SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Aula
Braunes Erbe der DDR?
Rechtsextremismus in Ostdeutschland
Von Klaus Schroeder
Sendung: Sonntag, 5. Juni 2016, 8.30 Uhr
Redaktion: Ralf Caspary
Produktion: SWR 2016
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Ansage:
Mit dem Thema: "Braunes Erbe der DDR? Rechtsextremismus in Ostdeutschland".
Bei der Landtagswahl in Sachsen erreichte die AfD über 20 Prozent der Stimmen.
Ein Indiz dafür, dass gerade im Osten Deutschlands rechtspopulistische und auch
rechtsextreme Positionen auf fruchtbaren Boden fallen. Professor Klaus Schroeder,
Leiter der Arbeitsstelle Politik und Technik an der FU Berlin, zeigt die Ursachen.
Klaus Schroeder:
Die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) legt seit geraumer Zeit bei Umfragen
stetig zu. Sie erzielt bei Landtagswahlen beachtliche Stimmenanteile und dürfte im
nächsten Jahr, wenn sich die Verhältnisse nicht deutlich ändern, mit einem
zweistelligen Ergebnis in den Bundestag einziehen.
Zwar zieht die Partei auch im Westen der Republik aus verschiedenen Gründen
unzufriedene Wähler an, aber ihre Hochburgen hat sie im Osten, wo sie zudem
radikaler und unversöhnlicher auftritt. Bei aktuellen Umfragen liegt die AfD hier bei
über 20 %, im Westen bei etwa 10 %. Zwei miteinander verknüpfte Dimensionen sind
für diese Ost-West-Differenz verantwortlich: die Nachwirkungen unterschiedlicher
politischer Sozialisationen sowie die durch die Wiedervereinigung entstandenen
sozialen Umbruchprozesse.
Warum konnte die AfD gerade im Osten so stark werden? Vor allem zwei Aspekte
erinnern viele ehemalige DDR-Bürger an ihre Vergangenheit und lösen Protest aus:
die Tabuisierung von Themen sowie die Entfremdung zwischen den Herrschenden
und weiten Teilen der Bevölkerung.
Regierung und viele Medien haben zu Beginn der massenhaften Zuwanderung mit
der Behauptung, es kämen vor allem hochqualifizierte traumatisierte
Bürgerkriegsflüchtlinge und viele Familien mit Kindern, Herkunft, Geschlecht und
Bildungsstand der Flüchtlinge zumindest irreführend dargestellt. Tatsächlich handelte
es sich anfangs vorwiegend um junge männliche so genannte Wirtschaftsflüchtlinge
aus den Balkanstaaten und anderen nicht vom Bürgerkrieg geprägten Ländern. In
der Folgezeit wurde dies zwar korrigiert, aber das Misstrauen gegenüber offiziellen
Angaben war geweckt. Straf- und insbesondere Gewalttaten von Zugewanderten
wurden in dieser Zeit kaum thematisiert, um nicht ausländerfeindliche Ressentiments
zu verstärken. Das war zwar volkspädagogisch gut gedacht, ging aber nach hinten
los, wie nicht zuletzt die Diskussionen um die gewaltsamen Übergriffe in der Kölner
Silvesternacht zeigten. Ein weiteres Beispiel ist die so genannte Griechenlandkrise
und die nahezu vorbehaltlose Stützung des Euro seitens der Bundesregierung und
der EU. Hier konnte der Eindruck vieler Menschen, es würde zu ihrem materiellen
Schaden gehandelt, nicht beseitigt werden. Beide Dimensionen nutzt(e) die AfD zu
ihrer Profilierung und zur Mobilisierung.
Zu Recht wird ausführlich über Anschläge auf Flüchtlingsheime und Geflüchtete und
Hassmails an "Flüchtlingsfreunde" und Fernsehmoderatorinnen berichtet.
Weitgehend verschwiegen werden die nahezu täglichen Übergriffe auf Büros und
Wohnungen von AfD-Mitgliedern, die Hassmails und Morddrohungen, die führende
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Funktionäre erhalten, sowie körperliche Übergriffe auf Mitglieder und
Sympathisanten.
Wenn an Demonstrationen und Veranstaltungen der AfD Personen aus dem
neonazistischen Umfeld teilnehmen, wird das zu Recht medial kritisiert. Wenn sich
Analoges auf der linken Seite ereignet, bleibt dieser Vorgang in den Medien
weitgehend unkommentiert. Prominente Vertreter von Linkspartei, Grünen und SPD
haben keine Hemmungen, mit Stalinisten, orthodoxen Marxisten/Leninisten und
gewaltbereiten Linksautonomen gemeinsam gegen die AfD zu demonstrieren. Wenn
SPD- und Grünenpolitiker, unter ihnen die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth,
an einer Demonstration teilnehmen, in der es aus den Lautsprechern "Deutschland,
Du mieses Stück Scheiße" hallt und sie trotzdem hinter dem Block gewaltbereiter
Linksextremisten hinterhertrotten, muss sich niemand wundern, wenn die AfD bei
Teilen der Bevölkerung Zustimmung für ihre Forderung nach einer Abkehr vom "rotgrün versifften Deutschland" erhält.
Ein weit verbreitetes Unbehagen an den aktuellen politischen Verhältnissen resultiert
vornehmlich aus dem Politikstil der Regierung, insbesondere der Bundeskanzlerin.
Die Politik wird verordnet, ein Diskussionsprozess verweigert, indem Entscheidungen
als alternativlos dargestellt werden. Dagegen setzt die AfD die Forderung nach mehr
Volksabstimmungen. Befürworter von plebiszitären Demokratieelementen auf der
linksgrünen Seite des politischen Spektrums sind angesichts dessen still geworden.
Ihnen schwant aktuell nichts Gutes, wenn sie an Volksabstimmungen denken. Jetzt
werden sie die Geister, die sie einst beschworen, nicht mehr los.
Mentale Folgen der sozialistischen Diktatur
Am 3. Oktober 1990 verschwand zwar die DDR als Staat, aber ihre
Hinterlassenschaft ging in das wiedervereinigte Deutschland ein und wirkt bis zum
heutigen Tag nach. Fortbestehende Probleme im Transformationsprozess in allen
postsozialistischen Ländern, in denen nationalkonservative und rechtspopulistische
Kräfte mitunter Regierungen stellen, veranschaulichen das Erbe des linken
Totalitarismus, dessen Heilsversprechen zwar im Desaster endete, aber dennoch
Erwartungen und Verhaltensweisen der Menschen prägte. Der naive Glaube, allein
durch die Etablierung demokratischer Institutionen und soziale Transfers Menschen
und Verhältnisse von heute auf morgen grundlegend ändern zu können, erwies sich
schon bald nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums als
Wunschtraum.
Der Versuch der SED, den "neuen Menschen" und damit die "neue Gesellschaft" zu
schaffen, ging mit einer kollektiven und autoritären Form der Erziehung einher.
Schon in Kindergarten und Schule, aber auch in ihrer Freizeit wurden Kinder und
Jugendliche zur Unterordnung unter das Kollektiv und die Vorgaben der Partei
erzogen. Diese Form des Umgangs setzte sich bei der Organisation des
Erwachsenenalltags fort. Die von Partei und Staat gesetzten Rahmenbedingungen
erzwangen eine gewisse Gleichförmigkeit im alltäglichen Leben. Das Ziel staatlicher
Erziehung war, den eigenen Willen frühzeitig zu brechen, die Herausbildung von
Individualität zu hemmen und den Kollektivgeist zu fördern.
Der sozialistische Versorgungsstaat, der alle Lebensbereiche und Lebenslagen
durchdrang und den Einzelnen in Kollektive einband, erzeugte zwar ein Gefühl von
Sicherheit, förderte zugleich aber die individuelle Entmündigung. Unter diesen
Bedingungen vollzog sich eine Persönlichkeitsentwicklung, die Unterordnung und
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sogar Unterwürfigkeit begünstigte und gleichzeitig durch das Streben nach
Freiheitsräumen und Ventilen zur Bewältigung oder Verdrängung von
Alltagsproblemen charakterisiert war. Individuelle Verantwortung konnte der
Normalbürger kaum übernehmen, da alles politisch vorgegeben war und kontrolliert
wurde.
Die kürzlich verstorbene oberste Volkserzieherin Margot Honecker skizzierte die
Aufgabe des Bildungssystems mit den Worten: "Wir wollen einen Menschen
erziehen, der ein Kollektivmensch unserer Zeit ist, der weit mehr für das
gesellschaftliche Leben als für seine persönlichen Interessen lebt."
Die vorgefundenen Lebensverhältnisse zwangen den Einzelnen zur weitgehenden
Anpassung, so dass die Grenze zwischen selbstbestimmter und fremdbestimmter
Biografie verschwamm. Als Folge bildeten sich in der Bevölkerung politische Apathie,
individueller Zynismus oder Opportunismus heraus. Sozialistische Tugenden und
Wertemuster konnten sich bei den meisten Menschen nur so weit durchsetzen, wie
sie den tradierten obrigkeitsstaatlich geprägten deutschen Sekundärtugenden
entsprachen.
Die Spätfolgen dieser autoritären Prägungen sehen wir heute in der geringen
Akzeptanz der praktizierten Demokratie, einer niedrigeren Wahlbeteiligung und in
deutlich höheren Wahlergebnissen extremistischer und populistischer Parteien.
Gehalten hat sich auch die Annahme eines Dualismus von "die da oben und wir hier
unten". Gewechselt haben nur die Akteure – früher waren es Honecker und die SED,
heute sind es Merkel und die etablierten Parteien. Damals wie heute fühlen sich viele
Ostdeutsche von den Herrschenden übergangen und meinen, im Leben zu kurz zu
kommen.
Ausländerfeindlichkeit in der DDR
Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus gibt es überall in Deutschland, aber in
den neuen Ländern liegen die Bevölkerungsanteile bei der generellen Ablehnung von
Ausländern, der Zahl der Rechtsextremisten sowie der rechtsextremen Gewalttaten
doppelt so hoch wie in den alten.
Erst nach dem Fall der Mauer mit der Öffnung der Archive wurde einer erstaunten
Öffentlichkeit deutlich, wie weit verbreitet ausländerfeindliche Einstellungen waren
und in welchem Ausmaß Behörden gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen
Einheimischen und Ausländern offiziell registriert hatten. Am 31. Dezember 1989
lebten in der DDR jenseits der sowjetischen Besatzungstruppen nur etwa 191.000
Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit, etwa 1,2 % der Bevölkerung. Das
waren etwa so viele, wie zusammengenommen in Köln und Duisburg lebten. Die
meisten von ihnen waren so genannte Vertragsarbeiter, die für vier bis fünf Jahre in
der DDR arbeiteten und den Arbeitskräftemangel kompensieren sollten.
Ein einklagbares Recht auf Einwanderung oder Asyl gab es nicht. Mehrere tausend
Personen erhielten gleichwohl vorübergehend oder längere Zeit Asyl. Die Verfassung
enthielt eine "Kann-Bestimmung", nach der Ausländern oder Staatenlosen Asyl
gewährt werden konnte, wenn ihre politischen Auffassungen und Ziele denen der
SED entsprachen. Der Ministerrat entschied über die Asylgewährung. Es handelte
sich also nicht um Rechtsgrundsätze, sondern um politische Entscheidungen, die
jederzeit widerrufen werden konnten. Die zahlenmäßig größte Gruppe der politischen
Flüchtlinge, denen die SED Asyl gewährte, bestand aus rund 2.000 Chilenen –
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vornehmlich Kommunisten –, die nach dem Putsch von Pinochet ihr Heimatland
verlassen mussten.
Die meisten Vertragsarbeiter lebten von der Bevölkerung isoliert und unterlagen
strengen Verhaltensnormen. Zwar hatten die ausländischen Arbeitskräfte formal die
gleichen Rechte wie die deutschen, faktisch aber waren sie einfacher zu
kontrollieren, da sie bei Verstößen gegen die "sozialistische Arbeitsdisziplin" jederzeit
in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden konnten. Sie waren in betriebseigenen
Wohnheimen untergebracht, in denen es eine ständige Einlasskontrolle gab. Männer
durften keine Frauen in den Zimmern empfangen, Arbeitskollegen oder deutsche
Besucher hatten den Personalausweis vorzulegen und Fragen des Pförtners zu
beantworten. Da die ausländischen Arbeitnehmer ohne ihre Familie in die DDR
kommen mussten – Familiennachzug gab es nicht –, waren Privatkontakte ein
"Sorgenkind der Behörden". Vertragsarbeiterinnen, die schwanger wurden, mussten
abtreiben oder man schickte sie in ihre Heimatländer zurück.
Fremdenfeindliche Vorfälle oder zumindest gewaltsame Auseinandersetzungen
zwischen Deutschen und Ausländern registrierten die Behörden seit Ende der
1950er Jahre. In späteren Jahren berichtete das Sekretariat für Arbeit und Löhne
dem SED-Zentralkomitee wöchentlich über Vorkommnisse mit Ausländern und deren
Probleme. Die negative Einstellung vieler DDR-Bürger gegenüber bestimmten
Ausländern fand auch Niederschlag in der Wortwahl. Sie nannten Farbige "Brikettis"
und Vietnamesen "Fidschis".
Besondere Aggressionen in Teilen der Bevölkerung erregten Schwarzafrikaner, die
ein Verhältnis mit ostdeutschen Frauen hatten. Auch das Verhältnis zu Polen war
nicht gerade von Harmonie geprägt; antipolnische und chauvinistische Äußerungen
gehörten zum Alltag. Ab 1980 verschärften sich diese Konflikte, da die SED die
polnische Krise zum Schüren weiterer antipolnischer Ressentiments nutzte.
Vor allem ab Mitte der 1980er-Jahre häuften sich gewaltsame Konflikte zwischen
Einheimischen und Ausländern. Eine interne Parteiinformation aus dem Jahr 1988
verweist auf die Konflikte zwischen ausländischen Arbeitskräften und der
einheimischen Bevölkerung, die in Wohngebieten der Bevölkerung Dresdens immer
wieder durch ruhestörenden Lärm, starke Inanspruchnahme der
Wohngebietsansprüche, Alkoholmissbrauch und Konflikte mit DDR-Bürgern
entstünden. Die Bevölkerung würde mit gewaltsamen Aktionen reagieren,
ausländische Jugendliche zu Schlägereien provozieren, Wohnheime beschädigt. Im
Januar 1989 beklagten Angolaner ihre Diskriminierung im Wohnheim und während
der Arbeit; im April wurde über eine Bombendrohung auf ein Wohnheim für
ausländische Werktätige in Dresden berichtet.
Konfliktfelder im Verhältnis zu Ausländern, die zu einer ablehnenden oder
feindseligen Haltung führten, entwickelten sich aus der argwöhnisch beobachteten
Übererfüllung der Arbeitsnormen durch Ausländer, vor allem durch Vietnamesen, das
organisierte "Abkaufen" von Mangelwaren durch Vertragsarbeiter und die
"Reisefreiheit" für bestimmte Ausländer, die im Westen elektronische Geräte
einkauften und in der DDR auf dem Schwarzmarkt zu hohen Preisen verkauften.
Besonders hohe Ausländerfeindlichkeit gab es – so das Ergebnis einer 1990
durchgeführten Befragung – im Süden der DDR, vornehmlich in Thüringen und
Sachsen, insbesondere in den Städten Leipzig, Dresden und Chemnitz.
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Nach dem Fall der Mauer stieg die Ausländerfeindlichkeit im ganzen Land sprunghaft
an. Angesichts der weit verbreiteten Unsicherheit und Orientierungslosigkeit suchten
sich viele Ostdeutsche ein Ventil, ihre Frustrationen und Aggressionen loszuwerden.
Hier boten sich die ohnehin nicht geliebten Ausländer an, die in den darauffolgenden
Jahren Zielscheibe blinden gewalttätigen Hasses von ausländerfeindlich
eingestellten Bürgern wurden. Beispielhaft stehen hierfür die Vorfälle in Hoyerswerda
und Rostock-Lichtenhagen.
Rechtsextremismus in der DDR
Im März 1989 war das Parteiorgan der SED – das Neue Deutschland – weiterhin fest
davon überzeugt, dass es in der DDR weder Ausländerfeindlichkeit noch
Rechtsextremismus gebe. Der Antifaschismus als Staatsdoktrin hätte zu einem
radikalen Bruch mit allem Reaktionären und Antihumanem, mit nationalistischer
Überheblichkeit und Völkerverachtung geführt. Tatsächlich aber ereigneten sich von
Anfang bis Ende der DDR immer wieder Vorfälle, die auf einen rechtsextremen
Hintergrund hindeuteten. Zwar war – vor allem bei jüngeren Tätern – hiermit nicht
immer ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild verbunden, aber nicht
wenige Jugendliche benutzten nationalsozialistische Symbole zur Provokation der
Herrschenden und als Ausdruck ihrer Ablehnung des sozialistischen Systems. Sie
provozierten mit Hakenkreuzschmierereien, neofaschistischen Pöbeleien, positiven
Bezugnahmen auf Hitler und die NS-Zeit, antikommunistischen Parolen, aber auch
mit gewalttätigen Übergriffen. Schon Ende 1961 hatte der FDJ-Zentralrat daher ein
Strategiekonzept zur Auseinandersetzung mit gewalttätigen Jugendgruppen
entwickelt. Über durchschlagende Erfolge ist indes nichts bekannt, im Gegenteil:
Nach dem Bau des so genannten antifaschistischen Schutzwalls gingen
neonazistische Provokationen unvermindert weiter. Die Behörden registrierten nicht
nur "Propaganda-Delikte", sondern gleichermaßen Gewaltdelikte. SED und MfS
charakterisierten sie jedoch nicht als rechtsextreme Gewalttaten, sondern als
"asoziales Verhalten" und "Rowdytum".
In den 1980er-Jahren mussten SED und Stasi die Entstehung und nahezu
flächendeckende Verbreitung von Skinheads und neonazistischen Gruppen zur
Kenntnis nehmen, deren Ursachen sie aber im Westen verorteten. In Verhören
gaben Skins jedoch an, keine Rädelsführer zu haben, sondern den zu respektieren,
"der stark ist und nicht lange fackelt, sondern zuschlägt". Sie strebten ein
Großdeutschland an und lehnten Ausländer, vor allem Türken ab. Ab Mitte der
1980er-Jahre ritualisierten Skinheadgruppen die Gewalt und erklärten bestimmte
Bevölkerungsteile – vornehmlich Ausländer, Homosexuelle, Grufties, Punks, aber
auch Vertreter der Repressionsorgane des SED-Staates – zu Feinden. Sie übten
bewusst Terror gegen andere aus, um ihre Stellung zu festigen. Vor allem
dunkelhäutige Ausländer waren "bevorzugte" Opfer. Gewalt übten sie nahezu immer
in Gruppen aus, selten individuell.
In der Endphase der DDR kämpften viele Skinheads als rechtsextreme Gruppen
gegen den SED-Staat. Sie agierten verstärkt konspirativ, um ihre
Zusammenschlüsse vor der Zerschlagung zu schützen. SED und Stasi konnten sie
nicht mehr übersehen und bezeichneten die Jugendlichen nicht länger nur als
negativ-dekadent oder rowdyhaft, sondern erkannten einen Zusammenhang mit
politischer Untergrundtätigkeit und werteten sie als Jugendliche mit
neofaschistischen Auffassungen. Die Ursachen sahen sie weiterhin in der "politisch6
ideologischen Diversion des Gegners": Der Klassenfeind war hiernach Schuld an der
Ausbreitung dieser Strömungen.
Ab 1988 begannen sich die Skinhead- und Fascho-Gruppen kommunikativ
überregional zu vernetzen, was auch Haftbetreuung und Planung gemeinsamer
Freizeitaktivitäten sowie Gewalthandlungen miteinschloss. Im gleichen Jahr
entstanden erste Organisationen, die mit westlichen Rechtsextremen
sympathisierten und Verbindungen zu westdeutschen Neonazigruppen aufnahmen.
Im vorletzten Jahr der DDR verzeichnete die Polizei in den meisten Kreisstädten
rechtsextreme Szenen mit einem kleinen harten Kern von Ideologen und Anführern
und einem mehr oder weniger großen Sympathisantenkreis.
Die Zahl der Gewalt- und Straftaten ausländerfeindlicher rechtsextremer Gruppen
stieg nach Angaben der Kriminalpolizei von 1983 bis 1988 ungefähr um das
Fünffache. 1990 kam eine von der Kriminalpolizei in Auftrag gegebene Studie zu
dem Ergebnis, dass diese Gruppen über eine aggressive, reaktionär-militaristische
und neofaschistische Orientierung verfügten. Dafür sprächen die Anschauungen
über die naturgegebene Ungleichheit der Menschen, das keimende Bewusstsein des
"Ausgewählt-seins" und der unbedenkliche Anspruch, diese Anschauung mit Gewalt
durchsetzen zu wollen. Diese Gruppen können sogar – so die Einschätzung der
Kriminalpolizei – als "Keimzellen für terroristische Verbindungen" angesehen werden
– eine Vorahnung, die Jahre später in Gestalt der NSU mörderische Realität werden
sollte.
Am Vorabend ihres Zusammenbruchs existierte in der DDR ein vielfältiges Spektrum
rechtsextremer Gruppen, in denen Skinheads, Hooligans und Faschos dominierten,
von etwa 1.000 rechtsextremen und intensiv gewalttätigen Personen und einem
Potenzial von Sympathisanten von etwa 15.000 Personen, deren Aktivitäten und
Drohungen im Herbst/Winter 1989/90 sprunghaft zunahmen.
Anders als die SED behauptete, entsprangen neonazistisches Gedankengut und
rassistische Einstellungen nicht kapitalistischen Verhältnissen, sondern der
Disposition vieler Menschen in autoritär oder totalitär geprägten Staaten. Generell
wächst, wie Adorno schon 1959 feststellte, die Faszination totalitärer Systeme und
Ideologien nicht aus politisch-ökonomischen Kriterien, sondern aus einer schwachen
Persönlichkeit, die der Identifikation mit großen Kollektiven bedarf.
Der vereinigungsbedingte politische und soziale Umbruch
Schon bald nach der Wiedervereinigung merkten die ehemaligen DDR-Bürger, dass
das westliche System nicht in allen Dimensionen dem erträumten und erhofften
entsprach. Im Winter 1990 äußerte eine Mehrheit, die im Laufe des
Transformationsprozesses anstieg, sie hätte lieber einen neuen Staat als den der
Bundesrepublik gehabt. Offenbar erwies sich im alltäglichen Leben vieles an den
neuen demokratischen Institutionen anders als erwartet. Der für sie neue Staat
überschüttete die Menschen zwar mit Formularen, die dem bürokratischen Gang der
Dinge Rechnung tragen sollten, hielt sich aber aus ihrer Sicht in anderen Bereichen
zugunsten der privaten Wirtschaft zurück.
Das Misstrauen oder die Gleichgültigkeit gegenüber den neuen demokratischen
Institutionen hat sich in den letzten 25 Jahren eher verfestigt als aufgelöst.
Ostdeutsche haben generell weniger Vertrauen in politische Institutionen als
Westdeutsche. Es gibt keine Institution, zu der Ostdeutsche höheres Vertrauen als
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Westdeutsche haben. Gefragt nach den größten Erfolgen und Leistungen der
Bundesrepublik, nennt nur ein Viertel der Ostdeutschen gegenüber der Hälfte der
Westdeutschen ein stabiles politisches System. Den Rechtsstaat erwähnen 23 %
von ihnen gegenüber 46 % im Westen. Das Grundgesetz lobt ein Drittel der
Ostdeutschen, aber zwei Drittel der Westdeutschen.
Dramatisch fielen zumindest in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung die
sozialen Umbrüche aus. Betriebe und Verwaltungen schickten ältere Werktätige in
den Vorruhestand, viele verloren ihren Arbeitsplatz, mussten sich neu qualifizieren
und eine neue Beschäftigung suchen, was in den meisten Fällen gelang. Für nahezu
alle Ostdeutschen änderten sich die Arbeits- und Lebensverhältnisse. Sie sahen sich
vor Herausforderungen gestellt, die mit Ungewissheiten und Unsicherheiten
einhergingen.
Die neue Freiheit setzte anfangs vermeintlich keine Grenzen. Für viele Jugendliche
existierten keine Autoritäten mehr. Auf sich allein gestellt, fehlte ihnen das Gefühl,
gebraucht und anerkannt zu werden. In der alleingelassenen Jugend, die keine
Vorbilder und Autoritäten mehr hatte, konnten rechtsextreme Ideologen Fuß fassen.
Die gewaltbereite rechtsextreme Szene breitete sich rasch weiter aus.
Inzwischen haben sich die meisten Ostdeutschen einen im Vergleich zum Westen
zwar etwas geringeren, aber doch beträchtlichen Wohlstand erarbeitet. Die anfangs
hohe Arbeitslosigkeit ist stark gesunken, aber der Sozialneid gegenüber dem Westen
und den Ausländern vielfach geblieben. Die Gemütsverfassung, zu kurz gekommen
zu sein, hat sich ebenfalls gehalten. Und jetzt kommen über eine Million Ausländer
ins Land, die am Wohlstand teilhaben wollen. Viele Ostdeutsche halten die meisten
von ihnen für "Wirtschaftsflüchtlinge", die hier nichts zu suchen haben. Hiergegen
artikulieren sie Proteste bis hin zu Gewaltübergriffen. Die aktuelle Argumentation
gegen Ausländer ist nahezu deckungsgleich mit der in der DDR. Eine schweigende
Mehrheit sieht zu, Gegendemonstrationen werden vom linken bis linksextremen
gewaltbereiten Milieu bestimmt.
Die verbale und mitunter auch gewalttätige Radikalisierung der politischen
Auseinandersetzungen in Ostdeutschland findet auch Ausdruck im Wahlverhalten.
Bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt wählte knapp jeder Zweite eine linksoder rechtspopulistische Partei. Linkspartei und AfD bündeln die Proteste gegen das
System und die Eliten und streben eine andere Republik an. Sie haben zwar
unterschiedliche Ziele, sie eint aber eine grundsätzliche Kritik am herrschenden
System. Derzeit sieht es so aus, als ob die AfD die Linkspartei als erfolgreichste
Protesttruppe ablösen könnte. Vor allem im Umgang mit Flüchtlingen unterscheiden
sich die beiden Parteien. Während die Linke, abgesehen von einer kleinen
Minderheit um Sahra Wagenknecht, weiterhin nahezu alle ins Land kommen lassen
will, die aus unterschiedlichen Gründen in Deutschland Zuflucht suchen, propagiert
die AfD eine äußerst restriktive Flüchtlingspolitik. Eine Mehrheit der Ostdeutschen
steht in dieser Frage eher auf Seiten der AfD.
Sicherlich kann und darf man die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung kritisieren,
aber den ins Land kommenden Ausländern mit Hass und Verachtung zu begegnen,
wie es insbesondere, aber nicht nur in Ostdeutschland geschieht, ist Ausdruck
antizivilen Verhaltens. Und hier liegt das Problem: Die Zivilgesellschaft ist im Osten
vielerorts nur ein zartes Pflänzchen, das oftmals vom Mob niedergetrampelt wird.
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Die AfD pauschal in die rechtsextreme Ecke zu rücken, wie es insbesondere linke
Politiker tun, ist ebenso falsch wie die Gleichsetzung von Linkspartei und SED. Eine
pauschale Herabwürdigung und Diffamierung ihrer Mitglieder und Sympathisanten
verstärkt eher das Zusammengehörigkeitsgefühl als dass es zum Nachdenken
anregt. Vor allem Ostdeutsche reagieren empfindlich auf diese Art der politischen
Ausgrenzung, weil sie an DDR-Verhältnisse erinnert.
Unter den Sympathisanten von Pegida und AfD gibt es sicherlich auch
Rechtsextremisten, aber viele Mitläufer begreifen ihren Protest als Fortsetzung der
Demonstrationen im Spätherbst 1989. Sie fühlen sich "von denen da oben" – damals
der SED, heute der Regierungskoalition und den Grünen – bevormundet, z.B. wenn
bei der Frage der Flüchtlingsunterbringung nur zugewiesen und nicht erst diskutiert
wird. In dem Maße wie sich nahezu die gesamte politische Klasse und die
gesellschaftlichen Kräfte gegen sie stellen, wie jüngst anlässlich des
Programmparteitages der AfD geschehen, sehen sie sich in ihrem Widerspruch zum
System bestätigt und setzen ihn trotzig fort.
Diese Haltung aufzubrechen ist eine Aufgabe aller Parteien, die keine weitere
Radikalisierung wollen. Gewiss: Von Weimarer Verhältnissen sind wir auch in
Ostdeutschland weit entfernt, aber soziale und politische Stabilität sind keine
Selbstläufer. Sie wird nicht durch markige Worte, sondern durch nachvollziehbare
Taten bestimmt. Die Bürger des Landes haben ein Recht auf Berücksichtigung ihrer
Interessen. Die staatstragenden Parteien sollten auch mit der AfD die sachbezogene
Auseinandersetzung suchen und auf Beschimpfungen und Entlarvungsstrategien
verzichten, die vor Jahrzehnten schon bei den Grünen und der PDS nicht fruchteten.
Die AfD wiederum muss eine klare Trennlinie zu extremen Kräften ziehen, wenn sie
ernst genommen und in den politischen Dialog einbezogen werden will.
Im Zentrum der politischen Auseinandersetzungen, die sich zugunsten der
Sympathiewerte für die AfD auswirken, steht derzeit sicherlich die offizielle
Flüchtlingspolitik. Mit dieser Thematik entstandene Probleme wurden
regierungsoffiziell und medial erst verdrängt und dann zumeist verharmlosend
kommentiert, was der AfD nur nützte.
Selbstverständlich kann und muss über die Folgen der Zuwanderung diskutiert
werden. Akzeptieren wir die Personen, die aus Bürgerkriegsländern nach
Deutschland gekommen sind, als Einwanderer, oder gewähren wir ihnen nur für die
Zeit des Bürgerkriegs in ihrem Heimatland Zuflucht? Wie können wir eine gezielte
Einwanderungspolitik betreiben, die auch die Interessen Deutschlands
berücksichtigt? Handelt es sich bei der jetzigen Zuwanderung von Flüchtlingen um
eine verdeckte Einwanderungspolitik, die von offizieller Seite verschwiegen wird?
Warum werden Gewaltübergriffe von Linken und Linksextremisten öffentlich anders
wahrgenommen und diskutiert als die von Rechten und Rechtsextremisten? Gibt es
Täter und Opfer erster und zweiter Klasse oder heiligt sogar der Zweck die
(gewaltsamen) Mittel?
Das sind nur einige Fragen, die viele Menschen bewegen und auf die bisher nur die
AfD Antworten gibt, die einem gefallen mögen oder auch nicht. Was hindert die
staatstragenden Parteien an einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit AfDPositionen? Warum geben sie nicht auf diese und weitere in der Bevölkerung
aufgeworfene Fragen die besseren Antworten?
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Klaus Schroeder, geb. 1949 in Lübeck-Travemünde, promovierter Soziologe und
habilitierter Politikwissenschaftler, Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat der
FU sowie der Arbeitsstelle Politik und Technik des Otto-Suhr-Institutes.
Bücher (Auswahl):
- Gegen Staat und Kapital – für die Revolution! Linksextremismus in Deutschland –
eine empirische Studie. (Zus. mit Monika Deutz-Schroeder). Verlag Peter Lang.
2015.
- Der SED-Staat: Geschichte und Strukturen der DDR 1949-1990. Verlag Böhlau. 3.,
vollständig überarbeitete Auflage. 2013.
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