlich einen Zuschuss. Diese Mittel reichen jedoch nicht aus, um
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